<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Am 1. Januar 2023 sind die Bestimmungen des neuen Aktienrechts in Kraft getreten.<sup><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup> Ziel der Aktienrechtsrevision war es, ein modernes Aktienrecht zu schaffen, welches den wirtschaftlichen Bedürfnissen der nächsten Jahre entspricht.<sup><a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup> Neben flexibler ausgestalteten Gründungs- und Kapitalvorschriften (namentlich mit dem neuen Instrument des Kapitalbandes), der Modernisierung der Generalversammlungsbestimmungen und der Angleichung der aktienrechtlichen Bestimmungen auf das Rechnungslegungsrecht wurde u.a. auch das Sanierungsrecht überarbeitet und ergänzt.<sup><a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a></sup></p>
<p>Kern der revidierten Sanierungsbestimmungen im Obligationenrecht (OR)<sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup> bilden die überarbeiteten <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Artikel 725</a> (Drohende Zahlungsunfähigkeit), <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">725a</a> (Kapitalverlust) und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">725b</a> (Überschuldung). Leitgedanke des Gesetzgebers war, durch neue und präzisere gesetzliche Pflichten des Verwaltungsrates ein Warnsystem zu etablieren, welches zu möglichst früh ergriffenen Sanierungsmassnahmen<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup> führt.<sup><a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a></sup> Im Fokus stand dabei die Liquiditätsplanung resp. das Kriterium der drohenden Zahlungsunfähigkeit, welches neu gesetzlich verankert wurde.</p>
<p>Daneben wurde das neue Aktienrecht mit den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG)<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup> abgestimmt, indem der Konkursaufschub von Art. 725a aOR gestrichen wurde. Demgegenüber wurde das Nachlassverfahren<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup> weiter ausgebaut<sup><a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup> und die Darlehensgewährung während der Sanierung erleichtert.<sup><a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">10</a></sup> Im Zusammenspiel soll dem Unternehmen in finanzieller Bedrängnis ein flexibles System mit klaren Handlungspflichten und graduell ansteigendem Einbezug weiterer Organe (Revisionsstelle, Generalversammlung) sowie externer Stellen (Nachlass- oder Konkursgericht) zur Verfügung stehen.<sup><a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a></sup></p>
<h2>2. Pflichten des Verwaltungsrates bei finanzieller Schieflage</h2>
<p>Bei genauerer Betrachtung brachte die Aktienrechtsrevision keine wesentlichen Änderungen bei den Pflichten des Verwaltungsrates, wenn die Gesellschaft in eine finanzielle Schieflage gerät. Insbesondere die Kompetenzordnung hat sich gegenüber dem bisherigen Recht nicht geändert: Der Verwaltungsrat ist das oberste Leitungs- und Verwaltungsorgan einer Gesellschaft. Zu seinen unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben gehört u.a. die «Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Gesellschaft notwendig ist» (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR</a>). Dazu gehört insbesondere eine hinreichende Liquiditätsplanung. Hinzu kommt die unveränderte Pflicht des Verwaltungsrates, im Falle einer Überschuldung den Richter zu benachrichtigen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 716a Abs. 1 Ziff. 7 OR</a>).</p>
<p>Neben dieser Grundordnung sah bereits das alte Aktienrecht vor, dass der Verwaltungsrat bei Kapitalverlust und Überschuldung Massnahmen zur Sanierung ergreifen musste (vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725</a> und 725a aOR). Diese Pflichten wurden im Rahmen der Revision näher präzisiert, wobei teilweise die dazu bestehende Rechtsprechung und Praxisempfehlungen kodifiziert wurden.</p>
<p>Mit dem neuen «Frühwarnsystem» der drohenden Zahlungsunfähigkeit (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 OR</a>) wurde allerdings die Kaskade der gesetzlichen Warnsignale erweitert und ergänzt nun die beiden bereits vorbestehenden Warnsignale des hälftigen Kapitalverlusts (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a OR</a>) und der begründeten Besorgnis der Überschuldung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b OR</a>):<sup><a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">12</a></sup></p>
<ol>
<li><strong>Warnsignal der drohenden Zahlungsunfähigkeit</strong>: Die Liquiditätslage der Gesellschaft hat sich bis zu diesem Zeitpunkt derart verschlechtert, dass nicht weiter angenommen werden kann, das Unternehmen werde «auf absehbare Zeit» (i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_958_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 958a Abs. 1 OR</a>) fortgeführt.<sup><a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13 </a><br /></sup>Wann eine Gesellschaft «zahlungsunfähig» ist, wird gesetzlich nicht definiert. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt diese vor, wenn die Gesellschaft ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann und somit weder über die Mittel verfügt, fällige Verbindlichkeiten zu bedienen, noch den erforderlichen Kredit hat, sich diese Mittel nötigenfalls zu beschaffen.<sup><a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a></sup> Die nicht fristgerechte Bezahlung in Einzelfällen begründet noch keine Zahlungsunfähigkeit.<sup><a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup></li>
