Gerechtigkeitsfragen zur schweizerischen Erbschaftssteuer nach John Rawls

<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2> <p>Wenn es eine juristische Disziplin gibt, die sich den Begriff der Gerechtigkeit zur Grundlage gemacht hat, dann ist es das Steuerrecht. Keine andere Fachrichtung setzt sich so intensiv mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Lastengerechtigkeit und der Bedarfsgerechtigkeit auseinander, wie die Steuerwissenschaften. Steuergerechtigkeit ist eine Thematik, die uns alle betrifft. Wir alle sind sowohl Zahlende und/oder Empfangende &ndash; womit die Erwartung einher geht, im bestehenden System Gerechtigkeit zu erfahren.^{<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a>}</p> <p>Der Begriff der Gerechtigkeit allein vermag in seiner Abstraktheit dem Recht zun&auml;chst noch keinen Nutzen zu erweisen. Er muss mit Inhalt gef&uuml;llt werden, um der Juristerei dienlich zu sein und ihr in seiner praktischen Anwendung einen Mehrwert zu bieten.^{<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a>}&nbsp;Dieser Aufgabe nimmt sich die vorliegende Arbeit an. In einem Teilbereich des Steuerrechts, n&auml;mlich dem Erbschaftssteuerrecht, soll dem Begriff der Gerechtigkeit Gehalt gegeben werden.</p> <p>Obwohl die Erbschaftssteuer aktuell nur rund 1 % der Gesamtsteuereinnahmen der Schweiz ausmacht,^{<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a>}&nbsp;ist ihre Bedeutung nicht zu untersch&auml;tzen. Der bescheidene Ertrag l&auml;sst sich in erster Linie auf die gegenw&auml;rtige Ausgestaltung der Erbschaftssteuer zur&uuml;ckf&uuml;hren, welche &ndash; wie der Name sagt &ndash; zu gestalten ist. Aus der Menge an generiertem Steuersubstrat l&auml;sst sich nicht auf die Bedeutung einer Steuer schliessen. Die Erbschaftssteuer hat das Potential, eine wichtigere Stellung im Finanzhaushalt der Schweiz einzunehmen und ist es somit wert, genauer untersucht zu werden.</p> <p>Im Rahmen dieser Arbeit soll der zentralen Frage nachgegangen werden, ob das schweizerische Erbschaftssteuerrecht nach der philosophischen Theorie von John Rawls als gerecht zu qualifizieren ist. Erg&auml;nzend wird Rawls Position selbst einer kritischen Betrachtung unterzogen und danach gefragt, ob eine nach seiner Gerechtigkeitsvorstellung ausgestaltete Erbschaftssteuerordnung f&uuml;r die Schweiz erstrebenswert w&auml;re.</p> <p>Zu erwarten ist, dass sich Rawls mit seinem Verst&auml;ndnis von Gerechtigkeit als Fairness f&uuml;r die Erhebung einer Erbschaftssteuer ausspricht. Was die momentane Ausgestaltung betrifft, wird eine nach seiner Gerechtigkeitsvorstellung ausgestaltete Erbschaftsordnung mutmasslich im Bereich der Erhebungshoheit und der Steuerprivilegierung bestimmter Personenkreise von dem in den Schweizer Kantonen herrschenden System abweichen. Auch wenn eine direkte &Uuml;bernahme seiner philosophischen Theorie in jenes System wahrscheinlich nicht zielf&uuml;hrend sein kann, wird die Besch&auml;ftigung mit ihr dem Erbschaftssteuerrecht neue Perspektiven er&ouml;ffnen und die Gerechtigkeitsdebatte bereichern.</p> <p>Zur Beantwortung der in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragen wird eine Analyse mittels Literaturrecherche durchgef&uuml;hrt. Unter Ber&uuml;cksichtigung von juristischer Literatur und Rechtsprechung auf der einen Seite und philosophischer Prim&auml;r- und Sekund&auml;rliteratur auf der anderen Seite, wird der Interdisziplinarit&auml;t Rechnung getragen. Die abschliessende Konklusion und Verkn&uuml;pfung der beiden Teile erfolgen nach eigenem Ermessen in Anwendung der sich aus der Recherche ergebenden Erkenntnissen.</p> <p>Gegliedert wird die Arbeit in zwei Hauptteile. Im ersten Teil soll mit einem theoretischen &Uuml;berblick &uuml;ber die Erbschaftssteuer eine Basis f&uuml;r die im zweiten Teil gef&uuml;hrte Gerechtigkeitsdiskussion geschaffen werden. Dabei wird zun&auml;chst auf die rechtlichen Grundlagen der Erbschaftssteuer eingegangen. Daran anschliessend werden die verfassungsrechtlichen Schranken betrachtet, in deren Rahmen sich die Ausgestaltung der Steuer zu bewegen hat. Schliesslich wird die Frage behandelt, was denn die Erhebung einer Erbschaftssteuer &uuml;berhaupt legitimiert. Dazu werden verschiedene Rechtfertigungsversuche der Erbschaftssteuer untersucht.</p> <p>Im zweiten Teil wird Rawls Theorie der Gerechtigkeit dargestellt und ihre Kernaussagen pr&auml;sentiert, bevor sie anschliessend auf das schweizerische Erbschaftssteuerrecht angewendet werden. Es wird untersucht, wie Rawls zur Erhebung und Ausgestaltung der schweizerischen Erbschaftssteuer steht und ob ein nach seiner Gerechtigkeitsvorstellung ausgestaltetes Steuersystem &ndash; sollte es vom Status quo abweichen &ndash; erstrebenswert w&auml;re.</p> <h2>2. Grundlagen der Erbschaftssteuer</h2> <p>Die nachfolgenden Ausf&uuml;hrungen sollen einen systematischen &Uuml;berblick &uuml;ber die Ausgestaltung der schweizerischen Erbschaftssteuer geben. Dabei werden insbesondere die Punkte hervorgehoben, die f&uuml;r die anschliessende Gerechtigkeitsdiskussion relevant sind. Um was f&uuml;r eine Steuer handelt es sich bei der Erbschaftssteuer? Wer erhebt sie? Wen besteuert man und was wird besteuert? Diese Grundfragen sollen die Basis f&uuml;r die nachfolgende Betrachtung bilden.</p> <h3>2.1 Allgemeines</h3> <h4>2.1.1 Arten der Erbschaftssteuer</h4> <p>Dem Gesetzgeber stehen grunds&auml;tzlich zwei M&ouml;glichkeiten offen, mittels Besteuerung in die Erbmasse einzugreifen. Nach dem sogenannten Nachlasssteuermodell wird der Erblasser einer Art letztmaligen Verm&ouml;gensbesteuerung unterzogen. Erfasst wird von der Nachlasssteuer das ungeteilte Verm&ouml;gen zum Zeitpunkt des Erbanfalls als Ganzes. Allf&auml;llige Verwandtschaftsverh&auml;ltnisse bleiben unber&uuml;cksichtigt. Die Bemessung der Erbschaftssteuer bezieht sich allein auf die unverteilte Erbmasse.^{<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a>}</p> <p>Steuerrechtstheoretisch davon zu unterscheiden ist die zweite Ausgestaltungsm&ouml;glichkeit der Erbschaftssteuer: Die Erbanfallsteuer. Im Gegensatz zur Nachlasssteuer wird nicht die Verm&ouml;gensgesamtheit des Erblassers erfasst. Stattdessen sind die steuerbegr&uuml;ndenden Tatbest&auml;nde jeweils die einzelnen Verm&ouml;gens&uuml;berg&auml;nge auf den oder die Erben. Die Erbanfallsteuer beschl&auml;gt die individuelle Bereicherung und l&auml;sst eine Differenzierung betreffend dem (verwandtschaftlichen) N&auml;heverh&auml;ltnis zum Erblasser zu.^{<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a>} In der Schweiz nimmt sie aus diesem Grund die vorherrschende Stellung ein. In fast allen Kantonen, welche eine Erbschaftssteuer erheben, ist sie als Erbanfallsteuer konzipiert. Einzig der Kanton Solothurn erhebt zus&auml;tzlich zur Erbanfallsteuer eine Nachlasstaxe.^{<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a>}&nbsp;Ohne anderweitigen Hinweis ist die Erbschaftssteuer im weiteren Verlauf dieser Arbeit stets in ihre Ausgestaltung als Erbanfallsteuer gemeint.</p> <h4>2.1.2 Steuerhoheit</h4> <p>Unter dem Begriff Steuerhoheit versteht man die rechtliche und tats&auml;chliche M&ouml;glichkeit eines Gemeinwesens, Steuern zu erheben.^{<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a>} In der Schweiz steht die Erbschaftssteuerhoheit in Ermangelung einer Kompetenznorm zugunsten des Bundes umfassend den Kantonen zu.^{<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a>} Wie und ob die Kantone von dieser Erm&auml;chtigung Gebrauch machen, steht ihnen &ndash; innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken &ndash; frei. In der Regel erheben die Kantone die Erbschaftssteuer selbst, zum Teil &uuml;bertragen sie diese im Sinne einer abgeleiteten Steuerhoheit aber auch an die Gemeinden (z.B. in Graub&uuml;nden). Alternativ lassen viele Kantone die Gemeinden am Ertrag der kantonalen Erbschaftssteuereinnahmen teilhaben, ohne dass die Gemeinden selbst eine Steuerhoheit besitzen.^{<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a>} Es ist zudem herauszustreichen, dass aus der Berechtigung zur Besteuerung keine Verpflichtung folgt. Die Kantone Schwyz und Obwalden haben auf ihr Recht verzichtet und erheben keine Erbschaftssteuer.^{<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">10</a>}</p> <p>Die gegenw&auml;rtige Gestaltung der erbschaftssteuerlichen Kompetenzordnung ist nicht alternativlos. Als Beispiel sei hier die Volksinitiative &laquo;Millionen-Erbschaften besteuern f&uuml;r unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)&raquo; aus dem Jahre 2015 erw&auml;hnt, welche unter anderem das Ziel verfolgte, die Erhebungskompetenz der Erbschaftssteuer auf Bundesebene zu verschieben, um damit interkantonalen Steuerwettbewerb zu vermeiden und f&uuml;r eine einheitliche Besteuerung zu sorgen.^{<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a>} Anders als die Initianten kommen Opel/Schaltegger in ihrer Analyse zur Thematik Bundeserbschaftssteuer zum Schluss, dass der Status Quo (kantonale Kompetenz) sowohl rechtlich als auch &ouml;konomisch &uuml;berzeugt und kein &Auml;nderungsbedarf besteht.^{<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">12</a>}&nbsp;Im Abschnitt 3.2.2.3. Kantonale Steuerhoheit<em> </em>wird auf diese Diskussion in gerechtigkeitstheoretischer Hinsicht zur&uuml;ckzukommen sein.</p> <h4>2.1.3 Steuersubjekt und Steuerobjekt</h4> <p>Steuersubjekte (und damit Tr&auml;ger der Steuerlast) sind diejenigen Personen, die dem Gemeinwesen als Empf&auml;nger der steuerbaren Verm&ouml;gens&uuml;berg&auml;nge zur Steuerleistung verpflichtet sind.^{<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13</a>} Bei der Erbschaftssteuer unterscheidet sich das Steuersubjekt je nach Ausgestaltung der Steuer. Ist die Erbschaftssteuer als Erbanfallsteuer konzipiert, so ist jeder Erbe bzw. jede Erbin einzeln als Steuersubjekt zu betrachten. Handelt es sich dagegen um eine Erbschaftssteuer in ihrer Ausgestaltung als Nachlasssteuer, trifft die subjektive Steuerlast die gesamte Erbengemeinschaft.^{<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a>}</p> <p>Unter dem Begriff Steuerobjekt versteht man den gesetzlich umschriebenen, wirtschaftlichen Tatbestand, dessen Vorhandensein zur Steuererhebung veranlasst.^{<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">15</a>} Das Steuerobjekt der Erbschaftssteuer ist der Verm&ouml;gens&uuml;bergang von Todes wegen. Auch hier muss eine Differenzierung vorgenommen werden: Je nach Ausgestaltung der Erbschaftssteuer ist das Steuerobjekt der Nachlass als Ganzes (Nachlasssteuer) oder der jeweilige Verm&ouml;gens&uuml;bergang auf die einzelnen Erben (Erbanfallsteuer).^{<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">16</a>}</p> <h4>2.1.4 Subjektive und objektive Steuerbefreiung</h4> <p>Eine erhebliche Bedeutung im Erbschaftssteuerrecht kommt den gesetzlichen Befreiungen von der Steuerpflicht zu. S&auml;mtliche kantonalen Gesetze sehen sowohl f&uuml;r den Gegenstand der Steuer als auch f&uuml;r den Kreis der steuerpflichtigen Personen Ausnahmetatbest&auml;nde vor.^{<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">17</a>}</p> <p>Aus Billigkeitsgr&uuml;nden werden bestimmte Verm&ouml;gens&uuml;berg&auml;nge von Todes wegen kategorisch von der Erbschaftssteuer ausgenommen. Unter solche sachlichen Steuerbefreiungen fallen zum Beispiel Beitr&auml;ge an den Unterhalt, das Heiratsgut oder auch der Hausrat. Daneben sehen die meisten Erbschaftssteuergesetze Entlastungen der Steuerpflichtigen mittels nach Verwandtschaftsgrad abgestuften Steuerfreibetr&auml;gen vor.^{<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a>}</p> <p>Qualitativ und quantitativ weiter reicht die Befreiung von der subjektiven Steuerpflicht. S&auml;mtliche kantonalen Erbschaftssteuergesetze haben von der generellen Besteuerung von Verm&ouml;gens&uuml;bertragungen von Todes wegen abgesehen und nehmen bestimmte Personenkreise kategorisch von der Erbschaftssteuer aus. So sind beispielsweise Verm&ouml;gens&uuml;berg&auml;nge an die &ouml;ffentliche Hand grunds&auml;tzlich in allen Kantonen steuerfrei. Auch Institutionen mit wohlt&auml;tiger oder gemeinn&uuml;tziger Zwecksetzung sind mehrheitlich von der Steuerpflicht befreit.^{<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a>} Schliesslich sind in allen Kantonen Ehegatten und eingetragene Partner und Partnerinnen &ndash; sowie in den meisten Kantonen (alle ausser AI, VD, NE sowie gewisse Gemeinden in LU) direkte Nachkommen von der Besteuerung ausgenommen.^{<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a>}</p> <p>Die Vereinbarkeit dieser steuerlichen Privilegierungen mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsgleichheit und seiner Konkretisierung im Steuerrecht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_127" target="_blank" rel="noopener">Art. 127 Abs. 2 Bundesverfassung [BV]</a>) wird in Abschnitt 2.2. Verfassungsrechtliche Schranken der Erbschaftssteuer diskutiert.</p> <h4>2.1.5 Steuerbemessung</h4> <h5>2.1.5.1 Zeitliche Bemessung</h5> <p>Bei der Erbschaftssteuer handelt es sich um eine einmalige Steuer, die im Grundsatz anhand des Wertes des Verm&ouml;gensanfalls im Zeitpunkt des Todes des Erblassers berechnet wird. Bei einer Nacherbeneinsetzung, einen an eine aufschiebende Bedingung gekn&uuml;pften Verm&ouml;gens&uuml;bergang oder bei einer Ersatzverf&uuml;gung f&uuml;r die Bemessung der Steuer wird nicht auf den Todestag des Erblassers abgestellt. Der Stichtag verschiebt sich in solchen F&auml;llen ausnahmsweise auf einen sp&auml;teren Zeitpunkt.^{<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a>}</p> <h5>2.1.5.2 Sachliche Bemessung</h5> <p>Bei der sachlichen Bemessung der Erbschaftssteuer geht es um die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage. In der Regel setzt sich diese sowohl aus Aktiven als auch aus Passiven zusammen.^{<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a>} Gemessen wird f&uuml;r die Steuerberechnung grunds&auml;tzlich der Verkehrswert (Marktwert) des Nachlasses.^{<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a>} Gemeint ist damit der Wert, der einem Verm&ouml;gensgegenstand im wirtschaftlichen Tauschverkehr bei Kauf und Verkauf unter normalen Gegebenheiten (Angebot und Nachfrage) beigemessen wird. Einige Kantone sehen in ihren Gesetzen eigene, davon abweichende Bewertungsvorschriften vor. F&uuml;r bestimmte Verm&ouml;genswerte (beispielsweise Grundst&uuml;cke) bestehen zudem Spezialregelungen, die dem obigen Grundsatz vorangehen.^{<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a>}</p> <h4>2.1.6 Rechtsnatur</h4> <p>Obwohl die Frage nach der Rechtsnatur einer Steuer in der Praxis kaum eine Bedeutung hat, ist ihre Behandlung auf der dogmatischen Ebene dennoch interessant. So vermag sie einen ersten Eindruck dar&uuml;ber zu vermitteln, welche rechtlichen &Uuml;berlegungen hinter der Erhebung einer Erbschaftssteuer stehen k&ouml;nnen. Eine detailliertere Betrachtung solcher Rechtfertigungsgr&uuml;nde der Erbschaftssteuer wird in Abschnitt 2.3. Rechtfertigung der Erbschaftssteuer<em> </em>vorgenommen.</p> <h5>2.1.6.1 Rechtsverkehrssteuer oder Bereicherungssteuer</h5> <p>&Uuml;ber die rechtliche Einordnung der Erbschaftssteuer als Erbanfallsteuer herrscht seit jeher Uneinigkeit. Nach traditioneller Auffassung kn&uuml;pft die Erbschaftssteuer an den Tatbestand der unentgeltlichen Verm&ouml;gens&uuml;bertragung von Todes wegen an und l&auml;sst sich demnach den Verkehrssteuern zuordnen.^{<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a>} Der Erbgang wird als Akt des Rechtverkehrs verstanden, welcher die Steuerschuld ausl&ouml;st. Gegen diese Qualifikation wird das Argument ins Feld gef&uuml;hrt, dass der Verm&ouml;genszufluss beim Erben im Zentrum der Betrachtung stehen sollte und nicht der Verm&ouml;gens&uuml;bergang inter partes. Vertreter dieser Sichtweise postulieren, dass es sich bei der Erbschaftssteuer daher eher um eine Bereicherungssteuer handelt, die in der N&auml;he der Einkommenssteuer anzusiedeln ist.^{<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">26</a>}&nbsp;Der Fokus liegt hierbei auf dem Beg&uuml;nstigten und der Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit.</p> <p>Weitgehende Einigkeit &uuml;ber die Rechtsnatur herrscht hingegen bei der Erbschaftssteuer in ihrer Ausgestaltung als Nachlasssteuer. Im Sinne einer letzten Besteuerung des Erblassers wird diese einhellig als Spezialverm&ouml;genssteuer verstanden.^{<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a>}</p> <h5>2.1.6.2 Direkte und indirekte Steuer</h5> <p>Von weit gr&ouml;sserer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern, da nur die direkten Steuern unter den Harmonisierungsauftrag des Bundes gem&auml;ss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_129" target="_blank" rel="noopener">Art. 129 BV</a> fallen und dem Bund damit nur in diesem Bereich eine Rahmengesetzgebungskompetenz zukommt.</p> <p>Begr&uuml;ndet in der Tatsache, dass bereits die Unterscheidungskriterien von direkten und indirekten Steuern umstritten sind, werden auch hier verschiedene Auffassungen vertreten:</p> <p>Direkte Steuern kennzeichnen sich nach der insbesondere im Ausland vorherrschenden Ansicht dadurch, dass derjenige, der die Steuer schuldet und derjenige, der die Steuerlast am Ende tats&auml;chlich tr&auml;gt, identisch sind.^{<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a>} Im Gegensatz dazu k&ouml;nnen indirekte Steuern vom Steuerschuldner auf den Steuertr&auml;ger &uuml;berw&auml;lzt werden. Da der Erbe im Falle einer Erbschaft zugleich Steuerschuldner und Steuertr&auml;ger ist, handelt es sich bei der Erbschaftssteuer nach dieser Auffassung um eine direkte Steuer.^{<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a>} Nach der Schweizer Lehre stellt man hingegen nicht auf das Kriterium der Identit&auml;t resp. &Uuml;berw&auml;lzbarkeit ab, sondern unterscheidet danach, ob Steuerobjekt und Steuerbemessungsgrundlage zusammen- (direkte Steuer) oder auseinanderfallen (indirekte Steuer). Hierbei kommt es darauf an, welcher oben dargelegten Qualifikation man folgt. Versteht man die Erbschaftssteuer als Rechtsverkehrssteuer, so fallen der Rechtsverkehrsakt des Verm&ouml;gens&uuml;bergangs als Steuerobjekt und der Wert des &uuml;bertragenen Verm&ouml;gens als Steuerbemessungsgrundlage auseinander und es handelt sich um eine indirekte Steuer.