Patrick Scherrer
Patrick Meier
Geldwerte Leistungen im interkantonalen Verhältnis
Workshop von Patrick Scherrer und Patrick Meier anlässlich des ISIS)-Seminars vom 28. März 2023 mit dem Titel «Geldwerte Leistungen im nationalen und internationalen Verhältnis».
Fall 1: Primärberichtigung von Verrechnungspreisen
1. Sachverhalt
Die A. AG hat ihren Sitz im Kanton Zürich. Ihre Schwestergesellschaft, die D. AG hat ihren Sitz im Kanton Zug. Gemeinsame Beteiligungsinhaberin ist die C. AG, ebenfalls mit Sitz im Kanton Zug. Die D. AG ist Inhaberin der Marken W. und X. Im November 2015 schloss die D. AG mit der A. AG einen Lizenzvertrag, gemäss welchem sie dieser die Nutzung der Marke W. erlaubte. Die A. AG hatte als Lizenznehmerin für die Einräumung des Nutzungsrechts einen Betrag von CHF 100’000 zu leisten und darüber hinaus ein laufendes Lizenzentgelt in Höhe von 10 % der Bemessungsgrundlage zu entrichten, wobei als Bemessungsgrundlage der Nettoumsatz aus dem jeweiligen Projekt bezeichnet wurde.
In der Steuererklärung 2016 deklarierte die A. AG einen steuerbaren Reingewinn von CHF 53’882. In der massgebenden Jahresrechnung 2016 hatte sie unter dem Titel «Lizenzzahlungen an die D. AG» Aufwendungen in der Höhe von CHF 728'032. verbucht.
Die Zürcher Steuerbehörde hielt diese Lizenzzahlung für überhöht und erhöhte den steuerbaren Gewinn im Umfang von CHF 655'228 auf (Primärberichtigung).
Die D. AG ist für die Steuerperiode 2016 im Kanton Zug bereits rechtskräftig veranlagt.
Fragen
• Aufgrund welcher Rechtsgrundlagen können Verrechnungspreise im interkantonalen Verhältnis korrigiert werden?
• Nach welchem Massstab sind die Verrechnungspreise im interkantonalen Verhältnis festzulegen?
• Welche Dokumentation ist vorgeschrieben?
• Was gilt es bei der Festsetzung eines angemessenes Markenentgelts zu beachten?
• Welche Auswirkungen hat die Gewinnkorrektur auf die gemeinsame Muttergesellschaft (C. AG)?
• Führt die Gewinnkorrektur zu einer unzulässigen interkantonalen Doppelbesteuerung? Wenn ja, kann diese beseitigt werden? Wie ist der Rechtsweg?
• Was gilt für die direkte Bundessteuer?
• Was ändert sich, wenn die Steuerperiode 2016 für die D. AG noch nicht rechtskräftig veranlagt ist?
Fall 2: Gegenberichtigung / verfahrensrechtliche Aspekte
1. Sachverhalt
Grundvariante:
Gleicher Sachverhalt wie in Fall 2.
Variante 1:
Gemeinsamer Beteiligungsinhaber der A. AG und D. AG ist C., eine natürliche Person mit Wohnsitz im Kanton Zug.
Fragen
• Was sind die materiellen Voraussetzungen einer Gegenberichtigung?
• Wie ist die Gegenberichtigung in formeller Hinsicht geltend zu machen?
• Wann ist das Gegenberichtigungsgesuch zu stellen?
• Wie erfolgt die Gegenberichtigung steuerrechtlich?
• Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn die D. AG im Jahr 2016 einen
Verlust auswies (trotz der Zahlung der A. AG)?
• Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn die A. AG trotz Gewinnkorrektur
noch einen Verlust ausweist?
• Muss für eine Gegenberichtigung zwingend ein Entscheid des Bundesgerichts
vorliegen?
• Kann ein Anspruch auf Gegenberichtigung verwirkt werden?
• Variante 1: Wie ist die Gesamtsituation mit Bezug auf C. zu beurteilen?
