Nadia Tarolli Schmidt
Urs Denzler
Leistungskombination und Ermessenseinschätzungen
Workshop anlässlich des ISIS)-Seminars vom 24. September 2020 mit dem Titel «Mehrwertsteuer. Aktuell. Kompakt. Interdisziplinär.»
Vorbemerkung
Dieses Skript hat nicht den Anspruch, eine wissenschaftliche Abhandlung des vorliegenden Themas darzustellen. Vielmehr wollten die Verfasserin und der Verfasser aktuelle und in der Praxis diskutierte Punkte erläutern, welche in einem 60-minütigen Referat vorgetragen werden können. Allfällige Ähnlichkeiten zu realen Fällen, insbesondere bei der zufälligen Namens- und Branchenwahl oder der zufälligen Nennung von Ortschaften, sind nicht beabsichtigt. Auf Wunsch der Seminarleitung wurden im Teil A «Leistungskombination» nach Möglichkeit Fallbeispiele ausserhalb der Reisebranche gewählt. Falls nichts Anderes genannt ist, sind die Unternehmungen im MWST-Register eingetragen und rechnen nach der effektiven Methode ab.
Das vorliegende Skript enthält keine speziellen Ausführungen über Kryptocoins-/token, welche aufgrund möglichen Mischformen (z.B. Anlagecoin/-token mit zusätzlicher Nutzungsfunktion) Fragestellungen zum Thema Leistungskombination aufwerfen können. Diesbezüglich wird auf das Referat von Britta Rehfisch und René Ledermann verwiesen.
Für die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) sind für die korrekte und gesetzeskonforme Erhebung der MWST die Ausführungen in MWSTG, MWSTV, MWST-Infos, MWST-Branchen-Infos und den MWST-Praxis-Infos massgebend. Dabei berücksichtigt sie auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts.
Weichen die Ausführungen und Lösungsansätze von den Publikationen respektive der Praxis der ESTV ab, sind für die Erstellung der MWST-Abrechnungen die Praxisfestlegungen der ESTV relevant. Wer diese Praxisfestlegungen nicht anwenden will, hat die ESTV darüber vorgängig schriftlich in Kenntnis zu setzen (Art. 96 Abs. 3 MWSTG).
A. Leistungskombination
1 Fallbeispiele
1.1 Die bunte Blumenwiese
Sachverhalt
Die kleine Linda liebt Blumen und wünscht sich auf den Geburtstag ein entsprechendes Buch. Die Buch AG mit Sitz in St. Gallen bietet für CHF 20 das zwanzigseitige Kinderbuch «Die bunte Blumenwiese» im Onlineshop an, in welchem die bekanntesten Wiesenblumen abgebildet und benannt sind. Lindas Tante, welche ihr diesen Wunsch erfüllen möchte, bestellt zudem noch die CD «Frühlingslieder», welche bei einem Einzelkauf CHF 8 kosten würde. Die Buch AG bietet die beiden Produkte zum Pauschalpreis von CHF 25 an und stellt diesen Pauschalpreis in Rechnung.
- Kann die Kombinationsregel angewendet werden? Nehmen Sie eine detaillierte Leistungsqualifikation (Art [Lieferung oder Dienstleistung], Ort, Steuersatz/ausgenommen/befreit resp. Ausland) vor.
Sachverhaltsvariante
Die kleine Linda liebt Blumen. Lindas Tante bestellt im Onlineshop der in Deutschland ansässigen und nicht im MWST-Register eingetragenen Buch GmbH ein E-Book als Geburtstagsgeschenk für Linda. Im E-Book werden bekannte Wiesenblumen abgebildet und bezeichnet. Die grösste Freude bereitet Linda jedoch die Möglichkeit auf dem Tablet das E-Book zu starten und mit dem Zeigfinger eine digitale Blumenwiese zu gestalten, indem sie Blumen in der Wiese positioniert und anschliessend virtuell ausmalt.