^{<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">30</a>} Fasst man die Erbschaftssteuer dagegen als Bereicherungssteuer auf, so stellt die Bereicherung zugleich Steuerobjekt und Steuerbemessungsgrundlage dar, was im Ergebnis eine Definition als direkte Steuer verlangt.^{<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a>}</p> <p>Dass die Erbschaftssteuer ausdr&uuml;cklich nicht zum Gegenstand der Steuerharmonisierung gemacht wurde, l&auml;sst darauf schliessen, dass der Verfassungsgeber sie als indirekte Steuer festlegte.^{<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a>} In der Literatur wird diese Ansicht teilweise bestritten und die Erbschaftssteuer mit Fokus auf ihren Bereicherungsaspekt den direkten Steuern zugeordnet.^{<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">33</a>}</p> <h4>2.1.7 Verh&auml;ltnis zu anderen Steuern</h4> <p>Abschliessend gilt es die Erbschaftssteuer im Gesamtsystem des Steuerrechts einzuordnen und von anderen Steuerarten abzugrenzen.</p> <p>Obwohl Erbschaften nach der Reinverm&ouml;genszugangstheorie^{<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a>} grunds&auml;tzlich steuerbares Einkommen darstellen, fallen sie nicht unter die Einkommenssteuer und werden, mit der Absicht das kantonale Steuersubstrat zu wahren, in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art.&nbsp;24&nbsp;lit. a Bundesgesetz &uuml;ber die direkte Bundessteuer (DBG)</a> ausdr&uuml;cklich von dieser ausgenommen.^{<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a>}</p> <p>Sowohl die Erbschaftssteuer als auch die Verm&ouml;genssteuer erfassen bereits vorhandene Verm&ouml;gen. Erstere beschl&auml;gt jedoch den Besitz des Verm&ouml;gensbestandes bei dessen Inhaber, wogegen Letztere die Verm&ouml;genssubstanz erst anl&auml;sslich des Verm&ouml;gens&uuml;bergangs von Todes wegen beim Erben besteuert.^{<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a>}</p> <p>Systematisch nahe der Erbschaftssteuer liegt sodann auch die Schenkungssteuer. Im Gegensatz zur Erbschaftssteuer beschl&auml;gt sie unentgeltliche Verm&ouml;genszuwendungen zu Lebzeiten.^{<a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37">37</a>}</p> <h3>2.2 Verfassungsrechtliche Schranken der Erbschaftssteuer</h3> <p>Wie in Abschnitt 2.1.2. Steuerhoheit aufgezeigt wurde, verf&uuml;gen die Kantone im Bereich der Erbschaftssteuer &uuml;ber eine uneingeschr&auml;nkte Steuerhoheit. Trotz dieser umfassenden Erhebungskompetenz sind sie bei der Aus&uuml;bung dieser Befugnis an die verfassungsrechtlichen Steuergrunds&auml;tze gebunden. Im Folgenden werden die (f&uuml;r die anschliessende Gerechtigkeitsbetrachtung) relevanten Verfassungsschranken vorgestellt, im Hinblick auf die Erbschaftssteuer diskutiert und auf ihre Umsetzung &uuml;berpr&uuml;ft. Die Betrachtung konzentriert sich auf allgemeine Aspekte und klammert interkantonale Unterschiede mehrheitlich aus.</p> <h4>2.2.1 Verfassungsm&auml;ssige Grunds&auml;tze der Besteuerung</h4> <p>Die verfassungsrechtlichen Steuererhebungsprinzipien bilden die Grundlage einer gerechten Steuerordnung.^{<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38">38</a>} Unter Beachtung von finanz-, sozial- und steuerpolitischen Aspekten verm&ouml;gen es diese Grunds&auml;tze, sachgerechte Richtlinien f&uuml;r eine dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfindenden entsprechende Steuerausgestaltung darzustellen.^{<a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39">39</a>} Die Prinzipien der Besteuerung stecken den Rahmen, in dem sich Rechtssetzung und Rechtsanwendung im Steuerrecht bewegen d&uuml;rfen.^{<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40">40</a>}</p> <p>Die Bundesverfassung normiert in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_127" target="_blank" rel="noopener">Art. 127 Abs. 2 BV</a> den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, den Grundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit der Besteuerung sowie den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit. Diese drei Prinzipien stellen eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 BV</a> und des Willk&uuml;rverbots in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 BV</a> dar.^{<a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41">41</a>}</p> <p>Trotz der Formulierung &laquo;Soweit es die Art der Steuer zul&auml;sst [&hellip;]&raquo; in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_127" target="_blank" rel="noopener">Art. 127 Abs. 2 BV</a> ist heute weithin anerkannt, dass die Besteuerungsgrunds&auml;tze im gesamten Steuerbereich zur Anwendung kommen und somit auch f&uuml;r die Erbschaftssteuer Geltung beanspruchen.^{<a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42">42</a>}</p> <h5>2.2.1.1 Grundsatz der Allgemeinheit</h5> <h6>2.2.1.1.1 Zum Grundsatz</h6> <p>Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung bezieht sich auf die subjektive Seite des Steuerrechtsverh&auml;ltnisses. Es wird gefragt, welcher Kreis an steuerpflichtigen Personen einer bestimmten Steuerart unterworfen werden soll.^{<a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43">43</a>} Prinzipiell verlangt das Prinzip der Allgemeinheit, dass der Finanzaufwand des Staates von allen steuerpflichtigen Personen gemeinsam getragen wird.^{<a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44">44</a>} Unabh&auml;ngig von pers&ouml;nlichen Merkmalen wie Herkunft, Stand oder Geschlecht soll jeder und jede gleichermassen zu Steuerleistung verpflichtet sein.^{<a title="" href="#_ftn45" name="_ftnref45">45</a>} Im gleichen Masse wie alle B&uuml;rgerinnen und B&uuml;rger resp. Einwohnerinnen und Einwohner von den staatlichen Leistungen profitieren, haben alle ihren Teil der Staatslasten zu tragen.^{<a title="" href="#_ftn46" name="_ftnref46">46</a>} Gem&auml;ss Bundesgericht verlangt der Grundsatz der Allgemeinheit, &laquo;dass alle Personen oder Personengruppen nach denselben gesetzlichen Regeln erfasst werden; Ausnahmen, f&uuml;r die kein sachlicher Grund besteht, sind unzul&auml;ssig&raquo;.^{<a title="" href="#_ftn47" name="_ftnref47">47</a>}&nbsp;Bezweckt wird damit die Verhinderung jeglicher Art von Privilegierung bzw. Diskriminierung einzelner Personen oder Personengruppen, woraus sich wiederum zwei Verbote ableiten lassen:</p> <h6>2.2.1.1.1.1 Privilegierungsverbot</h6> <p>Grunds&auml;tzlich verbietet das Prinzip der Allgemeinheit Steuerprivilegien. Ohne Rechtfertigung ist es weder zul&auml;ssig die wirtschaftlich schlechter gestellten noch die wohlsituierten Steuerpflichtigen zu beg&uuml;nstigen.^{<a title="" href="#_ftn48" name="_ftnref48">48</a>} Dem Privilegierungsverbot zufolge sind Ausnahmen von der Steuerbelastung ausschliesslich dann gestattet, wenn sachliche Gr&uuml;nde daf&uuml;rsprechen. Ein solcher Fall w&auml;re beispielsweise dann gegeben, wenn wesentliche Unterschiede in den wirtschaftlichen Verh&auml;ltnissen der Steuersubjekte bestehen oder wenn die Steuerbefreiung durch den Zweck der Steuer beziehungsweise durch steuersystematische &Uuml;berlegungen zu rechtfertigen sind.^{<a title="" href="#_ftn49" name="_ftnref49">49</a>}</p> <h6>2.2.1.1.1.2 Diskriminierungsverbot</h6> <p>Das Diskriminierungsverbot verbietet eine sachlich unbegr&uuml;ndete Ungleichverteilung der Steuerlasten. Gem&auml;ss Bundesgericht ist es unzul&auml;ssig, wenigen Steuerpflichtigen im Verh&auml;ltnis zu ihrer Leistungsf&auml;higkeit eine erheblich gr&ouml;ssere Steuerlast aufzuerlegen als der Masse der &uuml;brigen Steuerpflichtigen.^{<a title="" href="#_ftn50" name="_ftnref50">50</a>}</p> <h6>2.2.1.1.2 Zur Umsetzung</h6> <p>Im Kontext der Erbschaftssteuer stellt sich in Bezug auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung insbesondere die Frage nach der Rechtm&auml;ssigkeit von subjektiven Steuerbefreiungen.</p> <p>Die in den meisten kantonalen Erbschaftsgesetzen vorgesehenen Beg&uuml;nstigungen von &uuml;berlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern und Partnerinnen und direkten Nachfahren des Erblassers stellen Privilegien dar, welche einer sachlichen Begr&uuml;ndung bed&uuml;rfen, um nicht als verfassungswidrig zu gelten. Das Bundesgericht rechtfertigt die derart gestalteten Erbschaftssteuerordnungen mit der verfassungsrechtlich gesch&uuml;tzten, gesellschaftlichen Stellung von Ehe und Familie (Familienprinzip). Solche Steuerbefreiungen f&uuml;hren, so das Gericht, zur F&ouml;rderung der Verwirklichung der famili&auml;ren, sozialen und moralischen Ziele, die dem privaten Erbrecht zugrunde liegen.^{<a title="" href="#_ftn51" name="_ftnref51">51</a>} Auch in Teilen der Literatur werden Ehe und Familie als Grundbausteine des sozialen Zusammenlebens betrachtet, dessen schonende Steuerbelastung geboten scheint.^{<a title="" href="#_ftn52" name="_ftnref52">52</a>} Solche Lebensgemeinschaften tragen demnach wesentlich zu einer stabilen Gesellschaft bei, was den Staat in seiner Wohlfahrtspflicht unterst&uuml;tzt und die Steuerbefreiung somit zu rechtfertigen vermag.^{<a title="" href="#_ftn53" name="_ftnref53">53</a>}</p> <p>Ob beziehungsweise wie stark der Staat auf Zuwendungen von Todes wegen eingreifen darf, h&auml;ngt demzufolge vom N&auml;heverh&auml;ltnis zwischen Erblasser und Erben ab. Da sich die Natur eines solchen Verh&auml;ltnisses in der Realit&auml;t kaum je nachweisen lassen wird, stellen die kantonalen Erbschaftssteuergesetze auf &auml;ussere Umst&auml;nde, namentlich den Verwandtschaftsgrad resp. die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft ab.^{<a title="" href="#_ftn54" name="_ftnref54">54</a>}</p> <p>Doch ist diese Wahrnehmung der Bedeutung von Ehe und Familie &uuml;berhaupt noch zeitgem&auml;ss und eine finanzielle Entlastung an dieser Stelle wirklich gerechtfertigt? Die soziale Realit&auml;t zeigt, dass sich die Bedeutung der Familie weitestgehend auf ihren Kern reduziert hat.^{<a title="" href="#_ftn55" name="_ftnref55">55</a>} Grossfamilien haben einen beachtlichen Teil ihrer Bedeutung eingeb&uuml;sst und diese Entwicklung muss auch das Erbschaftssteuerrecht ber&uuml;cksichtigen. Hinzu kommt, dass Erbschaften heutzutage in der Regel nicht mehr der Existenzsicherung der Verwandten dienen, sondern mehrheitlich f&uuml;r die Sicherung eines bestimmten Lebensstandards eingesetzt werden.^{<a title="" href="#_ftn56" name="_ftnref56">56</a>} Die Beg&uuml;nstigung von entfernten Verwandten ist nicht mehr gerechtfertigt, findet sie allein aufgrund eines formalen Verwandtschaftsbandes statt.^{<a title="" href="#_ftn57" name="_ftnref57">57</a>}</p> <p>Auf der anderen Seite f&uuml;hrt auch die subjektive Steuerbefreiung von direkten Nachkommen und Ehegatten resp. eingetragenen Partnern und Partnerinnen zu einer Diskriminierung. Personen mit einem alternativen Lebensentwurf, Personen also, die sich beispielsweise entscheiden, keine Kinder zu haben, ein Zusammenleben im Konkubinat zu f&uuml;hren oder ohne Partnerschaft zu bleiben, werden durch diese Regelung benachteiligt. Denn diejenigen Personen, denen sie vererben k&ouml;nnen, unterliegen h&ouml;heren Steuers&auml;tzen. Beg&uuml;nstigt wird ein klassisches Familienmodell, welches nicht mehr der gesamten, gelebten Realit&auml;t entspricht.^{<a title="" href="#_ftn58" name="_ftnref58">58</a>}&nbsp;Mit der gegenw&auml;rtigen Erbschaftssteuerausgestaltung schaffen die Kantone Anreize f&uuml;r ledige, kinderlose und/oder im Konkubinat lebende Personen, ihr Verm&ouml;gen am Ende ihres Lebens aufzubrauchen, anstatt es beispielsweise an Lebenspartner, Patenkinder oder Freunde zu vererben. Das ist weder effizient noch sozial. Im Sinne der Testierfreiheit sollte es meines Erachtens m&ouml;glich sein, unbeeinflusst von erbschaftssteuerlichen &Uuml;berlegungen zu entscheiden, wem man sein Verm&ouml;gen vermachen will.</p> <p>Die Forderung nach der Abschaffung der Erbschaftsteuerprivilegien f&uuml;r Ehegatten und direkte Nachkommen wird in der Schweiz immer wieder aufs politische Parkett gebracht, bisher jedoch kam es nicht zur Realisierung.^{<a title="" href="#_ftn59" name="_ftnref59">59</a>} Die Kantone f&uuml;rchten sich davor, im interkantonalen Konkurrenzverh&auml;ltnis an Attraktivit&auml;t zu verlieren und wohlhabende Erblasser und Erblasserinnen mit einer solchen Regelung zu vertreiben oder abzuschrecken.^{<a title="" href="#_ftn60" name="_ftnref60">60</a>} Gem&auml;ssigter und damit m&ouml;glicherweise mehrheitsf&auml;higer w&auml;re der Vorschlag von Hangartner, der die subjektive Steuerbeg&uuml;nstigung davon abh&auml;ngig machen will, wen der Erblasser in seinem Testament beg&uuml;nstigt. Mit einer solchen Regelung k&ouml;nnte den realen sozialen Gegebenheiten in der heutigen Gesellschaft besser Rechnung getragen werden und auch diejenigen Personen beg&uuml;nstigt werden, die, nebst den ohnehin in den Genuss der Erbschaftssteuerprivilegien kommenden Pflichteilsempf&auml;ngern, dem Erblasser nahestanden.^{<a title="" href="#_ftn61" name="_ftnref61">61</a>}&nbsp;Problematisch an diesem Vorschlag ist die Tatsache, dass eine derartige Erweiterung je nach Ausgestaltung der m&ouml;glichen subjektiven Steuerbefreiungen eine massive Einbusse an Steuereinahmen mit sich bringen k&ouml;nnte.</p> <h5>2.2.1.2 Grundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit</h5> <p>W&auml;hrend der Grundsatz der Allgemeinheit in erster Linie die Steuersubjekte betrifft, beschl&auml;gt der Grundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit die objektive Seite des Steuerrechtsverh&auml;ltnisses.^{<a title="" href="#_ftn62" name="_ftnref62">62</a>} Er verlangt, dass die Steuerlast gleichm&auml;ssig auf die Steuerpflichtigen verteilt wird, indem gleiche oder gleichartige Sachverhalte in derselben Weise erfasst respektive freigestellt werden. Andererseits bedeutet das, dass wesentlich unterschiedliche Verh&auml;ltnisse auch einer unterschiedlichen steuerrechtlichen Behandlung bed&uuml;rfen.^{<a title="" href="#_ftn63" name="_ftnref63">63</a>}</p> <p>In der Praxis wird der Grundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit faktisch vom dritten Grundsatz, der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit, konsumiert und vom Bundesgericht nicht separat gepr&uuml;ft.^{<a title="" href="#_ftn64" name="_ftnref64">64</a>}&nbsp;Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf weitere Ausf&uuml;hrungen verzichtet.</p> <h5>2.2.1.3 Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit</h5> <h6>2.2.1.3.1 Zum Grundsatz</h6> <p>Grundlegend f&uuml;r eine gerechte Ausgestaltung des schweizerischen Steuersystems ist der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit.^{<a title="" href="#_ftn65" name="_ftnref65">65</a>} Das sogenannte Leistungsf&auml;higkeitsprinzip bildet den zentralen Massstab f&uuml;r eine rechtsgleiche und willk&uuml;rfreie Besteuerung.^{<a title="" href="#_ftn66" name="_ftnref66">66</a>} Dem Grundsatz zufolge soll jede steuerpflichtige Person im Verh&auml;ltnis der ihr zu Verf&uuml;gung stehenden Mittel und der ihre Leistungsf&auml;higkeit beeinflussenden pers&ouml;nlichen Verh&auml;ltnisse an den Finanzbedarf des Gemeinwesens beitragen.^{<a title="" href="#_ftn67" name="_ftnref67">67</a>} Betrachtet wird einerseits die finanzielle Situation des Steuerpflichtigen und andererseits der individuelle Bedarf, insbesondere die Personenanzahl, deren Unterhalt aus den verf&uuml;gbaren Finanzen bestritten werden muss.^{<a title="" href="#_ftn68" name="_ftnref68">68</a>} Das Leistungsf&auml;higkeitsprinzip verfolgt das Ziel einer relativen Gleichbehandlung.^{<a title="" href="#_ftn69" name="_ftnref69">69</a>} Angestrebt wird, dass die wirtschaftliche Belastung durch die Besteuerung bei allen Steuerpflichtigen gleich schwer wiegt respektive alle das gleiche &laquo;Opfer&raquo; erbringen m&uuml;ssen.^{<a title="" href="#_ftn70" name="_ftnref70">70</a>} Diese, den Finanzwissenschaften entstammende, Opfertheorie verlangt, dass die Steuerlast mit steigendem Einkommen respektive h&ouml;herem Verm&ouml;gen w&auml;chst.^{<a title="" href="#_ftn71" name="_ftnref71">71</a>} Begr&uuml;ndet wird diese Theorie mit dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Was damit gemeint ist, l&auml;sst sich am besten mit einem Zahlenbeispiel verdeutlichen: F&uuml;r eine Person, die ein Verm&ouml;gen von CHF 1000.&ndash; hat, sind CHF 100.&ndash; zus&auml;tzlich von gr&ouml;sserem Wert respektive &laquo;n&uuml;tzlicher&raquo; als f&uuml;r eine Person, die bereits ein Verm&ouml;gen von CHF 1&rsquo;000'000.&ndash; hat und es auf CHF 100.&ndash; mehr oder weniger nicht ankommt. Aus dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzen leitet sich folglich ab, dass die prozentual h&ouml;here Besteuerung gr&ouml;sserer Einkommen und Verm&ouml;gen gerechtfertigt ist.^{<a title="" href="#_ftn72" name="_ftnref72">72</a>}</p> <p>Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit setzt sich zusammen aus dem Prinzip der horizontalen Steuergerechtigkeit und dem Prinzip der vertikalen Steuergerechtigkeit.^{<a title="" href="#_ftn73" name="_ftnref73">73</a>} In horizontaler Richtung sollen Personen, deren wirtschaftliche Verh&auml;ltnisse gleich sind, gleich besteuert werden.^{<a title="" href="#_ftn74" name="_ftnref74">74</a>} Dieses Prinzip ist unbestritten und verh&auml;ltnism&auml;ssig leicht umzusetzen. Schwieriger gestaltet sich die Umsetzung der vertikalen Steuergerechtigkeit. So sollen steuerpflichtige Personen in unterschiedlicher wirtschaftlicher Lage, sachgerecht unterschiedlich besteuert werden. Die Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit ist in vertikaler Richtung jedoch geringer, was die Beurteilung der Gerechtigkeit eines Steuersatzes erschwert.^{<a title="" href="#_ftn75" name="_ftnref75">75</a>} Aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit l&auml;sst sich daher keine exakte Angabe ableiten, um wie viel die Steuer zunehmen soll, wenn sich die wirtschaftliche Leistungsf&auml;higkeit erh&ouml;ht.