<article class="rz"><h2>1. Grundzüge des Verrechnungssteuerstrafrechts</h2>
<p>Das Verrechnungssteuerstrafrecht gehört zum Nebenstrafrecht, d.h. es ist nicht im Schweizerischen Strafgesetzbuch (<a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799" target="_blank" rel="noopener">StG</a><a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799" target="_blank" rel="noopener">B</a>)<sup><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup> geregelt, sondern im Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer (<a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VStG</a>)<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a> sowie – soweit es den mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedrohten Tatbestand und das Verfahren betrifft – im Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (<a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857" target="_blank" rel="noopener">VStrR</a>)<sup><a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a></sup>. Als Steuerstrafrecht ist es zudem mit dem (Verrechnungs-)Steuerrecht verzahnt, hängt doch die Frage, ob objektiv eine Widerhandlung gegen das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> gegeben ist, vom Bestehen einer Abgabepflicht ab. Diese Verzahnung kommt in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_77" target="_blank" rel="noopener">Art. 77 Abs. 4 VStrR</a> zum Ausdruck, welcher die Bindung des Richters an den rechtskräftigen Entscheid im Verwaltungsverfahren vorsieht.</p>
<p>Der Allgemeine Teil des StGB findet insoweit auch auf das Nebenstrafrecht des Bundes Anwendung, als dieses keine davon abweichenden Bestimmungen aufstellt gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_333" target="_blank" rel="noopener">Art. 333 Abs. 1 StGB</a>. Für das (Verrechnungs-)Steuerstrafrecht wesentlich sind dabei insbesondere die folgenden Bestimmungen:</p>
<h3>1.1 Subjektiver Tatbestand</h3>
<h4>1.1.1 Vorsatz und Fahrlässigkeit</h4>
<p>Die Verurteilung wegen einer Straftat setzt voraus, dass der Beschuldigte neben dem objektiven Tatbestand auch den subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Der subjektive Tatbestand umschreibt die inneren (psychischen) Merkmale, welche nach dem Gesetz bei der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes erfüllt sein müssen.<sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup></p>
<p>Zu unterscheiden sind dabei die fahrlässige und die vorsätzliche Tatbegehung:</p>
<blockquote>«Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.» (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_12" target="_blank" rel="noopener">Art. 12 Abs. 3 StGB</a>)</blockquote>
<p>Die fahrlässige Begehung eines Deliktes ist gemäss Art. 12 Abs. 1 StGB nur strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich vorsieht. Andernfalls ist nur die vorsätzliche Begehung strafbar.</p>
<p>Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_12" target="_blank" rel="noopener">Art. 12 Abs. 1 StGB</a>).</p>
<p>Der Vorsatz muss dabei im Zeitpunkt der Tat bestehen und alle objektiven Tatbestandselemente erfassen. Dies sind einmal die tatsächlichen bzw. deskriptiven Elemente. Bei rechtlich geprägten Tatbeständen, deren Verständnis eine Wertung voraussetzt, kommt auch die Vorstellung über dieses sog. normative Tatbestandselement hinzu. Dabei wird nicht die juristisch exakte Erfassung des gesetzlichen Begriffs verlangt. Vielmehr genügt es, wenn die Täterin den Tatbestand so verstanden hat, wie es der landläufigen Anschauung eines Laien entspricht (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre). Er muss also die Tatbestandsmerkmale nicht in ihrem genauen rechtlichen Gehalt erfassen, sondern lediglich eine zutreffende Vorstellung der Tatumstände haben, d.h. der äusseren Gegebenheiten mitsamt ihrer sozialen Bedeutung.<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup></p>
<p>Damit bei einem Steuerdelikt das für den Vorsatz erforderliche Wissenselement zu bejahen ist, muss sich der Täter in laienhafter Wertung bewusst sein, dass der von ihm verwirklichte Vorgang steuerbar ist bzw. die von ihm steuermindernd geltend gemachte Ausgabe nicht abzugsfähig ist.<sup><a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a></sup> Der Täter muss also den Steueranspruch dem Grunde nach kennen oder zumindest für möglich halten.<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup></p>
<h4>1.1.2 Sachverhaltsirrtum</h4>
<p>Hingegen fehlt der steuerpflichtigen Person der Vorsatz, wenn sie einem Sachverhaltsirrtum (Tatbestandsirrtum) unterliegt. Einem solchen unterliegt, wer von einem Merkmal des Straftatbestandes keine oder eine falsche Vorstellung hat. Bei einer solchen Konstellation ist der Täter zu seinen Gunsten nach seiner irrigen Vorstellung zu beurteilen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 Abs. 1 StGB</a>). In Betracht kommt allenfalls die Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung, wenn der Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht hätte vermieden werden können und die fahrlässige Begehung strafbar ist (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 Abs. 2 StGB</a>).<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup></p>
