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Rolf Benz

Jasmine Cuccarède

Herausforderungen des Steuerverfahrens- und Steuerstrafrechts

Workshop von Rolf Benz und Jasmine Cuccarède anlässlich des ISIS)-Seminars vom 3. - 4. Juni 2024 mit dem Titel «Herausforderungen des Steuerverfahrens- und Steuerstrafrechts»

06/2024
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Fall: Steuerhinterziehung und Nachsteuerverfahren 

1. Sachverhalt (Teil 1)

Anna Muster ist Inhaberin der nach ihr benannten Treuhand und Revisionen AG. Der Hauptsitz der Gesellschaft sowie die Büroräumlichkeiten befinden sich im Erdgeschoss des Einfamilienhauses in Spiez, in welchem Anna Muster gemeinsam mit ihrem Ehemann, Bernd Muster, lebt. Anna Muster ist Präsidentin des Verwaltungsrats. Weiteres Mitglied des Verwaltungsrats ist Anwältin und Steuerexpertin Jaël Meier. Mit ihr zusammen teilt sich Anna Muster weitere Geschäftsräumlichkeiten in Thun.

Im August 2016 verkaufte Anna Muster einen Teil der Aktien der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG an Jaël Meier, so dass diese 46% des Aktienkapitals innehatte. Weitere 46% der Aktien verkaufte Anna Muster an die von Herbert Kriegelstein beherrschte Boring AG. Damit verfügte Anna Muster ab diesem Zeitpunkt noch über 8% des Aktienkapitals der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG. Sie blieb weiterhin Verwaltungsratspräsidentin.

Zwei Jahre später kam es zu Streitigkeiten zwischen Anna Muster und den Organen der Boring AG, welche anlässlich der im Sommer 2018 abgehaltenen Generalversammlung der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG behaupteten, die restlichen 8% der Aktien von Anna Muster und damit die Aktienmehrheit erworben zu haben. In der Folge schied Anna Muster am 22. September 2018 aus dem Verwaltungsrat aus.

Die Steuerverwaltung des Kantons Bern eröffnete aufgrund einer bei der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG durchgeführten Buchprüfung ein Nach- und Strafsteuerverfahren für die Steuerjahre 2010-2015 gegen Anna und Bernd Muster. Sie begründete dies damit, dass Anna Muster seit mehreren Jahren geldwerte Leistungen der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG bezogen habe, indem durch eine nicht wahrheitsgetreue Buchführung der Gesellschaft Gelder für private Zwecke entzogen worden seien. Zudem habe sie klar ersichtlichen Privataufwand als geschäftlich begründet verbucht. Nachdem die Steuerverwaltung von Anna Muster mehrmals Unterlagen eingefordert und erhalten hatte, erstellte sie eine provisorische Bussenberechnung sowie eine Auflistung der fraglichen geldwerten Leistungen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs konnte Anna Muster hierzu Stellung beziehen, was sie – nunmehr anwaltlich vertreten durch Fred Huber – ausführlich tat.

Im Anschluss eröffnete die Steuerverwaltung Anna und Bernd Muster am 3. Dezember 2019 gemeinsam eine einzige Bussenverfügung im Steuerhinterziehungsverfahren für die Steuerjahre 2010-2015 unter teilweiser Berücksichtigung der eingereichten Kommentierungen und gleichzeitig noch eine gemeinsame Nachsteuerverfügung. Bestandteil der Bussenverfügung war eine detaillierte Aufstellung der an Anna Muster geflossenen geldwerten Leistungen.

1.1 Frage 1 (Gemeinsame Verfügung an Ehegatten)

Die Steuerverwaltung hat die Busse an Anna und Bernd Muster in einer einzigen Verfügung gemeinsam eröffnet und den Ehegatten gemeinsam auferlegt. Welche Probleme ergeben sich hier?

1.2 Frage 2 (Trennung der Verfahren)

Wie hätte die Steuerrekurskommission zu entscheiden, wenn die Steuerverwaltung in einem späteren Rekurs- und Beschwerdeverfahren einräumen würde, dass der Erlass der gemeinsamen Bussenverfügung zu Unrecht erfolgt ist, und beantragt, dass die Steuerrekurskommission das Verfahren trennt?