^{<a title="" href="#_ftn76" name="_ftnref76">76</a>}</p> <p>Gem&auml;ss der vorherrschenden Lehrmeinung verlangt der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit eine progressive Ausgestaltung der Besteuerung.^{<a title="" href="#_ftn77" name="_ftnref77">77</a>} Das Bundesgericht ist in der Beurteilung der Progressionsfrage zur&uuml;ckhaltend, hat aber im &laquo;Fall Obwalden&raquo; entschieden, dass degressive Steuers&auml;tze im Bereich der Einkommenssteuer gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit verstossen.^{<a title="" href="#_ftn78" name="_ftnref78">78</a>}</p> <h6>2.2.1.3.2 Zur Umsetzung</h6> <p>Auch die Erbschaftssteuer unterliegt dem Verfassungsprinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit. In der Schweiz wird diesem Grundsatz in zweierlei Hinsicht Rechnung getragen. Zum einen haben sich alle (eine Erbschaftssteuer erhebenden) Kantone f&uuml;r deren Ausgestaltung als Erbanfallsteuer entschieden, was die Ber&uuml;cksichtigung der Leistungsf&auml;higkeit des einzelnen Empf&auml;ngers erm&ouml;glicht. Zum anderen ist neben der proportionalen Abstufung der Steuertarife nach Verwandtschaftsgrad in etwa der H&auml;lfte der Schweizer Kantone eine Progression bei der Tarifgestaltung nach H&ouml;he des Verm&ouml;gensanfalls vorgesehen.^{<a title="" href="#_ftn79" name="_ftnref79">79</a>}</p> <p>Von M&auml;usli-Allenspach wird vertreten, dass dem Leistungsf&auml;higkeitsprinzip im Bereich der Erbschaftssteuer aufgrund ihrer Aperiodizit&auml;t im Gegensatz zur Einkommenssteuer nur eine marginale Bedeutung zukommt.^{<a title="" href="#_ftn80" name="_ftnref80">80</a>} Diese Position &uuml;berzeugt meines Erachtens nicht, denn auch wenn es sich bei einer Erbschaft nur um einen einmaligen Finanzzufluss handelt, geht damit dennoch eine Steigerung der Leistungsf&auml;higkeit einher. Ratio legis des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit ist es, rechtsgleich und willk&uuml;rfrei zu besteuern.^{<a title="" href="#_ftn81" name="_ftnref81">81</a>}&nbsp;In welcher Regelm&auml;ssigkeit die Steigerung der Leistungsf&auml;higkeit eintritt, kann daher nicht von Bedeutung sein.</p> <p>Problematischer erscheint die Tatsache, dass mit der an der H&ouml;he der Erbschaftssumme ausgerichteten progressiven Tarifgestaltung die tats&auml;chliche Leistungsf&auml;higkeit der Erben nicht realit&auml;tsgetreu erfasst wird. Abzustellen w&auml;re nicht allein auf die H&ouml;he des Verm&ouml;gensanfalls beim Erben, sondern zudem auf dessen tats&auml;chliche wirtschaftliche Verh&auml;ltnisse im Zeitpunkt des Erbanfalls (Einkommen und Verm&ouml;gen).^{<a title="" href="#_ftn82" name="_ftnref82">82</a>} Eine Erbschaft, welche beispielsweise zur Deckung offener Schulden direkt &laquo;konsumiert&raquo; wird, steigert die Leistungsf&auml;higkeit nicht. Allein die H&ouml;he der empfangenen Zuwendung kann daher kein Massstab daf&uuml;r sein, um wie viel die Leistungsf&auml;higkeit des Empf&auml;ngers oder der Empf&auml;ngerin zugenommen hat. Um die steuerliche Belastung tats&auml;chlich an der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit des Pflichtigen auszurichten, m&uuml;sste eine Gesamtbetrachtung dessen &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse vorgenommen werden.^{<a title="" href="#_ftn83" name="_ftnref83">83</a>}&nbsp;</p> <p>Schliesslich m&uuml;ssen auch unter dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit die subjektiven Steuerbefreiungen kritisch beurteilt werden.^{<a title="" href="#_ftn84" name="_ftnref84">84</a>}&nbsp;Ehegatten, eingetragene Partner und Partnerinnen und direkte Nachkommen werden mit einer Erbschaft wirtschaftlich genauso bessergestellt wie alle anderen Erben. Eine konsequente Anwendung des Leistungsf&auml;higkeitsprinzips w&uuml;rde folglich auch in diesen Konstellationen eine Besteuerung verlangen. Nach den Prinzipien der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit rechtfertigen sich die in den meisten Erbschaftssteuergesetzen vorgesehenen, subjektiven Steuerprivilegien daher nicht.</p><h4>2.2.2 Eigentumsgarantie nach Art. 26 BV</h4> <p>Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie gew&auml;hrleistet das Eigentum des Individuums gegen&uuml;ber dem Gemeinwesen. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_26" target="_blank" rel="noopener">Art. 26 BV</a> enth&auml;lt drei Teilgehalte: Die sogenannte Institutsgarantie sch&uuml;tzt das Eigentum in seinem Wesensgehalt als fundamentale Einrichtung der Rechtsordnung, die Eigentumsgarantie als Bestandesgarantie sch&uuml;tzt die konkreten Eigentumsrechte des Einzelnen &ndash; also Verwendung und Ver&auml;usserung &ndash; vor staatlichen Eingriffen und als Drittes gew&auml;hrleistet die sogenannte Wertgarantie unter Umst&auml;nden eine Entsch&auml;digung bei gerechtfertigter Einschr&auml;nkung der individuellen Eigentumsrechte.^{<a title="" href="#_ftn85" name="_ftnref85">85</a>}</p> <p>F&uuml;r das Steuerrecht von Bedeutung ist die Eigentumsgarantie insbesondere in ihrer Ausgestaltung als Institutsgarantie, welche den Schutz vor einer konfiskatorischen Besteuerung beinhaltet.^{<a title="" href="#_ftn86" name="_ftnref86">86</a>} Die steuerliche Belastung muss mit dem erworbenen Verm&ouml;gen beglichen werden k&ouml;nnen, ohne dass ein Eingriff in die Verm&ouml;gensubstanz get&auml;tigt werden muss. Die M&ouml;glichkeit der Neubildung von Verm&ouml;gen ist zu erhalten und das Privateigentum darf nicht ausgeh&ouml;hlt werden.^{<a title="" href="#_ftn87" name="_ftnref87">87</a>} Die Frage, wie weit der Fiskus bei der Erhebung von Steuern gehen darf, ohne das Verbot der konfiskatorischen Besteuerung zu verletzen, ist umstritten.^{<a title="" href="#_ftn88" name="_ftnref88">88</a>} Das Bundesgericht war in seiner bisherigen Rechtsprechung sehr zur&uuml;ckhaltend mit der Annahme einer Verletzung der Eigentumsgarantie im Steuerrecht und hat bis heute erst in einem einzigen Fall eine Besteuerung als konfiskatorisch beurteilt.^{<a title="" href="#_ftn89" name="_ftnref89">89</a>}</p> <p>Um zu kl&auml;ren, ob eine konfiskatorische Besteuerung vorliegt, m&uuml;ssen stets die Gesamtbelastung des Steuerpflichtigen sowie die konkreten Umst&auml;nde des Einzelfalles betrachtet werden.^{<a title="" href="#_ftn90" name="_ftnref90">90</a>} Es w&auml;re falsch, eine Steuer zu beurteilen, ohne den Kontext zu w&uuml;rdigen, in dem sie erhoben wird.^{<a title="" href="#_ftn91" name="_ftnref91">91</a>}</p> <p>F&uuml;r die Erbschaftssteuer sind diesbez&uuml;glich insbesondere ihre Einmaligkeit und ihre Abstufung je nach N&auml;heverh&auml;ltnis resp. Verwandtschaftsgrad zum Erblasser von Bedeutung.</p> <p>Eine hohe Erbschaftssteuer tritt erst dann in Konflikt mit der Eigentumsgarantie, wenn ihr Empf&auml;nger kein Verm&ouml;gen besitzt und nur &uuml;ber geringes Einkommen verf&uuml;gt und die Erbschaft nicht in liquiden Mitteln anf&auml;llt, sondern beispielsweise ein Unternehmen oder eine Liegenschaft beinhaltet.^{<a title="" href="#_ftn92" name="_ftnref92">92</a>} Vermag der Erbe die Erbschaftssteuer in dieser Konstellation nicht aus seinen bestehenden Finanzmitteln zu begleichen, ist er gezwungen, das Geerbte zu verkaufen, um so seine Steuerschuld zu tilgen. Es handelt sich dabei zwar nicht um einen Substanzeingriff, denn belastet wird in diesem Fall nur das Zugeflossene und eben gerade nicht die bestehende Verm&ouml;genssubstanz des Pflichtigen. Dennoch sind solche Umst&auml;nde im Hinblick auf die Eigentumsgarantie problematisch. &Uuml;bereinstimmend mit H&ouml;hn ist hier festzuhalten, dass auch die Eigentumsgarantie in ihrer Ausgestaltung als Bestandesgarantie in Einzelf&auml;llen als Schranke gegen exzessive Steuerbelastung herangezogen werden kann.^{<a title="" href="#_ftn93" name="_ftnref93">93</a>} Eine Ausweitung der Verfassungsm&auml;ssigkeitspr&uuml;fung &ndash; unter dem Aspekt der Bestandesgarantie &ndash; erscheint zwingend f&uuml;r ein individuell gerechtes Urteil, ob die Eigentumsgarantie mit einer Steuer verletzt wird.^{<a title="" href="#_ftn94" name="_ftnref94">94</a>}</p> <p>Schliesslich wird vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie das Argument ins Feld gef&uuml;hrt, eine hohe Besteuerung von Erbschaften sei problematisch, da es sich bei dem zu besteuernden Erbe um ein bereits einkommens- und verm&ouml;genssteuerrechtlich vorbelastetes Substrat handeln soll.^{<a title="" href="#_ftn95" name="_ftnref95">95</a>}&nbsp;Warum dieser Ansicht nicht beizupflichten und der Vorwurf der Doppelbesteuerung zur&uuml;ckzuweisen ist, wird am Ende des folgenden Abschnitts thematisiert.</p> <h3>2.3 Rechtfertigung der Erbschaftssteuer</h3> <p>Ein wichtiger Baustein f&uuml;r die in dieser Arbeit zu behandelnde Frage nach der gerechten Ausgestaltung einer Erbschaftssteuer ist die grunds&auml;tzlichere Frage nach deren Rechtfertigung. Es gilt zu kl&auml;ren, warum wir als Gesellschaft den Staat &uuml;berhaupt am &Uuml;bergang von Verm&ouml;genswerten zum Todeszeitpunkt partizipieren lassen. In der Folge werden verschiedene Ans&auml;tze pr&auml;sentiert, die versuchen, diese Frage zu beantworten. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird unter Heranzug der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls erneut auf die Rechtfertigung der Erbschaftssteuer einzugehen sein.</p> <p>Seit jeher besteht Uneinigkeit dar&uuml;ber, wie eine gerechte Ausgestaltung einer Erbschaftsteuer auszusehen hat. In der neueren Literatur wird nun auch vermehrt die grunds&auml;tzliche Daseinsberechtigung der Besteuerung von Erbschaften hinterfragt.^{<a title="" href="#_ftn96" name="_ftnref96">96</a>} Die Auffassungen gehen von der vollkommenen Ablehnung einer Erbschaftssteuer &ndash; da diese einen unzul&auml;ssigen Eingriff ins Familieneigentum darstelle &ndash; bis hin zur Forderung nach einer Konfiskation der Erbschaft, weil die Berechtigung am Verm&ouml;genserwerb durch Erbschaft an sich in Frage gestellt wird.^{<a title="" href="#_ftn97" name="_ftnref97">97</a>}&nbsp;Nachfolgend wird zun&auml;chst auf die Forderung der Abschaffung einer Erbschaftssteuer eingegangen und im Anschluss versucht, dieses Postulat mittels verschiedenen Rechtfertigungsans&auml;tzen zu entkr&auml;ften und eine plausible Erkl&auml;rung zu finden, die f&uuml;r die Erhebung einer Erbschaftssteuer spricht.</p> <h4>2.3.1 Erbschaftssteuer abschaffen?</h4> <p>In der Literatur wird teilweise die Meinung vertreten, dass auf den Verm&ouml;gens&uuml;bergang von Todes wegen keine Steuern entfallen sollten.^{<a title="" href="#_ftn98" name="_ftnref98">98</a>} Verschiedene europ&auml;ische Staaten &ndash; darunter auch unser Nachbarstaat &Ouml;sterreich &ndash; folgen dieser Haltung und haben sich f&uuml;r eine ersatzlose Abschaffung der Erbschaftssteuer entschieden.^{<a title="" href="#_ftn99" name="_ftnref99">99</a>} Argumentiert wird damit, dass die Besteuerung von Erbschaften mit der Eigentumsfreiheit nicht vereinbar ist. Eigentum sei demnach Privatsache, in welche der Staat nicht einzugreifen habe. Daneben wird von Gegnern der Erbschaftssteuer gerne das Prinzip der Leistungsf&auml;higkeit herangezogen und dahingehend verstanden, dass durch die Besteuerung von Erbschaften die Leistungsf&auml;higkeit &ndash; und insbesondere die Leistungsbereitschaft &ndash; beim Erblasser beschnitten wird. Das Verm&ouml;gen wurde Kraft der eigenen Arbeit angeh&auml;uft und ein Eingriff mittels Erbschaftssteuer stellt eine ungerechtfertigte Beteilung am Erfolg anderer dar, so die Begr&uuml;ndung. Weiter wird den Bef&uuml;rwortern der Erbschaftssteuer regelm&auml;ssig vorgeworfen, dass sie aus Neid argumentieren und wohlhabenden Personen ihr Verm&ouml;gen nicht g&ouml;nnen. Zuletzt f&auml;llt als Grund f&uuml;r die Abschaffung der Erbschaftssteuer immer wieder das Verbot der Doppel- oder Mehrfachbesteuerung. Gem&auml;ss dieser Auffassung unterlag die Erbschaft bereits der Verm&ouml;genssteuer und eine erneute Abf&uuml;hrung von Kapital k&auml;me somit einer Konfiskation gleich.^{<a title="" href="#_ftn100" name="_ftnref100">100</a>}</p> <p>Kontr&auml;r zur oben pr&auml;sentierten Ansicht, dass die Besteuerung von Erbschaften abzulehnen ist, sollen im folgenden Abschnitt verschiedene Argumente ins Feld gef&uuml;hrt werden, welche f&uuml;r die Erhebung einer Erbschaftssteuer sprechen.</p> <h4>2.3.2 Rechtfertigungsgrunds&auml;tze</h4> <h5>2.3.2.1 Die Erbschaftssteuer als Gegenleistung</h5> <p>Fr&uuml;her wurde zum Teil die These vertreten, dass die Erbschaftssteuer eine Art Entgelt daf&uuml;r sei, dass der Staat unser Eigentum sch&uuml;tzt und damit einen Eigentums&uuml;bergang von Todes wegen &uuml;berhaupt erst m&ouml;glich macht.^{<a title="" href="#_ftn101" name="_ftnref101">101</a>} Die Erbschaftssteuer stellt gem&auml;ss dieser Auffassung so etwas wie eine Versicherungspr&auml;mie dar, die zum Zeitpunkt des Erbanfalls f&auml;llig wird.^{<a title="" href="#_ftn102" name="_ftnref102">102</a>} Ausgedr&uuml;ckt wird, dass ohne die staatliche Infrastruktur und die herrschenden gesetzlichen Rahmenbedingungen ein pers&ouml;nliches Verm&ouml;gen gar nicht erst gebildet werden k&ouml;nnte.^{<a title="" href="#_ftn103" name="_ftnref103">103</a>} Heute gilt dieser Ansatz weitgehend als &uuml;berholt. Es &uuml;berzeugt nicht, warum ausgerechnet die Erbschaftssteuereinnahmen als Gegenleistung f&uuml;r die staatlich gew&auml;hrleistete Eigentumsgarantie hinhalten m&uuml;ssen. Des Weiteren wird von Kritikern angef&uuml;hrt, dass die Erbschaftssteuer &ndash; sollte sie als Entgelt verstanden werden &ndash; aufgrund ihrer H&ouml;he in einer nicht zu rechtfertigenden Unverh&auml;ltnism&auml;ssigkeit zur staatlichen Leistung steht.^{<a title="" href="#_ftn104" name="_ftnref104">104</a>}</p> <h5>2.3.2.2 Die Erbschaftssteuer als Hand&auml;nderungsabgabe</h5> <p>Alternativ wurde die Erbschaftssteuer schlicht als Hand&auml;nderungsabgabe betrachtet, welche an den Rechtsakt des Verm&ouml;genswechsels ankn&uuml;pft.^{<a title="" href="#_ftn105" name="_ftnref105">105</a>} Spiegelbildlich zum Verm&ouml;gensverkehr unter Lebenden, welcher mit der Schenkungssteuer erfasst wird, beschl&auml;gt die Erbschaftsteuer den Verm&ouml;gens&uuml;bertrag von Todes wegen.^{<a title="" href="#_ftn106" name="_ftnref106">106</a>} Auch diese Ansicht wurde mittlerweile als nicht sachgerecht verworfen, da mit ihr weder die R&uuml;cksichtnahme auf die Leistungsf&auml;higkeit noch die subjektiven Steuerprivilegien der Erbschaftssteuer erkl&auml;rt werden k&ouml;nnen.^{<a title="" href="#_ftn107" name="_ftnref107">107</a>}</p> <h5>2.3.2.3 Kontrollfunktion</h5> <p>Zum Teil wurde auch die Meinung vertreten, dass die Erbschaftssteuer eine Kontrollfunktion darstellt.^{<a title="" href="#_ftn108" name="_ftnref108">108</a>} Durch die Besteuerung des Verm&ouml;gens von Todes wegen sollen allf&auml;llige, zu Lebzeit begangene Steuerumgehungen aufgedeckt und r&uuml;ckwirkend geahndet werden.^{<a title="" href="#_ftn109" name="_ftnref109">109</a>} Auch dieser Rechtfertigungsversuch vermag nicht zu &uuml;berzeugen. Das unlautere Verhalten Einzelner kann nicht als Begr&uuml;ndung f&uuml;r eine allgemeine Steuerpflicht herangezogen werden und in der Konsequenz auch jene Erblasser bestrafen, die ihr Verm&ouml;gen immer korrekt deklariert haben. Im Weiteren erscheint es &auml;usserst fraglich, wie steuersystematische oder erhebungstechnische M&auml;ngel bei einer Steuer eine andere Steuer rechtfertigen sollen.^{<a title="" href="#_ftn110" name="_ftnref110">110</a>}</p> <h5>2.3.2.4 Leistungsf&auml;higkeitstheorie</h5> <p>In der moderneren Lehre wird die Leistungsf&auml;higkeitstheorie als Rechtfertigung f&uuml;r die Erbschaftssteuer herangezogen.^{<a title="" href="#_ftn111" name="_ftnref111">111</a>} Ins Auge gefasst wird hierbei im Unterschied zum Verst&auml;ndnis der Erbschaftssteuergegner nicht die Leistungsf&auml;higkeit des Erblassers, sondern jene des Erben, welcher, ohne eine Gegenleistung daf&uuml;r zu erbringen, durch die Erbschaft eine Bereicherung erf&auml;hrt.^{<a title="" href="#_ftn112" name="_ftnref112">112</a>} Der Verm&ouml;gens&uuml;bergang von Todes wegen bewirkt nach dieser Ansicht einen Reinverm&ouml;genszuwachs und damit eine Steigerung der finanziellen Leistungsf&auml;higkeit des Beg&uuml;nstigten, welche wiederum eine Besteuerung rechtfertigt.^{<a title="" href="#_ftn113" name="_ftnref113">113</a>} Die Anh&auml;nger dieser Theorie vertreten die Meinung, dass die Zul&auml;ssigkeit einer Besteuerung von mittels Arbeit erwirtschaftetem Erwerbsverm&ouml;gen bedeutet, dass dies erst recht f&uuml;r den gegenleistungslosen Einkommenszufluss via Erbschaft gelten muss.^{<a title="" href="#_ftn114" name="_ftnref114">114</a>}&nbsp;Die Leistungsf&auml;higkeitstheorie kann aufgrund ihrer Subjektbezogenheit nur f&uuml;r die Erbschaftssteuer in ihrer Ausgestaltung als Erbanfallsteuer herangezogen werden. Unter den Titeln<em> </em>Argument des Verdienstes<em> </em>und 3.2.2.1 Steuerprogression wird die Leistungsf&auml;higkeitstheorie einer erneuten Betrachtung unterzogen und mit Rawls Position zur Leistungsf&auml;higkeit verglichen.</p><h5>2.3.2.5 Umverteilungstheorie</h5> <p>Einer anderen Auffassung zufolge bezieht die Erbschaftssteuer ihre Daseinsberechtigung aus ihrer Umverteilungsfunktion. Die Umverteilung wird nicht bloss als Auswirkung einer sachgerecht bemessenen Fiskalsteuer betrachtet, sondern bildet die Legitimationsgrundlage der Erbschaftssteuer per se.^{<a title="" href="#_ftn115" name="_ftnref115">115</a>} Verm&ouml;gensvererbungen sorgen nach dieser Ansicht f&uuml;r eine Perpetuierung sozialer Ungleichheit. Das &laquo;unverdiente Verm&ouml;gen&raquo; durch Erbschaft steht im Widerspruch zu den sozial akzeptierten Ungleichheiten, die sich aus unterschiedlicher Leistung ergeben. Mittels einer Erbschaftssteuer soll makrosozial zur Korrektur dieser Ungleichheit beigetragen werden.^{<a title="" href="#_ftn116" name="_ftnref116">116</a>}&nbsp;Progressive Steuers&auml;tze sollen daf&uuml;r sorgen, dass hohe Erbschaften prozentual st&auml;rker belastet werden und eine Verm&ouml;gensumverteilung respektive -r&uuml;ckverteilung m&ouml;glich ist.