Stefan Piller
Rita Sommariva
Verrechnungspreise bei KMUs
Workshop von Stefan Piller und Rita Sommariva anlässlich des ISIS)-Seminars vom 05. Februar 2025 mit dem Titel «Verrechnungspreise bei KMUs»
Fall 1: Das Risiko steckt im Detail
1. Sachverhalt
AUTOMATION CH ist die Schweizer Tochtergesellschaft von AUTOMATION NL, dem Hauptsitz der mittelgrossen AUTOMATION Gruppe, die seit über 30 Jahren im Bereich der Präzisionsmaschinen tätig ist.
Das Geschäft der AUTOMATION Gruppe ist sehr kapitalintensiv, insbesondere auf Ebene der Produktionseinheiten in Deutschland und Indien. Um das Liquiditätsrisiko der Gruppe zu mindern, hat das Management der Gruppe im Jahr 2010 beschlossen, das Liquiditätsmanagement und die Treasury-Aktivitäten der Gruppe bei AUTOMATION NL zu zentralisieren. Infolgedessen verwaltet die Finanzabteilung von AUTOMATION NL u.a. die Ausgabe von Darlehen an die Tochtergesellschaften der Gruppe. Mit dem Ziel, die finanzielle Belastung der Gruppe gegenüber externen Banken zu minimieren, ist das gleiche Team auch für die Verwaltung der Zahlungsfristen gegenüber Kunden und Lieferanten sowie für die Verwaltung des Währungsrisikos im Zusammenhang mit den verschiedenen Finanzpositionen (die Unternehmen der Gruppe arbeiten mit fünf verschiedenen Währungen) verantwortlich.
AUTOMATION CH ist für den Vertrieb der Produkte von AUTOMATION in der Schweiz, Deutschland und Österreich verantwortlich. Im Jahr 2018 hat AUTOMATION CH einen neuen Finance Manager eingestellt, der bisher in der KMU-Abteilung einer Schweizer Bank tätig war. Um sicherzustellen, dass gruppeninterne Finanzierungstransaktionen in den Buchhaltungssystemen auf Gruppen- und lokaler Ebene korrekt ausgewiesen werden, bat AUTOMATION NL AUTOMATION CH - namentlich ihren Finance Manager -, die Finanzabteilung der Gruppe bei den Controlling- und Buchhaltungsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Liquiditätsmanagement des Konzerns zu unterstützen. Dementsprechend haben AUTOMATION NL und AUTOMATION CH im Jahr 2018 eine Dienstleistungsvereinbarung ("Service Level Agreement") abgeschlossen, in der AUTOMATION CH AUTOMATION NL die von ihrem Finance Manager für das Group Finance Team erbrachten Dienstleistungen („Finance Support Services“) zu den Kosten zuzüglich eines Mark-Ups von 5% in Rechnung stellt.
Im Mai 2023 erhält AUTOMATION CH die Aufforderung, im Rahmen der Steuerveranlagung für das GJ 2022, die unten gelisteten Dokumente zu liefern:
- Stellenbeschreibung des Finanzmanagers.
- Benchmark-Analyse zur Unterstützung des angewandten Aufschlags von 5% oder eine OECD-konforme Beschreibung des gering wertschöpfenden Charakters der Finance Support Services.
- Intercompany-Vereinbarung zwischen AUTOMATION NL und AUTOMATION CH für die Erbringung der Finance Support Services.
- Verrechnungspreisdokumentation (sofern verfügbar), d.h. Local File von AUTOMATION NL und/oder AUTOMATION CH und Group Master File für das GJ 2022.