Fall 3: Hauptsteuerdomizil im interkantonalen Verhältnis
1. Sachverhalt
Vorbemerkung: Dieser Fall dient als Einleitungsbeispiel, um für den nachstehenden Fall 4 kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Punkte anhand der «klassischen» Doppelbesteuerungssituation (Steuerhoheit) zu erarbeiten bzw. zu repetieren. Es geht hier folglich (noch) nicht um Verrechnungspreisfragen. Max Meier mit Wohnsitz in Solothurn ist Alleinaktionär der MeiMax AG, welche ihren statutarischen Sitz in Sarnen hat. Die MeiMax AG ist in der Holzfabrikation tätig und hat 15 Angestellte. Anlässlich der Prüfung des Wertschriftenverzeichnisses von Max Meier stossen die Solothurner Steuerbehörden auf die MeiMax AG. Abklärungen führen zu folgenden Erkenntnissen:
• Die MeiMax AG ist in Sarnen an einer c/o-Adresse domiziliert. Die Post wird regelmässig nach Solothurn weitergeleitet. Auf der Homepage steht Rechtsadresse Sarnen, Postadresse Solothurn.
• Der verbuchte Mietaufwand beläuft sich auf jährlich Fr. 100'000, wovon bloss Fr. 2'000 in Sarnen anfallen und der Rest in Solothurn.
• In Sarnen steht der MeiMax AG ein Büroarbeitsplatz im hot desking System, ein abschliessbarer Aktenschrank sowie ein Sitzungszimmer zur Mitbenutzung zur Verfügung. In Solothurn stehen der Gesellschaft Fabrikations- und Büroräumlichkeiten zur Verfügung.
• Die Buchhaltung der MeiMax AG wird in Sarnen durch einen mandatierten Treuhänder geführt. Auch die Verwaltungsratssitzungen finden mehrmals jährlich in Sarnen statt. Im Übrigen arbeiten Geschäftsleitung und Personal, darunter auch Max Meier, in Solothurn.
Die MeiMax AG ist im Kanton Obwalden für die Kantons- und Gemeindesteuern wie auch für die direkte Bundessteuer bis und mit Steuerperiode 2021 definitiv veranlagt. Die definitiven Veranlagungen vom 12. Oktober 2022 sind unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Am 1. Dezember 2022 nimmt der Kanton Solothurn die definitiven Veranlagungen für seine Staats- und Gemeindesteuern wie auch für die direkte Bundessteuer 2021 vor. Zuvor hatte er der MeiMax AG am 17. August 2022 eine schriftliche Aktenauflage gesendet, in welcher er Informationen und Unterlagen zur Geschäftstätigkeit in Sarnen und Solothurn einforderte sowie der MeiMax AG die Inanspruchnahme der unbeschränkten Steuerpflicht in Aussicht stellte.
Fall 4: Steuerdomizil vs. Verrechnungspreiskorrektur
1. Sachverhalt
Die Lucrum AG hat ihren statutarischen Sitz in Herisau und ist dort bei ihrem Verwaltungsrat, einem selbständigen und mandatierten Buchhalter, domiziliert (c/o-Adresse). Die Verwaltungsratssitzungen finden in Herisau statt, wo der Verwaltungsrat gelegentlich auch einzelne Verträge für die Unternehmung, welche im Kleiderhandel tätig ist, unterschreibt. Weitere Tätigkeiten in Herisau finden nicht statt. Die Gesellschaft verfügt insbesondere auch nicht über eigenes Personal.
Die Adlatus AG hat ihren statutarischen Sitz in Bern, wo sie über Büroräumlichkeiten und Personal (4 Vollzeitmitarbeitende) verfügt. Auch sie ist im Kleiderhandel tätig. Anlässlich einer Buchprüfung der Steuerperiode 2018 im Jahr 2019 bei der Adlatus AG stossen die Berner Steuerbehörden auf eine Rechnung der Adlatus AG an die Lucrum AG, in welcher folgende Leistungen verrechnet werden:
• 40% der Miet- und Infrastrukturkosten in Bern
• Lohn- und Sozialversicherungsaufwand für zwei Vollzeitstellen in Bern
Die verrechneten Kosten entsprechen dem effektiven Aufwand der Adlatus AG für die Lucrum AG. Die Adlatus AG nimmt die Verrechnung «at cost» ohne Aufschlag vor. Ein schriftlicher Vertrag existiert nicht. Die Adlatus AG weist eine Kontokorrentposition gegenüber der Lucrum AG als Forderung gegenüber Nahestehenden aus.