</p> <p>Der Gedanken der Umverteilung ist in der sp&auml;ter zu diskutierenden Gerechtigkeitstheorie von John Rawls zentral und wird im Abschnitt 3.2.1.2 Rechtfertigung von Erbschaftssteuern<em> </em>vertieft behandelt.</p> <h5>2.3.2.6 Die Erbschaftssteuer als staatliches Miterbrecht</h5> <p>Schliesslich postuliert ein weiterer Rechtfertigungsansatz, dass es sich bei der Erbschaftssteuer um ein staatliches Miterbrecht handelt.^{<a title="" href="#_ftn117" name="_ftnref117">117</a>} Als Begr&uuml;ndung wird die Tatsache herangezogen, dass Aufgaben, die fr&uuml;her vorwiegend vom Familienverband getragen wurden (Erziehung, Unterst&uuml;tzung, usw.), aufgrund der gegenw&auml;rtigen, gesellschaftlichen Entwicklung st&auml;rker dem Staat obliegen. Die vermehrte Inanspruchnahme &ouml;ffentlicher Tr&auml;ger rechtfertigt in dieser Argumentationskette die Beschr&auml;nkung des famili&auml;ren Erbrechts und erlaubt somit ein staatliches Miterbrecht in Form einer Erbschaftssteuer.^{<a title="" href="#_ftn118" name="_ftnref118">118</a>}</p> <p>Als Einziger der dargestellten Rechtfertigungsversuche vermag dieser Ansatz die Abstufungen der Steuerbelastung innerhalb der verwandtschaftlichen Konstellation zu erkl&auml;ren. Eine niedrigere oder fehlende Besteuerung direkter Nachkommen und Ehegatten resp. eingetragener Partner oder Partnerinnen des Erblassers ist sinnvoll, da damit der enge Familienverband finanziell entlastet wird, so die Argumentation. Dabei muss jedoch in Zweifel gezogen werden, ob die verwandtschaftliche N&auml;he tats&auml;chlich etwas dar&uuml;ber aussagt, dass der Staat mittels familieninterner Care-Arbeit zu Lebzeiten des Erblassers entlastet wurde.^{<a title="" href="#_ftn119" name="_ftnref119">119</a>}</p> <h4>2.3.3 W&uuml;rdigung der verschiedenen Rechtfertigungsgrunds&auml;tze</h4> <p>Dieser Abriss verschiedener Rechtfertigungstheorien entspricht dem Versuch, m&ouml;glichst viele Aspekte der Frage zu beleuchten, warum wir dem Staat das Recht zusprechen sollten, eine Erbschaftssteuer zu erheben und der oben dargelegten Forderung nach ihrer Abschaffung nicht zu folgen ist.</p> <p>Das Gegenargument des unzul&auml;ssigen Eingriffs in die Eigentumsfreiheit vermag nicht zu &uuml;berzeugen. Wie unter 2.2.2. Eigentumsgarantie gezeigt wurde, gilt das Recht auf Eigentumsfreiheit in der Schweiz nicht unbeschr&auml;nkt. Ein Eingriff ist zul&auml;ssig, solange er nicht konfiskatorischer Natur ist. Auch der Vorwurf, dass Erbschaftssteuerbef&uuml;rworter sich in ihrer Argumentation nur von Neid leiten lassen, ist haltlos. Die oben aufgef&uuml;hrten Rechtfertigungsaspekte liefern vern&uuml;nftige Gr&uuml;nde daf&uuml;r, warum die Besteuerung von Erbschaften notwendig ist &ndash; und dies fern jeglicher Missgunst gegen&uuml;ber Verm&ouml;gen oder Wohlstand. Schliesslich ist auch der Vorwurf der Doppelbesteuerung zur&uuml;ckzuweisen. Eine unzul&auml;ssige Doppelbesteuerung liegt vor, wenn ein Steuersubjekt f&uuml;r das gleiche Steuerobjekt doppelt besteuert wird. Diese Identit&auml;t ist bei der Erbschaftssteuer nicht gegeben. Belastet wird der Verm&ouml;genszugang bei den Erben, welche f&uuml;r dieses Steuerobjekt zuvor noch nie einer Besteuerung unterzogen wurden, und eben gerade nicht beim Erblasser, welcher daf&uuml;r bereits Einkommens- und/oder Verm&ouml;genssteuern bezahlt hat.^{<a title="" href="#_ftn120" name="_ftnref120">120</a>} Hinzu kommt, dass eine Mehrfachbesteuerung des gleichen Verm&ouml;gensubstrats im Steuerrecht keine Seltenheit darstellt. Jeder von der Einkommenssteuer erfasste Franken unterliegt im Falle seiner Verwertung durch Konsum auch der Mehrwertsteuer. Ausserdem werden angesparte Geldwerte, die ebenfalls bereits einmal der Einkommenssteuer unterlagen, in der Schweiz in regelm&auml;ssigen Abst&auml;nden von der Verm&ouml;genssteuer erfasst.^{<a title="" href="#_ftn121" name="_ftnref121">121</a>}</p> <p>Obwohl die Argumente der Erbschaftssteuergegner begr&uuml;ndet verworfen werden k&ouml;nnen, vermag keine der hier pr&auml;sentierten Rechtfertigungstheorien eine abschliessende und befriedigende Erkl&auml;rung daf&uuml;r zu liefern, warum die Existenz der Erbschaftssteuer gerechtfertigt ist. In der neueren Literatur ist die Tendenz zu beobachten, dass dem Leistungsf&auml;higkeitsgedanken als Begr&uuml;ndungsansatz der Vorrang gegeben wird.^{<a title="" href="#_ftn122" name="_ftnref122">122</a>} F&uuml;r diese Annahme spricht, dass Erbschaften als faktische Reinverm&ouml;genszufl&uuml;sse konzeptionell grunds&auml;tzlich der Einkommenssteuer unterfallen m&uuml;ssten, diese aber, wie oben bereits dargelegt, in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art.&nbsp;24&nbsp;lit.&nbsp;a&nbsp;DBG</a> und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256/de#art_7" target="_blank" rel="noopener">Art.&nbsp;7&nbsp;Abs. 4 lit. c Steuerharmonisierungsgesetz (StHG)</a> explizit ausgeklammert werden. Ein geschlossenes Steuersystem macht es nach dem Leistungsf&auml;higkeitsgedanken folglich gar notwendig, eine Erbschaftssteuer zu erheben, da es sonst zu hochgradig ungerechten Verzerrungen kommen w&uuml;rde.^{<a title="" href="#_ftn123" name="_ftnref123">123</a>}</p> <p>An dieser Stelle stellt sich die Frage, warum eine gesonderte steuerliche Erfassung der Erbschaftssteuer &uuml;berhaupt notwendig ist und diese nicht direkt in die Einkommenssteuer integriert wird. Ein wichtiger Unterschied zwischen Einkommen aus Erwerb und &laquo;Einkommen&raquo; aus Erbschaft ist einerseits, dass der Verm&ouml;genserwerb durch Erbschaft nicht am Markt generiert wird. Dies ist insbesondere betreffend dem Leistungsf&auml;higkeitsgedanken bedeutsam.^{<a title="" href="#_ftn124" name="_ftnref124">124</a>} Weiter w&uuml;rde der Einbezug der Erbschaftssteuer in die Einkommenssteuer zu technischen Schwierigkeiten f&uuml;hren: Aufgrund der progressiven Tarife und der Ballung von Einkommen im Zeitpunkt der Erbschaft entst&uuml;nde eine unangemessene Gesamtbelastung.^{<a title="" href="#_ftn125" name="_ftnref125">125</a>} Vertritt man die Meinung, dass der Staat die Pflicht hat, den Schutz von Ehe und Familie zu gew&auml;hrleiten, w&auml;re eine separate Erbschaftssteuer mittels Steuerbefreiungen besser geeignet, dieser Pflicht gerecht zu werden.^{<a title="" href="#_ftn126" name="_ftnref126">126</a>} Schliesslich benennt Locher die Wahrung des kantonalen Steuersubstrats als Grund f&uuml;r die Tatsache, dass Erbschaften nicht als Einkommen qualifiziert und damit nicht unter die Einkommenssteuer subsumiert werden.^{<a title="" href="#_ftn127" name="_ftnref127">127</a>}</p> <p>Diese Argumentation vermag zwar einzuleuchten und scheint nach dem Grundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit der Besteuerung auch geboten, jedoch l&auml;sst die Aussage &laquo;Wenn wir Einkommen besteuern, dann m&uuml;ssen wir auch Erbschaften besteuern&raquo; immer noch die Frage offen, warum wir denn &uuml;berhaupt besteuern. Klar ist, dass Steuereinnahmen generiert werden m&uuml;ssen, um die Finanzierung des &ouml;ffentlichen Gemeinwesens zu gew&auml;hrleisten. Das Leistungsf&auml;higkeitsprinzip vermag sodann auch eine unterschiedliche steuerliche Belastung je nach den finanziellen M&ouml;glichkeiten des Pflichtigen zu rechtfertigen. Was aber offenbleibt, ist, wie aus der Tatsache, dass jemand leisten kann, eine Pflicht zur Steuerleistung abgeleitet wird. Es entspricht unserem Gerechtigkeitsgef&uuml;hl, dass jene mehr leisten sollen, die mehr haben. Doch als Grund daf&uuml;r, warum &uuml;berhaupt Steuern zu entrichten sind, &uuml;berzeugt das Leistungsf&auml;higkeitsprinzip nicht.</p> <p>Meines Erachtens kann nur eine Synthese der dargestellten Rechtfertigungsans&auml;tze eine Erkl&auml;rung f&uuml;r die Berechtigung des Staates zur Erhebung einer Erbschaftssteuer liefern. Aufgrund der sowohl sozialpolitischen als auch fiskalischen Zweckausrichtung der Erbschaftssteuer &uuml;berzeugen insbesondere das Rechtfertigungsargument der Umverteilung und das des staatlichen Miterbrechts, im Sinne einer staatlichen Teilnahme am Verm&ouml;gens&uuml;bergang von Todes wegen.</p> <h2>3. Gerechtigkeit</h2> <p>Nachdem die theoretischen Grundlagen der Erbschaftssteuer gelegt sind und bereits erste kritische Blicke auf ihren verfassungsrechtlichen Rahmen und ihre Rechtfertigung geworfen wurden, soll im folgenden Abschnitt die Frage der Gerechtigkeit der Erbschaftssteuer nach John Rawls behandelt werden. Dazu gilt es in einem ersten Schritt, seine Theorie der Gerechtigkeit zu erl&auml;utern.</p> <h3>3.1 Rawls&rsquo; Theorie der Gerechtigkeit</h3> <p>In einer Zeit, in der die politische Philosophie schon beinahe als tot galt, erweckte der amerikanische Philosoph John Rawls mit seiner Theorie der Gerechtigkeit die Debatte rund um Ethik und Politik zu neuem Leben. 1971 erschien sein Hauptwerk unter dem Titel A Theory of Justice und stiess eine Diskussion an, die bis heute nicht abgeebbt ist.^{<a title="" href="#_ftn128" name="_ftnref128">128</a>}</p> <p>Rawls gilt als Vertreter eines egalit&auml;ren Liberalismus. Mit seiner politischen Ideologie vertritt er die Ansicht, dass sich eine gerechte Ordnung vorrangig durch den Grundwert der Gleichheit bestimmt. Das Liberale, also die Freiheit, ist f&uuml;r ihn kein Zweck an sich, sondern ein Mittel zur Herstellung seines Ideals: Der Gerechtigkeit unter Gleichen.</p> <p>Mit seiner Gerechtigkeitstheorie bietet Rawls eine Alternative zum damals vorherrschenden Utilitarismus. Das utilitaristische Denken beschreibt eine Form der zweckorientierten (teleologischen) Ethik, welche die Richtigkeit einer Handlung allein danach bemisst, welche Folgewirkungen sie hat.^{<a title="" href="#_ftn129" name="_ftnref129">129</a>} Moralisch gut ist nach dem Utilitarismus das, was das Gesamtwohl einer Gesellschaft erh&ouml;ht. Jeremy Bentham, der Begr&uuml;nder der klassischen utilitaristischen Theorie, bringt dies auf den Punkt mit dem Grundsatz des &laquo;gr&ouml;sstm&ouml;gliches Gl&uuml;ck f&uuml;r die gr&ouml;sstm&ouml;gliche Zahl&raquo;.^{<a title="" href="#_ftn130" name="_ftnref130">130</a>} Eine Handlung ist moralisch immer dann geboten, wenn ihr Nutzen darin besteht, diesen Zweck zu erreichen.^{<a title="" href="#_ftn131" name="_ftnref131">131</a>}</p> <p>Im Unterschied zum Utilitarismus versteht Rawls das Gerechte nicht als Maximierung des Guten, sondern vertritt die Meinung, dass das Gute und das Gerechte voneinander getrennt zu denken sind.^{<a title="" href="#_ftn132" name="_ftnref132">132</a>} So sei das Gerechte dem Guten voranzustellen. Etwas kann nur dann gut sein, wenn es den Grunds&auml;tzen des Gerechten folgt.^{<a title="" href="#_ftn133" name="_ftnref133">133</a>} Des Weiteren r&uuml;ckt Rawls im Gegensatz zum Utilitarismus &ndash; dessen Kerninteresse in der Nutzensumme der gesamten Gesellschaft liegt &ndash; das Individuum ins Zentrum der Betrachtung. F&uuml;r seine Vorstellung der Gerechtigkeit ist es zentral, wie die Summe der gesamtgesellschaftlichen Befriedigung auf die Individuen verteilt ist. Ein Aspekt, welcher vom Utilitarismus g&auml;nzlich unbeachtet bleibt.^{<a title="" href="#_ftn134" name="_ftnref134">134</a>}</p> <h4>3.1.1 Gerechtigkeit als Fairness (Verfahrensgerechtigkeit)</h4> <p>Einer der zentralen Gedanken in John Rawls Theorie der Gerechtigkeit<em> </em>ist sein Verst&auml;ndnis von Gerechtigkeit als Fairness.</p> <p>Im Gegensatz zu einer nat&uuml;rlichen Ordnung ist eine konstruierte Gesellschaft (wie die in der wir leben) rechtfertigungsbed&uuml;rftig. Unsere Gesetze, Institutionen und Verteilungssysteme haben das Potential, massiv in unsere pers&ouml;nliche Freiheit einzugreifen und erfordern demnach eine Legitimation. Wo fr&uuml;her Gott oder die &laquo;nat&uuml;rliche Weltordnung&raquo; als Rechtfertigung des Gesellschaftssystems herangezogen wurden, scheint dies heute nicht mehr zu &uuml;berzeugen.^{<a title="" href="#_ftn135" name="_ftnref135">135</a>} John Rawls vertritt die Auffassung, dass sich die Legitimation einer Gesellschaftsordnung einzig aus der Zustimmung der in ihr lebenden Individuen ergeben kann.^{<a title="" href="#_ftn136" name="_ftnref136">136</a>}</p> <p>Mit dieser Ansicht reiht sich Rawls in die lange Tradition der Gesellschaftsvertr&auml;ge ein.^{<a title="" href="#_ftn137" name="_ftnref137">137</a>}&nbsp;Die sogenannten Kontraktualisten beurteilen die Rechtm&auml;ssigkeit einer Ordnung danach, ob sie mittels einer freien und fairen &Uuml;bereinkunft aller Beteiligten zustande kam. Im Unterschied zu seinen Vordenkern bedient sich Rawls dem Konzept der Vertragstheorie aber nicht zur Legitimation einer gesellschaftlichen Ordnung an sich, sondern verfolgt das Ziel, mit dieser auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung basierenden Vertragssituation Prinzipien f&uuml;r ein gerechtes Zusammenleben zu rechtfertigen.</p> <p>Gerecht sind nach Rawls also genau diejenigen Grunds&auml;tze, auf welche man sich in einem fairen Verfahren einigen w&uuml;rde.^{<a title="" href="#_ftn138" name="_ftnref138">138</a>}&nbsp;Wie dieses faire Verfahren seiner Auffassung nach aussieht, wird im n&auml;chsten Abschnitt behandelt.</p> <h4>3.1.2 Schleier des Nichtwissens</h4> <p>Wenn wir als Gesellschaft gerechte Regeln f&uuml;r ein faires Zusammenleben festlegen, dann tun wir das immer in einem bereits bestehenden System.^{<a title="" href="#_ftn139" name="_ftnref139">139</a>} Die G&uuml;ter sind verteilt, die gesellschaftlichen Strukturen sind vorhanden und die sozialen Positionen sind vergeben. Dworkin hat diesen Zustand verglichen mit einem Kartenspiel, bei dem man versucht die Regeln festzulegen, nachdem die Karten bereits verteilt worden sind.^{<a title="" href="#_ftn140" name="_ftnref140">140</a>}&nbsp;In einer solchen Situation scheint es beinahe unm&ouml;glich zu sein &ndash; selbst wenn Mehrheiten gefunden werden &ndash; gerechte &laquo;Spielregeln&raquo; aufzustellen. Der Umgang mit dieser Problematik k&ouml;nnte folglich darin bestehen, sich vorzustellen, auf was man sich geeinigt h&auml;tte, als man die Karten noch nicht auf der Hand hatte. Dies versucht Rawls mit dem hypothetischen Gedankenexperiment des Urzustands zu veranschaulichen.</p> <p>John Rawls konstruiert einen fiktiven Zustand, den sogenannten Urzustand (original position), in dem die Menschen zusammenkommen, um Prinzipien f&uuml;r den Aufbau einer gerechten Gesellschaft festzulegen. Der Clou dabei: Die Menschen wissen nicht, welche Stellung sie in der zu gestaltenden Gesellschaft innehaben werden. Sie kennen weder ihren sozialen noch ihren &ouml;konomischen Status. Auch ihre pers&ouml;nlichen F&auml;higkeiten wie Intelligenz, Talent oder physischer Kraft sowie die eigene Risikobereitschaft und grunds&auml;tzliche Lebenseinstellung kennen sie nicht.^{<a title="" href="#_ftn141" name="_ftnref141">141</a>} John Rawls beschreibt diesen Zustand als &laquo;Schleier des Nichtwissens&raquo; (veil of ignorance).^{<a title="" href="#_ftn142" name="_ftnref142">142</a>}</p> <p>Um angesichts dieser Umst&auml;nde in der Lage zu sein, im Diskurs gerechte Grunds&auml;tze f&uuml;r ein gesellschaftliches Zusammenleben zu definieren, erachtet es Rawls als notwendig, dass die Menschen hinter dem Schleier des Nichtwissens rational denkende und handelnde Wesen sind.^{<a title="" href="#_ftn143" name="_ftnref143">143</a>} Ein Grundverst&auml;ndnis von politischen Zusammenh&auml;ngen, gesellschaftlichen Strukturen und den Gesetzen der menschlichen Psychologie setzt Rawls ebenfalls voraus.^{<a title="" href="#_ftn144" name="_ftnref144">144</a>}</p> <p>Rawls geht weiter davon aus, dass die Menschen im Urzustand keine aufeinander oder gegeneinander gerichtete Interessen haben. Das wechselseitige Desinteresse verhindert, dass Entscheidungen getroffen werden, die durch Neid oder Missgunst verf&auml;lscht sind.^{<a title="" href="#_ftn145" name="_ftnref145">145</a>} Trotz der fehlenden Interessensreziprozit&auml;t spricht Rawls den Menschen im Urzustand ein moralisches Verm&ouml;gen zu, welches sie bef&auml;higt, Gerechtes von Ungerechtem zu unterscheiden.^{<a title="" href="#_ftn146" name="_ftnref146">146</a>}</p> <p>Zweck des Schleier des Nichtwissens ist es folglich, einen Zustand zu schaffen, in dem die Menschen unbeeinflusst von jeglichem Eigennutzen gerechte Entscheidungen f&uuml;r die Gemeinschaft treffen k&ouml;nnen. Aus der so konstruierten abstrakten Gleichheit der Menschen im Urzustand folgt eine vollkommene Unparteilichkeit.^{<a title="" href="#_ftn147" name="_ftnref147">147</a>}</p> <p>Die Idee ist simpel: Wer Verfassungsprinzipien ausw&auml;hlt, dabei allerdings nicht weiss, welche Stellung er in der aufzubauenden Gesellschaft innehaben wird, wer also keine M&ouml;glichkeit hat, festzustellen, was f&uuml;r ihn selbst am vorteilhaftesten w&auml;re, dem bleiben bei seiner Wahl nur jene Gesichtspunkte &uuml;brig, die allen Gesellschaftsteilnehmern Vorteile bieten. Denn nur das, was f&uuml;r die Allgemeinheit dienlich ist, wird mit Sicherheit auch ihm selbst dienlich sein. Sobald Privilegien f&uuml;r bestimmte Gruppen geschaffen werden, besteht immer die Gefahr, in der erschaffenen Gesellschaft nicht zur privilegierten Gruppe zu geh&ouml;ren, sondern zu der Benachteiligten. Ein rationaler Mensch kann das nicht wollen, so Rawls.^{<a title="" href="#_ftn148" name="_ftnref148">148</a>}</p> <p>Die Ausgangssituation im Urzustand darf gleichwohl nicht als historische Gegebenheit missverstanden werden.^{<a title="" href="#_ftn149" name="_ftnref149">149</a>} Das Ziel ist es, eine theoretische Entscheidungssituation zu konstruieren, in die man sich gedanklich hineinversetzen kann, um zu pr&uuml;fen, ob eine bestimmte Pflicht oder Regel im Urzustand gew&auml;hlt worden w&auml;re.^{<a title="" href="#_ftn150" name="_ftnref150">150</a>}</p> <h4>3.1.3 Gerechtigkeitsgrunds&auml;tze</h4> <p>Doch auf welche Gerechtigkeitsgrunds&auml;tze w&uuml;rden sich die Menschen im Urzustand denn tats&auml;chlich einigen? Rawls unterbreitet als Resultat seiner theoretischen Erw&auml;gungen die folgenden zwei Prinzipien:</p> <ol style="list-style-type: upper-roman;"> <li>Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das f&uuml;r alle m&ouml;glich ist.