Die Gruppe verfügt über keine TP-Dokumentation. Es gibt auch keine Unterlagen, die die Erbringung von Finance Support Services beweisen. Das einzige verfügbare Dokument neben der allgemeinen Stellenbeschreibung für die Rolle des Finance Manager ist das Service Level Agreement aus 2018. Bei der Prüfung dieses Dokuments stellt der Managing Director von AUTOMATION CH fest, dass die Finance Support Services eher allgemein beschrieben und insbesondere die folgenden Aktivitäten unter den von AUTOMATION CH durchgeführten Aktivitäten gelistet sind:
- "Authorization of funds requested by the Borrower [i.e. Tochtergesellschaft der AUTOMATION NL].
- Fund transfers from the Group's reference bank account to the Borrower's bank account.
- Authorize credit facility extension".
Frage
- Welche Informationen soll AUTOMATION CH den Schweizer Steuerbehörden vorlegen?
Fall 2: Ein überbezahlter Dienstleistungsanbieter
1. Sachverhalt
Die 2018 gegründete LikeNew CH ist ein Start-up, das gebrauchte elektronische Geräte kauft, aufbereitet und repariert, um sie dann als „erneuerte“ Produkte auf dem Markt zu verkaufen.
Die Produkte werden von der LikeNew CH sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen zu einem bestimmten Einkaufspreis gekauft. Die Produkte werden dann an die in Slowenien ansässige Tochtergesellschaft („LikeNew SI“) weitergeleitet, welche dann die notwendigen Reparaturen, die Aufarbeitung und die Erneuerung der Hardware- und Softwarekomponenten vornimmt. Eine weitere Tochtergesellschaft mit Sitz in Österreich („LikeNew AT“) kümmert sich um die Verwaltung, Pflege und Entwicklung der Online-Plattform, auf der die aufbereiteten Produkte verkauft werden.
Bei der Erstellung des Budgets für 2024 stellt der neue CFO (der sechs Monate zuvor ernannt wurde) fest, dass LikeNew SI in jedem der GJ 2020, 2021 und 2022 mehr Steuern gezahlt hat als die anderen Unternehmen der Gruppe, obwohl es keine Einnahmen gab. Und dies wird wahrscheinlich auch im GJ 2023 der Fall sein. Er sieht sich den IC-Vertrag zwischen LikeNew CH und LikeNew SI an und stellt fest, dass:
- LikeNew CH die Produkte an LikeNew SI zum Einkaufspreis plus 3% Verkauft; und
- LikeNew SI die aufbereiteten Produkte zum Einkaufspreis abzüglich 10% ("resale minus 10%") an LikeNew CH bzw., LikeNew AT zurück verkauft.
Dem CFO ist bekannt, dass LikeNew SI auch ca. 10% der reparierten Produkte einbehält, um sie auf osteuropäischen Märkten zu verkaufen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Nebentätigkeit zur Reparatur der Produkte. In der Zwischenzeit haben die Gründer den CFO aufgefordert, für die Einhaltung der TP-Vorschriften zu sorgen, ohne dass dafür ein Budget zur Verfügung steht.
Fragen
- Was könnte der Grund für die überproportionale Steuerbelastung der LikeNew SI sein, wenn man weiss, dass die Buchhaltung und die Buchführung bei der LikeNew SI korrekt sind?
- Welche Informationen benötigt der CFO, um die Rentabilität von LikeNew SI im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz zu halten?
Fall 3: Pragmatische Preisdefinition
1. Sachverhalt
CABLE CH ist ein in der Schweiz ansässiger Hersteller und Vertreiber von elektronischen Kabeln und Komponenten (Schalter, Stecker, etc.). Mit rund 20 Angestellte, verkauft sie ihre Produkte an Kunden (B2B) hauptsächlich in der Schweiz und in den benachbarten Märkten Deutschland und Österreich.
Um die Kosten der in den europäischen Ländern verkauften Produkte wettbewerbsfähig zu halten, beschliesst die CABLE CH nach Portugal zu expandieren: Sie gründet dort eine 100%ige Tochtergesellschaft („CABLE PT“) und setzt sie als Lohnhersteller ein, der mit einem Kostenaufschlag von 4% entlohnt wird. Die Produktionsleiterin von CABLE CH verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Branche und hat auch für drei der wichtigsten Akteure auf dem europäischen Markt gearbeitet. In diesem Sinne ist sie der Meinung, dass ein Aufschlag von 4% das durchschnittliche Verhalten des Marktes widerspiegelt.
