Jürg Altorfer
Jürg B. Altorfer
Steuerliche Fallstricke bei Unternehmensumstrukturierungen
Workshop anlässlich dem ISIS)-Seminar vom 2./3. März 2020 mit dem Titel «Unternehmenssteuerrecht 2020»
1. Vorjahresverlustverrechnung bei Fusionen
Fall 1.1: Aufwertung von Aktiven
Sachverhalt
Die Farb AG und die Lack AG sind zwei Schweizer Gesellschaften, welche zu einem schweizweit tätigen Farbindustriekonzern gehören. Aus operativen Gründen wird beschlossen, dass die Lack AG per 1.1.2020 im Rahmen einer Fusion von der Farb AG übernommen werden soll. Die Lack AG verfügt zudem noch über gewinnsteuerlich verrechenbare Verlustvorträge aus Vorjahren in Höhe von insgesamt CHF 700'000, welche betragsmässig dem handelsrechtlich massgebenden Verlust entsprechen. Im Rahmen der Übernahme sämtlicher Aktiven und Passiven wird das Warendrittel der Lack AG buchmässig in Höhe von CHF 500'000 noch im Abschluss per 31.12.2019 aufgelöst.
Fragestellungen im Zusammenhang
- Können die Verlustvorträge von der Farb AG übernommen werden?
- Ist die wirtschaftliche Kontinuität gegeben? Liegt eine Steuerumgehung vor?
Fall 1.2: Fusion ohne Geschäftsbetrieb
Sachverhalt
Angelehnt an BGer vom 4. Januar 2012; 2C_351/2011 = ASA 81, 390 ff
Die Werkzeug und Maschinen AG ist eine Schweizer Gesellschaft mit Produktions- und Handelsaktivitäten im Bausektor und gehört zu einem internationalen Baustoffhandels-Konzern. Im gleichen Konzern besteht mit der Senkblei AG eine weitere Gruppengesellschaft mit Produktions- und Handelsaktivitäten im Bausektor. Im Rahmen der Neuordnung des Konzerns wird die Produktion der Senkblei AG teilweise stillgelegt und die Handelssparte an einen Dritten veräussert, wobei reduzierte Aktivitäten der Senkblei AG weitergeführt werden. Zwei Jahre später übernimmt die Werkzeug und Maschinen AG die Senkblei AG mit sämtlichen Aktiven und Passiven. Die Senkblei AG verfügt zu dem Zeitpunkt noch über immaterielle Vermögenswerte wie Kundenstamm und Know-How, jedoch nicht über einen Geschäftsbetrieb. Weiter hat die Senkblei AG zum Zeitpunkt der Übernahme noch nicht verrechnete Verlustvorträge.
Fragestellungen im Zusammenhang
- Können die Verlustvorträge von der Werkzeug und Maschinen AG übernommen werden?
- Ist die wirtschaftliche Kontinuität gegeben? Liegt eine Steuerumgehung vor?
Fall 1.3: Tochterabsorption
Sachverhalt
Angelehnt an BGer vom 6. September 2012, 2C_85/2012
Die Feintuch AG bezweckt die Fabrikation von und den Handel mit Textilien. Sie hat verschiedene Tochtergesellschaften. In der Weberei AG sind die gesamten Aktivitäten auf dem Gebiet der Weberei der Feintuch Gruppe zusammengefasst. Die Feintuch AG übernimmt die Weberei AG im Rahmen einer Tochterabsorption. Zum Zeitpunkt der Absorption bestehen die Aktiven der Weberei AG zu rund 95% aus Immobilien (Fabrikliegenschaften). In den drei Jahren zuvor wurde ein Geschäftsbereich abgespalten, ein zweiter eingestellt und ein dritter wurde in einer neu gegründeten Tochtergesellschaft neu aufgebaut. Im Folgejahr macht die Feintuch AG Verlustvorträge der absorbierten Weberei AG geltend. Rund 84% der Verlustvorträge entfiel auf den dritten Geschäftsbereich.
Fragestellungen im Zusammenhang
- Können die Verlustvorträge von der Feintuch AG übernommen werden?
- Ist die wirtschaftliche Kontinuität gegeben? Liegt eine Steuerumgehung vor?