</li> <li>Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten m&uuml;ssen folgendermassen beschaffen sein: <br />(a) sie m&uuml;ssen unter der Einschr&auml;nkung des gerechten Spargrundsatzes, den am wenigsten Beg&uuml;nstigten den gr&ouml;sstm&ouml;glichen Vorteil bringen, und <br />(b) sie m&uuml;ssen mit &Auml;mtern und Positionen verbunden sein, die allen gem&auml;ss fairer Chancengleichheit offenstehen.^{<a title="" href="#_ftn151" name="_ftnref151">151</a>}</li> </ol> <p>Bei genauer Betrachtung werden an dieser Stelle sogar drei Prinzipien formuliert.^{<a title="" href="#_ftn152" name="_ftnref152">152</a>}&nbsp;Grundsatz I. formuliert das Prinzip der gleichen Grundrechte und Grundfreiheiten. Grundsatz II. formuliert zum einen das Prinzip zur Rechtfertigung von Ungleichheiten (Differenzprinzip) und zum anderen das Prinzip fairer Chancengleichheit. Um bei der Terminologie von Rawls zu bleiben, wird in der Folge jedoch weiterhin von zwei Gerechtigkeitsgrunds&auml;tzen die Rede sein.</p> <p>Mit der Formulierung obiger Grunds&auml;tze teilt Rawls seine Vorstellung der Gerechtigkeit in zwei Teile.^{<a title="" href="#_ftn153" name="_ftnref153">153</a>} Grundsatz I fokussiert in seiner Anwendung auf das politisch rechtliche System der Gesellschaft und fordert ein egalitaristisches Verteilungsprinzip f&uuml;r immaterielle G&uuml;ter. Grundsatz II dagegen hat das sozio&ouml;konomische System einer Gesellschaft zum Thema und bewirkt in seiner Anwendung ein nicht egalit&auml;res Verteilungsprinzip f&uuml;r materielle Grundg&uuml;ter.^{<a title="" href="#_ftn154" name="_ftnref154">154</a>}</p> <p>Nach Rawls&rsquo; Vorstellung ist der erste Gerechtigkeitsgrundsatz dem zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz gegen&uuml;ber zu priorisieren. Eine Verletzung der individualrechtlichen Freiheitsordnung kann nicht durch sozio&ouml;konomische Vorteile gerechtfertigt oder ausgeglichen werden. Diese Vorrangregel gilt absolut.^{<a title="" href="#_ftn155" name="_ftnref155">155</a>}</p> <p>Nachfolgend soll vertieft auf den Gehalt der beiden Gerechtigkeitsgrunds&auml;tze eingegangen werden.</p> <h5>3.1.3.1 Zum ersten Grundsatz</h5> <p>Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz betrifft die Freiheit und verlangt zweierlei: Eine umfassende Gleichverteilung der Grundfreiheiten und die Maximierung dieser individuellen Freiheiten f&uuml;r alle. Rawls&rsquo; Theorie beinhaltet diesbez&uuml;glich eine abschliessende Liste. Zu gew&auml;hrleisten sind die politische Freiheit (aktives und passives Wahlrecht), die Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gewissens- und Gedankenfreiheit, die Pers&ouml;nliche Freiheit (Unverletzlichkeit der Person), das Recht auf pers&ouml;nliches Eigentum und der Schutz vor willk&uuml;rlicher Festnahme und Haft.^{<a title="" href="#_ftn156" name="_ftnref156">156</a>}</p> <p>Es scheint f&uuml;r Rawls evident, dass sich ein rationaler Mensch in einer Situation der Unkenntnis (wie im Urzustand) einzig und allein f&uuml;r eine Gleichverteilung von Freiheiten aussprechen w&uuml;rde. Man stelle sich vor, man m&uuml;sse einen Kuchen in mehrere St&uuml;cke zerteilen, von denen man nicht weiss, welches davon man bekommen wird. Unter der Annahme, dass jedermann lieber ein gr&ouml;sseres als ein kleineres St&uuml;ck des Kuchens f&uuml;r sich h&auml;tte, w&auml;re es die vern&uuml;nftigste Wahl den Kuchen vorsorglich in gleich grosse St&uuml;cke zu schneiden.^{<a title="" href="#_ftn157" name="_ftnref157">157</a>} Eine Ungleichverteilung w&auml;re hingegen stets mit dem Risiko verbunden, in die schlechtere Position zu geraten. Diese Risikobereitschaft spricht Rawls den Menschen im Urzustand ab.^{<a title="" href="#_ftn158" name="_ftnref158">158</a>}</p> <p>Doch die allgemeine Gew&auml;hrleistung der Grundfreiheiten reicht f&uuml;r eine gerechte Grundordnung nach Rawls&rsquo; Vorstellung nicht aus. Neben der egalit&auml;ren Verteilung bedarf es einer Gesellschaftsausgestaltung, die darauf ausgerichtet ist, die individuellen Freiheiten f&uuml;r alle zu maximieren. Verletzt wird der erste Gerechtigkeitsgrundsatz folglich einerseits durch Privilegien, Diskriminierungen und Asymmetrien zwischen Rechten und Pflichten der Beteiligten, zum anderen aber auch durch Freiheitsbeschr&auml;nkungen, die jedermann betreffen.^{<a title="" href="#_ftn159" name="_ftnref159">159</a>}</p> <p>Die Grundfreiheiten geniessen keinen absoluten Schutz. Sie k&ouml;nnen immer dann eingeschr&auml;nkt werden, wenn sie untereinander in Konflikt geraten. Unabh&auml;ngig davon, wie das System der Grundfreiheiten ausgestaltet wird: Es muss f&uuml;r alle identisch sein.^{<a title="" href="#_ftn160" name="_ftnref160">160</a>}</p> <h5>3.1.3.2 Zum zweiten Grundsatz</h5> <p>Der erste Teil (a) von Rawls zweitem Gerechtigkeitsgrundsatz besch&auml;ftigt sich mit der Verteilung von Einkommen und Verm&ouml;gen in einer Gesellschaft. Grunds&auml;tzlich ist auch hier eine gleichm&auml;ssige Distribution anzustreben, es sei denn, eine ungleiche Verteilung br&auml;chte f&uuml;r jedermann Vorteile.^{<a title="" href="#_ftn161" name="_ftnref161">161</a>}</p> <p>Dieses sogenanntes Differenzprinzip bedarf der Erl&auml;uterung: Mit der &Uuml;berlegung, dass &ouml;konomische Ungleichheiten unter bestimmten Bedingungen gerechtfertigt sein k&ouml;nnen, versucht Rawls der menschlichen Natur Rechnung zu tragen. Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten sind die materiellen Grundg&uuml;ter einer Gesellschaft vermehrbar. W&uuml;rde Einkommen und Verm&ouml;gen bedingungslos egalit&auml;r verteilt werden, g&auml;be es keinen Anreiz f&uuml;r den Einzelnen, zum wirtschaftlichen Gesamtprodukt beizutragen. Entl&ouml;hnt man jedoch nach Leistung und schafft mittels Privilegien Motivation daf&uuml;r, die eigene Produktivit&auml;t und das eigene Talent auszusch&ouml;pfen, schafft man eine Gesellschaft, deren Sozialprodukt gr&ouml;sser ist, als es w&auml;re, wenn diese Leistungsanreize nicht best&uuml;nden. Erstrebenswert ist dies nach Rawls dann, wenn alle am Zugewinn partizipieren.^{<a title="" href="#_ftn162" name="_ftnref162">162</a>} Um erneut das Kuchenbeispiel zu bedienen: Wenn selbst das kleinste Kuchenst&uuml;ck gr&ouml;sser ist als das gleich grosse Kuchenst&uuml;ck einer auf Gleichverteilung bestehenden Gesellschaftsstruktur, haben alle etwas davon.^{<a title="" href="#_ftn163" name="_ftnref163">163</a>}</p> <p>Das Differenzprinzip kann als Kriterium herangezogen werden, um gerechte von ungerechten Ungleichverteilungen zu unterscheiden. Gepr&uuml;ft werden muss stets, ob und in welchem Mass eine nicht egalit&auml;re Distribution f&uuml;r eine gerechte Gesellschaft notwendig ist. Dabei ist der Grundsatz &laquo;So gleich wie m&ouml;glich, so ungleich wie n&ouml;tig&raquo; einzuhalten.^{<a title="" href="#_ftn164" name="_ftnref164">164</a>} Ungleichheiten sind nach diesem Verst&auml;ndnis also genau so lange gerecht, wie sie zu einer Produktivit&auml;tssteigerung f&uuml;hren, die allen Teilnehmern der Gesellschaft dient. &Uuml;bersteigt die Gleichheitsabweichung das Mass der &ouml;konomischen Notwendigkeit, fordert das Differenzprinzip eine Ungleichheitsminimierung. Nach Rawls ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, dass der Staat mittels Umverteilung in eine Gesellschaft eingreift, deren Ungleichverteilung mit dem Differenzprinzip nicht mehr gerechtfertigt werden kann.^{<a title="" href="#_ftn165" name="_ftnref165">165</a>}&nbsp;Ein solcher Eingriff ist notwendig, um die Grundfreiheiten gem&auml;ss Gerechtigkeitsgrundsatz I zu wahren, welche gem&auml;ss Vorrangregelung absolute Priorit&auml;t haben.&nbsp;</p> <p>Insbesondere hinsichtlich des in dieser Arbeit zentralen Themas der Erbschaftssteuer ist bemerkenswert, dass Rawls sich auch mit der intergenerationellen Verteilungsgerechtigkeit besch&auml;ftigt hat. Unter Ber&uuml;cksichtigung eines gerechten Spargrundsatzes sollen bei der Anwendung des Differenzprinzips auch die nachkommenden Generationen ber&uuml;cksichtigt werden. Nach Rawls ist es die Pflicht einer jeder Generation, eine angemessene Kapitalakkumulation f&uuml;r die n&auml;chste Generation zu betreiben.^{<a title="" href="#_ftn166" name="_ftnref166">166</a>}</p> <p>Der zweite Teilsatz (b) von Rawls zweitem Gerechtigkeitsgrundsatz fordert, dass &ouml;ffentliche &Auml;mter und Positionen im Sinne einer fairen Chancengleichheit allen offenstehen. Menschen sollen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, ihrer Talente und ihrer F&auml;higkeiten dieselbe M&ouml;glichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg haben.^{<a title="" href="#_ftn167" name="_ftnref167">167</a>} Das Prinzip der fairen Chancengleichheit fordert eine Gesellschaft, deren Institutionen es auch den am schlechtesten Gestellten erm&ouml;glicht, ihr Potential auszusch&ouml;pfen und sich bestm&ouml;glich zu entwickeln.^{<a title="" href="#_ftn168" name="_ftnref168">168</a>}</p> <p>Auch innerhalb von Gerechtigkeitsgrundsatz II stellt Rawls eine Vorrangregelung auf und misst der fairen Chancengleichheit im Gegensatz zur materiellen Verteilungsgerechtigkeit ein gr&ouml;sseres Gewicht bei. Demnach ist es nicht erlaubt, die Chancengleichheit einzuschr&auml;nken, um die Wirkung des Differenzprinzips zu verst&auml;rken.^{<a title="" href="#_ftn169" name="_ftnref169">169</a>}</p> <h3>3.2 Anwendung von Rawls&rsquo; Gerechtigkeitstheorie auf die schweizerische Erbschaftssteuer</h3> <p>Im nachfolgenden Abschnitt soll untersucht werden, ob die Erhebung einer Erbschaftssteuer an sich &ndash; und ihre derzeitige Ausgestaltung in der Schweiz &ndash; mit dem Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis von John Rawls vereinbar ist.</p> <h4>3.2.1 Rechtfertigung der Erbschaftssteuer nach John Rawls</h4> <p>In einem ersten Teil wende ich mich der Frage zu, ob die Besteuerung von Erbschaften gem&auml;ss John Rawls Theorie grunds&auml;tzlich rechtfertigbar ist. W&uuml;rden sich die Menschen im Urzustand f&uuml;r oder gegen die Erhebung einer Erbschaftssteuer aussprechen?</p> <h5>3.2.1.1 Rechtfertigung von Erbschaften</h5> <p>Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, bedarf es der R&uuml;ckbesinnung in der Argumentation. Bevor sich eine Aussage dar&uuml;ber treffen l&auml;sst, ob in einer gerechten Gesellschaft Erbschaften besteuert werden sollten, muss die Frage beantwortet werden, ob Erben und Vererben an sich zul&auml;ssige und gerechte Formen der Verm&ouml;gens&uuml;bertragung sind.^{<a title="" href="#_ftn170" name="_ftnref170">170</a>}</p> <p>F&uuml;r eine Rechtsordnung, die den Erblasser erm&auml;chtigt, sein Verm&ouml;gen via Erbschaft zu &uuml;bertragen und den Erben das Recht einr&auml;umt, auf diese Weise die ihnen zugedachten Besitzt&uuml;mer zu erwerben, scheint nach Rawls zun&auml;chst das Recht auf pers&ouml;nliches Eigentum zu sprechen. Die Eigentumsfreiheit z&auml;hlt Rawls gem&auml;ss seinem ersten Gerechtigkeitsprinzip zu den Grundfreiheiten, die allen in gleicher Weise zustehen.^{<a title="" href="#_ftn171" name="_ftnref171">171</a>}&nbsp;Das Recht auf pers&ouml;nliches Eigentum ist aber nicht allein um seiner selbst willen sch&uuml;tzenswert, sondern beinhaltet nach Rawls Gerechtigkeitstheorie zus&auml;tzlich eine konstitutive Wirkung f&uuml;r alle anderen Grundfreiheiten. Wer stets um sein Eigentum f&uuml;rchten muss und zu jedem Zeitpunkt mit der Gefahr konfrontiert ist, dass ihm etwas weggenommen wird, kann nicht vollkommen frei sein.</p> <p>In der schweizerischen Rechtsordnung sch&uuml;tzt das Recht auf pers&ouml;nliches Eigentum die Verf&uuml;gungsmacht &uuml;ber Besitz und Nutzung der eigenen Verm&ouml;genswerte.^{<a title="" href="#_ftn172" name="_ftnref172">172</a>} Dabei ist nicht nur das Eigentum im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/24/233_245_233/de#book_4/part_1" target="_blank" rel="noopener">Art. 641 ff. Zivilgesetzbuch (ZGB)</a> gemeint, sondern auch verm&ouml;genswerte Privatrechte wie beispielsweise erbrechtliche Anspr&uuml;che. Damit geh&ouml;rt das Recht zu erben und zu vererben zum Gew&auml;hrleistungsbereich der Eigentumsgarantie.^{<a title="" href="#_ftn173" name="_ftnref173">173</a>}&nbsp;Ob auch Rawls ein Bestimmungsrecht &uuml;ber die pers&ouml;nlichen Verm&ouml;genswerte nach dem eigenen Ableben unter den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit subsumiert, geht aus seiner Theorie der Gerechtigkeit nicht hervor. Ein Recht zu Vererben kann aus Gerechtigkeitsprinzip I jedenfalls nicht abgeleitet werden.</p> <p>&Uuml;berzeugender als das Argument der Eigentumsfreiheit scheint daher Rawls Vorstellung, dass die<em> </em>M&ouml;glichkeit, sein erwirtschaftetes Verm&ouml;gen an die n&auml;chste Generation weiterzugeben, relevante Anreize schaffen kann. Sei das Ziel die Absicherung der eigenen Familie, die Gr&uuml;ndung einer Stiftung oder die Weitergabe an Dritte: Die M&ouml;glichkeit zu Vererben motiviert einen Erblasser, das eigene Verm&ouml;gen zu vermehren und zu bewahren, was zur &ouml;konomischen Effizienz einer Gesellschaft beitr&auml;gt.^{<a title="" href="#_ftn174" name="_ftnref174">174</a>} Die Aussicht auf einen subjektiven Vorteil steigert die Produktivit&auml;t des Einzelnen, was zu einem gr&ouml;sseren Gesamtprodukt f&uuml;hrt, von dem wiederum alle profitieren k&ouml;nnen. Sofern jeder am dadurch generierten Zugewinn partizipieren kann, sind derartige Leistungsanreize gem&auml;ss dem Differenzprinzip nicht nur gerechtfertigt sondern auch erstrebenswert.^{<a title="" href="#_ftn175" name="_ftnref175">175</a>}</p> <p>Als dritter Rechtfertigungsgrund f&uuml;r eine Erbrechtsordnung ist der von Rawls begr&uuml;ndete und oben erw&auml;hnte gerechte Spargrundsatz zu nennen.^{<a title="" href="#_ftn176" name="_ftnref176">176</a>} Mit dem gerechten Spargrundsatz nimmt sich Rawls dem Generationengerechtigkeitsproblem an und fordert, dass jeder Generation die Pflicht zukommt, eine angemessene Kapitalakkumulation zu betreiben &ndash; also um der n&auml;chsten Generation willen zu sparen.^{<a title="" href="#_ftn177" name="_ftnref177">177</a>} Im Urzustand hat man keine Kenntnisse dar&uuml;ber, in welche Generation man geboren wird. Man weiss nicht, ob man in einer Zeit lebt, in der die Wirtschaft floriert oder ob gerade eine Epoche anbricht, in der die Abh&auml;ngigkeit von den bestehenden Infrastrukturen und Verm&ouml;gensbest&auml;nden gross ist. Aus diesem Grund w&uuml;rde man sich f&uuml;r eine Regelung entscheiden, die jede Generation verpflichtet, sorgsam und haush&auml;lterisch mit dem eigenen Verm&ouml;gen umzugehen.^{<a title="" href="#_ftn178" name="_ftnref178">178</a>} Der Zweck der so generierten Ersparnisse ist es, die nachfolgenden Generation mit einer materiellen Grundlage auszustatten.^{<a title="" href="#_ftn179" name="_ftnref179">179</a>}&nbsp;Der intergenerationelle Transfer von Verm&ouml;gen &ndash; und insbesondere das Erbrecht &ndash; ist nach diesem Verst&auml;ndnis also notwendig, um zum Fortbestehen einer gerechten Gesellschaft beizutragen.</p> <h5>3.2.1.2 Rechtfertigung von Erbschaftssteuern</h5> <p>Wenn man sich im Urzustand gem&auml;ss den oben pr&auml;sentierten Argumenten auf eine Gesellschaftsordnung einigt, welche die Institution des Erbrechts bef&uuml;rwortet, heisst das noch nicht, dass das Recht auf das eigene Erbe unbeschr&auml;nkt bestehen soll.^{<a title="" href="#_ftn180" name="_ftnref180">180</a>}&nbsp;Es stellt sich bezogen auf eine gerechte Gesellschaftsausgestaltung die Frage, ob nicht die Besteuerung von Erbschaften ein geeignetes Mittel darstellen k&ouml;nnte, um der Erbrechtsordnung Schranken zu setzen, welche zu einer gerechteren Verm&ouml;gensverteilung beitragen.</p> <p>Nach Rawls sprechen mehrere Gr&uuml;nde daf&uuml;r, die Vererbung von Verm&ouml;gen nur bis zu einem gewissen Umfang zuzulassen und den staatlichen Eingriff der Besteuerung daf&uuml;r zu nutzen, das Ziel einer gerechten G&uuml;terverteilung zu erreichen. Aus seiner Theorie der Gerechtigkeit k&ouml;nnen drei Argumente abgeleitet werden, die f&uuml;r die Erhebung einer Erbschaftssteuer sprechen.</p> <p>Im nachfolgenden Abschnitt wird die im Kapitel 2.3. Rechtfertigung der Erbschaftssteuer behandelte Thematik erneut aufgegriffen und aus dem Blickwinkel des Gerechtigkeitsverst&auml;ndnisses von Rawls ein zweites Mal beleuchtet.</p> <h6>3.2.1.2.1 Argument der Umverteilung</h6> <p>Das gewichtigste Argument f&uuml;r eine Erbschaftssteuer nach der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls liegt in ihrem m&ouml;glichen Zweck: Der Umverteilung von Verm&ouml;gen. Gem&auml;ss dem Differenzprinzip ist die Besteuerung von Erbschaften gerechtfertigt, weil sie ein geeignetes Mittel darstellt, um eine Gesellschaft wieder in einen Zustand der gerechten Verteilung zur&uuml;ckzubringen, nachdem sie das gerechte Mass an Ungleichheit &uuml;berschritten hat.^{<a title="" href="#_ftn181" name="_ftnref181">181</a>} Sie dient als Instrument, um soziale Gerechtigkeit herzustellen, indem sie spezifisch gegen die ungleiche Verteilung von Verm&ouml;gen und die damit einhergehende Verm&ouml;genskonzentration eingesetzt werden kann.^{<a title="" href="#_ftn182" name="_ftnref182">182</a>} Als Mittel zur Korrektur ungerechter Marktergebnisse vermag die Besteuerung von Erbschaften eine daraus resultierende Anh&auml;ufung von Verm&ouml;gen zu unterbinden.^{<a title="" href="#_ftn183" name="_ftnref183">183</a>}</p> <p>Es wurde in Abschnitt 3.1.3 Gerechtigkeitsgrunds&auml;tze darauf eingegangen, dass es nach John Rawls&rsquo; Vorstellung Gr&uuml;nde gibt, welche eine nichtegalit&auml;re Verm&ouml;gensverteilung rechtfertigen.