Die Geschäftsleitung von CABLE CH hat beschlossen, die im Unternehmen vorhandene Liquidität (die grösstenteils durch den Verkauf von Produkten generiert wird) vorrangig für den Kauf einer geeigneten Anlage in Portugal sowie für die Anschaffung modernster Maschinen zu verwenden, um die hohen Qualitätsstandards der bei CABLE PT hergestellten Produkte aufrechtzuerhalten. Die Geschäftsleitung von CABLE CH geht davon aus, dass CABLE PT nach mindestens drei Jahren Tätigkeit ein Umsatzniveau erreicht, das zur Deckung aller Kosten ausreicht.
Für das erste Jahr, in dem CABLE PT tätig ist, stehen somit nur die Mittel zur Verfügung, die für die Einhaltung der üblichen Vorschriften (Gehaltsabrechnung, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen) erforderlich sind.
Fragen
- Wäre es vorstellbar, dass CABLE CH keine wirtschaftliche (Benchmark-) Analyse durchführt, um den Fremdvergleichscharakter des Aufschlags von 4% zu belegen?
- Welche Unterlagen muss CABLE PT vorbereiten, um sein TP-Setup gut zu unterstützen1?
Fall 4: Ein Start-up auf Expansionskur
1. Sachverhalt
INNOVATIVE CH ist ein Start-up, das eine auf maschinellem Lernen basierende Lösung zur Umwandlung von Bildern und Informationen, die von Videokameras und Sensoren erfasst werden, in Raumbelegungsdaten entwickelt hat.
Fünf Jahre nach seiner Gründung gehört INNOVATIVE CH (und seine Tochtergesellschaft INNOVATIVE AT) bereits zu den bedeutendsten IoT-Playern in Europa und hat bereits den Break-Even erreicht. Die Mitbegründer und Aktionäre haben daher beschlossen, in die benachbarten Märkte Frankreich und Italien innerhalb die nächste drei Jahre zu expandieren. Um die lokalen gesetzlichen Bestimmungen zur Datenerfassung und -verarbeitung zu erfüllen, gründete INNOVATIVE CH in jedem Land eine Einheit, die für Supportleistungen zuständig ist (z. B. eine Hotline für Kunden, die sich über die Datenqualität beschweren wollen; Unterstützung bei der Fehlerbehebung). Jede lokale Einheit berechnet INNOVATIVE CH einen Kosten- und Gewinnaufschlag.
Die Investoren haben die Gründer von INNOVATIVE CH aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Verrechnungspreise innerhalb der gesamten Gruppe eingehalten werden, um zu vermeiden, dass die bisher erzielten Ergebnisse durch steuerliche Anfechtungen zunichte gemacht werden. Dies sollte jedoch nicht auf Kosten der Ressourcen gehen, die für die Entwicklung der neuen Version der Lösung benötigt werden, deren Einführung ebenfalls in den nächsten zwei Jahren geplant ist.
Frage
- Welche Dokumentation2 garantiert INNOVATIVE CH eine effiziente Unterstützung seiner Verrechnungspreise, jetzt und in den Ländern, in denen es weiter expandieren wird?
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1 Die portugiesischen Verrechnungspreisvorschriften verlangen derzeit nicht, dass lokale Unternehmen spezifische Verrechnungspreisdokumente erstellen, obwohl sie erwarten, dass konzerninterne Transaktionen zu marktüblichen Bedingungen erfolgen.
2 INNOVATIVE CH ist sich der in Italien geltenden „Strafschutzregelung“ bewusst, ist aber noch nicht bereit, in die Erstellung eines Local File und eines Master File gemäss den italienischen TP-Vorschriften zu investieren.