<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Am 14. April 2021 veröffentlichte der Bundesrat die «<a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/66145.pdf">Botschaft zu einer Änderung des Verrechnungssteuergesetzes (Stärkung des Fremdkapitalmarktes)</a>». Die damit publizierte Reformvorlage, die im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage deutlich in ihrer Komplexität reduziert wurde, zielt im Grundsatz auf die weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen sowie, als Begleitmassnahme, auf die Abschaffung der Umsatzabgabe auf Schweizer Obligationen ab.</p>
<p>Der nachfolgende Artikel beleuchtet die ursprüngliche Vorlage, die hauptsächlichen, in der Vernehmlassung hervorgebrachten Kritikpunkte sowie die angepasste Vorlage, bevor besonderes Augenmerk auf Umsetzungsfragen bei den Banken und Finanzinstitutionen, die Auswirkungen der Reform auf die strukturierten Produkte, die Behandlung der Ersatzzahlungen bei Securities Lending/Borrowing-Geschäften und bei den indirekten Zinsanlagen sowie auf die Auswirkungen der Reform auf die Konzernfinanzierung gelegt wird.</p>
<h2>2. Vorlage und Botschaft zur Verrechnungssteuer-Reform</h2>
<h3>2.1 Kurzabriss historischer Hintergrund der Reform</h3>
<p>Die Frage nach der Notwendigkeit einer Reform der Verrechnungssteuer sowie der Stempelabgaben, insbesondere der Umsatzabgabe, zur Stärkung des Standortes Schweiz für den Fremdkapitalmarkt sowie für Konzernfinanzierungsaktivitäten wird bereits seit geraumer Zeit diskutiert. Im Jahr 2010 stiess der Bundesrat eine Reform der Verrechnungssteuer an, die vom Parlament wieder zurückgewiesen wurde. Ein weiterer Anlauf wurde 2014 lanciert, der später jedoch aufgrund weiterer, zum damaligen Zeitpunkt hängiger Vorlagen<sup><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup> und des Vernehmlassungsergebnisses sistiert wurde.<sup><a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup></p>
<h3>2.2 Kurzabriss Entwicklung der ursprünglichen Vorlage</h3>
<p>Wie in Kapitel 2.1 angedeutet, zielen die heutigen Reformbestrebungen bei der Verrechnungssteuer und der Umsatzabgabe auf eine Stärkung des Schweizer Fremdkapital- und Konzernfinanzierungsmarktes sowie auf eine Stärkung (oder zumindest Beibehaltung) des Sicherungszwecks ab.</p>
<p>Sowohl für konzernexterne (Emission von Obligationen) wie auch für konzerninterne (bspw. Treasury- oder Cash Pooling-Funktionen) Finanzierungsaktivitäten bringt das geltende Verrechnungssteuersystem Nachteile, da Zinszahlungen auf von Schweizer Unternehmen ausgegebenen Obligationen der 35%-igen Steuer unterliegen. Trotz teilweisem oder vollständigem Rückerstattungsanspruch gelten Schweizer Obligationen somit als unattraktive Anlagen<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> und sind, im Vergleich zu ausländischen Obligationen, schwieriger zu platzieren. Dies insbesondere bei Investoren, die kein Doppelbesteuerungsabkommen in Anspruch nehmen können. Auch konzerninterne Finanzierungsaktivitäten werden aufgrund dieser Belastung vermehrt ausserhalb der Schweiz durchgeführt.</p>
<p>Ferner werden mit dem geltenden System Erträge aus ausländischen Obligationen nicht gesichert, obwohl ebensolche Erträge für die Zwecke der Einkommenssteuer und ihr Besitz für die Zwecke der Vermögenssteuer in der Schweiz zu deklarieren sind.<sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup></p>
<p>Während das geltende Verrechnungssteuersystem die Emission von Obligationen aus der Schweiz heraus negativ beeinflusst, hemmt die Umsatzabgabe Transaktionen mit Obligationen über einen Schweizer Effektenhändler; dies insbesondere auch im aktuellen Negativzinsumfeld.<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup></p>
<p>In ihrer ursprünglichen Form sah die Vorlage eine Befreiung inländischer juristischer Personen und ausländischer Anlegerinnen von der Verrechnungssteuer auf Zinsanlagen durch einen teilweisen Wechsel zum Zahlstellenprinzip vor. Somit wäre die Verrechnungssteuer neu von den jeweiligen Zahlstellen, i.d.R. Banken, zu erheben gewesen, namentlich auf Zinszahlungen an inländische natürliche Personen. Damit hätten auch Zinserträge aus ausländischen Titeln mit der Verrechnungssteuer erfasst werden können, sofern solche Titel von einer inländischen natürlichen Person im Depot bei einer inländischen Bank gehalten würden.<sup><a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a></sup></p>
<p>Vorgesehen war des Weiteren ein Wahlrecht des inländischen Schuldners der steuerbaren Leistung, ob bei Zinserträgen das geltende Schuldner- oder das neue Zahlstellenprinzip angewandt werden sollte.<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup></p>
<p>Das neue System sollte ferner für sämtliche Zinserträge gelten, d.h. dass sowohl die direkte Anlage in ein Zinspapier als auch die indirekte Anlage via eine kollektive Kapitalanlage oder ein strukturiertes Produkt gleichbehandelt werden sollten.<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup></p>
