Christian R. Ulbrich
Katharina Otto
Tax Knowledge Management meets Digital Revolution
Die «digitale Revolution» macht – das dürfte niemanden wundern – auch vor oder vielleicht gerade vor dem Knowledge Management keinen Halt. Aber was bedeutet «Knowledge Management 4.0», «Digital Knowledge Management» oder «Knowledge Management in Zeiten der Digitalisierung» genau? Grosse Veränderungen gehen immer mit Unsicherheit und einem gewissen Risiko einher. In dem nachfolgenden Artikel wird der Schleier etwas gelüftet.
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Die «digitale Revolution» macht – das dürfte niemanden wundern – auch vor oder vielleicht gerade vor dem Knowledge Management keinen Halt. Aber was bedeutet «Knowledge Management 4.0», «Digital Knowledge Management» oder «Knowledge Management in Zeiten der Digitalisierung» genau? Grosse Veränderungen gehen immer mit Unsicherheit und einem gewissen Risiko einher. In dem nachfolgenden Artikel wird der Schleier etwas gelüftet.
Unser Beitrag ist dreigeteilt. Zunächst werden wir eine Einführung in das klassische Knowledge Management geben. Im Anschluss werden wir den Einfluss von Knowledge Management sowie die geänderten Rahmenbedingungen im Steuerbereich erläutern. Abschliessend stellen wir relevante neue Technologien vor und wagen einen Ausblick auf die neue, digitale Knowledge-Management-Welt für Unternehmenssteuerabteilungen.
Die Bedeutung des steuerspezifischen Knowledge Managements darf nicht unterschätzt werden. So haben beispielsweise steuerliche und steuerrechtliche Sachverhalte und die damit einhergehenden Folgen auch ganz konkrete Auswirkungen auf die operativen Geschäftszweige eines Unternehmens.
Die digitale Transformation in allen Bereichen verursacht neue Regulierungen, Gesetze und eine zunehmende Datenfülle, welche die Unternehmenssteuerabteilungen vor die Herausforderung stellt, gleichzeitig den steigenden Arbeitsaufwand zu bewältigen, die neuartigen Risiken zu minimieren und den Überblick in dem Regulierungsdickicht zu behalten. Zudem sind diese Faktoren einem permanenten und raschen Wandel unterzogen. Es kann herausfordernd sein, die Handlungsfähigkeit der Steuerabteilungen in diesem volatilen und komplexen Umfeld sicherzustellen. Dazu gehört auch ein steigender Trend zu Homeoffice, «Remote Work» und flexiblen Arbeitszeitmodellen.
Wie lassen sich die neuartigen, digitalen Technologien nun für das digitale Knowledge Management fruchtbar machen? Wir unterscheiden drei Kategorien, «Fruchtbarmachen internen Wissens», «Aufbereitung externen Wissens» und «Bereitstellen von Daten/Unterstützung bei der Entscheidungsfindung». Jede dieser Kategorien hat ein eigenes technologische Anforderungsprofil und spezifische Zielsetzungen. Es wird eine Herausforderung sein, in allen Bereichen die erforderliche Effizienz und das notwendige, aufgabenspezifische Know-how sicherzustellen, um die anstehenden Veränderungen zu verstehen und gut zu managen.
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1. Digitale Technologien verändern das Knowledge Management für die Unternehmenssteuerabteilung der Zukunft
Die «digitale Revolution» macht – das dürfte niemanden wundern – auch vor oder vielleicht gerade vor dem Knowledge Management keinen Halt. Aber was bedeutet steuerspezifisches «Knowledge Management 4.0», «Digital Knowledge Management» oder «Knowledge Management in Zeiten der Digitalisierung» genau? Grosse Veränderungen gehen immer mit Unsicherheit und einem gewissen Risiko einher. In dem nachfolgenden Artikel lüften wir den Schleier etwas. Unser Beitrag ist dreigeteilt. Zunächst werden wir eine Einführung in das klassische Knowledge Management geben. Im Anschluss werden wir den Einfluss des Knowledge Managements sowie die geänderten Rahmenbedingungen im Steuerbereich erläutern. Abschliessend stellen wir relevante neue Technologien vor und wagen einen Ausblick auf die neue, digitale Knowledge-Management-Welt für Unternehmenssteuerabteilungen.
