Nathanael Zahnd
Balthasar Denger
Immaterialgüterrechte
Workshop von Nathanael Zahnd und Balthasar Denger anlässlich des ISIS)-Seminars vom 05. Februar 2025 mit dem Titel «Immaterialgüterrechte»
Grundsachverhalt
Ein internationaler, börsenkotierter Konzern mit globalem Hauptsitz im Kanton Zürich ist in der Entwicklung und Vermarktung innovativer Softwarelösungen tätig. Verschiedene Marktanalysen zeigen, dass wesentliche Werttreiber des Konzerns die Software-Plattform1 Finexus („Plattform“) sowie das zugrundeliegende Technologie-Design2 („Technologie“) sind.

Die Finanzanalyse-Software-Plattform Finexus stellt eine Infrastruktur bereit, auf der verschiedene Anwendungen und Tools entwickelt, integriert und betrieben werden können. Sie ermöglicht es Unternehmen, auf eine leistungsfähige, cloud-basierte Lösung zuzugreifen, die ihre spezifischen Bedürfnisse in Bereichen wie Datenanalyse, Finanzverwaltung oder Unternehmenssteuerung abdeckt.
Die Plattform ist die Grundlage für die Bereitstellung von Softwarelösungen an Kunden und bietet eine Reihe von Funktionen und Diensten, die für die Bearbeitung und Visualisierung großer Datenmengen entscheidend sind. Hauptprodukt ist eine Plattform, die Unternehmen dabei unterstützt, ihre Finanzen in Echtzeit zu überwachen und zu analysieren. Die Plattform stellt die Infrastruktur, Sicherheitsprotokolle und Tools bereit, um Daten zu verarbeiten. Die Technologie umfasst die Benutzerschnittstellen (UI/UX) sowie den zugrunde liegenden Algorithmus, der Daten analysiert und visualisiert.
Die Technologie wird fortlaufend weiterentwickelt, um den sich verändernden Anforderungen der Kunden gerecht zu werden und die Funktionalitäten der Plattform zu verbessern.
Das operative Geschäft des Konzerns ist rechtlich und betriebswirtschaftlich wie folgt strukturiert:
- Die XYZ AG mit Sitz in Zürich (oberste Konzerngesellschaft und Hauptsitz des Konzerns) ist zuständig für den rechtlichen Schutz der Plattform Finexus und des Designs in den verschiedenen Absatzmärkten (u.a. Verlängerung von lokalen Patenten, Abwehr von unautorisierten Nutzungen), die strategische Weiterentwicklung der Plattform sowie die Entwicklung und Koordination der globalen Marketingkampagnen. Während die Marketing-Abteilung („globales Marketing“) bei der XYZ AG mit Sitz in Zürich angesiedelt ist, wurde die für den globalen Schutz der Software-Plattform und des Designs zuständige Rechtsabteilung („Rechtsabteilung“) an die 100%-Tochtergesellschaft XYZ Management AG mit Sitz in Zug ausgegliedert, welche dafür durch die XYZ AG auf Basis der geschäftsfallbezogenen Nettomargenmethode mit einem Nettokostenaufschlag von 5% (Transactional Net Margin Method mit Net Cost Plus, kurz „NCP“, als Profit Level Indicator) entschädigt wird. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns bei der XYZ AG ist ferner zuständig für die Weiterentwicklung der Software-Plattform (F&E).
- Formelle Inhaberin der Schutzrechte an der Software-Plattform Finexus und am Design in den verschiedenen Ländern ist die XYZ IP Ltd. mit Sitz in Luxemburg. Diese Gesellschaft besitzt die Technologie-Algorithmen zur Bereitstellung der Software, die an unabhängige Lizenznehmer und Endkunden weiterverkauft wird. Die XYZ IP Ltd. bezahlt sämtliche Gebühren für die Registration und Verlängerung der weltweiten Marken- und Schutzrechte, welche durch die XYZ AG angestossen und von der XYZ Management AG im Namen der XYZ IP Ltd. vorgenommen werden. Die XYZ IP Ltd. entschädigt dafür die XYZ AG auf Basis der NCP mit einem Aufschlag von 5%. Weiter entlohn sie die XYZ AG für die Entwicklung und Koordination der globalen Marketingkampagnen sowie Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten ebenfalls auf Basis der NCP mit einem Aufschlag von 8% gemäss einer Benchmarkingstudie. Im Gegenzug verrechnet die ABC IP Ltd. den Technologiegesellschaften der Gruppe eine Lizenzgebühr auf Basis kurzer, schriftlicher Verträge. Gemäss Wortlaut der Verträge ist der Lizenzgegenstand «verschiedene für das Geschäft notwendige IP-Rechte».
- Die XYZ Production BV in den Niederlanden sowie andere regionale Technologiegesellschaften sind für die technische Entwicklung und Anpassung der spezifischen Softwareprodukte auf Basis der Designs und Algorithmen der XYZ AG verantwortlich (Produktion). Sie stellen sicher, dass die Software in den verschiedenen Märkten verfügbar ist und gemäß den globalen Standards funktioniert.