<p>Schliesslich sollte eine explizite Regelung dahingehend aufgenommen werden, dass im Fall von Securities Lending/Borrowing-Transaktionen («SLB») sowie auch Cum/Ex-Transaktionen nicht nur auf dem originären Ertrag, sondern auch auf der Ersatzzahlung (sog. «manufactured dividends» / «manufactured interest payments») die Verrechnungssteuer zu erheben sei. Dies hätte verhindern sollen, dass die Verrechnungssteuer zu Unrecht mehrfach rückerstattet wird.<sup><a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup> Gleichzeitig hätte die Nutzungsberechtigte der Ersatzzahlung aber auch einen Rückerstattungsanspruch auf die hierauf abgezogene Verrechnungssteuer gehabt.</p>
<p>Die Aufhebung der Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen war ebenfalls als Begleitmassnahme vorgesehen.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a></p>
<h3>2.3 Vernehmlassungsprozess</h3>
<h4>2.3.1 Kritikpunkte</h4>
<p>Während das Ziel der Stärkung des Fremdkapitalmarktes unter den Vernehmlassungsteilnehmenden breite Abstützung fand, wurden im Hinblick auf eine Stärkung (und Ausweitung) des Sicherungszwecks der Verrechnungssteuer teils grosse Vorbehalte angebracht.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a></p>
<p>Kritisiert wurden insbesondere die technische Komplexität der Vorlage in Bezug auf den teilweisen Wechsel zum Zahlstellenprinzip, den damit einhergehenden administrativen Aufwand (Haftungs- und Abwicklungsrisiken) sowie die praktische Unmöglichkeit der Umsetzung, vor allem im Zusammenhang mit ausländischen kollektiven Kapitalanlagen und ausländischen strukturierten Produkten.<sup><a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">12</a></sup></p>
<p>Geltend gemacht wurde ausserdem, dass ausländische Quellensteuern sowie der automatische Informationsaustausch («<a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia/publikationen/andere-dokumente/ueberblick.html">AIA</a>») ausreichende Sicherungsmassnahmen darstellten und es somit für aus dem Ausland zufliessende Zinserträge keiner zusätzlichen Sicherung durch die Schweizer Verrechnungssteuer bedürfe.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a></p>
<p>Die Gleichbehandlung direkter und indirekter Anlagen wurde grundsätzlich positiv aufgenommen. Hauptkritikpunkte waren wiederum die schwierige bis unmögliche Umsetzung eines zeitnahen Verrechnungssteuerabzuges auf beide Anlageformen, insbesondere bei ausländischen thesaurierenden Anlagen, die nicht in der Lage wären, die nötigen Informationen (rechtzeitig) zur Verfügung zu stellen.<sup><a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a></sup></p>
<p>Vereinzelt wurde eine Regelung für Aktien gefordert, die zur Absicherung von Derivaten und strukturierten Produkten gehalten werden. Im Rahmen der geplanten Verrechnungssteuerreform sollten die Fragen der Nutzungsberechtigung für die Rückforderung der erhobenen Verrechnungssteuer auf solchen Absicherungspositionen geklärt werden, um die derzeitige hohe Rechtunsicherheit zu mildern.<sup><a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup></p>
<h4>2.3.2 Lösungen/Lösungsvorschläge</h4>
<p>Zur Reduzierung der Komplexität bei ausländischen Zinserträgen wurden als mögliche Lösungsvorschläge einerseits eine Beschränkung der Verrechnungssteuererhebung auf inländische Titel, andererseits die Beibehaltung des Status Quo für solche Erträge angeführt. Ferner wurden die Anwendung eines Meldeverfahrens auf ausländische Zinserträge sowie die (vollständige) Abschaffung der Verrechnungssteuer auf in- und ausländischen Zinserträgen vorgeschlagen.<sup><a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">16</a></sup></p>
<p>Im Zusammenhang mit der Umsetzungsproblematik bei ausländischen kollektiven Kapitalanlagen wurden u.a. ein generelles Meldeverfahren für ausländische Zinsprodukte wie Fonds, strukturierte Produkte und Obligationen, die Befreiung von Auslandsemissionen von der Steuer sowie der Verzicht auf die Erhebung der Verrechnungssteuer bei kollektiven Kapitalanlagen respektive indirekten Zinsanlagen als mögliche Lösungen vorgeschlagen.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a></p>
<h3>2.4 Botschaft des Bundesrates vom 14. April 2021</h3>
<h4>2.4.1 Inhalt</h4>
<p>Die mit der Botschaft des Bundesrates veröffentlichte Reformvorlage sieht nunmehr im Wesentlichen die weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen vor. Weiterhin der Verrechnungssteuer unterliegen sollen die Zinsen, die inländische natürliche Personen auf Kundenguthaben bei Schweizer Banken, Sparkassen und Versicherungsunternehmen erhalten, sofern der Zinsertrag CHF 200 übersteigt. Die Abschaffung der Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen ist auch weiterhin geplant.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a></p>
<h4>2.4.2 Änderungen im Vergleich zur Vernehmlassung</h4>