2. Eine kurze Einführung in das (steuerspezifische) Knowledge Management
Knowledge Management (KM) findet sich in unterschiedlichen Fachdisziplinen wie zum Beispiel Wirtschaftswissenschaften, Informationstechnologie, Managementlehre, IT und Kommunikationswissenschaften wieder. Zudem gibt es Knowledge Manager (Wissensmanager), oder «Champions», die sich um die Wissensprozesse des Unternehmens oder gewisser Abteilungen kümmern, in fast allen Industrien. Aus unserer Sicht dient Knowledge Management der Bereitstellung von relevantem Wissen sowie der Verbesserung von Arbeitsabläufen und Prozessen innerhalb eines Unternehmens. Dadurch werden Innovationen ermöglicht, Wissensdefizite oder kritisches Wissen01 aufgedeckt und eine Steigerung der Produktivität herbeigeführt. Knowledge Management hilft, Prozesse zu definieren, damit Unternehmensziele nachhaltig, effizient und kostengünstig erreicht werden. Es stellt zudem eine Basis für die Entscheidungsfindungen der Führungsetage dar. Darüber hinaus bietet es einen Rahmen, neue Information und Erfahrung zu bewerten und zu inkorporieren.02 Dabei wird sichergestellt, dass vorhandenes Wissen konserviert wird und auch im Falle von Pensionierungen oder Abwanderung/Fluktuation von Mitarbeitenden dem Unternehmen nach wie vor zur Verfügung steht.
Nonaka und Takeuchi erläutern, wie die Schaffung von organisatorischem Wissen als spiralförmiger Prozess betrachtet werden kann.03 Dieser Prozess beginnt auf der Ebene des Individuums und bewegt sich durch sich ausdehnende Interaktionsgemeinschaften fort und so nach und nach die Querschnitts-, Abteilungs- und Organisationsgrenzen überschreitet.04 Das heisst, dass kontextuelles Wissen zunächst durch zwischenmenschlichen Austausch und persönliche Auslegungsprozesse geschaffen wird und sich dann innerhalb des Unternehmens ausdehnt.
Vielfach wird Knowledge Management an einer perfekten Datenbank oder am Intranet gemessen. Es ist aber viel mehr als das. Ein gutes Knowledge-Management-System sollte darauf abzielen, ein Umfeld zu generieren, in dem die Angestellten aufgabenrelevantes Wissen, das im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit steht, leicht speichern, finden und anwenden können. Des Weiteren stellt es sicher, dass ein Austausch auf allen Ebenen gegeben ist. Das heisst: langjährige Mitarbeitende können ihr angeeignetes Wissen mit neuen Mitarbeitenden teilen. Die hierfür erforderlichen Plattformen stehen zur Verfügung. Ferner bedeutet gutes Knowledge Management, dass abteilungsübergreifend Überschneidungen entdeckt und kommuniziert werden. Ausserdem können fachspezifische Fälle mit Lösungsansätzen für alle Beteiligten zur Verfügung gestellt und dadurch Fehler vermieden werden.
Die Vorteile für Unternehmen liegen somit auf der Hand. Neue Mitarbeitende sind schneller einsetzbar und weisen eine geringere Fehlerquote auf. Aufgaben, Ideen und Leistungen können schneller erledigt beziehungsweise umgesetzt werden. Mitunter schwierige Sachverhalte können durch «Lessons Learned» einfacher und effizient gelöst werden. Das Ergebnis sind niedrigere Kosten und ein höherer Investitionsspielraum für das Unternehmen.
Gemäss Haddow und Greenfield sind «Steuerkenntnisse für jede Steuerpraxis, egal wie gross oder klein, von entscheidender Bedeutung. KM ist eine anerkannte Wissenschaft, aber im Wesentlichen geht es bei der Verwaltung von Steuerwissen darum, es zu erkennen, zu sammeln und zu organisieren …»05.
