Roger Rohner
Freiwillige MWST-Registrierung: Bundesgericht relativiert Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesgericht (BGer) hat mit Entscheid vom 28. Mai 2015 einen Fall beurteilt, welchem der Anfang Jahr gleichenorts kommentierte Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 23. September 2014 zugrunde lag.
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Verzicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht für Holdinggesellschaften weiterhin möglich
Das Bundesgericht (BGer) hat mit Entscheid vom 28. Mai 201502 einen Fall beurteilt, welchem der Anfang Jahr gleichenorts kommentierte03 Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 23. September 201404 zugrunde lag.
Zu beurteilen war die Steuerpflicht eines Unternehmens, welches keine steuerbaren Leistungen, sondern lediglich nicht optierbare, von der Steuer ausgenommene Leistungen erbringt. Das BVGer setzte für die freiwillige MWST-Registrierung bzw. den Verzicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht05 die Erzielung von steuerbaren Leistungen voraus. Damit hätten Holdinggesellschaften, welche lediglich Einnahmen aus Dividenden und Zinsen erzielen, nicht mehr freiwillig registriert werden können. Diese aus Sicht des Autors aufgrund der Gesetzessystematik als falsch erachtete Voraussetzung wird nun vom Bundesgericht zwar nicht explizit, aber doch aus den Erwägungen heraus hinreichend klar fallen gelassen.
Weniger zur systematischen Klarheit beitragend sind hingegen einige weitere Erörterungen des BGer, die im Folgenden ebenfalls kommentiert werden.
Sachverhalt
Die A AG mit Sitz in der Schweiz ist seit dem 1. Mai 2006 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen bei der ESTV eingetragen. Sie ist Teil einer Unternehmensgruppe, welche Kunden die Möglichkeit anbietet, in Teakbaumplantagen in Costa Rica und Ecuador zu investieren. Die Investoren schliessen mit der A AG einen «Kauf- und Dienstleistungsvertrag» ab. Dieser Vertrag ist auf Dritte übertragbar (sog. Vertragsübernahme). Der Investor erwirbt basierend darauf eine bestimmte Anzahl Teakbäume und erteilt der A AG den Auftrag, diese selbst oder durch Dritte während einer bestimmten Rotations und Laufzeit zu bewirtschaften, zu verwalten, zu schlagen, aufzuforsten, zu ernten und zu verkaufen. Die A AG beauftragt zur Bewirtschaftung die jeweiligen Ländergesellschaften der Unternehmensgruppe. Nach dem Verkauf des Holzes wird dem Investor der Nettoerlös (abzüglich Service Fees) weitergeleitet. Der Investor erhält zwar eine «BaumeigentumsUrkunde», ihm verbleiben aber lediglich Informations und Besichtigungsrechte.
Gegenüber den Investoren erbrachte Leistungen
Wie das BVGer geht auch das BGer davon aus, dass die wirtschaftliche Verfügungsmacht an den Teakbäumen nicht an die Investoren überging06. Dies schliesst eine Lieferung i.S.v. Art. 3 lit. d MWSTG aus und es liegt eine Dienstleistung nach Art. 3 lit. e MWSTG vor.
Das BVGer beurteilte die Leistungen als ausgenommene Umsätze von Wertrechten gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG, da ein standardisiertes Investmentprodukt vorläge, welches einer Vielzahl von Investoren zu gleichen Konditionen angeboten würde und übertragbar sei07.
