Jeannine Müller
Harun Can
Vertrieb von Finanzprodukten (Aktien, Hypotheken, Fonds, Versicherungsprodukte)
Workshop anlässlich des ISIS)-Seminars mit dem Titel «Mehrwertsteuer. Aktuell. Kompakt. Interdisziplinär».
Fall 1 – Vertrieb von Versicherungsprodukten
1.1 Sachverhalt
Die X AG, ein im Register der Versicherungsvermittler u.a. für den Zweig „Transportgüterversicherungen“ eingetragener Makler, wird von einem Grossunternehmen beauftragt, dessen Versicherungsportefeuille zu überprüfen und allenfalls neue Versicherungslösungen zu erarbeiten.
Die Überprüfung mündet in einen neuen Versicherungsvertrag mit dem Versicherer Y in Grossbritannien, welchen die X GmbH über den Generalvertreter G des Versicherer Y in der Schweiz erwirkt.
Die X AG, Schweiz, erhält in der Folge Provisionen vom Generalvertreter G, Schweiz. Das Grossunternehmen zahlt nicht für die Überprüfung des Versicherungsportefeuille.
G seinerseits erhält Provisionen vom Versicherer Y.
Der Sachverhalt lässt sich graphisch wie folgt darstellen:
1.2 Fragestellung
Frage 1: Wie ist die Provision, welche die X AG vom Generalvertreter G erhält, mehrwertsteuerlich zu beurteilen?
Frage 2: Wie ist die Provision, welche der Generalvertreter G vom Versicherer Y, UK, erhält, mehrwertsteuerlich zu beurteilen?
Fall 2 – Vertrieb von Hypotheken und Wertpapieren
2.1 Sachverhalt – Vertrieb von Wertpapieren
Die Vermittler AG hat Sitz in Zürich. Die Vermittler AG war bis zum 31. Dezember 2009 im Register für Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen. Die ESTV erliess am 22. Juni 2016 eine Verfügung, wonach die Vermittler AG per 1. Januar 2010 nicht „als steuerpflichtiges Unternehmen im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen“ erfasst werde.
Das Geschäftsmodell der Vermittler AG besteht darin, dass sie für ausländische Gesellschaften (Private Equity Promoter) potenzielle Investoren (CH Kunden) sucht, die interessiert sind, einen Vertrag über die Investition in bestimmte Wertschriften einzugehen. Es sind also ein Vermittler, ein Investor und ausländische Promotoren involviert.
Die Vermittler verhandelt den jeweiligen Kaufvertrag über das Investment mit den ausländischen Gesellschaften, wozu er sich auf einen Mustervertrag stützt. Finden der Vermittler und der jeweilige Investor einen Konsens, unterzeichnet der Investor einen schriftlichen Kaufvertrag betreffend des Investments mit der ausländischen Gesellschaft.
Die Vermittler AG hatte keine Vollmacht zur Unterzeichnung des Kaufvertrags.
In der Folge schuldet die ausländische Gesellschaft (Private Equity Promoter, UK) der Vermittler AG eine Provision, deren Höhe durch das Volumen des Kaufvertrags betreffend Private Equity Investments bestimmt wird. Der CH Kunde leistet seine Zahlung auf ein inländisches Treuhandkonto, wobei die Vermittler AG bei der Abwicklung der Zahlung (an sich selbst (Provision] bzw. an den Promoter [Restbetrag]) mitwirkt.
Der Sachverhalt lässt sich graphisch wie folgt darstellen:
2.2 Fragestellungen
Frage 1: Erbringt die Vermittler AG befreite oder ausgenommene Vertriebsleistung an die ausländische Promoter Gesellschaft?
Frage 2: Welche Tätigkeiten sind von der ausgenommenen Vermittlung abzugrenzen und führen zu einer anderen steuerlichen Behandlung?
Fall 3 – Vertrieb von Hypotheken
3.1 Sachverhalt
Hypo-Connect ist eine technologiebasierte Beratungsplattform für den unabhängige Vertrieb von Hypotheken. Das Fintech-Unternehmen vermittelt seinen Kunden Hypotheken-Finanzierungslösungen von über 100 Partnern (Banken, Versicherungen). Die Partner sind unabhängige Dritte.
Der Vertrieb der Finanzierungen ist voll automatisiert. So erfolgt die Überprüfung der Anforderungen an die Hypothekenvergabe, das Zusammenführen von Darlehensnehmer und Darlehensgeber und die Erstellung der entsprechenden Vertragsunterlagen durch Hypo-Connect vollautomatisch. Der bei Hypo-Connect involvierte Kundenberater ist einzig Kontaktperson des Darlehensnehmers, ist aber aufgrund der Automatisierung nicht in das Zusammenführen von Darlehensnehmer und Darlehensgeber involviert.
Hypo-Connect verlangt von den Darlehensnehmern keine Gebühren und trägt ihre Kosten aus den Vertriebsgebühren, welche Sie von den Partnern erhält.
Hier eine graphische Darstellung des Sachverhalts:
3.2 Fragestellung
Wie beurteilen Sie diesen Sachverhalt aus Schweizer Mehrwertsteuersicht?