In der definitiven Veranlagung 2018 der Adlatus AG vom 5. Januar 2022 rechnen die Berner Steuerbehörden auf den Leistungsverrechnungen einen Gewinnzuschlag von 30% auf. Die Adlatus AG erhebt dagegen Einsprache und verlangt, auf der Basis der eingereichten Steuererklärung 2018 veranlagt zu werden.
Die Lucrum AG ist für die Steuerperiode 2018 bereits definitiv veranlagt. Die Veranlagungen sind rechtskräftig. Die Lucrum AG hatte zudem gegenüber den Ausserrhoder Steuerbehörden im Veranlagungsverfahren bestätigt, dass sie über Personal in Herisau verfüge und dort eine Geschäftstätigkeit ausübe. Nach Gegenberichtigung der Berner Aufrechnung verbliebe ihr nur noch ein marginalster Routinegewinn.
Die Berner Steuerbehörden weisen die Einsprache der Adlatus AG ab, wogegen diese an die Steuerrekurskommission des Kantons Bern gelangt. Nachdem sie dort am 13. Januar 2023 ebenfalls unterliegt, führt sie das Verfahren im Kanton Bern nicht weiter. Hingegen reicht die Lucrum AG im Kanton Appenzell-Ausserrhoden am 16. Januar 2023 ein Revisionsgesuch gegen ihre definitiven Veranlagungen 2018 ein. Sie verlangt, die bei der Adlatus AG vorgenommene Aufrechnung gewinnschmälernd zu berücksichtigen.
Variante 1:
Im Vorfeld der definitiven Veranlagungen stellen die Berner Steuerbehörden der Adlatus AG einen Einschätzungsvorschlag zu, in welchem sie die vorgesehene Aufrechnung eines Gewinnzuschlags ankündigen und detailliert erläutern. Die Adlatus AG retourniert den Einschätzungsvorschlag vorbehaltlos unterzeichnet.
Variante 2:
Die Adlatus AG macht in ihrer Einsprache geltend, dass das Aktionariat der Lucrum AG ihr nicht bekannt sei, aber die beiden Gesellschaften mit Sicherheit nicht nahestehend seien, weshalb sich jegliche Aufrechnung verbiete. Es liege per se ein Drittpreis vor, da die Gesellschaften eben gerade nicht nahestehend seien. Der buchhalterische Ausweis der Kontokorrentposition als nahestehend sei irrtümlich erfolgt, die Gesellschaft habe infolge «opting-outs» auch keine Revisionsstelle, die das hätte bemerken können.
Fragen
• Könnte der Kanton Bern auch das Hauptsteuerdomizil bzw. den Veranlagungsort der direkten Bundessteuer für die Steuerperiode 2018 beanspruchen?
• Wie ist über das Revisionsgesuch zu entscheiden?
• Variante 1: Ergeben sich Besonderheiten im Revisionsverfahren, wenn die Adlatus AG den Einschätzungsvorschlag unterzeichnet.
• Variante 2: Wer muss das Vorliegen eines Nahestehendenverhältnisses beweisen?
Fall 5: Ermessenseinschätzung
1. Sachverhalt
Die Alpha AG hat ihren statutarischen Sitz in Zug, die Beta AG in Zürich. Beide Gesellschaften sind im internationalen Gemischtwarenhandel tätig und gehören zum Gamma Konzern. Sie verfügen an ihren Sitzorten über Infrastruktur mit Personal. Die Alpha AG bezieht regelmässig Waren von der Beta AG und veräussert diese an Drittparteien weiter. Die Zürcher Steuerbehörden erachten die ausgewiesene Gewinnmarge der Beta AG als zu tief und möchten diese genauer prüfen. Die Beta AG beantwortet eine entsprechende Aktenauflage trotz Mahnung nicht. Letztlich rechnen die Zürcher Steuerbehörden bei der Beta AG einen grösseren Gewinnzuschlag auf, den sie nach pflichtgemässem Ermessen schätzen. Die Alpha AG ist im Kanton Zug bereits definitiv und rechtskräftig veranlagt. Unmittelbar nach der definitiven Veranlagung der Beta AG reicht die Alpha AG im Kanton Zug ein fristgerechtes Revisionsgesuch ein und verlangt eine korrespondierende Gegenberichtigung.