1.3 Frage 3 (Reformatorischer oder kassatorischer Entscheid)

Wird die Steuerrekurskommission im soeben erläuterten Beispiel einen reformatorischen Entscheid fällen, d.h. in der Sache selbst entscheiden, oder wird sie den Entscheid kassieren, d.h. aufheben, und zur erneuten Beurteilung an die Vorinstanz zurückweisen?

2. Sachverhalt (Teil 2)

In seiner Einsprache beantragte der Vertreter Fred Huber eine Reduktion der aufgerechneten geldwerten Leistungen. Eventualiter stellte er den Antrag auf Sistierung des Steuerhinterziehungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachsteuerverfahrens und forderte Akteneinsicht. Zwei Jahre später gewährte die Steuerverwaltung dem Vertreter die Akteneinsicht und teilte ihm mit, dass sie an den aufgerechneten geldwerten Leistungen festhalte, jedoch aufgrund der spät gewährten Akteneinsicht und der langen Verfahrensdauer bereit sei, den Bussenfaktor auf 0.75 zu reduzieren. In ihrer Verfügung hatte die Steuerverwaltung den Bussenfaktor auf 1.5 festgesetzt, ausgehend vom Regelmass 1.0, welches aufgrund der langjährigen Erfahrung von Anna Muster im Treuhand- und Revisionswesen um 0.5 erhöht worden ist.

Der Vertreter hielt in seiner anschliessenden Stellungnahme an der bereits beantragten Reduktion der aufgerechneten geldwerten Leistungen fest. Die Steuerverwaltung wies die Einsprache am 8. Mai 2023 ab, reduzierte den Bussenfaktor jedoch wie angekündigt auf 0.75.

2.1 Frage 4 (Akteneinsicht)

Die Akten umfassen vorliegend 15 Bundesordner. Der Vertreter von Anna Muster beantragt im Rahmen der Akteneinsicht, dass ihm sämtliche Akten in seine Kanzlei zugestellt werden. Die Steuerverwaltung stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass die Aktenmenge zu umfangreich sei und die Akteneinsicht lediglich vor Ort stattfinden könne. Hat der Anwalt einen Anspruch auf Zustellung der Akten in seine Kanzlei?

3. Sachverhalt (Teil 3)

Am 2. Juni 2023 erhob der Vertreter, Fred Huber, Rekurs und Beschwerde bei der Steuerrekurskommission des Kantons Bern und forderte die Aufhebung der Einspracheentscheide unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Er begründete dies damit, dass der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei. Die Aufrechnung der Steuerverwaltung basiere darauf, dass es Anna Muster nicht möglich gewesen sei, Detailbelege zu den beanstandeten Buchungen vorzulegen. Dies sei jedoch weder vorsätzlich noch fahrlässig geschehen, sondern liege darin begründet, dass die neue Inhaberin der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG, die Boring AG, Anna Muster die Herausgabe der benötigten Unterlagen verweigere.

Abermals beantragte der Vertreter von Anna Muster die Sistierung des Steuerhinterziehungsverfahrens bis zum Abschluss des Nachsteuerverfahrens. Im Anschluss daran seien die Bussen neu zu berechnen. Aufgrund der langen Verfahrensdauer, der sehr späten Akteneinsicht und der groben Verletzung von Verfahrensregeln sei der Bussenfaktor auf 0.33 zu reduzieren, sofern überhaupt noch geldwerte Leistungen aufgerechnet würden. Anna Muster sei es ohne eigenes Verschulden verwehrt gewesen, die entlastenden Belege beizubringen, was sich in der Reduktion des Bussenfaktors widerspiegeln müsse.

3.1 Frage 5 (Sistierung des Hinterziehungsverfahrens)

Wie hat die Steuerrekurskommission hinsichtlich des Sistierungsantrags zu entscheiden?

3.2 Frage 6 (Rechtsmittel gegen Sistierung)

Wie entscheidet die Steuerrekurskommission über den Sistierungsantrag? Kann Fred Huber gegen die Abweisung seines Sistierungsantrags vorgehen?