Fall 4 – Vertrieb strukturierter Produkte
4.1 Sachverhalt
Die Structured Product AG ist im Bereich der Entwicklung und des Vertriebs von strukturierten Finanzprodukten tätig. Structured Product AG ist seit 2013 als MWST-Pflichtige im Schweizer MWST-Register eingetragen.
Vermögensverwalter & Banken: Structured Product AG fragt ihre externen Vermögensverwalter, Family Offices, Banken etc. an, ob sie bzw. Drittinvestoren am Zeichnen eines strukturierten Produktes interessiert wären.
Alternativ fragen die Kunden Structured Product AG an, ob ein strukturiertes Produkt mit gewissen unterliegenden Titeln ausgegeben werden kann.
Emittenten-Seite: In der Folge kontaktiert Structured Product AG verschiedene in- und ausländischen Emittenten (z.B. UBS, Leonteq, Société Générale, JP Morgan, BCV etc.) und fragt nach, zu welchen Konditionen das strukturierte Produkt ausgegeben werden kann.
Wichtig ist, dass die Emittenten im In- und Ausland ansässig sind.
Vermögensverwalter, Banken, welche diskretionäre Verwaltungs- oder Anlageberatungsmandate betreuen, erhalten von Structured Product AG anschliessend Instruktionen zur Zeichnung, damit diese für Investoren direkt beim Emittenten die strukturierten Produkte zeichnen oder erwerben.
Structured Product AG hat keine Vollmacht für die Investoren mit dem Emittenten die Zeichnung oder den Kauf abzuschliessen. Structured Product AG hat auch keine Vollmacht der Emittenten mit den Investoren eine Zeichnung der strukturierten Produkte abschliessen. Weiter verhandelt Structured Product AG auch nicht für die Investoren mit den Emittenten über den Inhalt der Investitionsverträge.
Ertrag der Structured Product AG - Entschädigung bei Zeichnung
Für die Zeichnung der Zertifikate erhält Structured Product AG vom Emittenten eine Vertriebsentschädigung (i.d.R. um die 0.25% bis 1% per annum des Emissionsbetrags).
Aufwand bei Structured Product AG - Zahlung Entschädigung an Vermögensverwalter & Banken bei Zeichnung
Structured Product AG leitet teilweise einen Teil der globalen Vertriebsentschädigung gegen Gutschrift an die Vermögensverwalter & Banken weiter.
Es gibt auch Fälle, bei denen keine Vertriebsentschädigung weitergeleitet wird, weil die Vermögensverwalter & Banken bei Zeichnung auf dem an den Emittenten zu bezahlenden Betrag bereits einen Diskont abziehen, und keine Vertriebsentschädigung beziehen.
Die Aktivität von Structured Product AG ist auf die Lieferung von Informationen des Produkts und der Herausgeber begrenzt.
Structured Product AG erbringt keine Portfolioverwaltung oder Anlageberatungstätigkeit für Ihre Kunden oder deren Endkunden.
Der jeweilige Kaufvertrag über die strukturierten Produkte wird direkt zwischen dem Emittenten und dem jeweiligen Investor abgeschlossen.
Structured Product AG macht die Kunden darauf aufmerksam, dass es sich jeweils um eine Vertriebsvereinbarung mit dem vom Kunden gewählten Emittenten handelt und deren Bestimmungen einzuhalten sind.
Der Sachverhalt lässt sich graphisch wie folgt darstellen:
4.2 Fragestellung
Frage 1: Handelt es sich bei den Vertriebsleistungen für inländische Emittenten um steuerbare Leistungen?
Frage 2: Handelt es sich bei den Vertriebsleistungen für ausländische Emittenten um nicht der Mehrwertsteuer unterliegende Leistungen mit vollem Vorsteuerabzug?
Frage 3: Handelt es sich bei der Retrozession, welche Structured Product AG an ausländische Vermögensverwalter zahlt, um die Entschädigung für eine steuerbaren Leistung an die Structured Product AG, welche der Bezugsteuer unterliegt?
Fall 5 – Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen
5.1 Sachverhalt:
Herr Keller schliesst mit der Vermögensverwaltung AG einen Vermögensverwaltungsvertrag im Zusammenhang mit seiner persönlichen Anlage in kollektiver Kapitalanlagen ab. Auf Grundlage der in diesem Vertrag enthaltenen Anlageinstruktionen trifft die Vermögensverwaltung AG die Anlageentscheide betreffend Investment in kollektive Kapitalanlagen und gibt die entsprechenden Wertschriftentransaktionen bei der inländischen Bank 1 in Auftrag. Die Vermögensverwaltung AG hat Herrn Keller offengelegt, dass sie Retrozessionen von Bank 1 erhält. Diese Provisionen kann die Vermögensverwaltung AG aufgrund einer Vereinbarung mit Herrn Keller behalten. Die Vermögensverwaltung AG hat einen Vertriebsvertrag mit der Bank 1 betreffend Vertrieb kollektiver Kapitalanlagen abgeschlossen. Weiter hat die Vermögensverwaltung AG eine Vertriebsträger-Bewilligung der FINMA.
Der nachfolgend detailliert dargestellte Sachverhalt sieht graphisch wie folgt aus:
5.2 Fragestellung
Wie sind die Retrozessionen der Bank 1 an die Vermögensverwaltung AG für den Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen mehrwertsteuerrechtlich zu beurteilen?