</ol>
<ol start="2">
<li><strong>Warnsignal des hälftigen Kapitalverlusts</strong>: Die letzte Jahresrechnung zeigt, dass nach Abzug des Fremdkapitals die Aktiven nicht mehr die Hälfte der Summe von Aktien- und Partizipationskapital<sup><a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">16</a></sup> und der nicht an die Aktionäre ausschüttbaren gesetzlichen Kapital- und Gewinnreserven decken.<sup><a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">17</a><br /></sup>Zu unterscheiden davon ist die sog. Unterbilanz, bei welcher – wiederum nach Abzug des Fremdkapitals sowie allfälliger gesetzlicher Reserven<sup><a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup> – das Aktien- und Partizipationskapital nicht mehr vollständig gedeckt ist.<sup><a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup></li>
</ol>
<ol start="3">
<li><strong>Warnsignal der begründeten Besorgnis der Überschuldung</strong>: Eine Überschuldung liegt vor, wenn eine (Zwischen-)Bilanz ergibt, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind,<sup><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup> d.h. die Aktiven nicht ausreichen, um das Fremdkapital zu decken (teilweise auch als negatives Eigenkapital bezeichnet).<br />Die Frage, wann letztlich eine begründete Besorgnis der Überschuldung besteht, basiert auf der vorgelagerten Pflicht des sorgfältig handelnden Verwaltungsrates<sup><a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup>, die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft kontinuierlich zu überwachen.<sup><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Die begründete Besorgnis ist dabei eine Einzelfallbetrachtung und konkretisiert sich aufgrund der Summe der betrieblichen und finanziellen Schwächezeichen bei der Gesellschaft.<sup><a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup></li>
</ol>
<h3>2.1 Drohende Zahlungsunfähigkeit</h3>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 Abs. 1 OR</a> hält neu explizit fest, dass der Verwaltungsrat die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft überwacht. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit hat er folgende Pflichten (vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 Abs. 2 OR</a>):</p>
<ol>
<li>Ergreifen von Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit;</li>
<li>Ergreifen von Massnahmen zur Sanierung, soweit erforderlich und in seiner Kompetenz bzw. falls nicht, Einberufung der Generalversammlung;</li>
<li>Notwendigenfalls Einreichung eines Gesuchs um Nachlassstundung.</li>
</ol>
<p>Während die Handlungspflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit nun gesetzlich explizit geregelt sind, bleibt anzumerken, dass die Pflicht des Verwaltungsrates zur Überwachung der Liquidität des Unternehmens nicht neu ist. Im Rahmen der (unverändert gebliebenen) Pflicht der Finanzplanung<sup><a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a></sup> hat der Verwaltungsrat darum besorgt zu sein, dass die Gesellschaft über genügend flüssige Mittel verfügt, um ihre Schulden bei Fälligkeit begleichen zu können. Die Überwachung der Zahlungsfähigkeit stellt eine laufende und dauernde Aufgabe des Verwaltungsrates dar.<sup><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a></sup> Wie er diese Überwachung sicherstellt, steht grundsätzlich in seinem freien Ermessen und ist im Sinne einer Einzelfallbetrachtung der jeweiligen Gesellschaft anzupassen.<sup><a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">26</a></sup> Die explizite gesetzliche Pflicht, einen Liquiditätsplan zu erstellen (oder gar prüfen zu lassen), wurde zwar im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses fallengelassen.<sup><a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a></sup> Die Erstellung eines, zumindest einfachen, Liquiditätsplans ist jedoch unerlässlich.<sup><a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a></sup> Eine Liquiditätsplanung kann dabei auch bloss gestützt auf die Jahresbilanz erfolgen, was in der Praxis insbesondere bei nicht operativ tätigen Gesellschaften zur Anwendung kommen dürfte. Hat die Gesellschaft hingegen einen tiefen Cash-Bestand und/oder einen hohen Bedarf an flüssigen Mitteln, ist eine engmaschige und regelmässige Überwachung der Liquidität angebracht.<sup><a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a></sup></p>