<p>Nimmt die Steuerpflichtige also irrtümlich an, ein normatives Tatbestandselement sei nicht erfüllt, liegt ein Sachverhaltsirrtum vor, der gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 StGB</a> den Vorsatz ausschliesst.</p>
<p>Einem Sachverhaltsirrtum unterliegt beispielsweise, wer infolge fehlerhafter Rechtsvorstellungen verkennt, dass die von ihm unter Eigentumsvorbehalt erworbene Sache eine «fremde» bleibt.<sup><a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup> Dasselbe gilt, wenn die Beschuldigte der festen Überzeugung ist, dass deliktisch erworbene Gelder, die vor mehr als zehn Jahren auf ein Bankkonto überwiesen wurden, von vornherein nicht einziehbar seien und deshalb an diesen keine Geldwäscherei mehr begangen werden könne.<sup><a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">10</a></sup>. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind auch diejenigen Personen einem Sachverhaltsirrtum erlegen, die in der Schweiz saudi-arabische Goldmünzen hergestellt haben und daher der Geldfälschung und des In-Umlauf-Setzens falschen Geldes angeklagt wurden. Da sie zu Unrecht davon ausgingen, die von ihnen hergestellten Münzen stellten in Saudi-Arabien kein allgemeines Zahlungsmittel mit einem gesetzlichen Kurswert – also kein Geld – dar, nahm das Bundesgericht einen Sachverhaltsirrtum an.<sup><a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a></sup></p>
<p>Überträgt man diese Überlegungen auf das Steuerstrafrecht bedeutet dies, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn verkürzen will. Dies erfordert, dass der Täter anhand einer laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a></p>
<p>Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht gilt der Nachweis des Vorsatzes als erbracht, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass sich die Beschuldigte der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der gemachten Angaben bewusst war. Ist dieses Wissen erwiesen, so ist anzunehmen, dass sie eine Täuschung der Steuerbehörde beabsichtigt und eine zu niedrige Veranlagung bezweckt (direkter Vorsatz) oder zumindest in Kauf genommen hat (Eventualvorsatz). Diese Vermutung lässt sich nicht leicht entkräften. In der Regel ist ein anderer Beweggrund für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben nur schwer vorstellbar.<sup><a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13</a></sup></p>
<h3>1.2 Täterschaft und Teilnahme</h3>
<p>Das für das Verrechnungssteuerstrafrecht massgebende <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857" target="_blank" rel="noopener">VStrR</a> folgt grundsätzlich dem Täterprinzip. Bei einer Widerhandlung einer juristischen Person sind die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar, welche die Tat verübt bzw. den Tatbeitrag geleistet haben (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 Abs. 1 VStrR</a>). Eine juristische Person ist im Verrechnungssteuerstrafrecht also grundsätzlich nicht strafbar. Das unterscheidet sich vom Steuerstrafrecht der direkten Steuern, obwohl im Verrechnungssteuerrecht diejenige juristische Person, welche die geldwerte Leistung erbringt, steuerpflichtig und abrechnungspflichtig ist. Einzig in Bagatellfällen kann anstelle der eigentlich strafbaren Person die juristische Person gebüsst werden.<sup><a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a></sup> Dabei handelt es sich um Fälle, in denen eine Busse von höchstens CHF 5'000 in Frage kommt und zudem, wenn die Ermittlung der strafbaren natürlichen Person im Hinblick auf die auszufällende Strafe unverhältnismässigen Untersuchungsaufwand verursachen würde.</p>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 Abs. 2 VStrR</a> regelt eine verwaltungsstrafrechtliche Spezialität, die Garantenhaftung der «Vorgesetzten» des Täters.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a> Die Geschäftsherrin, Arbeitgeberin, Auftraggeberin, die es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterlässt eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, untersteht den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten.</p>
<h3>1.3 Verjährung</h3>
<p>Am 1. Oktober 2002 ist im Kernstrafrecht die Neuregelung der Verjährung in Kraft getreten. Seither kann die Verfolgungsverjährung nicht mehr unterbrochen werden. Sie tritt jedoch nicht mehr ein, wenn vor Eintritt der Verjährung ein erstinstanzliches Urteil ergeht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_97" target="_blank" rel="noopener">Art. 97 Abs. 3 StGB</a>). Durch die Transformationsbestimmung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_333" target="_blank" rel="noopener">Art. 333 Abs. 6 StGB</a> erlangte die Verjährungsordnung des StGB auch für das Nebenstrafrecht (des Bundes) Geltung.</p>
