Markus Küpfer
Meldeverfahren in Konzernverhältnissen, Rückerstattung in nationalen Verhältnissen – aktuelle Praxis und Entscheide
Workshop von Markus Küpfer anlässlich des ISIS)-Seminars vom 21. Oktober 2024 mit dem Titel «Meldeverfahren in Konzernverhältnissen, Rückerstattung in nationalen Verhältnissen – aktuelle Praxis und Entscheide»
Fall 1: Meldeverfahren vs. Entrichtung der Verrechnungssteuer
1. Sachverhalt
Die Produktions AG ist eine in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft. Innerhalb des globalen Bitterballen-Konzerns ist sie für die Herstellung von Nahrungsmitteln mit hohem Proteingehalt zuständig. Die Produktions AG wird vollumfänglich von der ebenfalls in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligungen AG gehalten. Der Beteiligungen AG kommt die Funktion einer Länderholding zu. Die Beteiligungen AG wird ihrerseits von der holländischen Bitterballen B.V. gehalten, welche die Top-Holding des Bitterballen-Konzerns ist.
Eine Buchprüfung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) für die Belange der Verrechnungssteuer und Stempelabgaben im Jahre 2021 ergab, dass die Produktions AG in ihren Geschäftsjahren 2016 bis 2020 Lohnaufwendungen für eine Person (Frau Global) in ihren Büchern auswies, obwohl diese gar nicht für die Produktions AG, sondern effektiv für zahlreiche andere Gruppengesellschaften innerhalb des Bitterballen-Konzerns tätig war, die allesamt ausserhalb der Schweiz ansässig waren. Die ESTV schätzte (in Ermangelung von exakten Auskünften der Produktions AG) die entsprechenden Lohnaufwendungen der Produktions AG für Frau Global für die Jahre 2016 bis 2020 auf insgesamt CHF 500'000.--. Die ESTV erachtete darin geldwerte Leistungen der Produktions AG zu Gunsten derjenigen Konzerngesellschaften, für welche Frau Global tätig war. Diese geldwerte Leistung führte zu einer Verrechnungssteuerforderung von CHF 175'000.-- (ausmachend 35% auf CHF 500'000.--).
Da sich die Produktions AG im Zusammenhang mit dieser geldwerten Leistung die Mühe ersparen wollte, eine Ausscheidung der einzelnen Steuerforderungen auf die verschiedenen effektiv leistungsbegünstigten Gesellschaften innerhalb des Konzerns vorzunehmen, rechnete sie die von der ESTV geltend gemachte Verrechnungssteuer ins Hundert auf und überwies der ESTV per 30. November 2021 vorbehaltlos den Betrag von CHF 269'231.—. Auch der von der ESTV der Produktions AG daraufhin in Rechnung gestellte Verzugszins beglich diese vorbehaltlos.
Im Jahre 2023 kam die Produktions AG auf Grund einer erneuten Überprüfung des von der ESTV im Jahre 2021 aufgegriffenen Sachverhalts zum Schluss, dass die von ihr deklarierte und anschliessend per 30. November 2021 entrichtete Verrechnungssteuer im Meldeverfahren hätte erledigt werden können. Letztlich leistungsbegünstigt sei nämlich jeweils die niederländische Bitterballen B.V. Auf Grund dieses Umstands sei die im Jahre 2021 entrichtete Verrechnungssteuer nachträglich nicht mehr geschuldet und die ESTV habe der Produktions AG die «irrtümlich» entrichtete Verrechnungssteuer in der Höhe von CHF 269'231.--, nebst dem bezahlten Verzugszins sowie einem Vergütungszins ab der Überweisung der Steuerforderung an die ESTV zurückzuerstatten. Würde die ESTV wider Erwarten an ihrer Verrechnungssteuerforderung festhalten, bestreite die Produktions AG zudem die Höhe der geldwerten Leistung, welche in Tat und Wahrheit deutlich tiefer gewesen sei als die von der ESTV in Rechnung gestellten CHF 500'000.--. Dokumente, welche diesen Umstand bestätigen könnten, legte die Produktions AG jedoch nicht bei. Die Produktions AG reichte damit ein Gesuch um Durchführung des Meldeverfahrens ein und ersuchte die ESTV für den Fall, dass ihrem Gesuch nicht entsprochen werde, um den Erlass einer anfechtbaren Verfügung. Die ESTV erliess daraufhin eine formelle Verfügung, in welcher sie vollumfänglich die geldwerte Leistung von CHF 500'000.-- bestätigte. Dagegen erhob die Produktions AG Einsprache.
Im Vorfeld des Erlasses des Einspracheentscheids gab die ESTV der Produktions AG die Möglichkeit, die Höhe der geldwerten Leistung zu belegen. Die Produktions AG legte daraufhin bloss lückenhaft entsprechende Aufzeichnungen ins Recht. So zog die ESTV direkt – das heisst ohne dies zuvor der Produktions AG mitzuteilen – Abrechnungen bei, die sie im Jahre 2022 im Rahmen eines verwaltungsstrafrechtlichen Verfahrens gegenüber der Produktions AG im Rahmen einer Einvernahme eines Organs der Gesellschaft als Auskunftsperson erhalten hat. Diese Abrechnungen zeigen auf, dass die Aufwendungen der Produktions AG für die vorliegend interessierenden Lohnzahlungen für die Jahre 2016 bis 2020 tatsächlich CHF 510'000.-- betrugen.
Fragen
- Ist der Beizug der Akten aus dem Verwaltungsstrafverfahren für das vorliegende materielle Steuerverfahren rechtens? Gibt es sonstige verfahrensrechtliche Aspekte zu beachten?