So haben beispielsweise steuerliche und steuerrechtliche Sachverhalte und die damit einhergehenden Folgen ganz konkrete Auswirkungen auf ein Unternehmen. Bei Gesetzesänderungen ergeben sich unter anderem folgende Fragestellungen:
- Wie komplex ist die neue Gesetzgebung?
- Welche Auswirkungen bestehen für das Unternehmen?
- Wie müssen Änderungen der Gesetzgebung und des Verwaltungsverfahrens interpretiert werden?
- Besteht Ungewissheit über die anfallenden Aufgaben und herbeizuführenden Änderungen?
- Wie hoch wird der Aufwand sein, um im Einklang mit dem neuen Gesetz zu stehen?
Erst, wenn man die gewonnenen Erkenntnisse mit Hilfe von steuerlichem Fachwissen und fallbedingt in einen Kontext stellt, erhält man handlungsrelevantes Wissen.
3. Die digitale Transformation ändert die Rahmenbedingungen
3.1 Die Digitalisierung der Steuerbehörden
Die «Digitalisierung» verändert das gesamte steuerliche Umfeld und damit auch die Rahmenbedingungen, unter denen KM operiert. Um die im ersten Abschnitt beschriebenen Ziele zu erreichen, muss sich auch das KM weiterentwickeln. Bevor wir jedoch näher darauf eingehen, werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die geänderten Rahmenbedingungen.
Spätestens seit den 2010er-Jahren hat die digitale Transformation auch die Steuerbranche erfasst. Die Weltfinanzkrise 2007/2008 und die darauffolgende «grosse Rezession» konfrontierten viele Staaten mit sinkenden Steuereinnahmen. Um den entstehenden Steuerausfall zu kompensieren, sollten Steuervergehen erfolgreicher bekämpft und das «Steuerloch» geschlossen werden. In diesem Zuge entdeckten viele Steuerbehörden digitale Technologien für sich. Diese versprachen bessere, effizientere und umfassendere Kontrollmechanismen. Viele Unternehmen und Privatpersonen hatten inzwischen grosse Teile ihrer wirtschaftsrelevanten Aktivitäten digitalisiert (Kommunikation, Buchhaltung, Banking, Vertragsabschlüsse etc.). Mit Hilfe digitaler Technologien können die Steuerbehörden nun die dabei anfallenden Datenmengen effektiv analysieren und wesentlich mehr Informationen generieren, als dies jemals in der analogen Welt möglich gewesen ist. Die Steuerbehörden werden zudem immer unabhängiger von den übermittelten Informationen des Steuerzahlers. Die Auswertung von Daten Dritter, zum Beispiel öffentlich zugängliche Quellen wie Patent- und Markendatenbanken, berufsbezogene Plattformen in den sozialen Medien oder auch Intermediäre (siehe etwa DAC 6), ermöglichen es den Steuerbehörden, sich selbst einen Überblick über die Aktivitäten des Steuerzahlers zu verschaffen. Risikoanalysen und das Erkennen von Unregelmässigkeiten übernehmen sogenannte Advanced-Analytics-Algorithmen in neuer Tiefe. Der Untersuchungsgegenstand erweitert sich von Stichproben zu vollständigen Datensammlungen. Damit wird eine neue Ära der Transparenz in der Beziehung zwischen Steuerpflichtigen und Staat eingeläutet.06
Gleichzeitig verfolgen die Steuerbehörden in den verschiedenen Nationalstaaten bei der Digitalisierung keinen einheitlichen Ansatz, nicht einmal innerhalb der EU. Derzeit definiert jede Steuerbehörde ihren eigenen digitalen «Standard», beispielsweise bei der Ausgestaltung des Datenformats für die Übermittlung von Informationen. Jede Steuerbehörde setzt andere Schwerpunkte und auf andere Technologien bei der Digitalisierung. Für Unternehmen entstehen dadurch in den einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Risikoszenarien, die aber zentral gemanagt werden sollten. Zudem führt das Bestreben einiger Länder, die neuartigen Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft zu besteuern, zu einer immer komplexeren Gesetzeslandschaft. Diese Landschaft zu überschauen wird immer schwieriger und zeitaufwendiger.