^{<a title="" href="#_ftn184" name="_ftnref184">184</a>}&nbsp;So kann es zul&auml;ssig sein, dass eine Einzelperson &uuml;ber die M&ouml;glichkeit verf&uuml;gt, ihr eigenes Gesch&auml;ft aufzubauen und es zu vererben, sofern dies, sei es zum Beispiel durch die Schaffung von Arbeitspl&auml;tzen, auch den Schlechtestgestellten einer Gesellschaft zugutekommt. Ist das aber nicht der Fall und der Gesch&auml;ftsinhaber alleiniger Profiteur seines Verm&ouml;gens, ist dieser Zustand nach dem Verst&auml;ndnis von Rawls als ungerecht zu bewerten. Das heisst: Immer wenn die wohlhabendsten und verm&ouml;gendsten Personen einer Gesellschaft &uuml;ber eine Menge an G&uuml;tern verf&uuml;gen, welche &uuml;ber der l&auml;ngerfristig allen Gesellschaftsmitglieder Vorteil bringenden Menge liegt, bedarf es einer Korrektur dieser Verh&auml;ltnisse. Genau das ist es, was die Erbschaftssteuer zu leisten vermag und weswegen sie als gerechtfertigt zu gelten hat.</p> <p>Wie bereits unter 3.1.3.2. Zum zweiten Grundsatz erl&auml;utert wurde, liegt es nach der Auffassung von John Rawls im Pflichtenbereich des Staats, f&uuml;r eine gerechte G&uuml;terverteilung zu sorgen. Rawls macht dazu in seiner Theorie der Gerechtigkeit den Vorschlag, eine Verteilungsabteilung zu errichten, deren Zweck es ist, mittels Besteuerung und &Auml;nderung des Besitzrechtes die Verteilungsgerechtigkeit in der Gesellschaft herzustellen. In diesem Kontext nennt Rawls explizit die Besteuerung von Erbschaften als probates Mittel zur Herstellung solcher gerechter Verteilungsstrukturen.^{<a title="" href="#_ftn185" name="_ftnref185">185</a>}</p> <p>Nach Rawls&rsquo; Gerechtigkeitsvorstellung hat die Verteilungsabteilung als gesellschaftliche Rahmeninstitution im Bereich der Erbschaftssteuer zwei Aufgaben:</p> <p>Zum einen soll sie durch die Besteuerung von Erbschaften daf&uuml;r sorgen, dass die Verteilung von Verm&ouml;gen allm&auml;hlich und stetig berichtigt wird.^{<a title="" href="#_ftn186" name="_ftnref186">186</a>} Ziel ist es, die durch Erbschaften entstehenden Verm&ouml;genskonzentrationen zu verhindern und eine weite Streuung des Eigentums zu beg&uuml;nstigen, um damit Machtballungen zu vermeiden. Es ist eine Tatsache, dass mit viel Kapital grosse Macht einhergeht.^{<a title="" href="#_ftn187" name="_ftnref187">187</a>} Personen, die &uuml;ber ein grosses Verm&ouml;gen verf&uuml;gen, haben die M&ouml;glichkeit &uuml;ber Parteispenden (respektive der Unterst&uuml;tzung einzelner Kampagnen) die politische Meinungsfindung zu beeinflussen, was f&uuml;r die Demokratie und die politische Grundfreiheit eine grosse Gefahr darstellen kann.^{<a title="" href="#_ftn188" name="_ftnref188">188</a>} Daneben sind auch die Medien nicht frei von finanzieller Beeinflussung und dortiger Machtmissbrauch durch Verm&ouml;gende muss unterbunden werden, um die Meinungsfreiheit zu gew&auml;hrleisten. Auch mit Spenden an kulturelle oder soziale Institutionen, die nach Rawls grunds&auml;tzlich zu bef&uuml;rworten sind, verschaffen sich &laquo;die Reichen&raquo; Einfluss und k&ouml;nnen eine Gesellschaftsordnung gem&auml;ss ihren Vorstellungen ver&auml;ndern.^{<a title="" href="#_ftn189" name="_ftnref189">189</a>}</p> <p>Die Erbschaftssteuer kann je nach Ausgestaltung als Mittel zur Reduzierung solcher Machtballungen und den damit einhergehenden Gefahren genutzt werden.^{<a title="" href="#_ftn190" name="_ftnref190">190</a>} Die durch sie bewirkte Ver&auml;nderung des Besitzesrecht erm&ouml;glicht die Herstellung einer gerechteren und egalit&auml;reren Verteilung. Nur so kann gem&auml;ss Rawls gew&auml;hrleistet werden, dass jedem Menschen, die in Gerechtigkeits-grundsatz I genannten Grundfreiheiten uneingeschr&auml;nkt zukommen und niemand benachteiligt oder diskriminiert wird.^{<a title="" href="#_ftn191" name="_ftnref191">191</a>}</p> <p>Die zweite Aufgabe der Verteilungsabteilung besteht nach Rawls darin, durch Steuereinnahmen den Finanzhaushalt des Staates aufzubessern und ihm Mittel zuzuf&uuml;hren, mit denen er eine Umverteilung im Sinne des Differenzprinzips vornehmen kann.^{<a title="" href="#_ftn192" name="_ftnref192">192</a>}&nbsp;Damit ist gemeint, dass die mittels Erbschaftssteuer generierten Einnahmen so r&uuml;ckverteilt werden sollen, dass sie allen, insbesondere aber den in einer Gesellschaft Schlechtestgestellten zugutekommen und beispielsweise in soziale Institutionen oder Bildungsprojekte investiert werden.</p> <p>Die Erhebung einer Erbschaftssteuer allein vermag den hier als Legitimationsgrund herangezogenen Zweck der Umverteilung nicht zu erf&uuml;llen.^{<a title="" href="#_ftn193" name="_ftnref193">193</a>} Ohne sinnvolle Zweckbindung der dem Staat zufliessenden Einnahmen kommt es zu keiner Verteilungsgerechtigkeit im Sinne des Differenzprinzips. Wenn nicht garantiert werden kann, dass die Besteuerung der Erbenden zu einer Verbesserung der gesamtgesellschaftlichen Situation f&uuml;hrt, ist die Forderung nach einer Erbschaftssteuer mit dem Ziel der Umverteilung gegenstandslos.^{<a title="" href="#_ftn194" name="_ftnref194">194</a>}</p> <p>Gegen eine solche Zweckbindung spricht das Non-Affektationsprinzip, wonach Steuereinnahmen grunds&auml;tzlich f&uuml;r die Deckung s&auml;mtlicher Staatsaufgaben eingesetzt werden m&uuml;ssen.^{<a title="" href="#_ftn195" name="_ftnref195">195</a>} Eine zweckgebundene Steuer, wie sie von Rawls gefordert wird, w&auml;re nach diesem Grundsatz unzul&auml;ssig. Doch von dieser einst vorherrschenden Abneigung gegen&uuml;ber Zweckrelationen von Steuern ist man in der Schweiz abgewichen. Heute werden in verschiedenen Bereichen die Steuerertr&auml;ge ganz oder teilweise f&uuml;r spezifische Staatsaufgaben reserviert und damit zweckgebunden verwendet.^{<a title="" href="#_ftn196" name="_ftnref196">196</a>}&nbsp;Um ein Beispiele zu nennen, sei hier auf die Tabak- und Alkoholsteuern hinzuweisen, deren Einnahmen zu einem grossen Teil f&uuml;r die Finanzierung der AHV und IV verwendet werden.</p> <p>Eine Zweckbindung der Erbschaftssteuer w&auml;re demnach im Schweizerischen Steuersystem grunds&auml;tzlich denkbar.^{<a title="" href="#_ftn197" name="_ftnref197">197</a>} Ein erfolglos gebliebener Versuch in diese Richtung war die bereits erw&auml;hnte Erbschaftssteuerinitiative aus dem Jahr 2015. Die Initianten forderten, dass der Ertrag der Steuer zu zwei Dritteln an den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) geht. Aus der bundesr&auml;tlichen Botschaft zur Volksinitiative geht dabei hervor, dass die Zweckbindung der Erbschaftssteuer grunds&auml;tzlich als zul&auml;ssig erachtet wurde.^{<a title="" href="#_ftn198" name="_ftnref198">198</a>}</p> <p>&Uuml;ber die genaue Zweckwidmung der Erbschaftssteuer trifft Rawls selbst keine Aussage. F&uuml;r ihn ist die konkrete Ausgestaltung einer Steuer Aufgabe der Politik und nicht der Philosophie. Es ist jedoch anzunehmen, dass nach seinem Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis all jene R&uuml;ckfl&uuml;sse zu bef&uuml;rworten sind, welche ein Mehr an Freiheit und Chancengleichheit bewirken, was mich zum n&auml;chsten Argument f&uuml;hrt.</p><h6>3.2.1.2.2 Argument der Chancengleichheit</h6> <p>John Rawls vertritt, wie oben bereits erl&auml;utert, den liberalen Grundsatz der fairen Chancengleichheit. Die Bedeutung dieses Prinzips ist in seiner Theorie der Gerechtigkeit derart zentral, dass es Eingang in den zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz gefunden hat und gegen&uuml;ber dem Differenzprinzip zu priorisieren ist.</p> <p>Rawls unterscheidet zwischen einer fairen und einer formalen Chancengleichheit.^{<a title="" href="#_ftn199" name="_ftnref199">199</a>} Letztere ist immer dann gegeben, wenn jeder Person das gleiche gesetzliche Recht zukommt, durch eigene Leistung vorteilhafte soziale Positionen zu erreichen.^{<a title="" href="#_ftn200" name="_ftnref200">200</a>} Allein das gesetzliche Recht auf eine bestimmte Stellung oder ein bestimmtes Amt bewirkt jedoch noch keine tats&auml;chliche Chancengleichheit. Kinder wohlhabender und privilegierter Familien haben in der Realit&auml;t &ndash; trotz Bildungszugang f&uuml;r alle &ndash; deutlich bessere Chancen auf gute Ausbildungspl&auml;tze, was ihnen wiederum Vorteile auf dem Arbeitsmarkt und somit die bessere gesellschaftliche Stellung verschafft. Eine rein formale Chancengleichheit reicht also nicht, um einen gerechten Gesellschaftszustand zu erreichen. Die von Rawls geforderte faire Chancengleichheit verlangt deswegen zus&auml;tzlich, dass Positionen zwar auch formal, vor allem aber auf eine faire Art und Weise f&uuml;r alle zug&auml;nglich sind. Gefordert wird, dass Personen mit &auml;hnlichen F&auml;higkeiten und Fertigkeiten nicht nur theoretisch, sondern tats&auml;chlich vergleichbare Erfolgschancen im Leben haben sollen.^{<a title="" href="#_ftn201" name="_ftnref201">201</a>} Die &ndash; nach Rawls unverdiente &ndash; gesellschaftliche Startposition darf nach dem Prinzip der fairen Chancengleichheit keine Rolle spielen bei der Besetzung von &Auml;mtern und Positionen.^{<a title="" href="#_ftn202" name="_ftnref202">202</a>}</p> <p>Betrachtet man das Erbschaftsrecht in Verbindung mit dem Erbschaftssteuerrecht, ist festzustellen, dass Erbschaften das Potential haben, zu ungleichen Startchancen in einer Gesellschaft zu f&uuml;hren.^{<a title="" href="#_ftn203" name="_ftnref203">203</a>} Insbesondere aus der Vererbung grosser Verm&ouml;gen resultieren Ungleichheiten.^{<a title="" href="#_ftn204" name="_ftnref204">204</a>} Wer das Privileg hat, in eine wohlhabende Familie geboren zu werden, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit durch Erbschaft in den Besitz eines Teils oder gar der Gesamtheit des Familienverm&ouml;gens gelangen. Dies kann selbst dann zu einer Vermehrung der Chancen verhelfen, wenn der Verm&ouml;gens&uuml;bergang &ndash; wie heute &uuml;blich &ndash; erst nach Abschluss der eigenen Ausbildung oder gar erst im Pensionsalter stattfindet. Egal an welcher Stelle man in der eigenen Biografie steht: Durch den Erhalt einer Erbschaft verbessert sich die eigene finanzielle Situation, was wiederum die M&ouml;glichkeit er&ouml;ffnet, die eigenen Kinder grossz&uuml;giger zu unterst&uuml;tzen und deren Startchancen zu verbessern.^{<a title="" href="#_ftn205" name="_ftnref205">205</a>}&nbsp;Solche mittels Erbschaft geschaffenen, ungleichen M&ouml;glichkeiten widersprechen Rawls Prinzip der fairen<em> </em>Chancengleichheit und m&uuml;ssen daher ausgeglichen werden.</p> <p>Analog zum Argument der Umverteilung fungiert die Erbschaftssteuer auch hier als Mittel zur Herstellung eines gerechten Zustands. Wird ein Teil der Erbschaft abgesch&ouml;pft und r&uuml;ckverteilt, kann verhindert werden, dass Verm&ouml;gen uneingeschr&auml;nkt von Generation zu Generation weitergegeben wird und Verm&ouml;genskonzentrationen in der Hand weniger die Chancen aller anderen negativ beeinflussen. Die Perpetuierung von Ungleichheiten kann mit einer gezielten steuerlichen Belastung von Erbschaften durchbrochen und das Ziel der Chancengleichheit damit erreicht werden.</p> <p>Die Forderung nach Chancengleichheit aber wird allein durch die Besteuerung von Erbschaften nicht erreicht. Die Absch&ouml;pfung von Verm&ouml;gen ohne zielgerichtete R&uuml;ckf&uuml;hrung gleicht einer Nivellierung nach unten, was weder w&uuml;nschenswert noch in Rawls&rsquo; Sinne w&auml;re. Analog zum Argument der Umverteilung ist auch hier eine Zweckgebundenheit anzustreben. Mit dem Mittel der Erbschaftssteuer kann eine faire Chancengleichheit nur dann erreicht werden, wenn die dadurch generierten Einnahmen effektiv eingesetzt werden, um die Chancen auszugleichen.^{<a title="" href="#_ftn206" name="_ftnref206">206</a>}&nbsp;Geeignet w&auml;re beispielsweise die Verwendung der Gelder im Bildungssektor. Mit den Ertr&auml;gen der Erbschaftssteuer k&ouml;nnte man kostenlosen Nachhilfeunterricht anbieten oder Unterst&uuml;tzungsmassnahmen f&uuml;r fremdsprachige Kinder subventionieren, womit zu einer h&ouml;heren Chancengleichheit beigetragen werden k&ouml;nnte. Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Zweckgebundenheit von Steuern kann auf das Ende von<em> </em>Abschnitt Argument der Umverteilung verwiesen werden.&nbsp;</p> <h6>3.2.1.2.3 Argument des Verdienst</h6> <p>Neben dem Differenzprinzip enth&auml;lt die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls auch das sogenannte Ausgleichsprinzip (principle of redress).^{<a title="" href="#_ftn207" name="_ftnref207">207</a>} Dieses Prinzip verlangt, dass alle unverdienten Ungleichheiten in einer Gesellschaft beseitigt werden m&uuml;ssen. Die durch die Zuf&auml;lligkeit der Verteilung von nat&uuml;rlichen Gaben entstehende Ungerechtigkeit soll korrigiert und die Gesellschaft in einen gerechten Zustand zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden. Es handelt sich beim Ausgleichsprinzip um ein egalitaristisches Prinzip, welches das Ziel verfolgt, unverdiente Ungleichheiten durch staatlichen Eingriff zu negieren und eine gr&ouml;sstm&ouml;gliche Gleichheit herzustellen.^{<a title="" href="#_ftn208" name="_ftnref208">208</a>}</p> <p>Rawls vertritt demnach eine radikale Position, was die moralische Wertkategorie Verdienst betrifft. Seiner Auffassung nach hat ein Individuum weder seine Ausstattung an nat&uuml;rlichen Gaben noch seine Ausgangsposition in der Gesellschaft verdient.^{<a title="" href="#_ftn209" name="_ftnref209">209</a>} Nicht einmal die individuelle Initiative zur Ausbildung einer bestimmten F&auml;higkeit rechnet Rawls dem jeweiligen Tr&auml;ger zu, sondern f&uuml;hrt sie auf gl&uuml;ckliche, gesellschaftliche sowie famili&auml;re Umst&auml;nde zur&uuml;ck, welche wiederum als zuf&auml;llig und damit als unverdient zu qualifizieren sind.^{<a title="" href="#_ftn210" name="_ftnref210">210</a>} Nebst der Verteilung von F&auml;higkeiten und Talenten entspringe auch die finanzielle Situation der Familie, in die man geboren wird, allein der &laquo;Lotterie der Natur&raquo; und sei damit nach moralischen Gesichtspunkten willk&uuml;rlich.^{<a title="" href="#_ftn211" name="_ftnref211">211</a>} Die g&uuml;nstige gesellschaftliche Ausgangsposition, die mit der Geburt in eine privilegierte Familie entsteht, ist ein unverdienter Vorteil, den es gem&auml;ss dem Ausgleichsprinzip zu beseitigen gilt.^{<a title="" href="#_ftn212" name="_ftnref212">212</a>}</p> <p>Daraus folgt, dass auch ein Erbanfall als unverdient zu qualifizieren ist. Wie viel jemand an Verm&ouml;gen via Erbschaft erh&auml;lt, ist willk&uuml;rlich und deswegen &ndash; gem&auml;ss dem Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis von John Rawls &ndash; auszugleichen, was in der Konsequenz die Erhebung einer Erbschaftssteuer rechtfertigt.</p> <p>Es wurde gezeigt, dass auch andere Autoren das Argument des Verdienstes heranziehen, um die Erbschaftssteuer zu legitimieren. Nach deren Auffassung sind Erbschaften zu besteuern, da ihr &laquo;unverdienter Erwerb&raquo; quer zur allgemein akzeptierten Rechtfertigung sozialer Ungleichheit aus Leistungsunterschieden steht.^{<a title="" href="#_ftn213" name="_ftnref213">213</a>} Rawls Argumentation unterscheidet sich an dieser Stelle. Gem&auml;ss seiner Theorie der Gerechtigkeit muss ein solches meritokratisches Denken abgelehnt werden. Aus der Leistungsf&auml;higkeit einer Person kann nicht auf deren Verdienst geschlossen werden. Allein die F&auml;higkeit eine Leistung zu erbringen, ist von einer Vielzahl an &auml;usseren Umst&auml;nden abh&auml;ngig und kann daher nicht als verdient gelten.^{<a title="" href="#_ftn214" name="_ftnref214">214</a>} Trotzdem: Auch in Rawls Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis soll Leistung belohnt werden. Wer mehr leistet, soll mehr haben, dies jedoch nicht, weil die Person das verdient h&auml;tte, sondern viel mehr, weil die weniger Leistungsf&auml;higen sonst noch weniger h&auml;tten.^{<a title="" href="#_ftn215" name="_ftnref215">215</a>}</p> <p>Auch wenn die Frage, was eine Person verdient hat, folglich auf verschiedene Weise beantwortet werden kann, herrsch dennoch mehrheitlich Konsens dar&uuml;ber, was unverdient ist. Der Erhalt einer Erbschaft wird darunter subsumiert.</p> <p>Anhand dieses letzten Argumentes kann festgehalten werden, dass Rawls einerseits aufgrund der mit einer Erbschaftssteuer erzielbaren Umverteilung und Erh&ouml;hung der Chancengleichheit und andererseits aufgrund seines Verst&auml;ndnisses von Verdienst, eine Besteuerung von Erbschaften als gerecht erachten w&uuml;rde.</p> <h4>3.2.2 Ausgestaltung der Erbschaftssteuer nach John Rawls</h4> <p>Nach dem die normative Frage des &laquo;Ob&raquo; und die Begr&uuml;ndungsfrage des &laquo;Warum&raquo; weitestgehend behandelt wurde, soll an dieser Stelle die operative Frage des &laquo;Wie&raquo; betrachtet werden und die Ausgestaltung der schweizerischen Erbschaftssteuer auf ihre Gerechtigkeit hin untersucht werden.</p> <p>Rawls &uuml;berl&auml;sst die konkrete Ausgestaltung des Gesellschaftssystems der Politik und sieht die Aufgabe der Philosophie lediglich in der Aufstellung von Grundregeln und Gerechtigkeitsprinzipien.^{<a title="" href="#_ftn216" name="_ftnref216">216</a>}&nbsp;Die Verweise auf die politische Urteilsfindung erschweren deshalb das Heranziehen seiner Gerechtigkeitstheorie im Hinblick auf konkrete Einzelfragen. Trotz dieser eingeschr&auml;nkten Aussagekraft bez&uuml;glich der spezifischen Ausgestaltung einer gerechten Erbschaftssteuer, verm&ouml;gen das Gedankenexperiment des Schleiers des Nichtwissens und die beiden daraus abgeleiteten Gerechtigkeitsprinzipien dennoch Anhaltspunkte zu liefern, nach welchen sich die Frage &laquo;Wie sollen wir besteuern?&raquo; beantworten l&auml;sst</p> <p>Nachfolgend konzentriert sich die Untersuchung auf drei Aspekte der Ausgestaltung der schweizerischen Erbschaftssteuer: Die Steuerprogression, die Steuerbefreiungen und die kantonale Steuerhoheit. Diesen drei Teilbereichen ist gemein, dass sie alle eine ungleiche Behandlung der Steuerpflichtigen zur Folge haben und aus diesem Grund in gerechtigkeitstheoretischer Hinsicht von besonderem Interesse sind.</p> <p>Die oben gestellte Frage wurde unter dem Abschnitt 2.2. Verfassungsrechtliche Schranken der<em> </em>Erbschaftssteuer erstmals diskutiert. An dieser Stelle soll nun ein zweiter Blick auf die Thematik geworfen werden. Es interessiert die Frage, wie diese drei Ausgestaltungsaspekte der schweizerischen Erbschaftssteuer nach Rawls hinsichtlich ihrer Gerechtigkeit bewertet werden w&uuml;rden und ob seine diesbez&uuml;gliche Position mit den schweizerischen Verfassungsgrunds&auml;tzen vereinbar ist. Es gilt zu kl&auml;ren, ob die Theorie der Gerechtigkeit einen Beitrag zur steuerrechtlichen Diskussion um die Thematiken Progression, Steuerbefreiung und Steuerhoheit leisten kann.