<p>Durch die oben dargelegte, weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinsen unter Beibehaltung der Belastung von Zinsen auf Kundenguthaben für natürliche Personen erübrigt sich der teilweise Wechsel zum Zahlstellenprinzip. Dies führt im Gegenzug zu einer verminderten technischen Komplexität der Vorlage und berücksichtigt damit die Kritikpunkte aus dem Vernehmlassungsverfahren. Allfällige Abstriche im Zusammenhang mit dem Sicherungszweck der Verrechnungssteuer nimmt der Bundesrat hierbei in Kauf.<sup><a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup></p>
<p>Die oben vorgeschlagenen Massnahmen adressieren nunmehr auch die Kritikpunkte im Zusammenhang mit ausländischen kollektiven Kapitalanlagen.</p>
<h2>3. Sonderfragen/Einzelfragen</h2>
<h3>3.1 Kundenidentifikation durch die Finanzinstitutionen</h3>
<p>Im Rahmen der Beibehaltung der Verrechnungssteuer bei Zinsen auf Kundenguthaben, die von inländischen natürlichen Personen bei Schweizer Banken, Sparkassen und Versicherungsunternehmen gehalten werden, stellen sich für Schweizer Finanzinstitutionen Fragen rund um die Kundenidentifikation, insbesondere bei der Statusbestimmung (Abgrenzung zu Kunden, die nicht in den Anwendungsbereich fallen) und bei allfälligen Statusänderungen. Die nachfolgenden Überlegungen und Ausführungen beschränken sich auf die Problematik bei Schweizer Banken.</p>
<h4>3.1.1 Überlegungen zur Statusbestimmung</h4>
<p>Für die Statusbestimmung in Bezug auf die Eigenschaft als inländische natürliche Person könnte insbesondere auf die bestehenden Regelungen des <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia/publikationen/andere-dokumente/ueberblick.html">AIA</a> oder auf die <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">Vereinbarung über die</a><a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf"> Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken («VSB» bzw. in der aktuellen Ausführung «VSB 2020»)</a><sup><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup> abgestellt werden.</p>
<p>Wird auf die Regelungen des <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia/publikationen/andere-dokumente/ueberblick.html">AIA</a> abgestellt, so erfolgt die Feststellung der steuerlichen Ansässigkeit bei Neukundinnen über deren Selbstauskunft, bei Bestandskundinnen über die, durch die Finanzinstitutionen zu erfüllenden, detaillierten Sorgfaltspflichten.<sup><a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup> Aufgrund der regelmässig von der Eidgenössischen Steuerverwaltung («ESTV») durchgeführten AIA-Audits dürfte die Statusbestimmung anhand der AIA-Regelungen grundsätzlich auf hohe Akzeptanz stossen. Problematisch könnte sich die Tatsache auswirken, wenn keine positive Ermittlung einer Schweizer Kundenansässigkeit vorhanden (insbesondere bei Bestandskundinnen) oder möglich ist. Des Weiteren ist unter den <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia/publikationen/andere-dokumente/ueberblick.html">AIA-Regeln</a> eine Mehrfachansässigkeit der Kunden möglich. Insgesamt wiegen potenzielle Lücken bei der Datenerhebung und mangelnde Eindeutigkeit in Bezug auf die Inländereigenschaft zu schwer, als dass der AIA-Ansatz für die Statusbestimmung in Frage kommen würde.</p>
<p>Wird zur Statusbestimmung auf die <a href="file:///C:/Users/andreameyer/Downloads/09_2_d_20180713%20vsb%2020.pdf">Regelungen der VSB</a> abgestellt, so sind die Finanzinsitutionen verpflichtet, nebst den persönlichen Angaben des Kunden ebenfalls dessen Wohnsitzadresse einzusehen und zu dokumentieren.<sup><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Es dürfte praktikabel sein, diese Wohnsitzadresse zur Bestimmung und zum Nachweis der Inländereigenschaft einer natürlichen Person zu nutzen. Massgebend bei der Verrechnungssteuer ist ohnehin der (zivilrechtliche) Wohnsitz (Art. 9 VStG), der in der Praxis mit dem steuerlichen Wohnsitz in der Regel übereinstimmt. Eine weitergehende Plausibilisierung der Wohnsitzadressen ergibt sich aus den allgemeinen Geschäftsprozessen der Finanzinstitutionen. Verwiesen werden kann hier beispielsweise auf die meist gemäss den allgemeinen Geschäftsbedingungen geltenden Aktualisierungs- und Meldepflichten der Kunden.</p>
<p>Da die Identifizierung gemäss den geltenden Bestimmungen der <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">VSB 2020</a> mit Aufnahme der Kundenbeziehung vorliegt und im Rahmen des ordentlichen Geschäftsganges laufend oder mindestens regelmässig plausibilisiert wird, wäre die Statusbestimmung basierend auf den Regelungen der <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">VSB</a> zu begrüssen. Entsprechend darf positiv gewertet werden, dass die Botschaft in punkto Kundenidentifikation auf die aufsichtsrechtlichen Vorgaben, d.h. im Falle der Banken auf das Geldwäschereidispositiv sowie die VSB, verweist. Es darf erwartet werden, dass dieser Grundsatz auf Verordnungsstufe und/oder in einer Wegleitung der ESTV aufgenommen und die Umsetzung entsprechend konkretisiert wird.</p>
