Ralf Imstepf
Roger Rohner
Aktuelle Entwicklungen im Mehrwertsteuerrecht (2020)
Workshop anlässlich des ISIS)-Seminars vom 2./3. März 2020 mit dem Titel «Unternehmenssteuerrecht 2020».
Fall 1 (Steuerumgehung)
Sachverhalt
Inspiriert durch BVGer v. 13.3.2018 A-1487/2018 / A-1486/2018 / A-1485/2018 und BGer v. 5.10.2018, 2C_119/2017.
Die im Register der Steuerpflichtigen eingetragene Ferienhaus AG hält als einzige Aktiva zwei von ihr erstellte Liegenschaften, die sie ihrem Alleinaktionär Julius kostenlos und exklusiv zur Verfügung stellt. Julius nutzt diese für private Zwecke.
Wie ist die Zurverfügungstellung mehrwertsteuerlich zu werten?
Variante 1
Der für die Nutzung in Rechnung gestellte Mietzins entspricht 30 % des üblichen Mietzinses.
Ändert sich etwas an der mehrwertsteuerlichen Bewertung?
Variante 2
Der für die Nutzung in Rechnung gestellte Mietzins entspricht dem Jahreseigenmietwert gemäss RS vom 21.2.2008 der direkten Bundessteuer mit einem Zuschlag vom 25 %.
Wie ist die Zurverfügungstellung mehrwertsteuerlich zu werten?
Variante 3
Die im Register der Steuerpflichtigen eingetragene Treuhand AG ist im klassischen Treuhandgeschäft tätig. Zudem ist sie Eigentümerin von zwei von ihr erstellten Liegenschaften, die sie ihrem Alleinaktionär Julius exklusiv und zu einem symbolischen Preis zur Verfügung stellt. Julius nutzt diese für private Zwecke.
Wie ist die Zurverfügungstellung mehrwertsteuerlich zu werten?
Variante 4
Die im Register der Steuerpflichtigen eingetragene Treuhand AG ist im klassischen Treuhandgeschäft tätig. Zudem ist sie Eigentümerin von zwei von ihr erstellten Liegenschaften, die sie ihrem Alleinaktionär Julius exklusiv zur Verfügung stellt. Julius nutzt diese für private Zwecke. Der dafür in Rechnung gestellte Mietzins entspricht dem Jahreseigenmietwert gemäss RS vom 21.2.2008 der direkten Bundessteuer mit einem Zuschlag vom 25 %.
Ändert sich etwas an der mehrwertsteuerlichen Bewertung?
Variante 5
Die Liegenschaften werden nicht nur an den Alleinaktionär Julius, sondern auch an Dritte vermietet.
Wie ist die Zurverfügungstellung mehrwertsteuerlich zu werten?
Fall 2 (Bezugsteuer)
Sachverhalt
Die Ressource Investment AG mit Sitz in Zug wurde zum Erwerb der Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft gegründet, welche über Schürfrechte im Ausland verfügt. Die Ressource Investment AG ist in der Schweiz nicht MWST-registriert.
Die Ressource Investment AG hat eine ausländische eng verbundene Konzerngesellschaft damit beauftragt, eine Due Diligence dieser ausländischen Kapitalgesellschaft vorzunehmen. Die entsprechenden Kosten werden der Ressource Investment AG von der ausländischen Konzerngesellschaft in Rechnung gestellt, welche in der Schweiz ebenfalls nicht für Mehrwertsteuerzwecke registriert ist.
2018 wurden Due Diligence-Leistungen im Umfang von CHF 300'000 bezogen. Von diesen wurden 2018 CHF 175'000 in Rechnung gestellt und bezahlt, CHF 100'000 in Rechnung gestellt und im 2019 bezahlt und CHF 25'000 erst im Jahr 2019 in Rechnung gestellt und bezahlt.
Wie sind die von der ausländischen Konzerngesellschaft erbrachten Leistungen zu versteuern? Besteht darauf ein Vorsteuerabzug?
Variante 1
Die Ressource Investment AG registriert sich per 1. Januar 2019 für Mehrwertsteuerzwecke in der Schweiz, wobei sie effektiv nach vereinbarten Entgelten abrechnet.
Variante 2
Die ausländische Konzerngesellschaft registriert sich per 1. Januar 2019 für Mehrwertsteuerzwecke in der Schweiz, wobei sie effektiv nach vereinnahmten Entgelten abrechnet.