- Nehmen Sie eine detaillierte Leistungsqualifikation (Art [Lieferung oder Dienstleistung], Ort, Steuersatz/ausgenommen/befreit resp. Ausland) vor.
- Welche Konsequenzen hat Ihre unter b) genannte Beurteilung für Linda’s Tante resp. für die Buch GmbH hinsichtlich der Steuerpflicht resp. der Bezugsteuerpflicht?
1.2 Verein «curl up your life»
Sachverhalt
Wie es die Bezeichnung erahnen lässt, bietet der im Titel genannte Verein seinen Mitgliedern die Möglichkeit in der eigenen Eishalle Curling zu spielen. Bei «curl up your life» werden aber auch die sozialen Kontakte im Anschluss an das Spiel auf dem Eis grossgeschrieben. Nicht selten endet ein Curling-Abend mit einem gemütlichen Essen im Vereinslokal.
Der Verein hat folgende Erträge:
- Statutarischer Mitgliederbeitrag aktiv
- Statutarischer Mitgliederbeitrag passiv
- Werbeertrag
- Gastgewerbliche Dienstleistungen
- Spendenertrag
Neben einzelnen Leistungen kommt es vor, dass folgende Leistungskombinationen zum jeweiligen Pauschalpreis fakturiert werden:
- Package A zu pauschal CHF 2'500 bestehend aus:
- Statutarischem Mitgliederbeitrag aktiv (CHF 500)
- Werbeertrag (Bande) (CHF 2000)
- Package B zu pauschal CHF 1’200 bestehend aus:
- Statutarischer Mitgliederbeitrag passiv (CHF 200)
- Werbeertrag («Zielkreis» [Dolly]) (CHF 1000)
Beurteilen Sie, ob die Packages A und B unter Anwendung von Artikel 19 Absatz 2 MWSTG möglich sind. Gehen Sie bei Ihrer Beurteilung davon aus, dass es sich beim Werbeertrag tatsächlich um steuerbare Werbung und nicht um von der Steuer ausgenommene Bekanntmachungsleistung (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 27 MWSTG) handelt.
1.3 Finanzberatungs AG
Sachverhalt
Der ehemalige Versicherungsvertreter Peter und die ehemalige Steuerkommissärin Sophie betreuen als Finanzberatungs AG KMU-Betriebe und Privatkunden.
Seit 1.01.2019 bietet die Finanzberatungs AG eine Komplettberatung für pauschal 1'200 Franken an.
- Nehmen Sie zu oben abgebildeter Rechnung aus mehrwertsteuerlichen Gesichtspunkten Stellung. Um was für Leistungen handelt es sich? Kann die Kombinationsregelung angewendet werden? Gehen Sie bei Ihren Überlegungen davon aus, dass die Leistungen im Versicherungsbereich im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 MWSTG überwiegen.
- Gehen Sie davon aus, dass seit 01.01.2019 Rechnungen nach obengenanntem Schema verschickt wurden. Was raten Sie der Finanzberatungs AG im Hinblick auf Ihre unter 1. festgehaltenen Antwort.
B. Ermessenseinschätzungen
1 Fallbeispiele
1.1 Ristorante da Rosa
Sachverhalt
Nachdem Rosa bereits verschiedene Restaurants geführt hat, konnte sie sich nun einen Traum erfüllen und eröffnete mit dem «Ristorante da Rosa» ihren eigenen Betrieb. Die «Ristorante da Rosa AG» weist folgende Bilanz und Erfolgsrechnung aus:
Dieses Bild wiederspiegelt sich auch in den Vorjahren entsprechend, wobei der Verlust von Jahr zu Jahr höher wurde.
- Was fällt Ihnen bei der groben Durchsicht auf?
- Betreffend der Position Kasse, kann folgendes festgehalten werden:
- Ein Kassabuch wird nicht geführt.
- Die Bank weist Bargeldeinzahlungen von jeweils CHF 10'000 auf.