Fragen
• Wie ist über das Revisionsgesuch zu entscheiden?
• Variante: Wie ist über das Revisionsgesuch zu entscheiden, wenn die Beta AG eine fundierte Verrechnungspreisdokumentation in ihren Akten hat und die Verrechnungspreise im Verhältnis zur Alpha AG «state of the art» ermittelt wurden, die Zürcher Steuerbehörden aber aufgrund eigener Erfahrungswerte/Kennzahlen dennoch einen ermessensweisen Gewinnzuschlag bei der Beta AG aufrechnen. Annahme: Die Verrechnungspreisdokumentation wurde den Steuerbehörden bei der Beantwortung der Auflage ediert.
Fall 6: Verrechnungspreise und Steuerausscheidung
1. Sachverhalt
Die A. AG hat ihren Sitz im Kanton Wallis. Ihr Zweck ist der Betrieb eines Architektur- und Generalunternehmerbüros, der Betrieb von Hotels, Cafés und Restaurants, die Entwicklung und Unterstützung von Sportaktivitäten sowie alle Handels-, Mobilien- und Immobiliengeschäfte, die geeignet sind, den Gesellschaftszweck zu fördern. Im Rahmen ihrer Aktivitäten besitzt die Gesellschaft in anderen Kantonen Immobilien, die zum Verkauf oder zur Vermietung bestimmt sind, darunter im Kanton Fribourg.
Die A. AG hat eine Schwestergesellschaft, die D. AG. Letztere kontrolliert den Fussballverein V. Beide Gesellschaften werden von der B. AG gehalten, deren Eigentümer C. ist. C. ist das einzige Verwaltungsorgan der drei Gesellschaften.
In der Steuererklärung 2018 deklarierte die A. AG einen steuerbaren Gewinn von CHF 4'884'395. Gewinnmindernd berücksichtigt wurde dabei eine Aufwandposition von CHF 3'725'000 für Sponsoring-Ausgaben zugunsten der D. AG. Im Rahmen der interkantonalen Steuerausscheidung wurde davon ein Betrag von CHF 1'327'362 dem Kanton Fribourg zugewiesen.
Die Steuerbehörde des Kantons Fribourg stellte sich auf den Standpunkt, dass dieser Aufwand vollumfänglich dem Sitzkanton zuzuweisen ist und korrigierte den dem Kanton Fribourg im Rahmen der interkantonalen Steuerausscheidung zuzuweisende Gewinn entsprechend.
Die Steuerbehörde des Kantons Wallis hat den Aufwand von CHF 3'725'000 vollumfänglich zum Abzug zugelassen und die interkantonale Ausscheidung gemäss Ausscheidungsvorschlag der Gesellschaft akzeptiert.
Das Kantonsgericht des Kantons Fribourg hat schliesslich auf eine verdeckte Gewinnausschüttung erkannt und selbst die im Einspracheverfahren von der Steuerbehörde gewährte Verlustübernahme nicht gewährt.
Fragen
• Kann der Kanton Fribourg die interkantonale Ausscheidung einseitig anpassen?
• Kann der Kanton Fribourg als Liegenschaftskanton das Sponsoringverhältnis auf Drittvergleichskonformität prüfen, obwohl der Kanton Wallis den entsprechenden Aufwand bereits akzeptiert hat?
• Würde es etwas ändern, wenn der Kanton Wallis mit Bezug auf das Sponsoringverhältnis ein Ruling erteilt hätte?
• Unter welchen Voraussetzungen ist ein Sponsoringverhältnis auch zwischen verbunden Unternehmen steuerlich anzuerkennen?