Fall 3 (Steuerausnahme für Heilbehandlungen)
Sachverhalt
Inspiriert durch BGer v. 21.8.2018, 2C_476/2017, BVGer v. 2.5.2019, A-719/2018, BVGer v. 2.5.2019, A-5966/2018, BVGer v. 10.1.2019, A-1620/2018 (alle BVGer-Urteile zum Zeitpunkt des Workshops noch nicht rechtskräftig).
Andrew ist im Kanton Bern (Nachfolgend werden illustrationshalber die Namen von Kantonen verwendet, unabhängig von der tatsächlichen rechtlichen Situation in diesen Kantonen.) als Chiropraktiker tätig. Er ist im Besitz einer vom Kanton Bern ausgestellten Berufsausübungsbewilligung.
Handelt es sich bei den Leistungen von Andrew um steuerausgenommene Heilbehandlungen i.S.v. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG?
Variante 1
Andrew ist im Kanton Zürich als Chiropraktiker tätig. Er ist im Besitz einer von der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich ausgestellten Bewilligung zum Führen des von der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) verliehenen Titels des Chiropraktikers.
Handelt es sich bei den Leistungen von Andrew um steuerausgenommene Heilbehandlungen i.S.v. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG?
Variante 2
Andrew ist im Kanton Appenzell Innerrhoden als Chiropraktiker tätig. Der Kanton kennt weder eine Berufsausübungs- noch eine Titelführungsbewilligung. Die Frage, ob eine solche eingeführt werden soll, wurde im kantonalen Parlament nie diskutiert.
Handelt es sich bei den Leistungen von Andrew um steuerausgenommene Heilbehandlungen i.S.v. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG?
Variante 3
Andrew ist im Kanton Aargau als Chiropraktiker tätig. Der Kantonsrat hat sich im Rahmen der Erarbeitung des kantonalen Gesundheitsgesetzes ausdrücklich gegen die Einführung einer Berufsausübungsbewilligung entschlossen. Die Ausübung der Chiropraktiker sollte nach dem gesetzgeberischen Willen in jedem Fall bewilligungsfrei möglich sein.
Handelt es sich bei den Leistungen von Andrew um steuerausgenommene Heilbehandlungen i.S.v. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG?
Variante 4
Andrew ist im Kanton Wallis als Arzt tätig. Er ist im Besitz einer entsprechen- den Berufsausübungsbewilligung. Neben seiner «normalen» ärztlichen Tätigkeit ist er zudem als Chiropraktiker tätig.
Handelt es sich bei den Chiropraktikerleistungen von Andrew um steuerausgenommene Heilbehandlungen i.S.v. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG?
Fall 4 (Übertragung von Grundstücken)
Sachverhalt
Die Elektro Meier AG sowie die Meier Immobilien AG (beide mehrwertsteuerpflichtig) sind 100-% Tochtergesellschaften der Meier Beteiligungen AG. Alle Gesellschaften haben ihren Sitz in Winterthur.
Im Dezember 2018 werden 2 Betriebsliegenschaften zum Buchwert von CHF 2 Mio. (einschliesslich Landwert) direktsteuerlich steuerneutral als Vermögensübertragung im Konzern gemäss Art. 61 Abs. 3 DBG von der Elektro Meier AG auf die Meier Immobilien AG übertragen. Der öffentlich beurkundete Kaufvertrag ist relativ rudimentär und enthält einfach die Übertragung zu Buchwerten der beiden Liegenschaften ohne weitere Angaben zu Landwert oder zur mehrwertsteuerlicher Behandlung. In der MWST-Abrechnung Q4/2018 wird die Übertragung im Meldeverfahren durch die Elektro Meier AG deklariert. Das Form.-Nr. 764 der ESTV zum Meldeverfahren liegt unterzeichnet von beiden involvierten Parteien vor.
Im April 2019 fragt die Revisionsstelle nach, wie die Umstrukturierung mehrwertsteuerlich abgerechnet wurde.
Folgefrage: Die Revisionsstelle klärt die korrekte mehrwertsteuerliche Übertragung nicht weiter ab und 2020 verkauft die Meier Immobilien AG die Betriebsliegenschaften optiert an eine unabhängige Dritte. Was sind die Mehrwertsteuerfolgen und wie wirken sich diese auf die Grundstückgewinnsteuer aus?