Das BGer verneint hingegen, dass ein Wertrecht gemäss Art. 973c OR vorliegt. So habe der Schuldner gemäss Art. 973c Abs. 2 OR ein Buch über die ausgegebenen Wertrechte zu führen. Da Höhe und Bestand der Forderungen der Investoren vom Holzpreis und der Ernte abhingen und diese nicht von vornherein bestimmt werden könnten, sei nicht ersichtlich, wie die A AG im vorliegenden Fall in der Lage sein könnte, ein Buch über die Wertrechte zu führen. Im Weiteren sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Beteiligungen der Investoren in einem Wertrecht «mobilisiert» werden könnten, zumal schon die AGB die Vertragsübernahme nicht «favorisierten».08 Auch verschaffe die Investition dem Investor keinen Anteil an einem Sondervermögen wie bei der Anlage in eine kollektive Kapitalanalage oder in andere Derivate09. Vielmehr liege eine Direktinvestition in ein Projekt mit einem bestimmten Zweck vor, welche am ehesten als Darlehen oder Kredit mit nicht garantierter Zins und Kapitalrückzahlung zu charakterisieren sei. Werde dafür ein Entgelt gewährt, läge ein ausgenommener Umsatz nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. a MWSTG vor.10
Der Sachverhalt, welcher der Beurteilung des BGer zugrunde liegt, erscheint unklar. Während im Entscheid des BVGer dazu keine eindeutigen Angaben gemacht werden, führt das BGer aus, die Investoren würden zwar ein standardisiertes Produkt auf der Grundlage eines Formularvertrags erwerben, doch berechne die A AG «angeblich» das Ergebnis für jeden Investor separat anhand des Ertrags aus den ihm zugewiesenen Bäumen11. Ist dies tatsächlich der Fall und folgt man der vom Bundesgericht favorisierten Lehrmeinung, dass nur vertretbare Wertrechte als Wertrechte i.S.v. Art. 973c OR begeben werden können12, liegt im Gegensatz zur Annahme des BVGer kein Umsatz von Wertrechten gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. e MWSTG vor.
Ob die Qualifikation des BGer der Investition als Darlehen oder Kredit jedoch zutreffend ist, erscheint fraglich. Gemäss Art. 312 OR verpflichtet sich beim Darlehen der Darleiher zur Übertragung des Eigentums an einer Summe Geld oder an andern vertretbaren Sachen, der Borger im Gegenzug zur Rückerstattung von Sachen der nämlichen Art in gleicher Menge und Güte. Der Darleiher trägt zwar das Insolvenzrisiko des Borgers, hat aber in jedem Fall einen obligatorischen Rückerstattungsanspruch, auch bei einem partiarischen Darlehen13. Ein solcher Rückerstattungsanspruch wurde im vorliegenden Fall gerade nicht vereinbart. Wie das BGer ausführt, werden vom Investor Mittel zur Verfügung gestellt, sodass die A AG für ein individualisiertes Projekt tätig werden konnte. Es wäre zu prüfen gewesen, ob diese Mittel im Rahmen eines Auftragsverhältnisses zwischen dem Investor und der A AG zur Verfügung gestellt wurden. Als Entgelt bzw. Umsatz bei der A AG wären diesfalls nur die abgerechneten Service Fees zu betrachten gewesen. Wie erwähnt ist für eine abschliessende Beurteilung der aus den publizierten Entscheiden ersichtliche Sachverhalt jedoch zu illiquid und bedürfte einer vertiefteren Analyse.
Steuerpflicht
Das BGer hält klar fest, dass im Gegensatz zum vor 2010 geltenden Mehrwertsteuergesetz ein Mindestumsatz nicht mehr Voraussetzung für die subjektive Steuerpflicht bilde. Zentrales Kriterium sei vielmehr die Unternehmereigenschaft, welche dann vorliege, wenn eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausgeübt wird.14 Diese Feststellung des BGer ist zu begrüssen. Die freiwillige Registrierung von reinen Holdinggesellschaften ist damit weiterhin möglich, da das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen im Sinn von Art. 29 Abs. 2 und 3 MWSTG gemäss Art. 9 MWSTV ausdrücklich eine unternehmerische Tätigkeit nach Art. 10 Abs. 1 MWSTG darstellt.
