1. Steuerruling vs Steuerabkommen
Die Rechtsgrundlage der Gültigkeit dieser Steuerrulings bzw. Steuervorbescheide ist freilich viel älter als die StAhiV und ergibt sich aus dem durch Art. 9 BV geschützten Grundsatz von Treu und Glauben. Konsequenterweise kann ein Ruling nur dann Wirkung entfalten, wenn die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes nach Art. 9 BV eingehalten sind. So muss beispielsweise gestützt auf die Auskunft (das Ruling) vom Steuerpflichtigen eine Disposition getroffen worden sein, welche nicht ohne Nachteil wieder rückgängig gemacht werden kann. Deshalb entfalten nachträgliche Rulings in aller Regel keine Rechtswirkung.
Auch ein offensichtlich unrichtiges Ruling vermag keinen Rechtsschutz zu vermitteln. Es handelt sich dabei vielmehr um ein Steuerabkommen, welches mangels Rechtsgrundlage ein ungültiger verwaltungsrechtlicher Vertrag ist.
Ein Ruling kann sodann nur mit Bezug auf den konkret dargestellten Sachverhalt Wirkungen entfalten. Für die Vollständigkeit des Sachverhalts ist der Steuerpflichtige verantwortlich. Die Steuerbehörden haben diesbezüglich m.E. keine Untersuchungspflicht – ein Grundsatz, welcher vom Verwaltungsgericht Zürich aber im Urteil vom 25. August 2010 (SB 2009.104) leider in Frage gestellt wurde.
2. Jüngste Rechtsprechung
Rulings haben die Gerichte in letzter Zeit viel beschäftigt – nachdem man zuvor während Jahrzehnten das Wort «Ruling» in Gerichtsurteilen vergeblich suchte. Die fehlende Erfahrung im Umgang mit Rulings hat zu sonderbaren Blüten in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geführt. So hat das Bundesgericht im denkwürdigen Entscheid BGer 2C_708/2011 vom 5. Oktober 2012 tatsächlich entschieden, dass einem Ruling zur direkten Bundessteuer keine Wirkung zukomme, weil es nicht von der ESTV unterzeichnet wurde. Das Bundesgericht hat wohl selbst gemerkt, dass es sich hier verrannt hat. Es hat die fragliche Entscheidung in der amtlichen Sammlung nicht abgedruckt und das Verdikt bei erstbester Gelegenheit wieder korrigiert (BGer 2C_529/2014 vom 24. August 2015).
3. Vertrauensschutz des Bürgers vs. Fiskalinteresse des Staates
In gewissen Entscheiden fordert das Bundesgericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des Bürgers am Vertrauensschutz und dem Interesse des Staates an der richtigen Rechtsanwendung. Eine seltsame Formel welche bisher wenigstens noch nie zur ratio decidendi wurde und auslegungsbedürftig ist. Meines Erachtens ist klar, dass das Fiskalinteresse des Staates den Vertrauensschutz nie überwiegen darf.
Im Urteil BGer 7.6.2019, 2C_1114/2018, Erw. 6 vom 7. Juni 2019 hält das Bundesgericht in Erw. 6 nun sogar fest, dass man sich in einem Fall, welcher vom Steueramt bzw. Gericht als Steuerumgehung qualifiziert werde, nicht auf ein Ruling berufen könne: Diese Aussage des Bundesgerichts ist natürlich klarerweise (offensichtlich?) unrichtig und muss deshalb in aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Gemeint war wohl, dass das Ruling im konkreten Fall nicht angerufen werden konnte, weil die Elemente im Sachverhalt, welche zur Annahme der Steuerumgehung geführt haben, im Ruling nicht dargestellt wurden (vgl. Ziff. B. des bundesgerichtlichen Urteils). Die (verunglückte) Aussage des Bundesgerichts darf daher nicht verallgemeinert werden.
4. Auch die Steuerbehörden haben ein Interesse an Steuerrulings
Da zur Zeit noch weitere interessante Fälle zur Frage der Gültigkeit von Rulings vor Bundesgericht hängig sind bleibt es spannend, in welche Richtung sich die diesbezügliche Rechtsprechung entwickeln wird.
Es ist unbestritten, dass Rulings ein wesentlicher Teil des Erfolgsmodells Schweiz sind. Die Steuerbehörden haben das grössere Interesse an einem verlässlichen und funktionierenden Rulingsystem als Steuerberater, da sie so mit vergleichsweise geringem Aufwand eine sachgerechte und vor allem rechtsgleiche Veranlagung sicherstellen können. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass das höchste schweizerische Gericht sich der Verantwortung bewusst ist, welche es diesbezüglich trägt, den Vertrauensschutz auch künftig hochhält und unseren Steuerbehörden Vertrauen entgegen bringt.