4. Sachverhalt (Teil 4)

Im Rahmen des Instruktionsverfahrens hat die Steuerrekurskommission festgestellt, dass der Vertreter von Anna Muster seitens der Steuerverwaltung keine Akteneinsicht in zwei Bundesordner mit Akten zum vorliegenden Verfahren erhalten hat. Deshalb hat die Steuerrekurskommission dem Vertreter die beiden Bundesordner zur Akteneinsicht in seine Kanzlei zugestellt. Im anschliessenden Schriftenwechsel hat die Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung die kostenfällige Abweisung von Rekurs und Beschwerde beantragt. Der Vertreter hat seinen Standpunkt bestätigt.

4.1 Frage 7 (Unvollständige Akteneinsicht)

Welche Auswirkungen hat die Tatsache, dass die Steuerverwaltung dem Vertreter nicht Einsicht in sämtliche Akten gewährt hat? Wie verfährt die Steuerrekurskommission?

5. Sachverhalt (Teil 5)

Anlässlich ihrer Einvernahme am 27. Oktober 2023 hat Anna Muster darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich sämtliche Organe der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG zurückgetreten seien. Die Staatsanwaltschaft habe ein Strafverfahren gegen diese Personen, welche nach ihrem Ausscheiden die Anna Muster Treuhand und Revisionen AG geführt hätten, eröffnet. Zum Beweis hat sie zwei Verfügungen der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern eingereicht, aus denen hervorgeht, dass seitens der Boring AG anlässlich der Generalversammlung im Sommer 2018 gefälschte Aktienzertifikate vorgelegt worden sind, um die Wahl der von ihr vorgeschlagenen Personen an der Generalversammlung der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft beurteilte die getätigten Handlungen, welche von den an der im Sommer 2018 durchgeführten Generalversammlung gewählten Personen vorgenommen worden waren, als nicht rechtswirksam und aberkannte der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG wie auch der Boring AG die Stellung als Privatklägerin im Strafverfahren. Weiter führte Anna Muster an ihrer Einvernahme aus, dass daneben noch ein Zivilverfahren laufe, in dem es um die Rückabwicklung des Aktienverkaufs gehe, die vom Gericht angeordnet, aber bis anhin nicht umgesetzt worden sei. Hingegen habe das von der Boring AG gegen Anna Muster geführte Zivilverfahren mit einem Nichteintretensentscheid geendet. Das gegen Anna Muster geführte Strafverfahren befinde sich immer noch im Stadium der Strafuntersuchung.

Auf die anschliessende Möglichkeit der Einreichung einer Stellungnahme zum Einvernahmeprotokoll hat der Vertreter von Anna Muster verzichtet.

5.1 Frage 8 (Persönliche Einvernahme)

Weshalb hat die Steuerrekurskommission vorliegend eine Einvernahme mit Anna Muster durchgeführt?

6. Sachverhalt (Teil 6)

Am 3. November 2023 hat die Steuerrekurskommission dem Vertreter mitgeteilt, dass sie in Erwägung ziehe, den Einspracheentscheid betreffend Steuerhinterziehung in den Steuerperioden 2010-2015 zu Ungunsten von Anna Muster abzuändern und den Bussenfaktor von 0.75 auf 1.5 zu erhöhen (sog. reformatio in peius).

Der Vertreter hat sich dazu innert Frist geäussert und an seinen bisherigen Ausführungen festgehalten.       

6.1 Frage 9 (Ankündigung reformatio in peius)

Was hat die Steuerrekurskommission bei der Ankündigung einer reformatio in peius besonders zu beachten?

6.2 Frage 10 (Rückzug von Rekurs und Beschwerde)

Wie würde die Steuerrekurskommission reagieren, wenn der Vertreter von Anna Muster aufgrund der angekündigten reformatio in peius den Rückzug von Rekurs und Beschwerde erklärt?

7. Sachverhalt (Teil 7)

Am 11. Dezember 2023 fällt die Steuerrekurskommission den Entscheid betreffend Steuerhinterziehungsverfahren für die Steuerjahre 2010-2015. Die Bussenverfügungen, auf welchen das Steuerhinterziehungsverfahren basiert, hatte die Steuerverwaltung im vorliegenden Verfahren am 6. November 2020 eröffnet.       