3.2 Neue Herausforderungen für die Steuerabteilungen von Unternehmen
Diese Entwicklung stellt die Unternehmenssteuerabteilungen vor die Herausforderung, gleichzeitig den steigenden Arbeitsaufwand zu bewältigen, die neuartigen Risiken zu minimieren und den Überblick in dem Regulierungsdickicht zu behalten. Zudem sind diese Faktoren einem permanenten und raschen Wandel unterzogen. Es kann herausfordernd sein, die Handlungsfähigkeit der Steuerabteilungen in diesem volatilen, unsicheren und komplexen Umfeld sicherzustellen. Dazu gehört auch ein steigender Trend zu Homeoffice, «Remote Work» und flexiblen Arbeitszeitmodellen. Steuerspezifisches Knowledge Management ist hierbei ein zentraler Faktor. Sowohl das Vorhandensein und die schnelle, unkomplizierte Verfügbarkeit von Spezialwissen im Unternehmen als auch die zentrale Auswertung und Analyse von im Unternehmen anfallenden Informationen werden künftig von grosser Bedeutung sein. Hierbei geht es nicht nur darum, steuerspezifisches Fachwissen zu filtern, sondern um jegliche Art von Wissen, das Einfluss auf die steuerrechtlichen Sachverhalte des Unternehmens haben kann. Nur so kann die erforderliche Effizienz und das notwendige, aufgabenspezifische Know-how sichergestellt werden, um die anstehenden Veränderungen zu verstehen und gut zu managen.
Was bedeutet das konkret? Im letzten Teil unseres Beitrags versuchen wir aufzuzeigen, wie spezifische Technologien das Knowledge Management auf die nächste Stufe heben können, um die anstehenden Aufgaben zu meistern.
4. Digitales Knowledge Management für digitale Steuerabteilungen
4.1 Digitale Technologien
Was gemeinhin mit dem Sammelbegriff «digitale Revolution» beschrieben wird, stellt sich bei näherer Betrachtung als eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher «Technologien» dar. Der Bereich «Small Scale Automation» (oder: «Simple Automation») etwa umfasst vor allem Extract, Transform, Load-Tools (ETL) und Robotic Process Automation (RPA). Deren hauptsächliche Aufgabe ist es, einfache, standardisierte und regelbasierte Tasks schneller, kontinuierlicher und fehlerfreier zu erfüllen.07 Der Bereich der «Intelligent Automation» umfasst Technologien wie zum Beispiel Machine Learning (ML), Optical Character Recognition (OCR) and Natural Language Processing (NLP). In diesem Bereich geht es vornehmlich um das Auswerten grosser Datenmengen, mit dem Ziel, Regeln (Muster) oder Fehler (Anomalien) zu entdecken, vergangenheitsbasierte Vorhersagen zu treffen08, sowie menschliche Sprache (Unstructured Data) zu erkennen und zu verarbeiten09. Ein weiterer grosser Bereich stellt die optische Darstellung grosser Datenmengen und Prozesse dar. Neue Tools für Visualisierungen erlauben es, Daten effizient und zeitsparend aufzubereiten. Dadurch können diese von Menschen einfacher erfasst werden und vermitteln auf diese Weise neue Einsichten.
Wie lassen sich diese Technologien nun für das digitale Knowledge Management fruchtbar machen? Im Folgenden unterscheiden wir folgende drei Kategorien:
- Fruchtbarmachen internen Wissens
- Aufbereitung externen Wissens
- Bereitstellen von Daten/Unterstützung bei der Entscheidungsfindung
4.2 Fruchtbarmachen internen Wissens
In den letzten Jahren haben die innerhalb von Steuerabteilungen anfallenden digitalen Datenmengen aus vielerlei Gründen drastisch zugenommen. In Kombination mit den aufgezeigten modernen Technologien lassen sich nun ganz traditionelle Aufgaben des Knowledge Managements unterstützen und deutlich verbessern. Steuerliche Entscheidungen und Fachprozesse können mit Daten und Informationen automatisiert angereichert und auf diese Weise der Output optimiert werden.