Fall 1.4: Investmentgesellschaft
Sachverhalt
Angelehnt an BGer vom 24. November 2012, 2C_701/2012
Die Medico Investment AG ist eine börsenkotierte Investmentgesellschaft. Sie beteiligt sich an Unternehmen im Bereich der Medizinaltechnik. Die SQ-Holding erwarb die Aktien der Medico Investment AG im Rahmen eins öffentlichen Übernahmeangebotes. Den Aktionären der Medico Investment AG wurden im Gegenzug Anteile an einem neuen Anlagefonds angeboten. Nach dem Abschluss des Übernahmeangebotes erwarb der Anlagefonds sämtliche Beteiligungen der Medico Investment AG. Die Medico Investment AG verfügte somit nur noch über liquide Mittel sowie einen Verlustvortrag von rund CHF 75 Mio. Im gleichen Jahr wurde die Medico Investment AG von einer weiteren Tochtergesellschaft der SQ-Holding, der Kilimanjaro Invest AG, absorbiert. Im darauf folgenden Jahr übernimmt die Kilimanjaro Invest AG im Rahmen eines weiteren öffentlichen Übernahmeangebotes sämtliche Aktien einer anderen börsenkotierten Gesellschaft. Für die Begleichung des Kaufpreises setzt sie unter anderem die liquiden Mittel der ehemaligen Medico Investment AG ein.
Fragestellungen im Zusammenhang
- Können die Verlustvorträge von der Medico Investment AG übernommen werden?
- Ist die wirtschaftliche Kontinuität gegeben? Liegt eine Steuerumgehung vor?
Fall 1.5: Fusion Immobiliengesellschaften
Sachverhalt
Angelehnt an BGer vom 7. Juni 2019, 2C_1114/2018
Zweck der Immo AG ist der Kauf, der Verkauf und die Bewirtschaftung von Immobilien. Im Zuge von Fusionen übernimmt sie fünf Schwestergesellschaften (ebenfalls Immobiliengesellschaften). Mehrere dieser Gesellschaften weisen zum Zeitpunkt der Übernahme Verlustvorträge auf. Vier der fünf im Rahmen der Fusion übernommenen Immobilien werden im gleichen Jahr veräussert. In der Steuererklärung macht die Immo AG die Verlustvorträge der übernommenen Gesellschaften geltend.
Fragestellungen im Zusammenhang
- Können die Verlustvorträge von der Immo AG übernommen werden?
- Ist die wirtschaftliche Kontinuität gegeben? Liegt eine Steuerumgehung vor?
2. Spaltung von Holdingstrukturen
Fall 2: Spaltung Holdinggesellschaft
Sachverhalt
Alfred Ammann und Bruno Berger gründeten nach ihrem ETH-Studium die A&B Pump Tec AG ein Unternehmen im Bereich Pumptechnik. Im Laufe der Jahre ist daraus eine beachtliche Unternehmensgruppe geworden, welche neben speziellen Industriepumpen auch verschiedene Dosier- und Filtersysteme herstellt. Vor einigen Jahren beteiligte sich Claudio Cueni im Zuge einer Umstrukturierung als Aktionär an der Gruppenholding, wobei das Unternehmen um ein zusätzliches Standbein mit eigenem Personal im Bereich Analysetechnik erweitert wurde. Das von Claudio Cueni eingebrachte Unternehmen wurde in A&B Analytics AG umbenannt.
Die Struktur der Unternehmensgruppe präsentiert sich gegenwärtig wie folgt:
Es zeigte sich, dass die Vorstellungen über das Fortkommen der Gruppe zunehmend divergierten, weshalb das Verhältnis zwischen Claudio Cueni und den bisherigen beiden Geschäftspartnern immer angespannter wurde. Schliesslich mussten sie feststellen, dass für eine weitere gemeinsame Tätigkeit keine Basis mehr besteht, und sie beschlossen, sich geschäftlich wieder zu trennen.
Alfred Ammann und Bruno Berger wollen sich weiterhin voll und ganz auf die Herstellung und den Vertrieb ihrer Pumpsysteme konzentrieren, wobei ein Verkauf der A&B Dispensing Systems AG nicht ausgeschlossen wird. Claudio Cueni will sich auf den Geschäftsbereich Analysesysteme fokussieren. Allerdings ist Claudio Cueni bereits 62 Jahre alt, weshalb er das Unternehmen in 2-3 Jahren verkaufen möchte.
Die A&B Holding AG soll aufgespalten werden. Die drei Aktionäre kommen daher auf Sie zu mit der Frage, ob sich nachfolgende Struktur steuerneutral verwirklichen liesse:
Fragen
Welche Steuerfolgen werden durch die aufgezeigte Spaltung der A&B Holding AG auf Stufe Aktiengesellschaft und Aktionäre ausgelöst in den folgenden Gestaltungsvarianten?