<h4>3.1.2 Statusänderungen bei Kundinnen</h4>
<p>Praktische Fragen bei der Statusbestimmung und der damit einhergehenden Abrechnung der Verrechnungssteuer könnten sich bei Statusänderungen bei Kundinnen ergeben. Auch hier stellt sich die Frage, ob zur Bestimmung von Statusänderungen die bestehenden Regelungen des AIA oder diejenigen der <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">VSB</a> zur Anwendung gelangen sollen.</p>
<p>Die Regelungen zum <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia/publikationen/andere-dokumente/ueberblick.html">AIA</a> sehen eine gesetzliche Mitwirkungspflicht der Kundin bei Statusänderungen vor. Allerdings gilt diese lediglich für jene Kundinnen, welche bereits eine Selbstauskunft erteilt hatten, was bei Bestandskundinnen nicht zwingend notwendig ist. Wie vorgängig dargelegt, sind Banken unter der <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">VSB</a> gehalten, die Angaben der Kundinnen regelmässig zu prüfen und zu plausibilisieren. Die Kundin selbst ist in der Regel bereits aufgrund der allgemeinen Geschäftsbedingungen verpflichtet, Statusänderungen zeitnah zu melden. In Übereinstimmung mit der im vorhergehenden Kapitel geäusserten Meinung, dass die Statusbestimmung basierend auf den Regelungen der <a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/e/2/5/4/e254d3078d72c23dcbc13352a34223c518303ec8/SBVg_Vereinbarung_VSB_2020_DE.pdf">VSB</a> zu begrüssen ist, sollte auch zur Bestimmung von Statusänderungen auf die Regelungen der VSB abgestellt werden, nicht zuletzt auch im Sinne einer Konsistenz zum Ansatz für die (ursprüngliche) Statusbestimmung.</p>
<p>Für den Abzug der Verrechnungssteuer auf Zinsen von Kundenguthaben ist gemäss Botschaft der zivilrechtliche Wohnsitz zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Zinszahlung relevant. Vereinzelt kann es dazu kommen, dass bei Fälligkeit des Zinses die Angaben zum Wohnsitz im Bankensystem vorübergehend nicht aktuell sind, wenn z.B. die Angaben zum Wohnsitzwechsel nicht rechtzeitig geliefert werden. Gemäss Botschaft ist bei einer rückwirkenden Wohnsitzmeldung im Falle eines Zuzugs in die Schweiz die Verrechnungssteuer nachträglich zu erheben (Zuzug). Wird hingegen die Verrechnungssteuer abgezogen und stellt sich dies im Nachhinein als unnötig heraus, da die Kundin ihren Wohnsitz von der Schweiz ins Ausland verlegt hat (Wegzug), so ist dieser Abzug grundsätzlich zu korrigieren. Zu denken ist hierbei insbesondere an eine Stornierung der Erhebung durch die Finanzinstitutionen. Gemäss Botschaft rechtfertigt sich in diesen Fällen eine Stornierung, wobei der Ansatz in der Verordnung konkretisiert werden soll. Der Wortlaut dazu in der Botschaft könnte durchaus so verstanden werden, dass in solchen Fällen eine Stornierung möglich aber nicht zwingend notwendig ist.</p>
<p>Die Botschaft sieht in Fällen also, in welchen mangels (rechtzeitigen) Kenntnissen über einen Zuzug oder Wegzug der Kunden ein Abzug ausbleibt oder ein Abzug unnötigerweise vorgenommen wird, eine rückwirkende Korrektur über die Erhebung vor, sprich eine Korrektur durch den Schuldner der Leistung. Rückwirkende Anpassungen im Massengeschäft können mit operativen Schwierigkeiten und unverhältnismässig hohem administrativen Aufwand verbunden sein (Monitoring zur Erkennung einer notwendigen Anpassung, Korrektur der Kundenbelege, Liquiditätsfragen bei nachträglichem Abzug, Implikationen einer rückwirkenden Korrektur auf die Buchführung der Finanzinstitutionen, periodenfremde Korrekturen in den Einkommensteuerdeklarationen). Der Komplexitätsgrad wäre letztlich von der konkreten Ausgestaltung des Ansatzes auf Stufe Verordnung bzw. Wegleitung abhängig. Es müsste u.a. definiert werden, wie eine Wohnsitzmeldung mit rückwirkendem Charakter festzustellen ist. Praktikabel im Massengeschäft wäre, dass die Finanzinstitutionen grundsätzlich annehmen dürfen, dass eine Adress- bzw. Wohnsitzänderungen zeitnahe gemeldet wurde, und dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Mitteilung der neuen Adresse nach VSB abgestellt werden darf (branchenüblich ist die Mitteilung eines Wohnsitzwechsels innerhalb von 30 Tagen). Eine rückwirkende Abwicklung könnte bspw. höchstens für klar abgrenzbare Fälle von massgeblich «verspäteten» Meldungen vorgesehen werden, sofern der Kunde die Abweichung von sich aus offenlegt. Diesfalls wäre auch der Praktikabilität halber auf eine pro rata-Abrechnung zu verzichten. Angesichts der erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten und dem damit verbundenen, unverhältnismässigen Aufwand sind rückwirkende Korrekturen wohl als nicht praktikabel einzustufen. So hat man auch bei der Abgeltungssteuer auf rückwirkende Korrekturen bei Auseinanderklaffen des Wohnsitzwechsels mit der entsprechenden Meldung gegenüber der Zahlstelle verzichtet. Der Einfachheit halber sollten ohnehin Möglichkeiten geprüft werden, allfällige Korrekturen in Folgeperioden vorzunehmen, was ohnehin der Usanz im Markt bei fehlerhaften Positionen entspricht.</p>