Zunächst müssen dafür aber die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Zwei zentrale Faktoren sind hierbei die Standardisierung von Prozessen und die Schaffung einer einheitlichen Datengrundlage, also «sauberes» Datenmanagement. Nur wenn dieses «Fundament» vorhanden ist, können die wirklich fortschrittlichen Technologien ihre Wirkung entfalten. Das Ziel ist die Überführung von Wissen und Prozessen in den Bereich strukturierter Daten.
Standardisierung umfasst sowohl den Bereich von Fachprozessen als auch den Bereich der Wissenserfassung. So sind zum Beispiel gleichartig abgehandelte Sachverhalte und Fälle zu eruieren und konforme Schritte zur Abarbeitung zu etablieren. In der Folge kann das Knowledge Management etwa «Entwürfe» oder «vorausgefüllte Formulare» erarbeiten, bereitstellen und zentral verwalten, um diese Schritte zu beschleunigen. Ebenso muss verfügbares Wissen auf einheitliche Weise systematisch erfasst werden. Denkbar wären beispielsweise interaktive Chatbots, die Mitarbeitende regelmässig Fragen zu bestimmten Sachverhalten stellen und die Antworten in einem bestimmten Format automatisiert verarbeiten. Chatbots wären für die Mitarbeitenden, wenn entsprechend konzipiert,10 auch unterhaltsamer und motivierender als etwa die Erfassung über traditionelle Fragebögen oder Wikis.
Ebenso zentral wie die Standardisierung ist die Speicherung und Organisation von Information (Data Management). Neu erhobene Daten und bereits vorhandenes Wissen in diversen Datenbanken, Shared Spaces oder Intranets müssen zusammengeführt und im Format vereinheitlicht werden. Aus der Praxis wissen wir, dass dies eine immense, nicht zu unterschätzende Aufgabe ist.
In beiden Bereichen können Robotic Process Automation und ETA-Tools helfen, die Daten entsprechend aufzubereiten und zu bereinigen. Wiederkehrende Abläufe können mit ihrer Hilfe einfach und zeitnah automatisiert werden. Optical Character Recognition Tools können helfen, etwaige noch vorhandene analoge Informationen in die digitale Sphäre zu übersetzen.
Sollte diese Grundlage geschaffen sein, können Algorithmen das Bereitstellen von relevanten Informationen übernehmen und so ein ganz neues Arbeitserlebnis für die Mitarbeitenden schaffen. Machine-Learning-Algorithmen sind zum Beispiel in der Lage, aus den vorhandenen Daten «Regeln» zu destillieren und darin enthaltende Informationen zu kategorisieren und zuzuordnen. Auf diese Weise können die Algorithmen «lernen» aufgabenspezifische Informationen zu identifizieren und an den richtigen «Subject Matter Expert» zu übermitteln. Mühsame Recherchen in zahlreichen unterschiedlichen Informationsquellen gehören damit der Vergangenheit an.
Mit Hilfe des grosse Fortschritte machenden Natural Language Processings liessen sich auch unstrukturierte Datenquellen mit bedeutendem Wissen automatisiert auswerten und verarbeiten. Hierzu gehören bspw. die häufig in Unternehmen zirkulierenden internen Rundmails, Newsletter, Ticker oder anderweitige Informationsmails.
Aus rein technologischer Sicht und aus der singulären Perspektive des Knowledge Managements wäre es theoretisch möglich, relevantes Wissen zum Beispiel direkt aus der Kommunikation oder bestimmten Arbeitstätigkeiten (Präsentationen, Legal Opinions etc.) der Mitarbeitenden zu entnehmen. Ein solches Vorgehen wird aber wegen seiner Nähe zur Überwachung der Mitarbeitenden häufig mit anderen Zielrichtungen wie etwa dem Datenschutz kollidieren und folglich zu Recht kritisch gesehen.