- Von der Kasse wurden keine elektronischen oder physischen Umsatzjournale oder ähnliches aufbewahrt. Einzig die «Kassenzettel» wurden aufbewahrt. Diese zeigen folgendes Bild:
Was fällt Ihnen dabei auf?
- Gehen Sie davon aus, dass die ESTV die Buchhaltung abgelehnt und den steuerbaren Umsatz nach pflichtgemässem Ermessen annäherungsweise bestimmt hat. Dabei zog sie einen Bruttogewinn von 70% (Urteil BVGer A-5892/2018 vom 4. Juli 2019, E. 3.3.1) heran. Die steuerpflichtige Person ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden und möchte mit folgenden Argumenten diese Ermessenseinschätzung verhindern:
- Die mit den konkreten lokalen Verhältnissen vertraute kantonale Steuerverwaltung hat keine Umsatz- bzw. Gewinnaufrechnung vorgenommen, obwohl diese zu einem früheren Zeitpunkt ebenfalls eine Buchprüfung durchgeführt habe.
- Der Bruttogewinn von 70% basiert u.a. auf einem Datenfundus der ESTV ausserhalb der Kontrollperiode, wo aussergewöhnliche Ereignisse wie z.B. die Finanzkrise hineinspielten.
- Der Betrieb besteht erst seit drei Jahren, weshalb in der Aufbauphase der Geschäftstätigkeit nicht von demselben Bruttogewinn wie bei einem etablierten Geschäft auszugehen ist.
Beurteilen Sie die genannten Argumente. Wie erfolgsversprechend sind diese?
- Leider lässt sich die ESTV mit den unter 3) eingebrachten Argumenten nicht von der im Raum stehenden Ermessenseinschätzung abbringen. Rosa versucht deshalb den Schaden mit folgender Eingabe so gering wie möglich zu halten: Falls der Umsatz nach dem Ermessen der ESTV erhöht werden muss, dann muss diese konsequenterweise auch im gleichen Ausmass einen Vorsteuerabzug berechnen und gelten lassen. Was halten Sie von diesem Argument? Nehmen Sie bitte dazu Stellung.
1.2 B+C Architektur AG
Sachverhalt
Sowohl die B+C Architektur AG als auch die Berta Immobilienverwaltungs GmbH und die Cäsar Immobilienvermarktungs GmbH sind in der Immobilienbranche tätig. Zu den drei Unternehmungen ist folgendes bekannt:
B+C Architektur AG:
- Gesellschafterin B und Gesellschafter C je zur Hälfte
- Zweck: Architekturdienstleistungen
- Abrechnungsmethode: effektiv
Berta Immobilienverwaltungs GmbH:
- Geschäftsführende einzige Gesellschafterin B
- Zweck: Dienstleistung im Bereich der Verwaltung von Immobilien
- Abrechnungsmethode: Saldosteuersatz
- Personalbestand ohne Gesellschafter: Null
Cäsar Immobilienvermarktungs GmbH:
- Geschäftsführender einziger Gesellschafter C
- Zweck: Dienstleistung im Bereich der Vermarktung von Immobilien
- Abrechnungsmethode: Saldosteuersatz
- Personalbestand ohne Gesellschafter: Null
- Die Erfolgsrechnungen zeigen schematisch folgendes Bild. Was fällt Ihnen bei deren Durchsicht auf?
- Gehen Sie davon aus, dass die Berta Immobilienverwaltungs GmbH und die Cäsar Immobilienvermarktungs GmbH die für ihre Leistungserbringung notwendigen Ressourcen von der B+C Architektur AG bezogen haben. Bitte erläutern Sie kurz wie aus Ihrer Sicht bei der Preisbestimmung i.Zh. mit diesen Leistungen vorgegangen werden könnte.
- Welche weitere Situation kommt Ihnen in den Sinn, wo es zu Leistungen an eine eng verbundene Person kommt?