<p>Da die wortgetreue Umsetzung dieser Bestimmung dazu geführt hätte, dass die als Übertretung ausgestaltete Hinterziehung eine längere Verjährungsfrist hätte als der Vergehenstatbestand des Abgabebetruges, hat das Bundesgericht eingegriffen. Das Bundesgericht hat die Verjährung der Hinterziehung auf das für Vergehen geltende Mass begrenzt, nämlich auf sieben Jahre (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_97" target="_blank" rel="noopener">Art. 97 Abs. 1 lit. d StGB</a>).<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a></p>
<p>Als erstinstanzliches Urteil, welches den Eintritt der Verjährung verhindert, gilt nach der Rechtsprechung die Strafverfügung gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_70" target="_blank" rel="noopener">Art. 70 VStrR</a>.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a> Der dieser vorangehende Strafbescheid (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 VStrR</a>), der Parallelen zu einem Strafbefehl aufweist, hemmt somit die Verjährung noch nicht.<sup><a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup></p>
<p>Allerdings steht die (strafrechtliche) Verjährung während der Dauer eines Einsprache-, Beschwerde- oder gerichtlichen Verfahrens über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht still (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_11" target="_blank" rel="noopener">Art. 11 Abs. 3 VStrR</a>).</p>
<p>Die Verjährung beginnt mit der Tatbegehung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_98" target="_blank" rel="noopener">Art. 98 lit. a StGB</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_333" target="_blank" rel="noopener">Art. 333 StGB</a> und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 VStrR</a>). Im Falle der Nichtdeklaration einer geldwerten Leistung ist dies die Einreichung der unvollständigen Jahresrechnung bei der ESTV.<sup><a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup> Reicht die Gesellschaft keine Jahresrechnung ein, beginnt die Verjährung nach der Praxis der ESTV sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres.</p>
<h2>2. Tatbestände des Verrechnungssteuerstrafrechts</h2>
<h3>2.1 Im VStG geregelte Übertretungstatbestände</h3>
<p>Die in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 ff VStG</a> geregelten Strafbestimmungen sehen alle die Bestrafung mit Busse vor und sind daher Übertretungstatbestände.</p>
<p>Diese bedrohen die Widerhandlungen gegen die Verrechnungssteuerordnung mit Busse. Die Verrechnungssteuer ist eine Selbstveranlagungssteuer. Das heisst, die steuerpflichtige Person muss bei Fälligkeit unaufgefordert und fristgerecht die geschuldete Steuer berechnen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_38" target="_blank" rel="noopener">Art. 38 Abs. 1 VStG</a>), die vorgeschriebene Abrechnung einreichen und die Steuer entrichten sowie auf den Empfänger der steuerbaren Leistung überwälzen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 VStG</a>). Gelangt das Meldeverfahren zur Anwendung, ist die Meldung innert Frist zu erstatten (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 VStG</a>).</p>
<p>Die nicht rechtzeitige Abrechnung und Entrichtung bzw. die nicht rechtzeitige Erstattung der Meldung erfüllt den objektiven Tatbestand einer Widerhandlung gegen das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a>. Das führt nicht nur zur Anwendbarkeit des Verrechnungssteuerstrafrechts, sondern auch zur Leistungs- bzw. Rückleistungspflicht im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_12" target="_blank" rel="noopener">Art. 12 VStrR</a> sowie der Ausdehnung der Verjährung des Verrechnungssteueranspruchs auf sieben Jahre, wobei diese Ausdehnung der Verjährungsfrist die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens nicht voraussetzt.<sup><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup></p>
<h4>2.1.1 Ordnungswidrigkeiten</h4>
<p>Mit der geringsten Busse bedroht ist die in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 VStG</a> geregelte Ordnungswidrigkeit. Mit Busse bis zu CHF 5'000.- bestraft wird, wer eine Bedingung, an welche eine besondere Bewilligung geknüpft ist, nicht einhält, eine Vorschrift des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a>, der <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/1585_1641_1624/de" target="_blank" rel="noopener">VStV</a> oder einer aufgrund einer solchen Vorschrift erlassenen allgemeinen Weisung oder unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn gerichtete Einzelverfügung zuwiderhandelt.</p>
<p>Mit dem Bundesgesetz vom 28. September 2018 ist <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Artikel 64 VStG</a> neu gefasst und ergänzt worden.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a> Neu hinzugekommen sind die in lit. c und d geregelten Ordnungswidrigkeiten, nämlich die Nichteinhaltung der Fristen für die Meldung von Kapitalerträgen sowie von Naturalgewinnen aus Geldspielen, Lotterien und Glücksspielen.</p>