7.1 Frage 11 (Verjährung)

Wie sieht es vorliegend hinsichtlich Verjährung aus?

7.2 Frage 12 (Voraussetzungen der vollendeten Steuerhinterziehung)

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Steuerrekurskommission eine vollendete Steuerhinterziehung bejaht?

7.3 Frage 13 (Kriterien für geldwerte Leistung)

Anhand welcher Kriterien prüft die Steuerrekurskommission, ob vorliegend eine Steuerverkürzung stattgefunden hat, weil die Anna Muster Treuhand und Revisionen AG verdeckte Gewinnausschüttungen an Anna Muster ausgeschüttet hat bzw. Anna Muster geldwerte Leistungen der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG bezogen hat, indem sie durch eine nicht wahrheitsgetreue Buchführung der Gesellschaft Gelder für private Zwecke entzogen hat?

8. Sachverhalt (Teil 8)

Im vorliegenden Fall wurden verdeckte Gewinnausschüttungen bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Nachsteuer- und Hinterziehungsverfahren der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG festgestellt. Wie den ausführlich kommentierten Aufrechnungen zu entnehmen ist, bestreitet Anna Muster einen beachtlichen Teil der durch die Steuerverwaltung vorgenommenen Aufrechnungen. Ihr Vertreter macht zudem geltend, Anna Muster befinde sich in einem Beweisnotstand, da diese sämtliche den strittigen Buchungen zugrundeliegenden Belege den neuen Organen der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG übergeben habe. Diese hätten sich nach dem Ausscheiden von Anna Muster an die Steuerverwaltung gewandt und sie der Steuerhinterziehung bezichtigt. Nun würden sie absichtlich nicht alle Belege an die Steuerverwaltung herausgeben, um ihr zu schaden. Deshalb dürfe ihr daraus kein Nachteil erwachsen. Anlässlich ihrer Einvernahme hat Anna Muster abermals auf ihr fehlende Belege hingewiesen und zudem den Verdacht geäussert, dass die Buchhaltung allenfalls von den ihr feindlich gesinnten Organen der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG manipuliert worden sein könnte. Aus den Akten ist darüber hinaus ersichtlich, dass zwischen Anna Muster und der Anna Muster Treuhand und Revisionen AG sowie der Boring AG erhebliche Streitigkeiten bestehen (vgl. u.a. auch die hängigen bzw. teilweise bereits abgeschlossenen Verfahren im Straf- und Zivilbereich).

8.1 Frage 14 (Beweislast im Strafverfahren)

Wer trägt im vorliegenden Strafverfahren die Beweislast?

8.1 Frage 15 (Subjektiver Tatbestand)

Anhand welcher Kriterien prüft die Steuerrekurskommission den subjektiven Tatbestand der vollendeten Steuerhinterziehung? Ist Anna Muster wegen Vorsatz oder wegen Fahrlässigkeit zu verurteilen?

8.2 Frage 16 (Höhe der Bussen)

Anhand welcher Kriterien setzt die Steuerrekurskommission die Höhe der Bussen fest bzw. prüft sie die Angemessenheit der durch die Steuerverwaltung ausgesprochenen Bussen?

8.3 Frage 17 (Verfahrenskosten und Parteientschädigung)

Wem auferlegt die Steuerrekurskommission die Verfahrens- und Parteikosten? Spricht sie eine Parteientschädigung zu?

9. Sachverhalt (Teil 9)

Nachdem der Entscheid betreffend Steuerhinterziehung in den Steuerperioden 2010-2015 abgeschlossen ist, prüft die Steuerrekurskommission das Verfahren betreffend Nachsteuer in den Steuerperioden 2010-2015.

9.1 Frage 18 (erste Verfahrensschritte)

Welche beiden Verfahrensschritte wird die Steuerrekurskommission als erste unternehmen?

9.2 Frage 19 (Voraussetzungen für Nachsteuer)

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Nachsteuer erhoben werden darf?

9.3 Frage 20 (Abweichungen Nachsteuer zur Strafsteuer)

Inwiefern wird der Entscheid der Steuerrekurskommission betreffend Nachsteuerverfahren abweichend vom Entscheid betreffend Steuerhinterziehungsverfahren ausfallen?

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