<p>Stellt der Verwaltungsrat eine drohende Zahlungsunfähigkeit fest, hat er Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit und/oder Sanierungsmassnahmen zu ergreifen.<sup><a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">30</a></sup> Dabei handelt es sich um Sofortmassnahmen<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup>, die sich direkt positiv auf die Liquidität der Gesellschaft auswirken (sollen).<sup><a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a></sup> Typischerweise kommen hierfür neben operativen Massnahmen namentlich der Verkauf von Aktiven, die Aufnahme von Darlehen oder ein durch einen Aktionär gewährter entschädigungsloser Zuschuss in Frage. Grundsätzlich obliegt es dabei dem Verwaltungsrat, ob und inwieweit er die Aktionäre einbindet. Dem Sinne des Gesetzes entsprechend ist allerdings primär der Verwaltungsrat dafür zuständig, die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, während die Generalversammlung erst einbezogen werden soll, wenn die Massnahmen des Verwaltungsrates alleine nicht bzw. nicht mehr ausreichen.<sup><a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">33</a></sup> Fällt hingegen eine bestimmte Massnahme in die Kompetenz der Generalversammlung (z.B. eine ordentlichen Kapitalerhöhung), ist deren Einberufung zwingend. Hierfür ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Planung und Durchführung einer Kapitalerhöhung schnell mehrere Wochen, wenn nicht Monate, in Anspruch nehmen kann.</p>
<p>Schliesslich hat der Verwaltungsrat, wenn die übrigen Massnahmen nicht bzw. nicht rechtzeitig greifen und im Grundsatz aber Aussicht auf Sanierung besteht, ein Gesuch um Nachlassstundung<sup><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a></sup> einzureichen (ultima ratio).<sup><a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a></sup></p>
<p>Sind die Massnahmen des Verwaltungsrates nicht oder nicht rechtzeitig wirksam und wird die Gesellschaft zahlungsunfähig, ohne dass ein Gesuch um provisorische Nachlassstundung erfolgsversprechend ist (z.B. mangels Sanierungsaussicht), hat der Verwaltungsrat eine Generalversammlung einzuberufen und dieser die Auflösung der Gesellschaft und Benachrichtigung des Konkursgerichts zu beantragen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_699" target="_blank" rel="noopener">Art. 699 Abs. 2 Ziff. 16</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_736" target="_blank" rel="noopener">Art. 736 Abs. 2 Ziff. 2 OR</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/de#art_191" target="_blank" rel="noopener">Art. 191 SchKG</a>).<sup><a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a></sup> Gleichermassen ist zu verfahren, wenn die Zahlungsunfähigkeit derart gross ist, dass vorneweg keine Sanierungsmassnahmen als hinreichend angesehen werden (z.B. wegen neuer, unvorhergesehener Forderungen), wobei dies vor dem Hintergrund des Haftungsrisikos des Verwaltungsrates<sup><a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37">37</a></sup> aufgrund der weitreichenden Wirkung nicht leichthin angenommen werden darf.</p>
<p>Der Verwaltungsrat hat laut <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 Abs. 3 OR</a> «mit der gebotenen Eile» zu handeln. Das Gesetz sieht keine festen Fristen für die Einhaltung der Handlungspflichten vor. Wie schnell die Massnahmen ergriffen werden können und sodann auch Liquiditätswirksamkeit zeigen, hängen u.a. von der Grösse des Unternehmens, Branche, Zugehörigkeit zu einem Konzern, Komplexität der zu ergreifenden Massnahmen etc. ab.<sup><a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38">38</a></sup> Dem Verwaltungsrat kommt mithin ein erhebliches Ermessen zu, wobei er die im Einzelfall massgebenden Faktoren sowie das Ausmass des Problems bzw. die Dringlichkeit der drohenden Zahlungsunfähigkeit angemessen zu berücksichtigen hat.<sup><a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39">39</a></sup></p>
<h3>2.2 Kapitalverlust</h3>
<p>Stellt der Verwaltungsrat aufgrund der letzten Jahresrechnung einen Kapitalverlust fest, so hat er gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 1 OR</a> (1) Massnahmen zu dessen Beseitigung zu ergreifen, (2) weitere Massnahmen zur Sanierung zu treffen, sofern erforderlich, oder (3) eine Generalversammlung einzuberufen und dieser Sanierungsmassnahmen zu beantragen, soweit sie in deren Zuständigkeit fallen. Dabei hat der Verwaltungsrat die Ertrags- und Bilanzsituation zu begutachten und die möglichen Massnahmen zu erwägen.<sup><a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40">40</a></sup> Es ist im Einzelfall auch möglich, dass der Verwaltungsrat unter sorgfältiger Anwendung seines Ermessens zum Schluss kommt, dass keine (weiteren) Massnahmen notwendig sind. Dies ist in der Praxis beispielsweise dann der Fall, wenn die Gesellschaft bereits eine Kapitalerhöhung geplant hat (wie diese bei Finanzierungsrunden von Start-Ups regelmässig zutrifft), welche in absehbarer Zeit durchgeführt und abgeschlossen werden soll.</p>