Daher bleibt in diesem Bereich der menschliche Aspekt nicht zu unterschätzen. In der praktischen Umsetzung sind die Motivation und entsprechende Schulungen («Upskilling») der ausschlaggebende Faktor. Nur wenn die Mitarbeitenden im Unternehmen und in den Abteilungen das vielfach vorhandene stillschweigende und kontextbasierte Wissen (Berufserfahrung, Fachwissen, Netzwerke usw.) teilen und dazu auch durch neue, unterhaltsame (Stichwort: «Gamification»), einfach zu handhabende Tools und Plattformen befähigt und motiviert werden, sind digitale Technologien in der Lage, ein neues Arbeitserlebnis zu schaffen. Denn, ganz ehrlich, niemand sucht gerne stundenlang nach in dem Moment dringend gebrauchten Informationen. In diesem Kontext kann es die Aufgabe des Knowledge Managements sein, zu agilem Lernen und dem notwendigen Erwerb neuer Kenntnisse zu ermutigen, indem es beispielsweise digitale Lernmanagementsysteme etabliert oder Anreize zum «Mikrolernen» nah am Arbeitsplatz schafft.11 Zudem spielt hier Veränderungsmanagement (Change Management) eine wichtige Rolle. Dies darf im Rahmen eines guten Knowledge-Management-Programms nicht fehlen.
Während das Fruchtbarmachen internen Wissens durch die menschliche Komponente an Komplexität gewinnt, sind bei der nachfolgenden Kategorie eher technologische Herausforderungen zu bewältigen.
4.3 Aufbereitung externen Wissens
Auf das Format und die Art der Bereitstellung externer Informationen kann ein Unternehmen in der Regel keinen Einfluss nehmen. So bereiten zum Beispiel Gerichte, Steuerbehörden, Parlamente, Fachverlage, externe Dienstleister und Nachrichtenagenturen ihre Informationen auf ganz unterschiedliche, individuelle Weise auf. Manche erlauben die Anbindung über Programmierschnittstellen (API), andere nicht. Derzeit kocht jeder (noch?) sein eigenes Süppchen. Das stellt die automatisierte Erfassung und Zuordnung von Wissen vor ganz besondere Herausforderungen.
Die Zielsetzung für das Knowledge Management in dieser Kategorie ist relativ klar. Wünschenswert sind Tools und Plattformen, deren Algorithmen neu erlassene Gesetze in verschiedenen Ländern tracken und sich daraus ergebende steuerrelevante Veränderungen übersichtlich darstellen. Gleiches gilt für das Auswerten von Gerichtsurteilen und das Ableiten von Konsequenzen daraus. Ebenso erstrebenswert wäre das automatisierte Prüfen von Aufsätzen, Kommentaren und ähnlichen Beiträgen in den zahlreichen Publikationen der einschlägigen Fachverlage sowie das Kategorisieren und aufgabenspezifische Bereitstellen dieser Informationen an den Subject Matter Expert.
Das Verarbeiten dieser Art von unstrukturierten Daten ist vornehmlich das Feld der Computerlinguistik (Natural Language Processing/Understanding). Es geht dabei um die algorithmische Verarbeitung von menschlicher Sprache als spezieller Anwendungsbereich des Machine Learnings. Besonders herausfordernd ist der Einsatz im steuerfachlichen Kontext. Hier liegt die Herausforderung darin, dass der Inhalt des Textes vom Algorithmus verstanden werden muss. Anders als bei der Kategorisierung von E-Mails als «Spam»,12 bei der lediglich bestimmte Muster und Merkmale erfasst werden müssen, ist im Steuerbereich ein vertieftes Verständnis des Inhalts erforderlich, der zudem oft noch sehr komplex ist. Dafür ist eine semantische Analyse der Texte notwendig. Das heisst, Sätzen, Satzteilen, Ausdrücken, Formulierungen müssen bestimmte Bedeutungen zugeordnet werden. Obwohl in diesem Bereich zuletzt insgesamt grosse Fortschritte gemacht werden konnten, bleibt es ein komplexes Unterfangen.