- Die Softwareprodukte werden durch die jeweiligen Technologiegesellschaften an unabhängige Lizenzpartner verkauft. Diese Lizenzpartner kaufen die Software und erhalten das exklusive Recht, die Software in ihren jeweiligen Märkten zu vertreiben (Vertriebslizenz). In Österreich ist hierfür die unabhängige XYZ Lizenzpartner AG zuständig, die die Software von der XYZ Production BV in den Niederlanden bezieht. Der Kaufpreis für die Software deckt das exklusive Nutzungsrecht ab, sodass keine separaten Lizenzgebühren für den Verkauf an Endkunden berechnet werden.
- Die Lizenzpartner verkaufen die Softwareprodukte an Endkunden, wie z.B. Unternehmen oder Einzelverbraucher, und bieten möglicherweise zusätzliche Dienstleistungen wie Schulungen, Implementierung und technischer Support an. Diese Partner übernehmen die Aufgabe, die Software in den jeweiligen Märkten zu verbreiten und ihren Kunden die Lösung bereitzustellen. Die Lizenzpartner sind somit Distributoren, die die Softwareprodukte in verschiedenen Märkten weiterverkaufen, aber keine eigenen Änderungen oder Anpassungen am Code vornehmen dürfen. Sie sind für den Vertrieb und den Verkauf der Software an Endkunden verantwortlich, während die Technologiegesellschaften die Entwicklung, Weiterentwicklung und globale Markteinführung der Softwareprodukte steuern.
- In den einzelnen Absatzmärkten verfügt der Konzern über lokale Ländergesellschaften, darunter auch die XYZ (Österreich) AG. Diese Ländergesellschaften sind für das länderspezifische Marketing zuständig, das im Rahmen der durch die XYZ AG global vorgegebenen Rahmenbedingungen umgesetzt wird (z.B. globale Marketing-Kampagnen, die auf die jeweiligen Länder angepasst werden). Darüber hinaus fungieren die Ländergesellschaften als Ansprechpartner für die unabhängigen Lizenzpartner, die für die Bereitstellung und den Vertrieb der Softwarelösungen verantwortlich sind.
- Die Ländergesellschaften werden von der XYZ IP Ltd. auf Basis einer Benchmarkingstudie ebenfalls mittels NCP und einem Aufschlag von 8% entschädigt. Diese Entschädigung umfasst die Kosten für das lokale Marketing sowie die Unterstützung bei der Umsetzung globaler Kampagnen, die auf die Bedürfnisse der lokalen Märkte zugeschnitten werden.
Fall 1: Zurechnung von immateriellen Werten
1. Sachverhalt
Siehe Grundsachverhalt.
Fragen
- Wie definieren die OECD-Verrechnungspreisleitlinien den Begriff «immaterielle Werte» und welche sind im vorliegenden Fall involviert?
- Die OECD unterscheidet seit dem BEPS-Projekt – auch wenn diese Begriffe nicht explizit in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien erwähnt sind – zwischen einem «rechtlichen», einem «finanziellen» und einem «funktionalen» Eigentum an immateriellen Werten. Was versteht man darunter und was sind die verrechnungspreislichen Konsequenzen?
- Welcher Konzerngesellschaft(en) sind folgende immateriellen Werte verrechnungspreislich zuzurechnen:
- Marke;
- Software-Plattform Finexus;
- Technologie (inkl. Algorithmen und Datenbanken);
- Produktions-Knowhow;
- Verkaufsrechte;
- Kundenbeziehungen?
4. Was ist die Bedeutung von konzerninternen Verträgen bei der verrechnungspreislichen Zurechnung der Software-Plattform, des Technologie-Designs und der Marke?
5. Kann die Konzernobergesellschaft XYZ AG den Tochtergesellschaften eine Entschädigung «dem Grunde nach» verrechnen für die Benutzung der Marke «Finexus» in ihrem Geschäftsauftritt (bspw. in der Firma)?
6. Wie wird der Tatsache verrechnungspreislich Rechnung getragen, dass die Marketing-Aktivitäten durch die XYZ AG ausgeführt werden, die rechtlichen Aktivitäten jedoch durch die XYZ Management AG?
Fall 2: Fremdübliche Entschädigung IP-Lizenzierung
1. Sachverhalt
Siehe Grundsachverhalt. Annahme, dass die Lizenzzahlungen verrechnungspreislich effektiv an die ABC IP Ltd. fliessen.
Frage
- Welche Methoden könnten für die Bestimmung der Lizenzzahlungen der Technologiegesellschaften an die XYZ IP Ltd. verwendet werden?
Fall 3: Fremdübliche Entschädigung IP-Übertragung
1. Sachverhalt
Im Rahmen einer konzerninternen Reorganisation plant die Finexus-Gruppe die immateriellen Werte (Software-Plattform Finexus, Technologie) zusammen mit dem globalen Marketing und dem F&E an die neu gegründete Gesellschaft XYZ Development Ltd. in Grossbritannien zu verkaufen. Die Rechtsabteilung verbleibt in der Schweiz. Da das rechtliche Eigentum an Marke, Plattform und Technologie bei der XYZ IP Ltd. ist, treten als Verkäuferinnen sowohl die XYZ AG als auch die XYZ IP Ltd. auf.