<p>Alternativ könnte eine Korrektur auf Seiten der Rückerstattung in Erwägung gezogen werden. So könnte bspw. die Korrektur einer fälschlicherweise erhobenen Verrechnungssteuer auf dem DBA-Rückerstattungsweg (Rückerstattung basierend auf einem anwendbaren <a href="https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/bilateral/steuerabkommen/doppelbesteuerungsabkommen.html">Doppelbesteuerungsabkommen [«DBA»]</a>) erfolgen. Den Kunden würde es offenstehen, den Weg über das Rückerstattungsverfahren zu gehen. Die entsprechenden Verfahren bei den Behörden bestehen schon, sind etabliert und robust und die Voraussetzungen für eine Rückerstattung werden jeweils umfassend geprüft. Für die Fälle von «verspäteten» Meldungen eines Wegzugs könnte auch ein Rückforderungsanspruch im Verrechnungssteuerrecht vorgesehen werden, um eine flächendeckende Korrektur solcher Fälle sicherzustellen. </p>
<h3>3.2 Auswirkungen der Reform auf die strukturierten Produkte</h3>
<p>Als strukturierte Produkte gelten «alle auf Geld- oder Sachleistungen lautenden Forderungen, bei denen die Rückzahlung des ursprünglich investierten Kapitals und/oder des Entgelts für die Überlassung des Kapitals ganz oder teilweise garantiert ist oder bei denen die Höhe der Rückzahlung und/oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis […] abhängt»<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a>. Strukturierte Produkte setzen sich in ihrer elementaren Form aus einer Options- sowie einer Obligationenkomponente zusammen. Zur Bestimmung ihrer verrechnungssteuerlichen Behandlung unter dem geltenden System ist somit grundsätzlich zwischen Anlage- und Optionsgeschäft zu unterscheiden, wobei verrechnungssteuerlich die auf dem Obligationenteil erzielten Zinsen relevant sind.<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a></p>
<p>Dem Vernehmen nach beabsichtigt die ESTV, an den bisherigen Qualifikationen für strukturierte Produkte mit dem heute anwendbaren Obligationenbegriff festzuhalten. An der steuerlichen Behandlung der strukturierten Produkte sollte sich grundsätzlich nichts ändern. M.a.W. bleibt die Berechnung der (steuerbaren) Obligationenkomponente mit der modifizierten Differenzbesteuerung unverändert. Durch die weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen wären die auf dem Obligationenteil erzielten Zinsen verrechnungssteuerlich jedoch nicht mehr von Relevanz.</p>
<p>Was sich hingegen ändern könnte, ist die Art der Zusammensetzung der strukturierten Produkte: Heute wird die Obligationenkomponente dieser Produkte regelmässig ausserhalb der Schweiz an Emissionsstandorten herausgegeben, die keine Quellensteuerbelastung der Zinserträge kennen. Das Zusammenfügen der Obligationen- und Optionskomponente zum strukturierten Produkt findet dann in der Regel in der Schweiz statt. Wenn nun die Verrechnungssteuer auf den Zinserträgen aus schweizerischen Obligationen nicht mehr erhoben wird, werden sich Emittenten von strukturierten Produkten überlegen, ob nicht auch die Obligationenkomponente eines solchen Produktes aus der Schweiz heraus vorgenommen werden könnte. Dies würde der erhofften Stärkung des Emissionsstandortes Schweiz zugutekommen.</p>
<h3>3.3 Behandlung der Ersatzzahlung bei Securities Lending/Borrowing-Geschäften</h3>
<p>Bei SLB-Transaktionen überträgt ein Leihgeber («Lender») einer Borgerin («Borrower») das zivilrechtliche Eigentum an einem Beteiligungsrecht, wobei das Recht zur Nutzung grundsätzlich beim Lender verbleibt. Die Titel können von der Borgerin behalten (sog. «long borrowing»), an einen Dritten weiterveräussert oder in Erfüllung einer vorgängigen Lieferverpflichtung geliefert werden (sog. Weiterveräusserung). Auch eine Aneinanderreihung mehrerer SLB-Transaktionen ist möglich (sog. Reihengeschäfte), wobei die Borgerin des ersten Geschäfts zur Lenderin des zweiten Geschäfts wird usw.<sup><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a></sup></p>
<p>Die während einer solchen Transaktion bei der Borgerin anfallenden Erträge aus den Wertschriften (sog. Originalzahlung) sind meist aufgrund vertraglicher Vereinbarung dem Lender zu vergüten (sog. Ersatzzahlung oder «manufactured dividend/interest payment»).<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a></p>
<p>Gemäss Wortlaut der Botschaft hat die Borgerin Anspruch auf Rückerstattung der auf der Originalzahlung erhobenen Verrechnungssteuer, während der Lender Anspruch auf Rückerstattung der auf der Ersatzzahlung erhobenen Verrechnungssteuer hat.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a></p>