Die weiteren Ausführungen des BGer zum Begriff der Leistung sind jedoch nur schwer nachvollziehbar. Gemäss Art. 3 lit. c MWSTG liegt eine Leistung vor, wenn sie in Erwartung eines Entgelts erfolgt. Nach Auffassung des BGer entsteht kein Entgelt im Sinne der Mehrwertsteuer aus Leistungen, welche von der Steuer ausgenommen sind und für deren Versteuerung auch nicht optiert wird oder werden kann. Daraus folge, dass die Generierung von ausschliesslich steuerausgenommenen Leistungen, für die nicht optiert werden kann, keine unternehmerische Tätigkeit im Sinne von Art. 10 MWSTG darstelle. Erbringe eine Person ausschliesslich von der Steuer ausgenommene Leistungen ohne Möglichkeit der Option, sei sie auch nicht subjektiv steuerpflichtig.15
Die vom BGer aufgestellte Voraussetzung der Option bzw. Optionsfähigkeit (die Erwägung ist diesbezüglich nicht eindeutig) ausgenommener Umsätze für das Vorliegen eines Entgelts und damit einhergehend einer Leistung geht fehl. Durch die Option für die Versteuerung wird lediglich durch offenen Ausweis der Steuer eine ausgenommene Leistung versteuert (Art. 22 Abs. 1 MWSTG). Die Mehrwertsteuer selber ist aber nicht Bemessungsgrundlage des Entgelts (Art. 24 Abs. 6 lit. a MWSTG). Der Zusammenhang besteht nur umgekehrt: Wird die Einräumung eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Wertes an eine Drittperson unentgeltlich erbracht, ist mangels Leistung auch eine Option für die Versteuerung nicht möglich.
Der Gesetzeswortlaut ist klar: Art. 21 MWSTG trägt die Überschrift «Von der Steuer ausgenommene Leistungen». Es ist auch aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise unverständlich, z.B. die Tätigkeit eines Versicherungsvertreters, für welche dieser Provisionen erhält, als unentgeltliche Tätigkeit bezeichnen zu wollen. Es bleibt allein zu hoffen, dass dem BGer baldmöglichst die Gelegenheit geboten und von diesem auch wahrgenommen wird, diese Begriffsver(w)irrung richtigzustellen.
01 Erstpublikation: Roger Rohner, Freiwillige MWSTRegistrierung: Bundesgericht relativiert BVGer-Entscheid, ST 2015, 817 ff.
02 BGer, 28.5.2015, 2C_1002/2014. Die nachfolgenden Zitate beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt, auf diesen Entscheid.
03 Zsis) 2015, Best Case Nr. 1.
04 BVGer, 23.9.2014, A6537/2013, A7158/2013.
05 Vgl. zum Begriff des Verzichts auf die Befreiung von der Steuerpflicht: Alois Camenzind/Niklaus Honauer/Klaus A. Vallender, Marcel R. Jung/Simon L. Probst, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz (MWSTG), 3. A. Bern/Stuttgart/Wien 2012, N 475. Im vorliegenden Artikel wird entsprechend der Begriff der freiwilligen Registrierung verwendet, jedoch nicht der freiwilligen Steuerpflicht.
06 E. 5.6. f. (2C_1002/2014) auch zum Folgenden.
07 BVGer, 23.9.2014, A6537/2013, A7158/2013, E. 6.7.
08 E. 6.3. (2C_1002/2014).
09 E. 6.4. (2C_1002/2014).
10 E. 6.7. (2C_1002/2014).
11 E. 6.4. (2C_1002/2014).
12 Ines Pöschel/Karim Maizar, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Rolf Watter (Hrsg.), Basler Kommentar Wertpapierrecht, Basel 2012, Art. 973c OR N 25, 32.
13 Jörg Schmid/Hubert Stöckli, Schweizerisches Obligationenrecht Besonderer Teil, Zürich/Basel/Genf 2010, N 1296 f., 1308 f.
14 E. 3.1. (2C_1002/2014).
15 E. 3.4. (2C_1002/2014).