<p>In dieser Änderung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> hat der Gesetzgeber unter anderem klargestellt, dass das Meldeverfahren für Kapitalerträge auch bei Nichteinhalten der Meldefrist anwendbar bleibt. Die Verrechnungssteuer ist also nicht nachträglich zu erheben und zu überwälzen. Folgerichtig ist auch kein Verzugszins geschuldet (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_16" target="_blank" rel="noopener">Art. 16 Abs. 2<sup>bis</sup> VStG</a>). Ausserdem hat er ausdrücklich geregelt, dass die verspätete Meldung nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_20" target="_blank" rel="noopener">Art. 20 Abs. 3 VStG</a> eine Ordnungswidrigkeit und keine Hinterziehung der Verrechnungssteuer ist. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 Abs. 1 lit. c VStG</a> soll als Spezialbestimmung <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 lit. b VStG</a> vorgehen.<sup><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup></p>
<p>Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber allerdings die bisher geltende Konkurrenzregelung aufgehoben, wonach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 VStG</a> – den allgemeinen Regeln folgend – durch die übrigen Übertretungstatbestände konsumiert wird.<sup><a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup></p>
<p>Diese Neuregelung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 VStG</a> führt mit anderen Worten dazu, dass bei einer verspäteten Meldung der Tatbestand von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 Abs. 1 lit. b VstG</a> – die Nichterfüllung der Pflicht zur Meldung einer steuerbaren Leistung –erfüllt ist. In Bezug auf die verspätete Meldung ist <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 VStG</a> nicht (mehr) ein Auffangtatbestand, sondern eine Spezialnorm.</p>
<h4>2.1.2 Steuergefährdung</h4>
<p>In <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_62" target="_blank" rel="noopener">Art. 62 VStG</a> fasst das Gesetz sieben abschliessend aufgezählte Übertretungstatbestände zusammen, die mit Busse bis zu CHF 20'000.- bedroht sind. Diese Tatbestandsvarianten pönalisieren die Gefährdung der gesetzmässigen Durchführung der Verrechnungssteuer.</p>
<p>Der Tatbestand der Steuergefährdung ist aufgrund der expliziten Regelung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 Abs. 1 VStG</a> subsidiär zu den in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 – 16 VStrR</a> geregelten Tatbeständen und wird ausserdem durch die Hinterziehung der Verrechnungssteuer gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 VStG</a> konsumiert.<sup><a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a></sup></p>
<p>Sämtlichen Tatbestandsvarianten ist gemein, dass der objektive Gefährdungstatbestand bereits mit der nicht rechtzeitigen bzw. nicht korrekten Handlung vollendet ist. Die nachträgliche Erfüllung der Pflicht beseitigt die Strafbarkeit nicht.<sup><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a></sup></p>
<p>Zu den in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_62" target="_blank" rel="noopener">Art. 62 VStG</a> geregelten Gefährdungen gehört unter anderem die Unterlassung der Pflicht zur Einreichung von Steuererklärungen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_62" target="_blank" rel="noopener">Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG</a>).</p>
<h4>2.1.3 Hinterziehung der Verrechnungssteuer</h4>
<p>Der Hinterziehung macht sich strafbar, wer vorsätzlich oder fahrlässig zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen dem Bund Verrechnungssteuern vorenthält, die Pflicht zur Meldung einer steuerbaren Leistung nicht erfüllt oder eine unwahre Meldung erstattet, eine ungerechtfertigte Rückerstattung der Verrechnungssteuer oder einen anderen unrechtmässigen Steuervorteil erwirkt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 VStG</a>).</p>
<p>Die Steuerhinterziehung setzt einen zumindest vorübergehenden Steuerausfall des Gemeinwesens voraus. Daher ist nach der Rechtsprechung der objektive Tatbestand der Verrechnungssteuerhinterziehung bereits erfüllt, wenn die deklarierungspflichtige Steuer in Missachtung der Selbstveranlagungspflicht nicht oder erst nach Fristablauf deklariert bzw. abgeliefert wird.<sup><a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">26</a></sup></p>
<p>Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese Auslegung zutrifft. Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_62" target="_blank" rel="noopener">Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG</a> stellt die Nichtentrichtung einer Steuererklärung eine Steuergefährdung und gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_64" target="_blank" rel="noopener">Art. 64 Abs. 1 lit. b VStG</a> die verspätete Einreichung einer Abrechnung eine Ordnungswidrigkeit dar. Zwar konsumiert der Tatbestand der Hinterziehung den Gefährdungstatbestand sowie die Ordnungswidrigkeit, geht diesen beiden Tatbeständen also vor, wenn eine Hinterziehung gegeben ist. Da jedoch der Gesetzgeber vorgesehen hat, dass die unterlassene oder verspätete Einreichung von Abrechnungen eine Gefährdung bzw. eine Ordnungswidrigkeit sein kann, muss es Konstellationen geben, in denen diese Handlungen bzw. Unterlassungen den Tatbestand der Hinterziehung nicht erfüllen. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Straftatbestände geschaffen hat, die von vornherein nicht anwendbar sind, weil das darin pönalisierte Verhalten in jedem Fall durch einen anderen Tatbestand – in diesem Fall den Hinterziehungstatbestand – konsumiert wird.</p>