<p>Vor Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision hatte der Verwaltungsrat bei Kapitalverlust unverzüglich eine Generalversammlung mit entsprechenden Anträgen von Sanierungsmassnahmen einzuberufen. Die Aktienrechtsrevision bringt insofern eine Änderung, als dass die Generalversammlung nicht zwingend bei allen möglichen Sanierungsmassnahmen involviert werden muss. Somit wird die gesetzliche Kompetenzaufteilung zwischen Generalversammlung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_698" target="_blank" rel="noopener">Art. 698 OR</a>) und Verwaltungsrat (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_716_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 716a OR</a>) konsequent umgesetzt.</p>
<p>Der revidierte Gesetzeswortlaut unterscheidet zwischen «Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts» und «weiteren Massnahmen zur Sanierung». Die erste Kategorie erfordert eine bilanzwirksame Massnahme, wobei namentlich eine Erhöhung des Nettoaktivvermögens oder eine Veränderung der Eigenkapitalstruktur in Frage kommen. Konkret fallen folgende Massnahmen<sup><a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41">41</a></sup> in Betracht, wobei vor Umsetzung jeweils auch eine steuerliche Prüfung angezeigt ist:</p>
<ol>
<li>Erhöhung des Eigenkapitals mittels (entschädigungslosen) Zuschusses von Aktionären oder diesen nahestehenden Personen, sei dies als Bareinlage oder durch Forderungsverzicht;</li>
<li>Erhöhung des Aktienkapitals im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung oder eines allenfalls bestehenden Kapitalbandes<sup><a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42">42</a></sup>;</li>
<li>Veräusserung von Aktiven (falls der Verkaufserlös über dem Buchwert liegt);</li>
<li>Auflösung stiller Reserven (vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 725c OR</a>);</li>
<li>Verrechnung von Verlusten mit Reserven, sofern durch <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_674" target="_blank" rel="noopener">Art. 674 OR</a> zugelassen;</li>
<li>Herabsetzung des Aktienkapitals (im Falle einer Unterbilanz i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_653_p" target="_blank" rel="noopener">Art. 653p OR</a>; sog. deklaratorische Kapitalherabsetzung);</li>
<li>Herabsetzung und gleichzeitige Erhöhung des Aktienkapitals auf mindestens den bisherigen Betrag (i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_653_q" target="_blank" rel="noopener">Art. 653q OR</a>; sog. Harmonika (auch Kapitalschnitt genannt); bei Herabsetzung auf null mit Wiedererhöhung vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_653_r" target="_blank" rel="noopener">Art. 653r OR</a>);</li>
<li>Umstrukturierungen, namentlich einer Sanierungsfusion, sofern ausreichende Rangrücktritte vorliegen oder die übrigen beteiligten Gesellschaften über genügend frei verwendbares Eigenkapital verfügen (vgl. Art. 6 Fusionsgesetz<sup><a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43">43</a></sup>).</li>
</ol>
<p>Zur zweiten Kategorie (weitere Massnahmen zur Sanierung) gehören Massnahmen, die das Unternehmen selbst betreffen, namentlich operative Massnahmen.<sup><a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44">44</a></sup> Der Verwaltungsrat soll die Ursache für die finanzielle Schieflage prüfen und, falls erforderlich, nebst den bilanziellen Korrekturen auch Massnahmen zur betriebswirtschaftlichen Besserung anordnen, damit Finanzschwierigkeiten künftig verhindert werden können.<sup><a title="" href="#_ftn45" name="_ftnref45">45</a></sup> Mithin geht es hier um eine äusserst spezifische Einzelfallbetrachtung, wobei dem Verwaltungsrat ein erhebliches Ermessen einzugestehen ist.</p>
<p>Erfahrungsgemäss besteht im Falle eines Kapitalverlustes oftmals auch eine drohende Zahlungsunfähigkeit (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 OR</a><sup><a title="" href="#_ftn46" name="_ftnref46">46</a></sup>) und/oder es droht die Überschuldung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b OR</a><sup><a title="" href="#_ftn47" name="_ftnref47">47</a></sup>).<sup><a title="" href="#_ftn48" name="_ftnref48">48</a></sup> Ersteres führt dazu, dass der Verwaltungsrat jene Massnahmen zu ergreifen hat, die nicht nur den Kapitalverlust beseitigen, sondern auch liquiditätswirksam sind. Letzteres hingegen erfasst per definitionem den Kapitalverlust mit, weshalb die Pflichten nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b OR</a> denjenigen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a OR</a> regelmässig vorgehen.<sup><a title="" href="#_ftn49" name="_ftnref49">49</a></sup></p>