- Hat die ESTV vorliegend zurecht die Lohnaufwendungen der Produktions AG als geldwerte Leistungen qualifiziert? Wenn ja: Ist ein Meldeverfahren zulässig?
Fall 2: Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei Erbschafts-sachverhalten
1. Sachverhalt
Frau A hat ihren Wohnsitz im Kanton Z und ist dort unbeschränkt steuerpflichtig. Frau A ist die Tochter und Alleinerbin der am 2. Oktober 2021 verstorbenen Frau B (ebenfalls wohnhaft im Kanton Z). Frau A entdeckte nach Antritt ihres Erbes, dass die Erblasserin inländische SMI-Aktien mit einem Wert von rund CHF 3'000'000 sowie die daraus resultierenden Erträge, ausmachend rund CHF 70'000 bis CHF 100'000 pro Jahr, nicht in ihren entsprechenden Steuererklärungen deklarierte.
Die Rechtsvertreterin von Frau A reichte daher im Frühling 2022 eine straflose Selbstanzeige in Erbenfällen für die Steuerperioden 2018, 2019 und 2020 ein, weshalb die entsprechenden Vermögenswerte und Erträge daraus für die Belange der Einkommens- und Vermögenssteuer für die Steuerperioden 2018, 2019 und 2020 in einem Nachsteuerverfahren ordentlich besteuert wurden.
Im Rahmen der Selbstanzeige hat die Rechtsvertreterin von Frau A auch die Rückerstattung der auf den nachdeklarierten Vermögenserträgen in Abzug gebrachten Verrechnungssteuer wie folgt beantragt:
- 2018: CHF 25’000
- 2019: CHF 30’000
- 2020: CHF 30’000
Mit formellem Entscheid lehnte die kantonalen Steuerverwaltung Z im Herbst 2022 die beantragte Rückerstattung ab, weil die Erblasserin (Frau B) offensichtlich zumindest eventualvorsätzlich die nachdeklarierten Vermögenswerte und Vermögenserträge nicht deklariert habe und somit keine ordnungsgemässe Deklaration im Sinne von Art. 23 VStG vorliege.
Frage
- Hat Frau A einen Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf den nachdeklarierten Vermögenserträgen von Frau B?
Fall 3: Aktueller Stand der Dinge betreffend Art. 23 VStG (Deklarationsklausel)
1. Sachverhalt
Frau Y ist im Kanton B wohnhaft und dort unbeschränkt steuerpflichtig. Sie ist die Eigentümerin sämtlicher Aktien der X AG, welche ihren Sitz und ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton A hat. Die X AG bezweckt die Erbringung von Finanzdienstleistungen aller Art sowie das Halten von Beteiligungen. Frau Y ist ebenfalls Eigentümerin sämtlicher Stammanteile der Y GmbH, welche Beratungsdienstleistungen im Immobilienbereich anbietet. Die Y GmbH hat ihren statutarischen Sitz und ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton B. Sie ist damit – wie Frau Y – im Kanton B unbeschränkt steuerpflichtig.
Per Ende März 2020 veräusserte Frau Y sämtliche Stammanteile der Y GmbH an die X AG zu einem Preis von CHF 150'000.--. Frau Y hat im Rahmen ihrer Steuererklärungen 2018 und 2019 ihre Beteiligung an der Y GmbH zu jeweils CHF 1.-- in ihrem Wertschriftenverzeichnis deklariert.
Im Rahmen der Veranlagung 2020 der X AG durch das Steueramt des Kantons A erachtete diese den Erwerbspreis der Aktien der Y GmbH durch die X AG von CHF 150'000 als nicht drittvergleichskonform. Der steuerlich relevante Wert dieser Beteiligung legte sie auf CHF 1.-- fest, weshalb es sich bei der Einlage der Stammanteile der Y GmbH auf Stufe der X AG im Umfang von CHF 149'999.-- um die Einbringung eines Non Valeurs gehandelt habe. Dieser Non Valeur stellt gemäss Ansicht des Steueramtes des Kantons A eine geldwerte Leistung der X AG an ihre Beteiligungsinhaberin Frau Y dar.
Zunächst war die X AG, respektive deren Alleinaktionärin Frau Y, mit dieser Qualifikation des Steueramtes des Kantons A nicht einverstanden und erhob gegen die Veranlagung (Gewinn- und Kapitalsteuern) Einsprache. Der entsprechende Einspracheentscheid des Steueramtes des Kantons A, welcher das Vorliegen der geldwerten Leistung von CHF 149'999.-- vollumfänglich bestätigte, erwuchs jedoch per 15. November 2021 unangefochten in Rechtskraft. Frau Y reichte ihre persönliche Steuererklärung für die Steuerperiode 2020 erst am 30. November 2021 ein, ohne jedoch die geldwerte Leistung der X AG zu deklarieren.
Die X AG ihrerseits deklarierte – auf Grund einer entsprechenden Anfrage der ESTV – für die Zwecke der Verrechnungssteuer am 22. Juli 2022 mittels Formular 102 die verdeckte Gewinnausschüttung als geldwerte Leistung und entrichtete per 2. August 2022 die darauf geschuldete Steuer in der Höhe von CHF 52'500.-- (nebst Verzugszins). Zudem überwälzte sie per Ende August 2022 die Steuer auf Frau Y.
Am 1. September 2022 deklariert Frau Y für die Steuerperiode 2020 bei der kantonalen Steuerverwaltung B nachträglich die geldwerte Leistung von CHF 149'999.--. In diesem Zusammenhang macht sie auch die Rückerstattung der Verrechnungssteuer von CHF 52'500.-- geltend.
Frage
- Wird vorliegend die Steuerverwaltung des Kantons B dem Rückerstattungsantrag von Frau Y entsprechen?