- Direkte Spaltung: Ammann, Berger und Cueni gründen zusammen die Cueni Holding AG. Der Zweck der Cueni Holding AG ist jenem der A&B Holding AG identisch. Cueni Holding AG ist temporär eine Schwestergesellschaft der A&B Holding AG. Anschliessend wird die Beteiligung an der aktiven A&B Analytics ohne Gegenleistung zum Buchwert an Cueni Holding AG übertragen. Die Beteiligungsverhältnisse an den beiden Holdings ändern sich dabei nicht. Kurz nach der Übertragung der A&B Analytics AG bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
- Die Beteiligung an der aktiven A&B Analytics AG wird zum Buchwert an die drei Aktionäre ausgeschüttet und nicht in die neue Cueni Holding AG eingebracht. Kurz nach der Übertragung der A&B Analytics AG bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
- Die Beteiligung an der aktiven A&B Analytics AG wird durch A&B Holding AG absorbiert und kurz danach in die Cueni Holding AG abgespalten Kurz nach der Übertragung der bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
- Altrechtliche Spaltung: Die Beteiligung an der aktiven A&B Analytics AG wird durch die A&B Holding AG zum Buchwert an die drei Aktionäre ausgeschüttet, anschliessend in die neue Cueni Holding AG eingebracht und sofort absorbiert. Cueni Holding wird in A&B Analytics AG umfirmiert. Kurz nach der Übertragung der A&B Analytics AG bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
- Die A&B Holding AG gründet eine neue Zwischenholding durch Sacheinlage der Beteiligung an der A&B Analytics AG zu ihrem Buchwert. Anschliessend wird die neue Holding mit der aktiven Beteiligung an der A&B Analytics AG in die Cueni Holdng AG abgespalten. Kurz nach der Übertragung der A&B Analytics AG bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
- Gleicher Sachverhalt wie unter 1; Die Beteiligung an der A&B Analytics AG wird nicht zu 100% an die empfangende Cueni Holding AG übertragen.
- Die Beteiligung an der aktiven A&B Analytics AG wird durch Sacheinlage zum Buchwert in eine neue Holding ausgegliedert, welche anschliessend mitsamt der Beteiligung an der A&B Analytics AG an die drei Aktionäre ausgeschüttet und anschliessend in die neue Cueni Holding AG eingebracht wird. Kurz nach der Übertragung der A&B Analytics AG bereinigen Ammann und Berger einerseits und Cueni andererseits ihre Beteiligungsverhältnisse auf Ebene der Aktionäre, ohne dass die beiden Holdings in irgend einer Weise betroffen sind.
3. Zum Gehalt des funktionalen Realisationsbegriffs ausserhalb der normierten Umstrukturierungstatbestände
Fall 3: Grenzüberschreitende Strukturierungen
Sachverhalt
Die Struktur der Mountain Save Gruppe (im Folgenden MS-Gruppe), welche im Bereich der Entwicklung und Produktion von Instrumenten und Ausrüstungen für Hochgebirgssport tätig ist, präsentiert sich ursprünglich wie folgt:
Die MS GmbH steht zu je 50% im Besitz von Alois Strobl und Meinrad Zindel, welche vor über 10 Jahren in zwei eigene Mehrfamilienhäuser mit Ferienwohnungen im Engadin gezogen sind. Diese werden über die Immo AG Samedan gehalten.
Zur Bewältigung des starken Wachstums hat die MS GmbH vor einigen Jahren die beiden Produktionsgesellschaften TO 1 AG mit Sitz in Huttwil BE, in welcher die hochwertigen Instrumente herstellt werden, und TO 2 Polen, welche die Textilwaren und übrigen Ausrüstungsgegenstände produziert, erworben und die bisherige Produktion von Schladming in die beiden Gesellschaften verlagert. Beide Gesellschaften verfügen über grosszügige Steuererleichterungen und stehen im Direktbesitz der MS GmbH. Weitere Tochtergesellschaften in den Alpenstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Oesterreich und Kanada5 werden über die MS HO Den Haag gehalten.