<p>Eine Jahresrechnung, welche einen Kapitalverlust ausweist, ist zwingend vor Abnahme der Jahresrechnung einer eingeschränkten Revision durch einen zugelassenen Revisor zu unterziehen, selbst wenn die Aktionäre auf deren Durchführung i.S. eines Opting-Outs<sup><a title="" href="#_ftn50" name="_ftnref50">50</a></sup> verzichtet haben (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 2 OR</a>). Eine Ausnahme besteht nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 3 OR</a> lediglich dann, wenn der Verwaltungsrat ein Gesuch um Nachlassstundung einreicht.<sup><a title="" href="#_ftn51" name="_ftnref51">51</a></sup> Hat die Gesellschaft keine Revisionsstelle, so ernennt der Verwaltungsrat den zugelassenen Revisor (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 2 Satz 2 OR</a>). Damit durchbricht das Gesetz den Grundsatz, wonach die Revisionsstelle durch die Generalversammlung bestellt wird (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_698" target="_blank" rel="noopener">Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR</a>). Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist, die Massnahmenergreifung zur Besserung der finanziellen Situation nicht dadurch zu verzögern, dass zuerst eine Generalversammlung einzuberufen ist. Die nunmehr revidierte Jahresrechnung ist sodann ohnehin durch die Generalversammlung zu genehmigen. Nicht abschliessend geklärt ist die Frage, ob ein Abnahmebeschluss der Generalversammlung trotz fehlendem Revisionsbericht nichtig oder nur anfechtbar ist.<sup><a title="" href="#_ftn52" name="_ftnref52">52</a></sup></p>
<p>Auch beim Kapitalverlust hat der Verwaltungsrat bzw. die involvierte Revisionsstelle oder zugelassene Revisorin mit der gebotenen Eile zu handeln (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 4 OR</a>), wobei auch hier wiederum keine festen Fristen vorgegeben werden.</p>
<h3>2.3 Überschuldung</h3>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 1 OR</a> hat der Verwaltungsrat bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung unverzüglich einen Zwischenabschluss zu Fortführungswerten wie auch zu Veräusserungswerten zu erstellen.<sup><a title="" href="#_ftn53" name="_ftnref53">53</a></sup> Im Gegensatz zum Kapitalverlust wird nicht per se auf die letzte Jahresrechnung abgestellt. Vielmehr ist eine funktionierende laufende Überwachung der finanziellen Situation einer Gesellschaft durch den Verwaltungsrat vorausgesetzt, aufgrund welcher die Besorgnis einer Überschuldung hervorgehen kann bzw. muss.<sup><a title="" href="#_ftn54" name="_ftnref54">54</a></sup></p>
<p>Diese Zwischenabschlüsse sind weiter zwingend durch die Revisionsstelle zu prüfen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 2 OR</a>). Hat die Gesellschaft infolge Verzichts auf die Durchführung der eingeschränkten Revision (Opting-Out)<sup><a title="" href="#_ftn55" name="_ftnref55">55</a></sup> keine Revisionsstelle, hat der Verwaltungsrat zu diesem Zweck einen zugelassenen Revisor zu ernennen. Wie beim Kapitalverlust wird dadurch sichergestellt, dass die Finanzlage der Gesellschaft nicht geschönt wird, wobei auch hier zur Vermeidung einer zeitlichen Verzögerung der Verwaltungsrat und nicht die Generalversammlung für die Bezeichnung der Revisionsstelle zuständig ist. Offen ist, ob auf eine Prüfung des Zwischenabschlusses verzichtet werden kann, wenn der Verwaltungsrat bereits gestützt auf den ungeprüften Zwischenabschluss zur Ansicht gelangt, dass das Gericht benachrichtigt werden muss.<sup><a title="" href="#_ftn56" name="_ftnref56">56</a></sup> Durch eine Prüfung bei klaren Verhältnissen würde sich die Bilanzdeponierung lediglich verzögern und zudem zu zusätzlichen Kosten führen. Dies kann nach der hier vertretenen Meinung nicht dem Sinn und Zweck von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 2 OR</a> entsprechen.</p>
<p>Wird gestützt auf die geprüften Zwischenabschlüsse der Verdacht einer Überschuldung bestätigt, hat der Verwaltungsrat das Gericht zu benachrichtigen (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 725a Abs. 3 OR</a>). Dieses hat in der Folge den Konkurs über die Gesellschaft zu eröffnen oder es kann – auf Gesuch hin oder von Amtes wegen – eine Nachlassstundung anordnen.<sup><a title="" href="#_ftn57" name="_ftnref57">57</a></sup> <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_c">Art. 725c Abs. 4 OR</a> sieht jedoch zwei Ausnahmen vor, in denen der Verwaltungsrat die Benachrichtigung des Gerichts (vorerst) unterlassen darf:</p>
<ol>
<li>Es bestehen Rangrücktritte von Gesellschaftsgläubigern im Ausmass der Überschuldung. Dabei wird verlangt, dass der Rangrücktritt während der Dauer der Überschuldung nebst dem geschuldeten Betrag neu auch den darauf geschuldeten Zins umfasst. Ein Rangrücktritt bedeutet dabei die Erklärung eines Gläubigers, eine Forderung zu stunden und im Falle eines Konkurses, einer Nachlassstundung oder einer Liquidation hinter alle übrigen Gläubiger bis zu deren vollen Befriedigung zurückzutreten.<sup><a title="" href="#_ftn58" name="_ftnref58">58</a></sup> Erfahrungsgemäss oft missverstanden wird die wichtige Tatsache, dass vorhandene Rangrücktritte nicht die Überschuldung beseitigen (und damit auch keine Sanierungsmassnahme darstellen), sondern lediglich die Pflicht zur Überschuldungsanzeige aufschieben.<sup><a title="" href="#_ftn59" name="_ftnref59">59</a><br /></sup></li>