Fragen
- Welche Methoden sehen die OECD-Verrechnungspreisleitlinien zur Ermittlung des konzerninternen Kaufpreises vor?
- Welche Gesellschaft ist Verkäuferin aus Sicht der Verrechnungspreisleitlinien?
Fall 4: Herausforderungen bei HTVI und PSM
1. Sachverhalt3
Die CraneX Global Group ist ein führendes multinationales Unternehmen in der Baukranindustrie. Das Unternehmen entwickelt und produziert Hybridkrane, die innovativen Technologien und hochwertiges Design vereinen. Diese Fallstudie analysiert die Anwendung der geschäftsfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Transactional Profit Split Method, bzw. kurz TPSM oder PSM) sowie die Verrechnungspreisherausforderungen im Zusammenhang mit schwer bewertbaren immateriellen Wirtschaftsgütern (HTVI). Im Fokus stehen die beiden Hauptunternehmen der CraneX-Gruppe:
- SwissCrane AG (OEM A, Schweiz): Spezialisiert auf Mobilbaukrane.
- USCrane Inc (OEM B, USA): Führender Anbieter von Turmdrehkranen.
Die CraneX Global Group besteht aus zwei Original Equipment Manufacturers (OEMs), die Hybridkrane entwickeln und produzieren. Diese Krane kombinieren:
- Mobilität durch die Technologie der SwissCrane AG.
- Laststabilität durch das Know-how der USCrane Inc.

Folgende immaterielle Wirtschaftsgüter sind zentral:
- Patente: Schutz innovativer mechanischer und technologischer Lösungen.
- Software: Steuerungssysteme zur Optimierung von Mobilität und Stabilität.
- Marke „CraneX“: Garant für Qualität und Innovationskraft.
- Produktions-Know-how: Effiziente Prozesse und hohe Qualitätsstandards.
Ein konzernintern neu entwickeltes Steuerungssystem für die Hybridkrane gilt als schwer bewertbares immaterielles Wirtschaftsgut (HTVI). Die Technologie verspricht erhebliche Marktvorteile, doch die künftigen Umsätze und Gewinne sind schwer vorherzusagen. Risiken wie technologische Überholbarkeit und Marktakzeptanz beeinflussen den Wert erheblich.
Die Wertschöpfungskette der CraneX Global Group lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Rohmaterialbeschaffung: Teile von Dritt- und Schwesterfirmen.
- Produktion: SwissCrane AG montiert Basiskomponenten, USCrane Inc. integriert Module.
- Fertigung: SwissCrane AG komplettiert die Hybridkrane.
- Vertrieb: Direkter Vertrieb oder über verbundene Händler.
Das multinationale Unternehmen hat die in Tabelle 1 dargestellte Gewinn- und Verlustrechnung für die neue Produktlinie Hybridkrane (basierend auf Schätzungen des Managements) erstellt:

Fragen
- Warum ist die geschäftsfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Transactional Profit Split Method bzw. TPSM oder PSM) vorliegend eine geeignete Verrechnungspreismethode?
- Bestimmen Sie basierend auf den Angaben in Tabelle 1 den Routinegewinn aus der Produktion (vergleichbare Drittproduzenten ohne eine solche innovative IP-Technologie erzielen eine marktübliche Rendite auf die Produktionskosten zwischen 8 und 12% mit einem Median von 10%) und die Zuordnung des Residualgewinns aus F&E.
- Welche Risiken tragen die OEMs und wie werden diese in der PSM berücksichtigt?
- Definieren Sie HTVI. Die CraneX Global Group entscheidet sich, das IP im Zusammenhang mit der innovativen Steuerungstechnologie, die sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, zu verkaufen. Wie können Unsicherheiten bei der Bewertung des entsprechenden HTVI berücksichtigt werden?
- Welche weiteren Alternativen zur Verwertung der immateriellen Vermögenswerte der CraneX Global Group, insbesondere des HTVI, könnten in Betracht gezogen werden, neben einer gemeinsamen Kommerzialisierung durch OEMs A und B oder einem Verkauf des IP?
- Kommt der HTVI-Ansatz der OECD auch in der Schweiz zur Anwendung?
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1 Eine Software-Plattform ist eine Sammlung von Software-Komponenten oder -Systemen, die eine Grundlage bieten, auf der andere Anwendungen, Tools oder Services entwickelt und betrieben werden können. Sie ermöglicht es Entwicklern, auf ihr aufzubauen, zu erweitern oder eigene Softwarelösungen zu integrieren.
2 Der Begriff Technologie-Design bezieht sich auf die technischen und funktionalen Designs oder Architektur von Technologieprodukten oder -lösungen.
3 Dieses Fallbeispiel ist angelehnt an den Artikel von Stähli Lukas, The Use of the Profit Split Method in Highly Integrated Transactions, International Transfer Pricing Journal (ITPJ), July/August 2018, 280 ff.