<p>In Konstellationen, in welchen die Borgerin (Wohn-)Sitz im Inland hat, steht diese Aussage im Einklang mit dem <a href="file:///C:/Users/andreameyer/Downloads/1-013-DVS-2018-d%20(1).pdf">Kreisschreiben Nr. 13 vom 1. Januar 2018 («Kreisschreiben Nr. 13»)</a>. Interessanterweise steht die Aussage jedoch dann, wenn die Borgerin (Wohn-)Sitz im Ausland hat im Gegensatz zu den (oder ist zumindest nicht gleich konzise ausgeführt wie die) Regelungen, die im <a href="file:///C:/Users/andreameyer/Downloads/1-013-DVS-2018-d%20(1).pdf">Kreisschreiben Nr. 13</a> festgehalten sind. Bei SLB-Transaktionen mit einer ausländischen Borgerin hat diese nämlich grundsätzlich keinen Anspruch auf Rückerstattung der auf der Originalzahlung erhobenen Verrechnungssteuer. Vielmehr haben entweder der ursprüngliche Lender (long borrowing, Reihengeschäft mit long borrowing) oder diejenige Person, welche die Titel übertragen erhalten hat (Weiterveräusserung, Reihengeschäft mit Weiterveräusserung), Anspruch auf Rückerstattung.<sup><a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a></sup></p>
<p>Bislang sehen weder das Gesetz noch die Verordnung die Erhebung der Verrechnungssteuer auf Ersatzzahlungen vor, zumal solche Zahlungen lediglich vertraglicher Natur und eben keine Dividenden sind. Durch die doppelte Erhebung der Verrechnungssteuer bei SLB-Transaktionen im Inlandverhältnis wird jedoch wirksam verhindert, dass mehr Verrechnungssteuer zurückerstattet wird als eingenommen wurde.<sup><a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a></sup></p>
<p>Während die gesetzliche Verankerung der Unterstellung von Ersatzzahlungen, welche von einer Schweizer Partei getätigt werden, unter die Verrechnungssteuer grundsätzlich begrüssenswert ist, da somit der Mangel der gesetzlichen Grundlage endgültig geheilt würde, greifen die geplanten Regelungen dennoch zu kurz. Die Ausführungen des Bundesrates in der Botschaft zum Thema SLB-Transaktionen können sogar missverständlich sein. Die Fragen rund um die Rückerstattung der auf SLB-Geschäften erhobenen Verrechnungssteuern werden wohl auch künftig lediglich in einer Praxisanweisung geregelt bleiben. Gerade im Hinblick auf die Rückerstattungsberechtigungen bei SLB-Geschäften mit ausländischen Borgerinnen wäre es mithin wünschenswert, auch diese Rückerstattungsfragen auf dem gesetzlichen oder zumindest dem verordnungsrechtlichen Weg zu verankern.</p><h3>3.4 Behandlung der indirekten Zinsanlagen</h3>
<p>Wie vorgängig angedeutet, sollen sowohl die direkte Anlage in ein Zinspapier, wie auch die indirekte Anlage via eine kollektive Kapitalanlage grundsätzlich gleichbehandelt werden.</p>
<p>Unter dem geltenden System unterliegen die von einer kollektiven Kapitalanlage vereinnahmten (Schweizer) Zinserträge der Verrechnungssteuer, wobei die inländische kollektive Kapitalanlage ihrerseits Anspruch auf die Rückerstattung derselben hat. Die Gutschrift der inländischen kollektiven Kapitalanlage an ihre Anleger unterliegt wiederum der Verrechnungssteuer. Die Anleger der inländischen kollektiven Kapitalanlage haben zur Geltendmachung ihrer Rückerstattungsansprüche ein Rückerstattungsverfahren zu durchlaufen, welches gerade bei ausländischen Anlegern regelmässig an praktischen und administrativen Problemen scheitert.<sup><a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">30</a></sup></p>
<p>Vereinnahmt eine ausländische kollektive Kapitalanlage Schweizer Zinserträge, welche verrechnungssteuerbelastet sind, so kann sie die Steuer i.d.R. nicht zurückfordern.<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup> Gleichzeitig unterliegen die Gutschriften ausländischer kollektiver Kapitalanlagen an ihre Anleger nicht der Schweizer Verrechnungssteuer.<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32"><sup>32</sup></a></p>
<p>Unter dem künftigen System könnten inländische kollektive Kapitalanlagen Schweizer Zinserträge zwar ohne Verrechnungssteuerabzug vereinnahmen, die Gutschriften an ihre Anleger unterlägen jedoch weiterhin der Steuer.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33"><sup>33</sup></a><sup><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a></sup></p>
<p>Ausländische kollektive Kapitalanlagen könnten unter dem zukünftigen System Schweizer Zinserträge ebenfalls ohne Verrechnungssteuerabzug vereinnahmen, die Gutschriften an ihre Anleger wären weiterhin verrechnungssteuerlich nicht relevant.<sup><a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a></sup></p>
<p>Zur Korrektur dieser Ungleichheit zwischen inländischen und ausländischen kollektiven Kapitalanlagen sowie ihren jeweiligen Anlegern wurde im Vernehmlassungsprozess die Einführung eines Couponsystems, wie es heute bereits für von inländischen kollektiven Kapitalanlagen ausgeschütteten Kapitalgewinnen gilt, verlangt. In einem solchen System würde die inländische kollektive Kapitalanlage die Zinserträge mittels separatem Coupon und somit verrechnungssteuerfrei ausschütten. Gemäss Botschaft verzichtet der Bundesrat aufgrund der Umsetzungskomplexität auf eine den Kapitalgewinnen analoge Regelung und Befreiung.<sup><a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a></sup></p>