<li>Der Verwaltungsrat hat begründete Aussicht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der Zwischenabschlüsse, behoben werden kann. Die Forderungen der Gläubiger dürfen nicht zusätzlich gefährdet werden. Mithin wird eine begründete und konkrete Aussicht verlangt, dass (i) die Gesellschaft saniert werden kann und (ii) sich die Überschuldung während des Zuwartens nicht wesentlich vergrössert.<sup><a title="" href="#_ftn60" name="_ftnref60">60</a></sup> Die Toleranzfrist ist grundsätzlich nicht neu;<sup><a title="" href="#_ftn61" name="_ftnref61">61</a></sup> allerdings führt diese Präzisierung der Höchstfrist zu einer harten, nicht verlängerbaren Frist und verlangt vom Verwaltungsrat ein proaktives und rasches Handeln. Die Frist beginnt mit Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse zu laufen, wobei diese mit der gebotenen Eile zu erstellen und zu prüfen sind (vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 6 OR</a>).<sup><a title="" href="#_ftn62" name="_ftnref62">62</a></sup></li>
</ol>
<p>Die Anforderungen an die begründete Sanierungsaussicht sind streng und erfordern eine sorgfältige Abwägung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind.<sup><a title="" href="#_ftn63" name="_ftnref63">63</a></sup> In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsrat sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen sorgfältig in Betracht zu ziehen und namentlich in Bezug auf die zweite Ausnahme zur unverzüglichen Bilanzdeponierung abzuwägen, ob tatsächlich eine begründete und konkrete Sanierungsaussicht innert 90 Tagen besteht.<sup><a title="" href="#_ftn64" name="_ftnref64">64</a></sup></p>
<h3>2.4 Zwischenabschluss</h3>
<p>Vor Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision hatte der Verwaltungsrat bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischenbilanz zu erstellen (Art. 725 Abs. 2 aOR). Neu muss ein Zwischenabschluss erstellt werden, wozu gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_960" target="_blank" rel="noopener">Art. 960f OR</a> entsprechend den Bestimmungen zur Jahresrechnung nebst einer Bilanz auch eine Erfolgsrechnung und einen Anhang gehören. Unklar ist, wieweit Vereinfachungen und Erleichterungen des Zwischenabschlusses gehen dürfen, wenn dieser dem Anwendungsfall von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b OR</a> und damit der Beurteilung einer Überschuldung dient. Mit Verweis auf den Zweck der Bestimmung und die Gesetzesmaterialen wird teilweise die Meinung vertreten, dass bei der Erstellung eines Zwischenabschlusses weder ein Anhang zu erstellen noch die Angaben für grössere Unternehmen zu machen sind.<sup><a title="" href="#_ftn65" name="_ftnref65">65</a></sup> Eine besonders weitgehende Vereinfachung und Verkürzung (und damit gar ein lediglich summarischen Zwischenabschluss) muss unseres Erachtens möglich sein, wenn die Gesellschaft offensichtlich massiv überschuldet ist.<sup><a title="" href="#_ftn66" name="_ftnref66">66</a></sup></p>
<p>Die Bestimmungen über die kaufmännische Buchführung und Rechnungslegung (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_957" target="_blank" rel="noopener">Art. 957 ff. OR</a>) sind auch beim Zwischenabschluss zu beachten. Der Zwischenabschluss ist zu Fortführungswerten oder – falls die Annahme der Fortführung nicht gegeben ist oder falls die Zwischenabschluss nach Fortführungswerten eine Überschuldung anzeigt – zu Veräusserungswerten zu erstellen.<sup><a title="" href="#_ftn67" name="_ftnref67">67</a></sup></p>
<h3>2.5 Umgang mit «altrechtlichen» Rangrücktritten</h3>
<p>Vor dem 1. Januar 2023 sah Art. 725 Abs. 2 aOR vor, dass der Verwaltungsrat mit der Bilanzdeponierung beim Gericht zuwarten konnte, sofern «Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurückgetreten» sind. Dementsprechend sehen viele vor Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision abgeschlossene Rangrücktrittsvereinbarungen vor, dass zwar die Hauptforderung subordiniert und gestundet ist, nicht jedoch der darauf geschuldete Zins (explizit oder implizit). Da für den Aufschub der Benachrichtigung des Gerichts nach revidiertem Recht zwingend erforderlich ist, dass auch die Zinsforderung vom Rangrücktritt erfasst ist, stellt sich die Frage wie mit solchen «altrechtlichen» Rangrücktritten umzugehen ist.</p>
<p>Die Rechtslage hierzu ist bislang nicht abschliessend geklärt und es werden verschiedene Meinungen in der Praxis vertreten. Grundsätzlich ist das neue Recht sofort anwendbar.<sup><a title="" href="#_ftn68" name="_ftnref68">68</a></sup> Zwar sieht Art. 6 der Übergangsbestimmung zur Aktienrechtsrevision vor, dass altrechtliche Verträge bis zum 31. Dezember 2024 anzupassen sind. Erst danach wären diese Vorschriften des neuen Rechts auf altrechtliche Verträge anwendbar.<sup><a title="" href="#_ftn69" name="_ftnref69">69</a></sup> Allerdings geht aus den Gesetzesmaterialen hervor, dass sich diese Bestimmung ausschliesslich auf vergütungsrelevante Verträge bezieht und unseres Erachtens damit für Rangrücktritte nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR</a> nicht anwendbar ist.<sup><a title="" href="#_ftn70" name="_ftnref70">70</a></sup> Ob im Sinne einer weiten Auslegung der betreffenden Rangrücktrittsklauseln (ohne expliziten Miteinbezug der Zinsen) im Hinblick auf die Änderung der Rechtslage angenommen werden kann, die Zinsen seien ohne weiteres – da im Interesse der Gläubigerin – ebenfalls mitumfasst, ist zumindest fraglich.<sup><a title="" href="#_ftn71" name="_ftnref71">71</a></sup> Andere Autoren weisen explizit auf die gesellschaftsrechtliche Unwirksamkeit solcher Klauseln i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR</a> hin, wenn die Zinsen nicht mitunterworfen sind.<sup><a title="" href="#_ftn72" name="_ftnref72">72</a></sup></p>