</p> <h5>3.2.2.1 Steuerprogression</h5> <p>Das Besteuerungsmodell der Progression rechtfertigt sich im schweizerischen Steuersystem (wie unter 2.2.1.3. gezeigt wurde) mit dem verfassungsm&auml;ssigen Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit. Das war jedoch nicht immer so. Bis ins 20. Jahrhundert wurde in der Schweiz durch die meisten Kantone eine proportionale Besteuerung vorgezogen.^{<a title="" href="#_ftn217" name="_ftnref217">217</a>} Nach einem proportionalen Tarif steigt der als Steuer abzugebende Geldbetrag in gleichem Masse wie die Bemessungsgrundlage.^{<a title="" href="#_ftn218" name="_ftnref218">218</a>} Das Ziel war damals wie heute eine gleichm&auml;ssige Besteuerung, was unter rein objektiven Gesichtspunkten auch mit einem proportionalen Steuertarif erreicht werden kann. Zieht man jedoch subjektive Faktoren in die Betrachtung mit ein und bewertet die wirtschaftliche Belastung durch die Steuer beim Einzelnen, kommt man zum Ergebnis, dass eine progressive Steuer dem Grundsatz der Rechtsgleichheit weit mehr entspricht. Wird die Abstufung des angewendeten Steuermasses an der Leistungsf&auml;higkeit des Steuersubjekts gemessen, vermag sie die Forderung der Gleichm&auml;ssigkeit der Steuerlast besser zu erf&uuml;llen.^{<a title="" href="#_ftn219" name="_ftnref219">219</a>}</p> <p>Selbstredend kann eine progressive Form der Besteuerung nur dort geeignet sein, wo das Steuerobjekt mit der Leistungsf&auml;higkeit des Steuersubjekts in Verbindung gebracht werden kann.^{<a title="" href="#_ftn220" name="_ftnref220">220</a>} Bei der Erbschaftssteuer ist diese Voraussetzung gegeben, da ein Erbanfall die wirtschaftliche Leistungsf&auml;higkeit des Empf&auml;ngers zu verbessern vermag.^{<a title="" href="#_ftn221" name="_ftnref221">221</a>}</p> <p>Auch Rawls h&auml;lt das Besteuerungsmodell der Progression in gewissen Konstellationen f&uuml;r angebracht, zieht es der proportionalen Form der Besteuerung jedoch nicht kategorisch vor.^{<a title="" href="#_ftn222" name="_ftnref222">222</a>} F&uuml;r ihn ist die individuelle wirtschaftliche Leistungsf&auml;higkeit keine geeignete Messgr&ouml;sse f&uuml;r die gerechte Verteilung der Steuerlast. Im Gegenteil: Erst wenn die Grundstruktur einer Gesellschaft als Ganzes gerecht ist, k&ouml;nnen aus dem Prinzip &laquo;Jedem nach seiner Leistung&raquo; &uuml;berhaupt Erkenntnisse und Schlussfolgerungen gezogen werden.^{<a title="" href="#_ftn223" name="_ftnref223">223</a>}</p> <p>F&uuml;r Rawls haben proportional ausgestaltete Steuertarife den Vorteil, dass mit ihnen eine geringere Verminderung des Leistungsanreizes der Gesellschaftsmitglieder zu erwarten ist als bei einer progressiven Steuer.^{<a title="" href="#_ftn224" name="_ftnref224">224</a>}&nbsp;Anreize sind in seiner Gerechtigkeitsvorstellung ein wichtiger Faktor f&uuml;r die Vermehrung des wirtschaftlichen Gesamtguts einer Gesellschaft, an dem im Idealfall jeder partizipieren kann. Die &Uuml;berlegung ist: Je h&ouml;her der Prozentsatz der Besteuerung, desto weniger Anreiz besteht, ein grosses Verm&ouml;gen zu generieren (und zu einem sp&auml;teren Zeitpunkt zu vererben). Progressive Steuertarife k&ouml;nnen dazu f&uuml;hren, dass die Bereitschaft des Einzelnen abnimmt, mit seiner Leistung zur Gesellschaft beizutragen, sobald sein Verm&ouml;gen eine bestimmte Gr&ouml;sse erreicht hat. Dadurch wird weder der Einzelne selbst noch die &ndash; in Rawls&rsquo; Differenzprinzip immer zu ber&uuml;cksichtigenden &ndash; Schlechtestgestellten in einer Gesellschaft profitieren.</p> <p>Wie unter Abschnitt Argument der Umverteilung gezeigt wurde, dient die Besteuerung von Erbschaften f&uuml;r Rawls in erster Linie der Umverteilung von Verm&ouml;gen in Gesellschaften, die einen Zustand der ungerechten Ungleichheit erreicht haben. Analog dazu sind progressive Steuers&auml;tze f&uuml;r ihn nur dann proportionalen Steuers&auml;tzen vorzuziehen, wenn sie notwendig sind, um die Gerechtigkeit der Grundstruktur der Gesellschaft wiederherzustellen. Nur wenn progressive Steuertarife ein Mehr an Freiheit und Chancengleichheit garantieren und Verm&ouml;gens- und Machtzusammenballungen dadurch verhindert werden k&ouml;nnen, ist ihr Einsatz gerechtfertigt und notwendig.^{<a title="" href="#_ftn225" name="_ftnref225">225</a>}</p> <p>Aus diesen &Uuml;berlegungen ergibt sich die Konsequenz, dass sich nach Rawls&rsquo; Gerechtigkeitsvorstellung das Besteuerungsmodell an der in einer Gesellschaft herrschenden Verteilungssituation ausrichten muss. Eine progressive Besteuerung ist nur dann zul&auml;ssig, wenn man sich in einem dem Differenzprinzip widersprechenden Zustand ungerechter Ungleichheit von materiellen G&uuml;tern befindet.</p> <p>Auf das schweizerische Erbschaftssteuersystem gem&uuml;nzt, w&uuml;rde das bedeuten, dass jeder Kanton die Erbschaftssteuertarife gemessen an den auf seinem Gebiet bestehenden Verm&ouml;gensunterschieden festzusetzen h&auml;tte. Eine solche Ausgestaltung w&auml;re jedoch nicht zielf&uuml;hrend. Allein die Tatsache, dass Erblasser und Erbe nicht zwingend im gleichen Kanton wohnhaft sind und damit ein Steuertarif eines Kantons zur Anwendung k&auml;me, in dem die Beg&uuml;nstigung gar nicht eintritt, w&uuml;rde zu starken Verzerrungen in der Steuerlast f&uuml;hren. Dieser Problematik k&ouml;nnte begegnet werden, indem man bundesweit die gleichen Tarife ansetzt und die schweizweit herrschende Verm&ouml;gensungleichheit als Orientierung heranzieht. Die sich daraus ergebende Frage nach der Gerechtigkeit der im Status quo herrschenden kantonalen Steuerkompetenz wird weiter unten im Abschnitt 3.2.2.3. Kantonale Steuerhoheit thematisiert.</p> <p>Abschliessend darf festgehalten werden, dass Rawls &Uuml;berlegungen zur progressiven Tarifgestaltung mit dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsf&auml;higkeit nicht vereinbar sind, da er das Prinzip der Leistungsf&auml;higkeit an sich in Frage stellt.^{<a title="" href="#_ftn226" name="_ftnref226">226</a>} Sein Alternativvorschlag, die Tarifgestaltung von der gesellschaftlichen Verteilungssituation abh&auml;ngig zu machen, vermag nicht zu &uuml;berzeugen.^{<a title="" href="#_ftn227" name="_ftnref227">227</a>} Neben der schieren Unm&ouml;glichkeit, eine solche Tarifgestaltung faktisch umzusetzen, ist im Weiteren fraglich, ob sie im Einzelfall tats&auml;chlich f&uuml;r mehr Gerechtigkeit sorgen w&uuml;rde. Im Idealfall w&auml;re durch die fortlaufend get&auml;tigte Umverteilung mit einer stetigen Abflachung der Progressionskurve bis hin zu einem proportionalen Steuertarif zu rechnen. Doch Erbschaften sind hinsichtlich der Entstehung materieller Ungleichheiten in einer Gesellschaft nur ein Faktor von vielen. Ist es legitim, dass einzelne Erben unterschiedlichen Besteuerungss&auml;tzen unterliegen, je nachdem welche Verteilungsverh&auml;ltnisse im Zeitpunkt des sie erreichenden Erbanfalls herrschen? Folgt man Rawls Argumentation, ist dies anzunehmen. In der Konsequenz w&uuml;rde damit aber nicht nur gegen das Leistungsf&auml;higkeitsprinzip verstossen &ndash; diese Massnahme k&auml;me auch mit dem Verfassungsgrundsatz der Gleichm&auml;ssigkeit der Besteuerung und dem Gebot der Rechtssicherheit in Konflikt.^{<a title="" href="#_ftn228" name="_ftnref228">228</a>}&nbsp;Gleiche oder gleichartige Sachverhalte m&uuml;ssen in gleicher Weise erfasst werden, unabh&auml;ngig vom Zeitpunkt, in dem sie eintreten. Eine Ausgestaltung gem&auml;ss Rawls ist an dieser Stelle folglich abzulehnen.</p> <h5>3.2.2.2 Subjektive und objektive Steuerbefreiung</h5> <p>Zur Beantwortung der Frage nach der Gerechtigkeit von Erbschaftssteuerbefreiungen muss nach Art der jeweiligen Privilegierung unterschieden werden. Zun&auml;chst gilt es zwischen subjektiver und objektiver Steuerbefreiung zu differenzieren, wobei erstere wiederum unterschiedlich zu beurteilen ist, je nachdem wer damit beg&uuml;nstigt wird. Nachfolgend soll unter dem Titel der subjektiven Steuerbefreiung zun&auml;chst auf die Privilegierung von nahestehenden Personen eingegangen werden. Anschliessend soll die Besserstellung von Gemeinwesen und gemeinn&uuml;tzige Institutionen untersucht werden und als Drittes ist auf die steuerliche Beg&uuml;nstigung von Unternehmen einzugehen. Abschliessend werden die gerechtigkeitsrelevanten Aspekte der objektiven Steuerbefreiung betrachtet.</p> <h6>3.2.2.2.1 Subjektive Steuerbefreiung</h6> <h6>3.2.2.2.1.1 Beg&uuml;nstigung von Verwandten und Ehegatten resp. eingetragene Partner und Partnerinnen</h6> <p>S&auml;mtliche schweizerischen Erbschaftssteuergesetze sehen steuerliche Beg&uuml;nstigungen f&uuml;r Personen vor, welche in einem bestimmten N&auml;heverh&auml;ltnis zum Erblasser standen.^{<a title="" href="#_ftn229" name="_ftnref229">229</a>} Um nicht den Besteuerungsgrundsatz der Allgemeinheit zu verletzen, erfordern solche subjektiven Steuerbefreiungen eine sachliche Rechtfertigung.^{<a title="" href="#_ftn230" name="_ftnref230">230</a>} Es wurde bereits darauf eingegangen, dass die schweizerische Lehre und Rechtsprechung die Legitimation derartiger Steuerbefreiungen im Familienprinzip verortet. Im Gegensatz zu dieser Ansicht steht Rawls der Institution Familie eher kritisch gegen&uuml;ber. Seiner Auffassung zufolge wird eine Gesellschaft nie Gerechtigkeit erlangen, solange die Familie in irgendeiner Form existiert. F&uuml;r ihn liegt die Problematik der herrschenden Chancenungleichheit gar darin begr&uuml;ndet, dass Menschen in unterschiedlich privilegierten famili&auml;ren Gef&uuml;gen aufwachsen.^{<a title="" href="#_ftn231" name="_ftnref231">231</a>} Trotz dieser kritischen Haltung kann Rawls der Rolle der Familie einen Nutzen abgewinnen. Gem&auml;ss seiner Gerechtigkeitstheorie erlernt ein Mensch im famili&auml;ren Bereich das Ideal der &laquo;Br&uuml;derlichkeit&raquo;, welches ein zentraler Motivator f&uuml;r sein Differenzprinzip darstellt.^{<a title="" href="#_ftn232" name="_ftnref232">232</a>} Die Familie ist ein Ort, in dem der Grundsatz der individuellen Nutzenmaximierung zur&uuml;cktritt und Familienmitglieder in der Regel Vorteile suchen, die zugleich den Interessen anderer Familienmitglieder entsprechen.^{<a title="" href="#_ftn233" name="_ftnref233">233</a>} Genau dieses Verhalten gilt es nach Rawls zu kultivieren, damit das Individuum in seiner gesellschaftlichen Teilhabe stets auch das Wohl der weniger privilegierten Mitmenschen im Blick beh&auml;lt.^{<a title="" href="#_ftn234" name="_ftnref234">234</a>}&nbsp;Doch l&auml;sst sich daraus schliessen, dass enge Familienmitglieder steuerrechtlich privilegiert werden sollten?</p> <p>Zun&auml;chst ist festzuhalten, dass dem Staat durch die Steuerbefreiung von Personen, welche dem Erblasser nahestanden, eine immense Summe an Steuereinnahmen entgeht. Es sind gerade die Kinder und Ehegatten respektive eingetragene Partner und Partnerinnen der verstorbenen Person, die in der Regel den gr&ouml;ssten Teil des Verm&ouml;gens durch Erbschaft erhalten und damit die lukrativste Erbschaftssteuereinnahmequelle f&uuml;r den Staat darstellen w&uuml;rden.^{<a title="" href="#_ftn235" name="_ftnref235">235</a>}&nbsp;Der Verzicht auf eine derart hohe Einnahmequelle hat zur Folge, dass dem Staat weniger liquide Mittel zur Verf&uuml;gung stehen, welche er zur Umverteilung nutzen kann. Mittel also, die den untersten Gesellschaftsmitglieder zugutekommen w&uuml;rden &ndash; und die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen rechtfertigen k&ouml;nnten.</p> <p>Steuerrechtliche Privilegien sind nach der Gerechtigkeitsvorstellung von Rawls demnach nur dann zul&auml;ssig, wenn von ihnen, sei es direkt oder indirekt, auch die am schlechtesten Gestellten einer Gesellschaft profitieren. Von einer direkten Besserstellung ist hierbei nicht auszugehen. Selbstverst&auml;ndlich kann es sein, dass direkte Nachkommen oder Ehegatten beziehungsweise eingetragene Partner und Partnerinnen zu der untersten Gesellschaftsschicht geh&ouml;ren und mit ihrer erbschaftssteuerlichen Privilegierung dem Differenzprinzip entsprochen wird, allerdings ist dies mit Sicherheit nicht der Regelfall. Viel mehr verh&auml;lt es sich in der Realit&auml;t so, dass Personen, die ein nennenswertes Erbe empfangen, schon vor dem Erbanfall in &ouml;konomischer Hinsicht tendenziell gut dastanden.^{<a title="" href="#_ftn236" name="_ftnref236">236</a>} Das Matth&auml;us-Prinzip &laquo;Wer hat, dem wird gegeben&raquo; gilt auch im Erbschaftssteuerrecht.^{<a title="" href="#_ftn237" name="_ftnref237">237</a>}&nbsp;Im Regelfall handelt es sich bei den direkten Profiteuren dieser subjektiven Steuerbefreiung also nicht um die schlechtestgestellten Gesellschaftsmitglieder, weshalb die erbschaftsteuerrechtliche Privilegierung auch auf diese Weise nicht gerechtfertigt werden kann.</p> <p>Was zu beachten bleibt, ist die M&ouml;glichkeit, durch subjektive Erbschaftssteuerbefreiungen f&uuml;r eine indirekte Beg&uuml;nstigung der untersten Gesellschaftsschicht zu sorgen. Es wurde bereits erl&auml;utert, dass Rawls die Verm&ouml;gens&uuml;bertragung via Erbschaft grunds&auml;tzlich bef&uuml;rwortet, da sie einen Anreiz schafft, sein eigenes Verm&ouml;gen zu vermehren, was wiederum zur wirtschaftlichen Effizienz einer Gesellschaft beitr&auml;gt und damit im Sinne des Differenzprinzips einen gesamtheitlichen Nutzen bringt. Es stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass bestimmte Personenkreise von der Erbschaftssteuer ausgenommen sind, diese Anreizfunktion verst&auml;rken k&ouml;nnte. Ein altruistischer Erblasser, der seine Nachkommen bestm&ouml;glich beg&uuml;nstigen m&ouml;chte, wird motivierter sein, ein Verm&ouml;gen anzusparen und zu vererben, wenn er weiss, dass in dieses gar nicht oder nur in geringem Masse steuerrechtlich eingegriffen wird.^{<a title="" href="#_ftn238" name="_ftnref238">238</a>} Der Anreiz zur Effizienz einer Gesellschaft beizutragen, kann mit Steuerprivilegien folglich durchaus gesteigert werden.^{<a title="" href="#_ftn239" name="_ftnref239">239</a>} Zu kl&auml;ren gilt es allerdings auch hier, ob die momentane Ausgestaltung der subjektiven Privilegien von nahestehenden Personen diesen Anreiz tats&auml;chlich setzen kann. Meines Erachtens stimmen die von den aktuellen Erbschaftssteuergesetzen vorgegebenen Befreiungen nicht zwingend damit &uuml;berein, was ein Erblasser motiviert, Verm&ouml;gen anzusparen. Vielmehr w&auml;re auch in diesem Kontext &uuml;ber den Vorschlag nachzudenken, die Steuerbelastung davon abh&auml;ngig zu machen, wen der Erblasser in seinem Testament beg&uuml;nstigen will.^{<a title="" href="#_ftn240" name="_ftnref240">240</a>} F&uuml;r bestimmte Personen setzt die erbschaftssteuerprivilegierte Behandlung ihres Freundeskreises den gr&ouml;sseren Anreiz, effizient am Wirtschaftsleben teilzunehmen, als die momentane Erbschaftssteuerordnung es tut. Nach Rawls Gerechtigkeitsvorstellung w&auml;ren subjektive Steuerbefreiungen demnach nur dann zul&auml;ssig, wenn sie tats&auml;chliche Anreize zu setzen verm&ouml;gen und nachweisbar die Erblasser motivieren, zu einer bl&uuml;henden Wirtschaft beizutragen.^{<a title="" href="#_ftn241" name="_ftnref241">241</a>}</p> <p>Ob die Anreizfunktion der subjektiven Steuerbefreiungen den dadurch erzielten Verlust von r&uuml;ckverteilbaren Steuereinnahmen &uuml;berwiegen kann und in der Konsequenz zu einem gr&ouml;sseren Vorteil f&uuml;r jedermann f&uuml;hrt, kann an dieser Stelle nicht abschliessend festgestellt werden. Das noble Motiv, alle Personen (insbesondere die am Schlechtestgestellten) in jeder Ungleichverteilung zu ber&uuml;cksichtigen, scheitert erneut an der Umsetzbarkeit im konkreten Anwendungsfall.</p> <h6>3.2.2.2.1.2 Beg&uuml;nstigung des Gemeinwesens und der gemeinn&uuml;tzigen Institutionen</h6> <p>Im Gegensatz zur steuerrechtlichen Privilegierung von Verwandten und Ehegatten resp. eingetragenen Partner und Partnerinnen scheint Rawls Position zur Beg&uuml;nstigung des Gemeinwesens und der gemeinn&uuml;tzigen Institutionen eindeutig zu sein: Eine derartige Ausgestaltung des Erbschaftssteuersystems ist ganz in seinem Sinne.</p> <p>Wie bereits erl&auml;utert, ist ein Kernziel der Erhebung von Erbschaftssteuern nach Rawls&rsquo; Gerechtigkeitstheorie ihre Umverteilungsfunktion.^{<a title="" href="#_ftn242" name="_ftnref242">242</a>} Betrachtet man die Erbschaftssteuer als ein geeignetes Mittel, Steuersubstrat zu generieren, um es der gesamten Gesellschaft und insbesondere den am schlechtesten Gestellten zugutekommen zu lassen, w&auml;re es ein kluger Schachzug, schon mit der Erhebung an sich Anreize in Richtung Gemeinn&uuml;tzigkeit zu setzen. Die Personen im Urzustand haben Grundkenntnisse der menschlichen Psychologie &ndash; es erscheint folglich klar, dass es jedes Individuum vorziehen w&uuml;rden, das selbst erwirtschaftete Geld nach seinen pers&ouml;nlichen W&uuml;nschen und Vorstellungen zu investieren und eine Gesellschaft ausgestaltet werden w&uuml;rde, welche das ber&uuml;cksichtigt.^{<a title="" href="#_ftn243" name="_ftnref243">243</a>}&nbsp;Wenn das Individuum mit steuerlichen Beg&uuml;nstigungen dazu motiviert wird, das eigene Erbe im Sinne des Gemeinwohls zu investieren, dann entspricht das vollumf&auml;nglich Rawls Gerechtigkeitstheorie.</p> <p>Nicht zu &uuml;bersehen ist hierbei, dass eine oben beschriebene Ausgestaltung die Gefahr berge, dass nur spezifische Institutionen gef&ouml;rdert werden und Erbschaften beispielsweise in grossen Teilen der Kultur zugutekommen und kaum Geld in die systemrelevanten Gesundheitsinstitutionen fliesst.^{<a title="" href="#_ftn244" name="_ftnref244">244</a>} Auch nach Rawls w&auml;ren Zweifel angebracht, ob man die Umverteilung materieller G&uuml;ter auf diesem Weg dem Individuum &uuml;berlassen sollte. F&uuml;r ihn liegt die Aufgabe f&uuml;r eine gerechte Verteilung zu sorgen beim Staat. In jedem Fall w&auml;re es meines Erachtens zwingend notwendig den Begriff der Gemeinn&uuml;tzigkeit genau zu definieren und zu regulieren, welche Institutionen in welchem Masse und welcher Regelm&auml;ssigkeit beg&uuml;nstigt werden d&uuml;rfen. Nur so kann eine gerechte und gleichm&auml;ssige Verteilung gew&auml;hrleistet werden.