<p>Dies ist im Hinblick auf den Fondsstandort Schweiz bedauerlich, zumal die Coupon-Lösung bereits bei Kapitalgewinnen angewendet wird und die entsprechenden Verfahren mit verhältnismässigem Aufwand für den Zinsbereich repliziert werden könnten. </p>
<h3>3.5 Auswirkungen auf die Begriffe der Obligation, Unterbeteiligung und Konsortialdarlehen</h3>
<p>Der Begriff der Anleihensobligation im Verrechnungssteuer- und Stempelrecht geht weiter als dessen Definition im Wertpapierrecht. Das <a href="file:///C:/Users/andreameyer/Downloads/1-047-V-2019-d.pdf">Kreisschreiben Nr. 47 der ESTV</a><a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37"><sup>37</sup></a> definiert Anleihensobligationen als schriftliche, auf feste Beträge lautende Schuldanerkennungen, die zwecks kollektiver Beschaffung von Fremdkapital, kollektiver Anlagegewährung oder Konsolidierung von Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren ausgegeben werden. Gibt eine schweizerische Schuldnerin an mehr als zehn Gläubiger solche Schuldanerkennungen zu identischen Bedingungen (oder an mehr als 20 Gläubiger zu gleichen Bedingungen<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a>) aus und beträgt die Gesamtschuld mindestens CHF 500'000, so liegt aus Verrechnungsteuer- und Stempelrecht-Sicht eine schweizerische Obligation vor. Aber auch ein individuelles Schuldverhältnis kann zu einer inländischen Obligation umqualifiziert werden, wenn das Einzeldarlehen in Form von Notes oder Schuldscheinen durch die Darlehensgeberin (i.d.R. eine Bank) an weitere Gläubiger platziert wird und die o.a. Richtzahlen überschritten werden. Sinngemäss dasselbe gilt bei der Begründung von Konsortialdarlehen und bei der Abtretung von Unterbeteiligungen an einem Kreditgeschäft.<sup><a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39">39</a></sup></p>
<p>Diese Regelungen haben dazu geführt, dass in Kreditverträgen mit inländischen Schuldnerinnen regelmässig elaborierte Vertragsklauseln zu finden sind, die eine Weitergabe von Kredittranchen an weitere Gläubiger stark einschränken. Abtretungen und die Weitergabe von einzelnen Kredittranchen sind i.d.R. entweder ausgeschlossen oder bedürfen der vorherigen Zustimmung der Schuldnerin. Diese in der Praxis auch als «10/20 Non-Bank Lender Rule» bekannten Klauseln sollen verhindern, dass das Darlehensgeschäft versehentlich zu einer schweizerischen Obligation mutiert, die Verrechnungssteuern auf den Zinsen und eine Umsatzabgabepflicht bei einer Weitergabe nach sich zöge.</p>
<p>Das komplexe Regelwerk wurde entwickelt, um eine Umgehung der Verrechnungssteuer- und der Umsatzabgabepflicht zu verhindern, indem Kreditverhältnisse konstruiert werden, die wirtschaftlich der Ausgabe einer Obligation entsprechen, ohne unter die Definition einer Obligation zu fallen.</p>
<p>Sollte das Parlament die vorgesehenen Änderungen beschliessen, würden die oben beschriebenen Regelungen obsolet werden, da solche Zinsen nicht mehr der Verrechnungssteuer unterlägen und die Umsatzabgabe auf den Obligationen oder auf den gewillkürten Obligationen nicht mehr erhoben würde. Damit würde auch die Vergabe von Grossdarlehen und Konsortialdarlehen administrativ unkomplizierter und einfacher, weil sich mehr Kreditgeber als Unterbeteiligte an einem Kreditengagement beteiligen könnten.</p>
<h3>3.6 Auswirkungen auf die Konzernfinanzierung</h3>
<p>Gemäss geltendem Recht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/1585_1641_1624/de#art_14_a">Art. 14a VStV</a>) qualifizieren Guthaben zwischen Konzerngesellschaften grundsätzlich weder als Obligationen noch als Kundenguthaben i.S.d. Verrechnungssteuergesetzes. In Abweichung von dieser Regel gelten solche Konzernguthaben dann als inländische Obligation, wenn eine inländische Konzerngesellschaft eine Obligation einer ausländischen Konzerngesellschaft garantiert und wenn die von der ausländischen an die inländische Konzerngesellschaft weitergeleiteten Mittel per Bilanzstichtag das Eigenkapital der ausländischen Konzerngesellschaft übersteigen. Diese Regelung findet ihren Ursprung in der Annahme eines Steuerumgehungstatbestandes, wenn eine Fremdmittelaufnahme im Ausland mit Garantie durch eine inländische Konzerngesellschaft und, im Anschluss, eine Mittelrückführung in die Schweiz stattfinden.</p>
<p>Präzisiert wurde diese <a href="https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjxgsSk18HwAhXO0aQKHY87C78QFjAAegQIBBAD&url=https%3A%2F%2Fwww.estv.admin.ch%2Fdam%2Festv%2Fde%2Fdokumente%2Fallgemein%2FDokumentation%2Fmitteilungen%2FMitteilung-010-DVS-2019.pdf.download.pdf%2FMitteilung-010-DVS-2019-d.pdf&usg=AOvVaw2v9FZFm61xkUGxkAsll_D3">Regelung Anfang 2019 mit einer Praxismitteilung der ESTV</a>. Demnach bestehen derzeit zwei Möglichkeiten, bei inländisch garantierten Auslandsanleihen Mittel in die Schweiz zurückzuführen, ohne dass die ausländische Emission einer Obligation der inländischen Garantin zugerechnet wird.<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40"><sup>40</sup></a></p>