MS GmbH ist das Stammhaus der Gruppe. Nach Ausgliederung der Produktion werden in Schladming nur noch die Gruppenleitungsfunktionen und die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit ausgeübt. An werthaltigen Aktiven verblieben im Wesentlichen die Beteiligung an der MS HO Den Haag, den beiden Produktionsgesellschaften in Polen und Huttwil BE und der Immo AG sowie ein neues Patent für ein Lawinensuchgerät Savor Max, welches kurz vor der Markteinführung steht. Die steuerlich massgebenden Werte dieser Aktiven betragen:
Sitzverlegung und geplante Strukturbereinigung:
- Die beiden Anteilseigner der MS-Gruppe konnten auf Februar 2020 neue Büros in Landquart GR beziehen und entscheiden sich, die MS GmbH von A-Schladming vollständig nach CH-Landquart zu verlegen.
Im Zuge einer organisatorischen Bereinigung und Optimierung werden im Anschluss an die Verlegung des Sitzes folgende Transaktionen ausgeführt:
- Die akquisitionsbedingt (möglicher Wertberichtigungsbedarf) von der Muttergesellschaft MS AG Landquart gehaltene Beteiligung an der TO 2 Polen soll auf den 1. November 2020 zum aktuellen Buchwert per Transaktionszeitpunkt von TCHF 6‘000 (entspricht dem Gewinnsteuerwert; Gestehungskosten TCHF 6‘000; Verkehrswert per 1.11.2020: TCHF 10‘000), in die Zwischenholding MS HO Den Haag (Gestehungskosten = Gewinnsteuerwert TCHF 7‘000; Verkehrswert TCHF 7‘000) eingebracht werden.
- Das Patent für das Lawinensuchgerät Savor Max (Buch- = Gewinnsteuerwert TCHF 5‘000; Verkehrswert TCHF 10‘000) soll von der MS AG Landquart ebenfalls per 1. November 2020 zum Buchwert von TCHF 5‘000 an die MS HO Den Haag (Buchwert = Gewinnsteuerwert = Gestehungskosten TCHF 7‘000) übertragen werden.
- Die Beteiligung an der Immo AG Samedan (Buchwert = Gewinnsteuerwert = Gestehungskosten TCHF 7‘000; Verkehrswert TCHF 15‘000) soll ebenfalls auf den 1. November 2020 zum Buchwert an die MS HO Den Haag eingebracht.
Das Lawinensuchgerät Savor Max wurde in den Jahren 2015 bis 2018 entwickelt und noch im Dezember 2018 patentiert. Die gesamten internen und externen Entwicklungskosten sind aktiviert worden. Die Markteinführung erfolgte im Geschäftsjahr 2019. Nach einer Publikation in der Fachpresse durch ein unabhängiges Forschungsinstitut erfolgte der eigentliche Durchbruch, welcher die Schaffung zusätzlicher Produktionskapazitäten und die Erweiterung der Verkaufsorganisation erforderte. Aktuell wird bis ins Geschäftsjahr 2025 je mit einer Verdoppelung des Umsatzes pro Jahr gerechnet. Der Verkehrswert per 1.9.2020 wird auf TCHF 7.000 geschätzt.
Dagegen musste die Beteiligung an der TO 2 Polen wegen eines ausserordentlichen Ereignisses unmittelbar nach der Sitzverlegung um TCH 1.000 auf TCHF 5.000 abgeschrieben werden. Ihr Wert wird sich aber aufgrund des absehbaren starken Wachstums bis 1. November 2020 auf TCHF 10.000 erholen.
Fragen
- Ergeben sich aus diesen Transaktionen Steuerfolgen? Wenn ja, welche?
- Beurteilen Sie den Sachverhalt
- zuerst gestützt auf den im Unternehmenssteuerrecht massgebenden Realisationsbegriff im Allgemeinen
- danach gestützt auf die gesetzlichen Grundlagen im DBG und StHG.
Variante 1
Das Patent für das Lawinensuchgerät Savor Max wird an MS Den Haag verkauft, welche aber nicht eine Tochtergesellschaft der MS AG Landquart, sondern eine Betriebsstätte der MS AG Landquart ist.
Variante 2
TO 2 verlegt ihren Sitz von Polen nach Bulle FR und erhält vom Regierungsrat des Kantons Freiburg als neu eröffnete Unternehmung eine weitgehende, aber nicht vollständige Steuererleichterung für das Gründungsjahr und die neun folgenden Jahre. Das Patent für das Lawinensuchgerät Savor Max wird nicht an die MS HO Den Haag, sondern an die TO 2 mit neuem Sitz in Bulle FR zum Buchwert verkauft.