<p>Nach Auffassung der ESTV ist der objektive Tatbestand der Hinterziehung der Verrechnungssteuer erfüllt, wenn eine Gesellschaft eine geldwerte Leistung ausrichtet, die als solche erkennbar ist und es dabei unterlässt, diese zu deklarieren und die Verrechnungssteuer spontan zu entrichten. Sie beruft sich dabei häufig auf den in ASA 55, 285, publizierten Entscheid des Bundesgerichts vom 8. März 1986.</p>
<p>In jenem Fall hat die in Genf domizilierte E. SA ihr Hauptaktivum, die Beteiligung an einer in Deutschland domizilierten Tochtergesellschaft zum Preis von DM 1,3 Mio. an ihren Alleinaktionär verkauft. Zwei Monate nach dem Verkauf hat die Tochtergesellschaft dem Käufer eine Dividende von DM 3,2 Mio. ausgeschüttet, was voraussetzte, dass die Tochtergesellschaft bereits im Zeitpunkt des Verkaufs über Reserven von DM 3,2 Mio. verfügte. Es war daher für alle Beteiligten offensichtlich gewesen, dass der Verkaufspreis deutlich zu tief war und die E. SA daher ihrem Aktionär eine geldwerte Leistung ausgerichtet hat.<sup><a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a></sup></p>
<p>Das Bundesgericht erwog, dass der Verkauf der Anteile der Tochtergesellschaft eine Steuerhinterziehung im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 VStG</a> darstellt, da die Differenz zwischen dem vereinbarten Verkaufspreis und dem Verkehrswert so offensichtlich war, dass eine umsichtige Person erkennen musste, dass dem erwerbenden Aktionär ein verrechnungssteuerpflichtiger Vorteil gewährt wurde.<sup><a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a></sup></p>
<p>Damit bei einer nicht spontan abgerechneten geldwerten Leistung eine Hinterziehung vorliegt, muss also die steuerpflichtige Zuwendung derart offensichtlich sein, dass sie ohne weiteres erkennbar ist. Dies ist etwa auch der Fall, wenn eine Gesellschaft private Lebenshaltungskosten eines Aktionärs oder dessen Familie der Erfolgsrechnung belastet oder bei Aufwendungen mit teilweise privatem Charakter kein oder ein offensichtlich ungenügender Privatanteil verbucht wird.<sup><a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a></sup></p>
<p>Allerdings begeht gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_62" target="_blank" rel="noopener">Art. 62 Abs. 1 lit. a VStG</a> eine Steuergefährdung, wer die gesetzesmässige Durchführung der Verrechnungssteuer gefährdet, indem er vorsätzlich oder fahrlässig im Steuererhebungsverfahren der Pflicht zur Einreichung von Steuererklärungen, Aufstellungen und Abrechnungen nicht nachkommt.</p>
<p>Da nach unbestrittener Auffassung die Steuerhinterziehung die in Idealkonkurrenz zu dieser begangene Steuergefährdung konsumiert<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a>, bleibt für die Anwendung des Gefährdungstatbestandes nur dann Raum, wenn nicht jede unterlassene bzw. verspätete Abrechnung als Hinterziehung gilt. Bei geldwerten Leistungen setzt dies deren Offensichtlichkeit voraus. Nur wenn die geldwerte Leistung offensichtlich war, ist durch die unterlassene Abrechnung der objektive Tatbestand der Hinterziehung erfüllt.</p>
<h4>2.1.4 Unterlassene Überwälzung</h4>
<p>Durch <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_63" target="_blank" rel="noopener">Art. 63 VStG</a> wird die Verletzung der in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 VStG</a> geregelten Überwälzungspflicht unter Strafe gestellt. Wer diese Pflicht fahrlässig oder vorsätzlich verletzt, wird mit Busse bis zu CHF 10'000.- bestraft.</p>
<p>Durch die Verletzung der Überwälzungspflicht erbringt die Schuldnerin der steuerbaren Leistung eine zusätzliche Leistung, welche durch die Formel «(Nettobetrag x 100):65» «ins Hundert» aufzurechnen ist. In der Praxis bleibt es bei einer Verletzung der Überwälzungspflicht oft bei dieser Aufrechnung ins Hundert, ohne dass ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet wird.<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup></p>
<h3>2.2 Tatbestände des VStrR</h3>
<p>Der Abgabebetrug gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 Abs. 2 VStrR</a> sowie der qualifizierte Abgabebetrug gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 Abs. 4 VStrR</a> folgen dem sog. Arglistprinzip. Dieses setzt eine arglistige Täuschung der Steuerbehörde voraus.</p>
<p>Ein Abgabebetrug muss nicht notwendigerweise durch Verwendung falscher oder gefälschter Urkunden begangen werden, sondern es sind auch andere Fälle arglistiger Täuschung denkbar. Nach der Rechtsprechung sind jedoch immer besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze Lügengebäude erforderlich, damit eine arglistige Täuschung anzunehmen ist.<sup><a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a></sup></p>
<p>Der Abgabebetrug ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_14" target="_blank" rel="noopener">Art. 14 Abs. 2 VStrR</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_333" target="_blank" rel="noopener">Art. 333 Abs. 2 lit. b StGB</a>).</p>