<p>Wird die sog. Eigenkapitalvariante angewandt, so gelten Konzernguthaben (inländisch garantierte Auslandsemissionen), unabhängig von Laufzeit, Währung und Zinssatz, insoweit nicht als inländische Obligationen, als der Mittelrückfluss an inländische Konzerngesellschaften die kumulierten Eigenkapitale sämtlicher ausländischer Konzerngesellschaften nicht übersteigt. Bei Beteiligungsquoten unter 100% werden die Eigenkapitale im Rahmen der jeweiligen Beteiligungsquote berücksichtigt.<sup><a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41">41</a></sup></p>
<p>Wird die sog. Verrechnungsvariante angewandt, so liegt insoweit kein schädlicher Mittelrückfluss vor, als die in die Schweiz weitergeleiteten Mittel die Summe der durch inländische an ausländische Konzerngesellschaften gewährten Darlehen nicht übersteigt.<a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42"><sup>42</sup></a></p>
<p>Auch eine Kombination der beiden vorgängig dargelegten Varianten ist möglich. In jedem Fall ist im Rahmen eines Steuervorabbescheids mit der ESTV festzulegen, welche Variante angewandt wird. Das einmal gewählte Vorgehen ist beizubehalten.<sup><a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43">43</a></sup></p>
<p>Mit der weitgehenden Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen wäre die verrechnungssteuerliche Qualifikation solcher Guthaben im Konzern nicht mehr relevant. Somit würden auch die komplexen Berechnungen der rückführbaren Erträge gemäss Praxismitteilung obsolet; Mittelrückflüsse in die Schweiz wären mithin nicht mehr schädlich.</p>
<p>Idealerweise führen die geplanten Änderungen zu einer Wiederbelebung von Konzernfinanzierungsaktivitäten in der Schweiz, also zur vermehrten (Direkt-)Ausgabe inländischer Obligationen. Abzuwarten bleibt, ob das Emissionsgeschäft tatsächlich in die Schweiz zurückfindet oder ob die bekannten ausländischen Emissionsstandorte wie London, Frankfurt oder Paris weiterhin prädominant genutzt werden. Ebenfalls unklar ist, ob die betroffenen Konzerne ihre bestehenden ausländischen Emissionsstrukturen herunterfahren oder umstrukturieren werden (wollen).</p>
<h2>4. Schlussfolgerungen/Ausblick</h2>
<p>Die präsentierte Reformvorlage ist grundsätzlich zu begrüssen, da die weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen sowie die Abschaffung der Umsatzabgabe auf Schweizer Obligationen zweifellos positive Anreize für die Schweizer Fremdkapital- und Konzernfinanzierungsmärkte setzen wird.</p>
<p>Mit einem technisch einfachen Steuersystem wurde nun auch der Forderung nach einer verhältnismässigen Komplexität in der Umsetzung Rechnung getragen. Nicht endgültig geklärt sind Fragen nach der Statusbestimmung sowie der Bestimmung von Statusänderungen der Kunden im Zusammenhang mit der Verrechnungssteuer auf Zinsen auf Kundenguthaben, die von inländischen natürlichen Personen bei Schweizer Banken, Sparkassen und Versicherungsunternehmen gehalten werden. Hierbei wird auf dem Wege der Verordnungs- oder Praxisanweisungen insbesondere festzuhalten sein, ob in Fällen fälschlicherweise erhobener Verrechnungssteuern bei Statusänderungen eine Korrektur auf dem DBA-Rückerstattungsweg möglich sein wird. Fraglich bleibt, wie weitreichend diese Problematik im heutigen Null- oder sogar Negativzinsumfeld sein wird.</p>
<p>Während die gesetzliche Verankerung der verrechnungssteuerlichen Relevanz von Ersatzzahlungen im Rahmen von SLB-Transaktionen zu begrüssen ist, scheint mit der jetzigen Reformvorlage eine Chance verlorenzugehen, die geltenden Praxisanweisungen zur Rückerstattung der auf solchen Transaktionen erhobenen Verrechnungssteuern, insbesondere bei Transaktionen mit ausländischen Borgerinnen, ebenfalls gesetzlich zu verankern.</p>
<p>Die angedachte Gleichbehandlung der direkten und indirekten Zinsanlagen ist grundsätzlich ebenfalls zu begrüssen. Prüfenswert ist die Einführung eines Systems für die verrechnungsfreie Ausschüttung der Zinserträge mittels separatem Coupon. Die auch künftig bestehende Ungleichheit zwischen inländischen und ausländischen kollektiven Kapitalanlagen sowie ihren jeweiligen Anlegern dürfte dem Fondsstandort Schweiz in der Tendenz eher schaden.</p>
<p>Begrüssenswert sind letztlich auch die Auswirkungen der angedachten Regelungen auf die Konzernfinanzierungsaktivitäten, insbesondere die «Unschädlichmachung» von Mittelrückflüssen in die Schweiz. Gleiches gilt für die möglichen Vereinfachungen im Bereich der Konsortialdarlehen und im Bereich der Weitergabe von Unterbeteiligungen. Während die Hoffnung auf eine Wiederbelebung von Konzernfinanzierungsaktivitäten in der Schweiz gross ist, bleibt abzuwarten, ob ganze Emissionsabteilungen der Finanzhäuser ihren Weg in die Schweiz zurückfinden und ob Konzerne gewillt sein werden, ihre gewohnten Finanzierungsstrukturen im Ausland herunterzufahren oder umzustrukturieren.</p></article>
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