In einem nächsten Schritt lassen sich aus diesen (vergangenheitsbezogenen) Informationen mit Hilfe von «Predictive Analytics» auch Vorhersagen über unsichere, zukünftige Ereignisse treffen. Das gilt zum Beispiel hinsichtlich der Berechnung der Wahrscheinlichkeit des positiven oder negativen Ausgangs von Gerichtsprozessen, Steuerverfahren oder anderen Rechtsstreitigkeiten mit den Steuerbehörden. Ressourcen können so optimal eingeplant und Bemühungen mit wenig Aussicht auf Erfolg vermieden werden.
Angesichts der technologischen Komplexität dieses Themenbereichs wird sich für viele Unternehmen die Frage stellen, ob anstelle der Entwicklung einer eigenen Lösung nicht die Nutzung der Produkte hochspezialisierter externer Dienstleister sinnvoller ist. In den letzten Jahren ist ein agiler Markt entstanden. Reine NLP-Anbieter konkurrieren mit den Cognitive Solutions grosser Player, mit Insight-Plattformen und den Speziallösungen grosser Beratungsunternehmen sowie mit kleineren Anbietern im Steuerbereich.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist – aus dem im vorherigen Abschnitt beschriebenen Grund – das zentrale Prüfen der Digitalisierungsbemühungen der Steuerbehörden. Welche Behörden in welchen Ländern machen welche Fortschritte? Welche Unternehmensdaten sind die Behörden in der Lage zu sammeln? Welche unternehmensunabhängigen Informationsquellen sind zugänglich? Welche Fähigkeiten bei der Analyse grosser Datenmengen sind verfügbar? Wie entscheiden sie, welche Unternehmen stärker zu überwachen oder einem Audit zu unterziehen sind? Auf welche Art und Weise und in welchem Format verlangen sie Informationen vom Unternehmen? Einen zentralen Überblick über die Antworten auf diese Fragen zu haben, wird mit fortschreitender Digitalisierung von zentraler Bedeutung für Unternehmen sein. Nur so können steuerliche Risiken minimiert, zeitnah auf behördliche Vorgaben reagiert und Entscheidungen der Steuerbehörden nachvollzogen resp. wirksam angefochten werden.
4.4 Bereitstellen von Daten / Unterstützung bei der Entscheidungsfindung
Darüber hinaus kann das Knowledge Management aber auch noch einen weiteren, wichtigen Beitrag für das operative Business und die obere Führungsebene leisten. Die im Rahmen des erfolgreichen digitalen Knowledge Managements anfallenden Daten können nämlich für andere Abteilungen bereitgestellt und weiter aufbereitet werden.
Eine häufige Herausforderung für Steuerabteilungen ist es, das Bewusstsein für steuerliche Fragestellungen bei den unternehmensinternen Entscheidungsträgern zu schärfen. Gerade steuerliches Wissen ist für die erfolgreiche Unternehmensplanung unabdingbar. Im Rahmen des Knowledge Managements erfasste Informationen wie beispielsweise der jeweilige Steuersatz oder der anfallende Steueraufwand in verschiedenen Ländern können zu anderen entscheidungsrelevanten Informationen wie etwa der Verkaufsquote ins Verhältnis gesetzt werden. Neue Visualisierungstools liefern dem Management schnell zu erfassende, grafisch aufbereitete Steueranalysen für die Entscheidungsfindung. Auch verschiedene Szenarien lassen sich mit modernen Dashboards einfacher durchspielen. Welche Konsequenzen etwa hätte die Verabschiedung einer konkreten, sich im Planungsverfahren befindenden Steuervorschrift für das Unternehmen oder was wäre die Folge des Erlasses neuer Sanktionen in einem Handelsstreit?
Auch für die operativen Geschäftszweige bieten sich durch das Einbinden steuerlicher Informationen neue Möglichkeiten. Steuerrelevantes Wissen über Freihandelsabkommen könnte zum Beispiel direkt in die Programme zur Koordinierung des Supply Chain Managements einfliessen und auf diese Weise signifikant Kosten senken und die Leistungsfähigkeit verbessern. Ebenso könnte automatisiert erfasstes und verarbeitetes internes und externes Wissen in Warnungen, Hinweise und Handlungsanleitungen in das operative Geschäft einfliessen und dessen Compliance-Aufwand deutlich senken. Vermutlich zur Freude aller Beteiligten.