<p>Der gewerbsmässige oder im Zusammenwirken mit Dritten begangene Abgabebetrug ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Somit gilt er als ein Verbrechen und kann daher auch eine Geldwäschereivortat sein.<sup><a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">33</a></sup> Gewerbsmässig handelt, wer sich darauf einrichtet, durch sein deliktisches Handeln relativ regelmässige Einnahmen zu erzielen, die einen namhaften Betrag an die Lebenshaltungskosten darstellen und er sich gleichsam in der Kriminalität einrichtet. Der Täter muss die Tat bereits mehrfach und mit der Absicht Einnahmen zu erzielen begangen haben. Zudem muss er bereit sein, die Taten zu wiederholen. Bei einem ausserordentlich hohen Deliktbetrag kann bereits die «lediglich» zweifache Tatbegehung gewerbsmässig sein.<sup><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a></sup></p><h2>3. Grundzüge des Verfahrens</h2>
<p>Das Steuerstrafverfahren richtet sich gestützt auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_67" target="_blank" rel="noopener">Art. 67 VStG</a>, sowohl für die im <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> normierten Übertretungstatbestände wie auch für die im <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857" target="_blank" rel="noopener">VStrR</a> geregelten Delikte, einheitlich nach dem <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857" target="_blank" rel="noopener">VStrR</a>. Die ESTV ist dabei grundsätzlich sowohl verfolgende als auch urteilende Behörde. Die kantonalen Strafgerichte kommen zum Zug, wenn die ESTV eine Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Massnahme für angebracht hält (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 1 VStrR</a>) oder wenn die von der ESTV gebüsste Person eine gerichtliche Beurteilung verlangt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 Abs. 2 VStrR</a>).</p>
<p>Ein Verwaltungsstrafverfahren durchläuft in der Regel die folgenden Verfahrensschritte:</p>
<p>Nach Einleitung des Strafverfahrens nimmt die ESTV eine Untersuchung vor. Erachtet sie diese als vollständig und geht der untersuchende Beamte von einer Widerhandlung aus, nimmt er ein Schlussprotokoll auf. Er gibt der beschuldigten Person zudem Gelegenheit, innert einer erstreckbaren Frist von zehn Tagen Beweisergänzungsanträge zu stellen und zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 VStrR</a>). Hat die Beschuldigte Stellung genommen, stellt die ESTV entweder das Verfahren ein oder erlässt einen Strafbescheid (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_61" target="_blank" rel="noopener">Art. 61 VStrR</a>). Gegen diesen ist innert nicht erstreckbarer Frist von 30 Tagen die Einsprache die ESTV möglich (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_67" target="_blank" rel="noopener">Art. 67 VStrR</a>). Hält diese an der Verurteilung fest, erlässt sie die Strafverfügung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_70" target="_blank" rel="noopener">Art. 70 VStrR</a>). Die von der Strafverfügung Betroffene kann innert 10 Tagen der nicht erstreckbaren Frist seit der Eröffnung, die Beurteilung durch das Strafgericht verlangen <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_72" target="_blank" rel="noopener">(Art. 72 VStrR</a>). Hat diese die gerichtliche Beurteilung verlangt, überweist die ESTV die Akten der kantonalen Staatsanwaltschaft zuhanden des zuständigen Strafgerichts. Die Überweisung gilt als Anklage. Eine Untersuchung findet nicht statt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_73" target="_blank" rel="noopener">Art. 73 VStrR</a>). Ausserdem ist der rechtskräftige Entscheid über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht für das Gericht verbindlich es sei denn, es handle sich um einen Entscheid der ESTV – und nicht des Bundesverwaltungs- oder des Bundesgerichts – der auf einer offensichtlichen Gesetzesverletzung oder auf einem Ermessensmissbrauch beruht. In einem solchen Fall setzt das Gericht die Hauptverhandlung aus und weist die Akten an die ESTV zum neuen Entscheid zurück (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_77" target="_blank" rel="noopener">Art. 77 Abs. 4 VStrR</a>).</p>
<p>Bei den für die Verletzung des Tatbestandes des Verrechnungssteuerstrafrechts ausgefällten Strafen handelt es sich um «echte» Strafen. Entsprechend sind für sämtliche Verrechnungssteuerstrafverfahren die Verfahrensgarantien von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/2151_2151_2151/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 EMRK</a><sup><a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a></sup> zu beachten. Zu diesen gehört insbesondere die Unschuldsvermutung. Diese besagt als Beweislastregel, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld der Angeklagten zu beweisen und nicht diese ihre Unschuld nachweisen muss.</p>
<p>Als Beweiswürdigungsregel bedeutet die Unschuldsvermutung («in dubio pro reo»), dass sich die Strafbehörden nicht von der Existenz eines für die Angeklagte ungünstigen Sachverhalts überzeugt zeigen dürfen, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat.<sup><a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a></sup></p>