<p>Die altrechtlichen Rangrücktrittsklauseln dürften allerdings noch vertragliche Gültigkeit zwischen den Parteien haben, d.h. sie dürften die Forderung subordinieren, auch wenn sie (allenfalls) nicht mehr ausreichend sind, die Bilanzdeponierungspflicht nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR</a> aufzuschieben.<sup><a title="" href="#_ftn73" name="_ftnref73">73</a></sup> Damit dürfte es in der Tat im Interesse des betreffenden Gläubigers liegen, die abgegebene Rangrücktrittsvereinbarung auch auf die Zinsen auszudehnen, da sie im Konkursfall ohnehin an letzter Stelle stehen.</p>
<p>Der vorsichtige Verwaltungsrat ist gut beraten, diese Erklärung zur Ausdehnung auf die Zinsen von der Gläubigerin einzuholen und sich auch mit der Revisionsstelle auszutauschen, wenn er einen altrechtlichen Rangrücktritt berücksichtigen und das Gericht trotz Überschuldung nicht benachrichtigen will. Ohne Miteinbezug der Revisionsstelle läuft er schliesslich Gefahr, dass diese bei der Prüfung der nächsten Jahresrechnung einen entsprechenden Vorbehalt in ihrem Prüfbericht anbringen wird oder gar selbst die Überschuldung dem Gericht anzeigt, wenn sie zum Schluss kommt, der Verwaltungsrat habe dies pflichtwidrig unterlassen.<sup><a title="" href="#_ftn74" name="_ftnref74">74</a></sup></p>
<h3>2.6 Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates</h3>
<p>Der Verwaltungsrat ist persönlich für den Schaden haftbar, den er durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung seiner Pflichten gemäss Art. 725-725b OR der Gesellschaft resp. den einzelnen Aktionären oder den Gesellschaftsgläubigern verursacht hat (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_754" target="_blank" rel="noopener">Art. 754 Abs. 1 OR</a>).<sup><a title="" href="#_ftn75" name="_ftnref75">75</a></sup> Die Bestimmungen zur Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates wurden bei der Aktienrechtsrevision weitgehend unverändert belassen, weshalb auch die bisherige Rechtsprechung hierzu relevant bleibt.</p>
<p>Geändert hat sich allerdings die Schadensberechnung im Hinblick auf die Verantwortlichkeit der Organe im Konkursfall der Gesellschaft: Hier ist zu beachten, dass mit Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision neu Forderungen, die einem Rangrücktritt i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_725" target="_blank" rel="noopener">Art. 725 Abs. 4 Ziff. 1 OR</a> unterliegen, nicht dem Schaden hinzuzurechnen sind (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_757" target="_blank" rel="noopener">Art. 757 Abs. 4 OR</a>). Die Einführung dieser Bestimmung beruht auf der Kritik an der entsprechenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung<sup><a title="" href="#_ftn76" name="_ftnref76">76</a></sup>, wonach auch die rangrücktrittsbelasteten Forderungen bei der Schadensberechnung miteinzubeziehen waren. Mit der Revision wird verdeutlicht, dass der Verwaltungsrat grundsätzlich nicht falsch gehandelt hat, wenn er infolge gültiger Rangrücktritte die Benachrichtigung des Gerichts dereinst unterlassen hat, selbst wenn die Sanierung in der Folge scheitert und der Konkurs über die Gesellschaft eröffnet werden muss.<sup><a title="" href="#_ftn77" name="_ftnref77">77</a></sup> Damit kann in dieser Hinsicht fortan auf den in der Praxis oft gesehenen bedingten Verzicht der (rangrücktrittsbelasteten) Forderung im Hinblick auf eine Konkurseröffnung verzichtet werden.<sup><a title="" href="#_ftn78" name="_ftnref78">78</a></sup></p>
<h2>3. Pflichten der Revisionsstelle bei finanzieller Schieflage</h2>
<p>Die Revisionsstelle bzw. der zugelassene Revisor hat bei einer Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten in einem ersten Schritt nur auf Gesuch des Verwaltungsrates hin aktiv zu werden. So hat sie die letzte Jahresrechnung bzw. den Zwischenabschluss zu prüfen, wenn der Verwaltungsrat einen Kapitalverlust oder Überschuldung feststellt. Allerdings ist die Revisionsstelle zur Benachrichtigung des Konkursgerichts verpflichtet, wenn der Verwaltungsrat trotz offensichtlicher Überschuldung die Anzeige unterlässt (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_728_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 728c Abs. 3 OR</a>; <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_729_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 729c OR</a>). Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Revisionsstelle aufgrund der unübertragbaren Kompetenz des Verwaltungsrates nicht zur Bilanzdeponierung berechtigt.<sup><a title="" href="#_ftn79" name="_ftnref79">79</a></sup> Umgekehrt unterliegt die Revisionsstelle ebenfalls dem Risiko der Revisionshaftung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_755" target="_blank" rel="noopener">Art. 755 OR</a>, wenn sie bei Überschuldung das Gericht nicht bzw. nicht rechtzeitig benachrichtigt hat, obwohl die Voraussetzungen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_728_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 728c OR</a> bzw. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_729_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 729c OR</a> erfüllt waren.<sup><a title="" href="#_ftn80" name="_ftnref80">80</a></sup></p>