5. Fazit
In einer digital beschleunigten (Steuer-)Welt, in der die Datenmengen rasant zunehmen, die Regulierung und das Umfeld sich schnell ändern und Technologie signifikant an Einfluss gewinnt, muss das Knowledge Management die digitale Transformation der Unternehmenssteuerabteilung massgebend unterstützen. Nur dann wird sie in der Lage sein, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Das digitale Knowledge Management als automatisiertes Verbindungsglied für Wissen aus vielen verschiedenen Abteilungen stellt hierbei eine eigene strategische Geschäftseinheit dar. All die Informationsströme innerhalb eines Unternehmens zu kanalisieren, zu bewerten und in strukturierter Form (und als strukturierte Daten) zur Verfügung zu stellen, stellt eine grosse Herausforderung für Mensch und Maschine dar. Schafft man dies jedoch mit Hilfe eines modernen digitalen Knowledge-Management-Systems und den entsprechenden Programmen/Tools, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für innovative Ansätze. Grund für Verunsicherung besteht jedenfalls nicht, denn letztendlich bleibt der menschliche Faktor massgeblich.
«An investment in knowledge always pays the best interest.» Benjamin Franklin (1706–1790, one of the Founding Fathers of the United States)
01 APQC, Identifying and Prioritizing Critical Knowledge, 2018, online gefunden am 30. April 2020 unter: https://www.apqc.org/resource-library/resource-listing/identifying-and-prioritizing-critical-knowledge.
02 Thomas H. Davenport und Laurence Prusak, Working Knowledge: How Organizations Manage What They Know, Harvard Business School Press, 1998, S. 5.
03 Ausführlich dazu in Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi, «Die Organisation des Wissens – Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen», Campus Verlag, 2012, S. 72 ff (zit. Nonaka/Takeuchi, Organisation des Wissens).
04 Nonaka/ Takeuchi, Organisation des Wissens, S. 72 ff.
05 Geoff Haddow und Philip Greenfield, Managing tax knowledge, Taxation 4014 v. 30.06.2005, online gefunden am 30. April 2020 unter: https://www.taxation.co.uk/articles/2014-03-13-213701-managing-tax-knowledge. Das Zitat ist von den Verfassern übersetzt worden; im Original lautet es: «Tax knowledge is critical to any tax practice, no matter how large or how small. Knowledge management is now a recognised science but in essence, managing tax knowledge in this context is about recognising it, gathering it and organising it […]».
06 Mehr Informationen zu diesem Thema in Christian R. Ulbrich, Stuart Jones, Christoph Schärer, What happens when the taxman gets superpowers? – A guide to the digital world of tax, 2019, S. 13 ff. und S. 31 ff.
07 Mario Smeets, Ralph Erhard und Thomas Kaussler, Robotic Process Automation (RPA) in der Finanzwirtschaft, Springer, 2019, S. 37 ff.
08 Pedro Domingos, The Master Algorithm, Penguin Random House, 2015, S. 6 ff.
09 Jan W. Amtrup in Kai-Uwe Carstensen, Christian Ebert, Cornelia Ebert, Susanne J. Jekat, Ralf Klabunde und Hagen Langer (Hrsg.), Computerlinguistik und Sprachtechnologie, Spektrum Akademischer Verlag, 2010, S. 2 ff.
10 Heung-Yeung Shum, Xiaodong He und Di Li, From Eliza to XiaoIce: Challenges and Opportunities with Social Chatbots, Frontiers of Information Technology & Electronic Engineering 19, 2018, S. 16.
11 Mehr zu diesem Aspekt in Klaus North und Ronald Maier, Wissen 4.0 – Wissensmanagement im digitalen Wandel, HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 55, 2018, S. 675.
12 Cristina Radulescu, Mihaela Dinsoreanu und Rodica Potolea, Identification of spam comments using natural language processing techniques, 2014 IEEE 10th International Conference on Intelligent Computer Communication and Processing (ICCP), IEEE, 2014.