<p>Aus der Unschuldsvermutung abgeleitet ist auch das strafprozessuale Selbstbelastungsverbot («nemo tenetur se ipsum accusare»). Der «nemo tenetur»-Grundsatz besagt, dass die Strafbehörden nicht auf Beweismittel zurückgreifen dürfen, die durch Druck oder Zwang in Missachtung des Willens der beschuldigten Person erlangt worden sind.<sup><a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37">37</a></sup></p>
<h2>4. Fokus: nicht spontan abgerechnete geldwerte Leistung</h2>
<p>Erbringt eine Gesellschaft ihren Anteilsinhabern oder diesen nahestehenden Personen eine geldwerte Leistung, muss sie unaufgefordert innert 30 Tagen seit Fälligkeit der steuerbaren Leistung die vorgeschriebene Abrechnung einreichen und gleichzeitig die Steuer entrichten (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_38" target="_blank" rel="noopener">Art. 38 Abs. 2 VStG</a>). Unterlässt sie diese Abrechnung, ist der objektive Tatbestand einer Steuerwiderhandlung – Hinterziehung oder Gefährdung der Verrechnungssteuer – bereits erfüllt.</p>
<p>Damit die ESTV ein Verrechnungssteuerstrafverfahren einleiten kann, muss sie einen hinreichenden Tatverdacht haben, also von der unterlassenen spontanen Abrechnung der geldwerten Leistung Kenntnis erlangen. Dies geschieht häufig durch Meldungen von kantonalen Steuerverwaltungen, welche der ESTV im Rahmen des direktsteuerlichen Veranlagungsverfahrens festgestellte geldwerte Leistungen und die entsprechenden Unterlagen mitteilen.</p>
<p>Spätestens nachdem die Gesellschaft und ihre Organe von der Aufrechnung der geldwerten Leistung im direktsteuerlichen Verfahren Kenntnis erlangt haben, ist für sie das Vorliegen einer geldwerten Leistung offensichtlich. Bleiben sie in dieser Situation untätig, droht die Verurteilung wegen Hinterziehung der Verrechnungssteuer, da nach Auffassung der ESTV die Unterlassung der Abrechnung gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_38" target="_blank" rel="noopener">Art. 38 Abs. 2 VStG</a> den objektiven Tatbestand der Hinterziehung erfüllt.</p>
<p>Allerdings bleibt straflos, wer die Widerhandlung, die eine Leistungs- oder Rückleistungspflicht begründet, aus eigenem Antrieb anzeigt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 Abs. 2 VStrR</a>). Durch eine Selbstanzeige lässt sich also das Risiko einer Bestrafung vermeiden.</p>
<h2>5. Verteidigungsansätze</h2>
<h3>5.1 Hinterziehungsvorsatz</h3>
<p>Steuerdelikte sind rechtlich geprägte Straftatbestände. Daher setzt der Vorsatz auch eine Vorstellung über die normativen Elemente des Tatbestandes voraus und zwar im Zeitpunkt, in welchem der Täter die unterlassene Deklaration der geldwerten Leistung hätte vornehmen müssen. Ist für ihn jedoch nicht erkennbar, dass ein Steueranspruch entstanden ist, fehlt ihm das Wissen über das normative Tatbestandselement, was den Vorsatz ausschliesst.</p>
<p>Diese Vorstellung muss – wie gesagt - im Tatzeitpunkt vorhanden sein. Gilt bei einer unterlassenen Abrechnung nicht nur der Zeitpunkt, in welchem die fristgerechte Abrechnung hätte erfolgen sollen, sondern jeder Zeitpunkt vor Eintritt der Verjährung des Steueranspruchs als Tatzeitpunkt, ist für den Täter in der Regel spätestens dann erkennbar, dass der Steueranspruch entstanden ist, wenn im direktsteuerlichen Veranlagungsverfahren eine Aufrechnung von geldwerten Leistungen erfolgt ist. Zuvor jedoch hat ihm dieses Wissen gefehlt, so dass bis dahin kein Vorsatz vorliegt.</p>
<h3>5.2 «nemo tenetur»</h3>
<p>Stammen die der Nacherhebung der Verrechnungssteuer zugrunde liegenden Informationen aus einem direktsteuerlichen Veranlagungsverfahren, stellt sich die Frage, ob diese in einem Verrechnungssteuerstrafverfahren verwendet werden dürfen. Ein Steuerstrafverfahren ist ein «echtes» Strafverfahren, in welchem die Garantien von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/2151_2151_2151/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 EMRK</a> zur Anwendung gelangen. Zu diesen Garantien gehören unter anderem die Unschuldsvermutung sowie der aus der Unschuldsvermutung abgeleitete «nemo tenetur»-Grundsatz. Dieser besagt, dass niemand gezwungen werden darf, gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen zu müssen. Der «nemo tenetur»-Grundsatz ist ein zentraler Grundsatz eines fairen Verfahrens.<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a></p>
<p>Im Bereich des Steuerrechts können die in einem Veranlagungs-, Einsprache- oder Nachsteuerverfahren geltenden Mitwirkungspflichten mit dem «nemo tenetur»-Grundsatz in Konflikt geraten, wenn das Veranlagungs- bzw. Nachsteuerverfahren vor oder gleichzeitig mit dem Steuerstrafverfahren durchgeführt wird.<sup><a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39">39</a></sup> Daher dürfen die in einem Veranlagungs- bzw. Nachsteuerverfahren erlangten Beweismittel keinen Eingang in ein Steuerstrafverfahren finden, wenn diese unter Androhung einer Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen oder unter Androhung einer Busse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten beschafft wurden.<sup><a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40">40</a></sup></p>