<p>Im Zusammenhang mit der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit sieht das Gesetz für die Revisionsstelle keine direkten Handlungspflichten vor. Mit Ausnahme der Schadensberechnung<sup><a title="" href="#_ftn81" name="_ftnref81">81</a></sup> haben sich im Zuge der Aktienrechtsrevision keine Änderungen hinsichtlich der Revisionshaftung ergeben.</p>
<h2>4. Auswirkungen auf das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht</h2>
<h3>4.1 Stärkung des Nachlassverfahrensrechts</h3>
<p>Mit der Revision des Aktienrechts wurde das Institut des Konkursaufschubs i.S.v. Art. 725a aOR, wonach eine unbefristete «stille Sanierung» (d.h. ohne Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB)) möglich war, gestrichen. Dies mit dem Verweis darauf, dass das Institut des Konkursaufschubs aufgrund der «stillen Sanierung» aus Sicht der Gläubiger nicht unproblematisch sei.<sup><a title="" href="#_ftn82" name="_ftnref82">82</a></sup></p>
<p>Demgegenüber wurde als Ausgleich das Nachlassverfahren weiter ausgebaut und gestärkt, indem die provisorische Stundung i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/de#art_293_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 293a SchKG</a>, welche zunächst für maximal vier Monate gewährt werden darf, um bis zu weiteren vier Monaten verlängert werden kann. Während der Phase der provisorischen Stundung kann in begründeten Fällen und auf Antrag von der öffentlichen Bekanntmachung<sup><a title="" href="#_ftn83" name="_ftnref83">83</a></sup> abgesehen werden, sofern der Schutz Dritter gewährleistet ist (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/de#art_293_c" target="_blank" rel="noopener">Art. 293c Abs. 2 SchKG</a>). Zudem kann das Gericht neu auch von sich aus den Entscheid über den Konkurs aussetzen und in ein Nachlassverfahren überweisen, wenn es Anhaltspunkte für eine unmittelbare Sanierung sieht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/de#art_173_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 173a Abs. 2 SchKG</a>).</p>
<h3>4.2 Darlehensgewährung im Nachlassverfahren</h3>
<p>Mit dem neu geschaffenen <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/de#art_285" target="_blank" rel="noopener">Art. 285 Abs. 4 SchKG</a> kann der Sachwalter im Nachlassverfahren gewisse Verbindlichkeiten privilegieren, die mit seiner Zustimmung eingegangen wurden und so vor einer möglichen Anfechtung<sup><a title="" href="#_ftn84" name="_ftnref84">84</a></sup> gesichert sind. Der Gesetzgeber hat dabei insbesondere an Darlehen im Nachlassverfahren gedacht, was die Sanierungsaussicht der betroffenen Gesellschaft verbessern kann, da dadurch die (Zwischen-)Finanzierung erleichtert wird.<sup><a title="" href="#_ftn85" name="_ftnref85">85</a></sup></p>
<p>Dies betrifft allerdings lediglich Verbindlichkeiten resp. Darlehen, die nach Eröffnung des Nachlassverfahrens abgeschlossen wurden. Mit Verweis auf die bestehende Praxis und Rechtsprechung zum sog. Sanierungsdarlehen<sup><a title="" href="#_ftn86" name="_ftnref86">86</a></sup> hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, Verbindlichkeiten resp. Darlehen, die vor Eröffnung eines Nachlassverfahrens abgeschlossen wurden, im Hinblick auf die Anfechtungsklagen gesetzlich zu regeln.<sup><a title="" href="#_ftn87" name="_ftnref87">87</a></sup></p>
<h2>5. Fazit</h2>
<p>Mit der Einführung des gesetzlich verankerten «Warnsignals» der drohenden Zahlungsunfähigkeit wurde im Rahmen der Überarbeitung der sanierungsrelevanten Bestimmungen des Obligationenrechts den Fokus auf die frühzeitige Aufnahme von Sanierungsmassnahmen durch den Verwaltungsrat gelegt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass dem Verwaltungsrat damit kaum weitergehende Pflichten auferlegt wurden, als bereits unter dem alten Recht bestanden. Die Bestimmung von Art. 725b OR, dem Tatbestand der Überschuldung, wird damit voraussichtlich auch weiterhin die zentrale Bedeutung zukommen, gerade im Hinblick auf die grundsätzlich gleichbleibenden Haftungsvoraussetzungen der Organe.</p>
<p>Die nächsten Jahre dürften zudem zeigen, wie sich die (Gerichts)Praxis hinsichtlich der Fragestellung der «altrechtlichen» Rangrücktritte sowie der Revisionsstandard der Zwischenabschlüsse entwickelt.</p></article>
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