^{<a title="" href="#_ftn245" name="_ftnref245">245</a>}</p> <p>Eine weitere M&ouml;glichkeit, dieser Gefahr zu begegnen, ist eine ausgewogene Besteuerung der restlichen Erben. Es geht nicht darum, keine Steuereinnahmen mehr zu erzielen. Auch wenn es steuerliche Anreize zu Gunsten des Gemeinwohls gibt, k&ouml;nnen allein aufgrund des gesetzlich geregelten Pflichtteilsrechts nicht alle Erblasser ihr gesamtes Verm&ouml;gen an gemeinn&uuml;tzige Institutionen vererben.^{<a title="" href="#_ftn246" name="_ftnref246">246</a>}&nbsp;Es werden daher weiterhin Steuereinnahmen generiert, die vom Staat bewusst dort verwendet werden k&ouml;nnen, wo sonst wom&ouml;glich keine Beg&uuml;nstigungen hinfliessen w&uuml;rden.</p> <p>Im Sinne einer Lenkungssteuer w&uuml;rde die Erbschaftssteuer in der dargestellten Ausgestaltung das Verhalten der Erblasser in eine bestimmte, dem Gemeinwohl dienliche Richtung lenken, womit dem zweiten Gerechtigkeitsprinzip von Rawls entsprochen w&auml;re und eine derartige Privilegierung zu bef&uuml;rworten ist.</p> <h6>3.2.2.2.1.3 Beg&uuml;nstigung von Unternehmen</h6> <p>Nach Rawls Gerechtigkeitskonzeption k&ouml;nnen auch erbschaftssteuerliche Beg&uuml;nstigungen im Bereich der Unternehmensvererbung als Spezialfall geboten sein. Erfolgreiche Unternehmen tragen zum wirtschaftlichen Wachstum einer Gesellschaft bei und k&ouml;nnen, wenn sie gem&auml;ss dem Differenzprinzip ausgestaltet sind, auch den in einer Gesellschaft am schlechtesten positionierten Personen &ndash; beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitspl&auml;tzen &ndash; Vorteile bringen. Das Argument, das in diesem Kontext regelm&auml;ssig gegen die Erbschaftssteuer angef&uuml;hrt wird, ist, dass sich der Unternehmens&uuml;bertrag via Erbschaft unter der Last von Erbschaftssteuern oft als schwierig gestaltet.^{<a title="" href="#_ftn247" name="_ftnref247">247</a>}</p> <p>Betrachten wir das Beispiel eines Familienunternehmens: Der Erblasser verstirbt und hinterl&auml;sst ein Unternehmen und drei Kinder. Wenn der Betrieb nun fortgef&uuml;hrt werden soll und nur ein Kind diese Aufgabe &uuml;bernehmen kann, kommt neben die Pflicht die Geschwister auszubezahlen auch noch die Erbschaftssteuerlast. Dies endet im &auml;ussersten Fall darin, dass das Unternehmen verkauft werden muss, weil sich das ein einzelner Erbe gar nicht leisten kann. Und auch wenn es die finanziellen Mittel der Erben zulassen, dass Unternehmen zu halten, wird mit der Besteuerung dennoch Substrat entzogen, welches wom&ouml;glich im Interesse der Unternehmung und der Wirtschaft eingesetzt worden w&auml;re. Eine derartige Konsequenz der Erbschaftssteuer schw&auml;cht die Effizienz der Wirtschaft und ist nach Rawls Gerechtigkeitsvorstellung nicht erstrebenswert. Steuererleichterungen sind in dieser Konstellation demnach zu bef&uuml;rworten.</p> <p>In den meisten F&auml;llen werden Unternehmen familienintern an die eigenen Kinder vererbt.^{<a title="" href="#_ftn248" name="_ftnref248">248</a>}&nbsp;Im geltenden Recht er&uuml;brigt sich grunds&auml;tzlich eine steuerrechtliche Beg&uuml;nstigung von Unternehmen, da in den meisten Kantonen die &Uuml;bertragung auf die Nachkommen steuerfrei vollzogen werden kann. Folgt man jedoch der oben dargelegten Argumentation, wonach Steuerprivilegien aufgrund verwandtschaftlicher N&auml;hebeziehungen nicht zwingend gerechtfertigt sind, m&uuml;sste hier eine neue Regelung eingef&uuml;hrt werden.</p> <p>Trotz der momentanen Gesetzeslage, welche die meisten F&auml;lle der Unternehmensnachfolge bereits abdeckt, sehen beinahe die H&auml;lfte der Kantone fiskalische Vorzugsregelungen f&uuml;r die &Uuml;bertragung von Unternehmen via Erbschaft vor.^{<a title="" href="#_ftn249" name="_ftnref249">249</a>} Die kantonalen Regelungen sind hier sehr heterogen und offen gehalten, um eine Pr&auml;zisierung durch die Praxis zu erm&ouml;glichen. Gemein ist ihnen allen das Ziel einer volkswirtschaftlich n&uuml;tzlichen Unternehmenskontinuit&auml;t. Beispiele f&uuml;r eine Erleichterung der Steuerlast in diesem Bereich sind die Stundung der Steuer, die Steuerfreibetr&auml;ge oder die Beg&uuml;nstigungen, sofern das Unternehmen f&uuml;r eine festgelegte Frist durch den Erblasser weitergef&uuml;hrt wird.^{<a title="" href="#_ftn250" name="_ftnref250">250</a>}</p> <p>Folgende weitere Problematik besteht: Der sich in bestimmten Konstellationen ergebende Zwang zur Unternehmensver&auml;usserung kann zu einer Beschleunigung von Verm&ouml;genskonzentrationen f&uuml;hren.^{<a title="" href="#_ftn251" name="_ftnref251">251</a>}&nbsp;Zum Verkauf stehende Unternehmen werden an diejenigen Personen ver&auml;ussert, die sie sich leisten k&ouml;nnen. Es sind also nicht andere Kleinunternehmer, sondern viel mehr Grosskonzerne, die Unternehmen aufkaufen und so ihre eigene Macht ausbauen. Wird die Erbschaftssteuer in diesem Kontext konsequent zu Ende gedacht, ist sie nicht ausgleichend und umverteilend, sondern tr&auml;gt zur Akkumulierung von Verm&ouml;gen bei, dies allerdings bei den Mittwettbewerber und nicht beim Erben. Eine solche Dynamik ist nach Rawls Gerechtigkeitsvorstellung zu vermeiden, weswegen bei der Unternehmensvererbung Ausnahmeregelungen durchaus sinnvoll sein k&ouml;nnen.</p> <h6>3.2.2.2.2 Objektive Steuerbefreiung</h6> <p>In den meisten Kantonen sind Verm&ouml;gens&uuml;berg&auml;nge bis zu einer bestimmten Summe von der Besteuerung ausgenommen.^{<a title="" href="#_ftn252" name="_ftnref252">252</a>} Vor dem Hintergrund, dass Rawls die Besteuerung von Erbschaften in erster Linie aufgrund ihrer Umverteilungsfunktion gutheisst, sind Befreiungen von der objektiven Steuerpflicht als sinnvoll zu erachten. Ziel ist es, die Verm&ouml;gensverteilung allm&auml;hlich und stetig zu berichtigen, was am besten durch Absch&ouml;pfung hoher Erbschaften erreicht werden kann.^{<a title="" href="#_ftn253" name="_ftnref253">253</a>}&nbsp;Geringe Verm&ouml;gens&uuml;bertragungen von Todes wegen sollen nicht mit hohen Steuers&auml;tzen belastet werden, da damit die Motivation eingeschr&auml;nkt werden kann, zur Effektivit&auml;t einer Gesellschaft beizutragen. Erst wenn Erbschaften in ihrer Summe eine nicht mehr rechtfertigbare Ungleichheit zur Folge haben, gilt es als Staat einzugreifen und zu besteuern, so Rawls.</p> <h5>3.2.2.3 Kantonale Steuerhoheit</h5> <p>Abschliessend soll an dieser Stelle auf die Thematik der Erbschaftssteuerkompetenz eingegangen werden. Die Tatsache, dass in der Schweiz die Steuerhoheit bei den Kantonen liegt und man es im Erbschaftssteuerrecht demnach mit 26 verschiedenen Ordnungen zu tun hat, f&uuml;hrt zu einer Ungleichbehandlung, welche auf ihre Gerechtigkeit hin untersucht werden muss.</p> <p>Wie unter 2.1.2 gezeigt wurde, erheben bestimmte Kantone &uuml;berhaupt keine Erbschaftssteuer (Schwyz und Obwalden), w&auml;hrend andere Kantone Steuers&auml;tze von fast 50% vorsehen.^{<a title="" href="#_ftn254" name="_ftnref254">254</a>}&nbsp;Ob und wie schwer die Erbschaftssteuerlast die Erben trifft, h&auml;ngt folglich massgeblich vom letzten Wohnort des Erblassers ab. Die in dieser Regelung immanente Ungleichheit bedarf der Rechtfertigung.</p> <p>Um Rawls&rsquo; Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis zu entsprechen, m&uuml;sste die ungleiche Behandlung der Erben in Abh&auml;ngigkeit vom letzten Wohnsitz des Erblassers in ihrer Konsequenz dazu f&uuml;hren, dass alle Teilnehmer und insbesondere die am niedrigsten Positionierten einer Gesellschaft aus dieser Ausgestaltung der Erbschaftssteuer einen Vorteil ziehen. Es stellt sich also die Frage, wer denn tats&auml;chlich von einer kantonalen Erbschaftssteuererhebungskompetenz profitiert.</p> <p>Hier gilt es zwei Aspekte zu betrachten: Zum einen die rechtsungleiche Behandlung der Steuerpflichtigen im Status quo und zum anderen die dem Steuerwettbewerb unterliegende Entwicklung der Erbschaftssteuer aufgrund der kantonalen Steuerhoheit.</p> <p>De lege lata ist es so, dass die eigene Erbschaftssteuerpflicht in weiten Teilen davon abh&auml;ngt, in welchem Kanton die Person, von deren Nachlass man profitiert, ihren letzten Wohnsitz hatte. Bevorteilt sind diejenigen Erben, die von einer Person erben, welche entweder aus erbschaftssteuerlicher Hinsicht in einem g&uuml;nstigen Kanton ihr Leben fristete oder die M&ouml;glichkeit hatte, die unterschiedlichen Erbschaftssteuerordnungen in der Schweiz in ihrer Nachlassplanung zu ber&uuml;cksichtigen und diesbez&uuml;glich gegebenenfalls bewusste Dispositionen getroffen hat. Wer beispielsweise &uuml;ber das n&ouml;tige Kapital verf&uuml;gt, sich eine Liegenschaft im Kanton Schwyz leisten zu k&ouml;nnen, dessen Nachkommen haben beim Erbanfall (betreffend der Liegenschaft) das Privileg, keiner Erbschaftssteuer zu unterliegen. Die tats&auml;chlichen Profiteure der kantonalen Erbschaftssteuerhoheit sind folglich nicht die in einer Gesellschaft am Schlechtestgestellten, sondern diejenigen, die das Gl&uuml;ck haben, von jemandem zu erben, der an einem erbschaftssteuerlich g&uuml;nstigen Ort seinen letzten Wohnsitz hatte. Eine Vereinbarkeit mit dem Rawls&rsquo;schen Differenzprinzip ist nicht gegeben und eine derartige Ausgestaltung der Erbschaftsordnung m&uuml;sste nach seinem Gerechtigkeitsverst&auml;ndnis abgelehnt werden.</p> <p>Neben dieser individuellen und nach Rawls nicht rechtfertigbaren Ungleichbehandlung hat die kantonale Steuerhoheit eine weitere gerechtigkeitstheoretisch problematische Konsequenz: Den Steuerwettbewerb.</p> <p>Die Tatsache, dass es den Kantonen vollkommen freigestellt ist, wie hohe Erbschaftsteuern sie erheben, f&uuml;hrt zu einer Konkurrenzsituation. Im Bestreben m&ouml;glichst hohe Fiskaleinnahmen zu generieren, ist es f&uuml;r einen Kanton interessant, eine attraktive Steuerlandschaft darzustellen und damit wohlhabende Personen anzuziehen.^{<a title="" href="#_ftn255" name="_ftnref255">255</a>} Im Resultat f&uuml;hrt dies jedoch zu einem regelrechten Steuerdumping oder auch &laquo;Race to the bottom&raquo; genannten Gesetzgeberverhalten.^{<a title="" href="#_ftn256" name="_ftnref256">256</a>} Beg&uuml;nstigt werden damit die finanzstarken Steuerzahler, denn gerade ihre Zuwanderung ist im Sinne der Kantonskasse. Personen, die am unteren Rand der Gesellschaft stehen und meist nicht die M&ouml;glichkeit haben, sich der Besteuerung zu entziehen, ziehen aus diesem Wettbewerb kaum einen Vorteil. Im Gegenteil: Durch das stetige, gegenseitige Unterbieten kommt es zu weniger Steuereinnahmen und damit auch zu weniger Mittel, deren R&uuml;ckfluss den Schlechtestgestellten einer Gesellschaft dienlich w&auml;ren. Statistiken zeigen, dass das Ziel der Kantone, mit tiefen Erbschaftssteuers&auml;tzen wohlhabende Steuerzahler anzuziehen und damit mehr Steuersubstrat zu generieren, nicht erreicht wird und solche erbschaftssteuerbedingten Wanderreaktionen viel geringer ausfallen, als sie zurzeit eingesch&auml;tzt werden. Tats&auml;chlich ist das Steuersubstrat der Erblasser also weit weniger elastisch als erwartet.^{<a title="" href="#_ftn257" name="_ftnref257">257</a>}</p> <p>So vermag denn auch das Argument der kantonalen Souver&auml;nit&auml;t und des F&ouml;deralismus im Erbschaftssteuerrecht nicht zu &uuml;berzeugen. Gem&auml;ss dem Subsidiarit&auml;tsgrundsatz in Art. 5a BV darf der Bund nur diejenigen Aufgaben &uuml;bernehmen, welche einer einheitlichen L&ouml;sung bed&uuml;rfen und genau das w&auml;re hier gem&auml;ss Rawls der Fall. Ungleichheiten sind nach ihm nur solange zul&auml;ssig, als sie einen Vorteil f&uuml;r alle bringen. Ist dies nicht mehr gegeben, ist das Modell der Gleichheit vorzuziehen.^{<a title="" href="#_ftn258" name="_ftnref258">258</a>}&nbsp;Die kantonale Steuerhoheit bringt in erster Linie den wohlhabenden Gesellschaftsmitgliedern Vorteile und steht deswegen in ihrem Zweck kontr&auml;r zur Gerechtigkeitsvorstellung von Rawls. Eine Bundes- oder zumindest eine Steuerharmonisierungskompetenz w&auml;re eine m&ouml;gliche L&ouml;sung, um der von der Bundesverfassung geforderten Rechtsgleichheit zur Durchsetzung zu verhelfen.</p> <p>Dem Argument, dass den Kantonen mit der &Uuml;bertragung der Erbschaftssteuerhoheit auf Bundesebene ihr letztes Steuerreservat entzogen wird, kann mit Regelungen, die den Kantonen Ertragsteilhaben zusichern, der Gehalt genommen werden. Auch der f&ouml;derale Charakter der Erbschaftssteuer und die darin liegende Rechtfertigung der kantonalen Steuerkompetenz ist meines Erachtens abzulehnen. Geerbt und vererbt werden sollte in allen Kantonen gleich. Religi&ouml;se, kulturelle und regionale Unterschiede zwischen den Kantonen sind nicht ersichtlich und &uuml;berzeugen nicht als Argument gegen eine Bundeskompetenz.</p> <p>Der in der Verfassung inh&auml;rente Zielkonflikt zwischen rechtsgleicher Besteuerung nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_127" target="_blank" rel="noopener">Art. 127 Abs. 2 BV</a> und kantonaler Souver&auml;nit&auml;t nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 BV</a> muss gem&auml;ss Rawls im Sinne der Gerechtigkeit zugunsten der Bundeskompetenz entschieden werden.</p> <h2>4. Schluss</h2> <p>In der vorliegenden Arbeit wurde aufgezeigt, dass sich die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls in vielerlei Hinsicht auf das schweizerische Erbschaftssteuersystem anwenden l&auml;sst. Das Steuerrecht und insbesondere das Erbschaftssteuerrecht werfen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf, welche einen zentralen Platz in Rawls Theorie der Gerechtigkeit einnehmen. Die Erbschaftssteuer zeigt sich als geeignetes Instrument, um mittels Umverteilung auf ungerechte Gesellschaftsstrukturen einzuwirken und ein Mehr an Chancengleichheit zu erreichen. Auch die Tatsache, dass der Erhalt einer Erbschaft gegenleistungslos erfolgt und damit das Opfer der zur Steuerleistung verpflichteten Erben verh&auml;ltnism&auml;ssig klein ist, spricht f&uuml;r die Erhebung einer Erbschaftssteuer.</p> <p>Was die Ausgestaltung einer gerechten Erbschaftssteuer betrifft, vertritt Rawls eine (in Teilen) vom schweizerischen System abweichende Vorstellung. Auf dem Grat zwischen der Korrektur von ungerechten Ungleichheiten mittels Besteuerung und der Bef&uuml;rwortung von gerechten Ungleichheiten zum Vorteil aller, kommen Ergebnisse zustande, die in ihrer Konsequenz weder umsetzbar noch gerecht sind.</p> <p>Die von Rawls geforderte Anpassung der Tarifgestaltung einer Steuer in Abh&auml;ngigkeit von der gesellschaftlichen Verteilungssituation resultiert in individuellen H&auml;rtef&auml;llen und Ungleichheiten. Diese Forderung gilt es daher zur&uuml;ckzuweisen.</p> <p>Was die Privilegierungen im schweizerischen Erbschaftssteuerrecht betrifft, er&ouml;ffnet uns Rawls Gedanke der Br&uuml;derlichkeit und die Beachtung seines Differenzprinzips eine neue, zeitgem&auml;ssere und sozialere Perspektive. Mit Privilegien schafft man Anreize und mit Anreizen werden die Menschen zu einem gesamtgesellschaftlich n&uuml;tzlichen Verhalten bewegt &ndash; ganz ohne Verbote oder Freiheitseinschr&auml;nkungen. Im Sinne einer Lenkungssteuer soll die Erbschaftsteuer niemanden von einem bestimmten Verhalten abhalten, sondern die Erblasser mit gezielten Anreizen dazu bewegen, ihr Verm&ouml;gen im Sinne der gesamten Gesellschaft zu vererben und damit gleichzeitig zu einer gr&ouml;sseren Chancengleichheit beizutragen.</p> <p>Abschliessend ist Rawls zuzustimmen, dass der Status Quo der kantonalen Erbschaftssteuerkompetenz derart gravierende Ungleichbehandlungen mit sich bringt, dass hier Reformbedarf besteht. Die Angst vor Kapitalabwanderung vermag die herrschende Ungerechtigkeit nicht zu legitimieren. Mit einer Bundeserbschaftssteuer k&ouml;nnte man das &laquo;Race to the bottom&raquo; aufhalten und einen gerechteren Zustand schaffen &ndash; dies zumindest innerhalb der Schweiz. Was zu beachten bliebe, w&auml;re die internationale Dimension der Erbschaftssteuer und die mit ihr einhergehenden Gerechtigkeitsfragen.</p> <p>Auch wenn die direkte &Uuml;bernahme einer philosophischen Theorie in den juristischen Rechtssetzungsprozess weder m&ouml;glich noch erstrebenswert ist, vermag sie dennoch einen wichtigen Beitrag zu leisten. Rawls&rsquo; Gerechtigkeitsprinzipien als Gesetze zu betrachten, w&auml;re im Ansatz sicherlich verfehlt und mit unserem demokratischen System nicht zu vereinbaren. Dennoch erm&ouml;glicht die Besch&auml;ftigung mit philosophischen Gedanken und Gerechtigkeitstheorien einen wichtigen Perspektivwechsel. Insbesondere Rawls&rsquo; Methodik des Schleiers des Nichtwissens kann im Rechtssetzungsprozess ein hilfreiches Instrument darstellen, um Gesetze auf ihre Gerechtigkeit hin zu &uuml;berpr&uuml;fen. Das Gedankenexperiment zwingt zu einer pluralistischen Betrachtungsweise, was die Debatte bereichert und das Rechts-Links-Denken wom&ouml;glich ein wenig aufzuweichen vermag. Nat&uuml;rlich k&ouml;nnen wir als Gesellschaft nicht in einen Urzustand zur&uuml;ckkehren und die M&ouml;glichkeit der bedingungslosen Neugestaltung bleibt uns stets verwehrt. So ist das Gedankenexperiment allerdings auch nicht zu verstehen. Der Urzustand er&ouml;ffnet viel mehr die Chance zur Grundlagenreflexion einer bestehenden Gesellschaftsordnung, was zu jedem Zeitpunkt m&ouml;glich ist. Wie die Philosophie sollte auch die Rechtswissenschaft ihre Grundannahmen regelm&auml;ssig hinterfragen, um ihrem Grundwert &ndash; n&auml;mlich der Gerechtigkeit &ndash; stets bestm&ouml;glich zu entsprechen.</p> <p>Abschliessend ist festzuhalten, dass es sich lohnt, &uuml;ber den eigenen dogmatischen Tellerrand hinauszublicken. Eine interdisziplin&auml;re Auseinandersetzung mit der Erbschaftssteuer ist &auml;usserst wertvoll f&uuml;r die Rechtsentwicklung. Ihre finanzielle Bedeutung h&auml;ngt in hohem Masse von der konkreten Ausgestaltung ab und wie im Rahmen dieser Arbeit gezeigt wurde, besteht diesbez&uuml;glich noch Gestaltungsraum und Handlungsbedarf.</p></article>