<p>Zwar enthalten die Bestimmungen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_183" target="_blank" rel="noopener">Art. 183 Abs. 1<sup>bis</sup> DBG</a> bzw. von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256/de#art_57_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 57a Abs. 2 StHG</a> lediglich ein Verwertungsverbot in einem Steuerhinterziehungsverfahren im Bereich der direkten Steuern. Da jedoch <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_183" target="_blank" rel="noopener">Art. 183 Abs. 1<sup>bis</sup> DBG</a> bzw. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256/de#art_57_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 57a Abs. 2 StHG</a> die in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/2151_2151_2151/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 Ziff. 1 EMRK</a> enthaltenen Verfahrensgarantien umsetzen, dürfen die in einem Steuerstrafverfahren im Bereich der direkten Steuern einem Beweisverwertungsverbot unterliegenden Beweismittel auch in einem Strafverfahren einer anderen Steuerart nicht verwendet werden.</p>
<h3>5.3 Delegation von Aufgaben</h3>
<p>Die ESTV neigt dazu, insbesondere bei kleinen Unternehmen, die Verantwortung für die Buchführung sowie die korrekte Abrechnung der Verrechnungssteuer dem Verwaltungsrat als unentziehbare und unübertragbare Aufgabe zuzuweisen. Sie beruft sich dabei jeweils auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716" target="_blank" rel="noopener">Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 und 5 OR</a>, der folgendes vorsieht:</p>
<p>Der Verwaltungsrat hat folgende unübertragbare und unentziehbare Aufgaben:</p>
<blockquote>«(…) Ziff. 3: die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Geschäfte notwendig ist.(…)<br />Ziff. 5: die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten und Reglemente.»</blockquote>
<p>Die Verantwortung für das Rechnungswesen bedeutet jedoch nur, dass der Verwaltungsrat dafür zu sorgen hat, dass eine zweckmässige Buchhaltung eingerichtet und vollständig sowie zeitnah nachgeführt wird.<sup><a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41">41</a></sup> Der Verwaltungsrat ist jedoch nicht für die Richtigkeit jeder einzelnen Buchung verantwortlich. Er darf nämlich – sofern er die Geschäftsführung nicht gestützt auf ein Organisationsreglement an eine Geschäftsleitung delegiert hat (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716" target="_blank" rel="noopener">Art. 716b Abs. 1 OR</a>) – Hilfspersonen beiziehen. Dabei muss er jedoch insbesondere die cura in custodiendo anwenden, sich also laufend über die Tätigkeit informieren und nötigenfalls ergänzende Auskünfte einholen.<sup><a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42">42</a></sup></p>
<p>Die in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716" target="_blank" rel="noopener">Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR</a> verankerte Oberaufsicht im Hinblick auf die Einhaltung der Gesetze kommt im Übrigen nur zum Tragen, wenn der Verwaltungsrat die Geschäftsführung delegiert hat. Sie bedeutet auch nicht die direkte Beaufsichtigung, sondern die Gestaltung der Aufsicht und die Verfolgung ihrer Abläufe und Ergebnisse durch die kritische Lektüre der Berichte und das Stellen von Zusatzfragen.<a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43"><sup>43</sup></a></p>
<h2>6. Zusammenfassung und Schlussfolgerung</h2>
<p>Ein Verrechnungssteuerstrafverfahren beginnt häufig weit vor seiner formellen Eröffnung, nämlich im direktsteuerlichen Veranlagungsverfahren. Von dort gelangen die Dokumente und Informationen, die der Festsetzung der Verrechnungssteuer dienen an die ESTV. Diese erhebt in erster Linie die Verrechnungssteuer und leitet häufig in zweiter Linie die Unterlagen zur Einleitung eines Verrechnungssteuerstrafverfahrens weiter.</p>
<p>Dieses richtet sich nicht gegen die verrechnungssteuerpflichtige Gesellschaft, sondern gegen die handelnden natürlichen Personen. Bei kleinen Unternehmen ist dies in der Regel der Verwaltungsrat. Um diesen unliebsamen Überraschungen zu entgehen, sollte die Gesellschaft bei Rückfragen im Besteuerungsverfahren, welche geldwerte Leistungen zu Tage fördern können, eine steuerstrafrechtliche Risikoanalyse vornehmen und eine Strategie entwerfen, welche diese Risiken abwehrt oder zumindest begrenzt.</p>
<p>Spätestens nach einer Aufrechnung von geldwerten Leistungen im direktsteuerlichen Veranlagungsverfahren sollte eine (Nach-)Deklaration an die ESTV erfolgen, so dass eine Bestrafung entfällt, sofern diese Nachdeklaration alle Anforderungen einer Selbstanzeige im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/1857_1857_1857/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 Abs. 2 VStrR</a> erfüllt, insbesondere das Handeln aus eigenem Antrieb.</p></article>
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