Thomas Hug
Daten als mehrwertsteuerliches Entgelt?
Im Zuge der fortlaufenden Digitalisierung etablieren sich immer mehr Geschäftsmodelle, bei welchen der Nutzer die Leistung auf den ersten Blick kostenlos erhält. Eine genaue Analyse zeigt allerdings, dass er dafür Nutzer- und Nutzungsdaten sowie Content (Inhalt) von sich zur Verfügung stellen muss. Im Rahmen dieses Aufsatzes wird untersucht, ob aus Sicht der schweizerischen Mehrwertsteuer solche Daten qualitativ und quantitativ als Entgelt nach Art. 3 lit. f und 24 Abs. 1 MWSTG qualifizieren und damit eine steuerbare Leistung vorliegt.
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Der folgende Aufsatz geht der Fragestellung nach, ob vermeintlich kostenlose digitale Leistungen (u.a. Smartphone-Apps, Suchmaschinen, Social Media), welche der Kunde nur gegen Zurverfügungstellung seiner Nutzer- und Nutzungsdaten sowie Content (Inhalt) erhält, bei der schweizerischen Mehrwertsteuer als steuerbare Leistung nach Art. 3 lit. c i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG gelten. Kernfrage ist, ob solche Daten mehrwertsteuerlich relevantes Entgelt nach Art. 3 lit. f und Art. 24 Abs. 1 MWSTG darstellen.
Der Begriff Entgelt hat im Mehrwertsteuerrecht zwei Dimensionen: In qualitativer Hinsicht ist das Entgelt nach Art. 3 lit. c und f i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG eine Voraussetzung, damit eine steuerbare Leistung vorliegt. Art. 3 lit. f MWSTG versteht darunter sehr generell einen «Vermögenswert, der in Erwartung einer Leistung aufgewendet wird». In quantitativer Hinsicht ist das Entgelt nach Art. 24 Abs. 1 MWSTG die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer. Es geht dabei es um die Frage, ob der erwähnte Vermögenswert monetär bewertbar ist und damit die geschuldete Steuer ermittelt werden kann. Entscheidend ist dabei nicht eine objektive, sondern eine subjektive Bewertung zwischen den beiden Vertragsparteien.
Nutzer- und Nutzungsdaten sowie Content (Inhalt) qualifizieren im Grundsatz als Vermögenswert, wobei die Beurteilung vom konkreten Einzelfall und Kontext abhängt. Eine mehrwertsteuerliche Leistung nach Art. 3 lit. c und f MWSTG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG ist daher im Einzelfall denkbar.
Die monetäre Bewertung der Daten und damit die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach Art. 24 Abs. 1 MWSTG ist hingegen schwierig. Einerseits gibt es für Daten keinen beobachtbaren Marktwert und andererseits nehmen die gängigen betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden jeweils nur einseitig die Sicht der Datenempfänger ein. Der Wert kann allerdings im Einzelfall indirekt über vergleichbare, traditionelle Transaktionen mit Drittparteien gegen Geld oder Geldsurrogate ermittelt werden.
Falls in qualitativer und quantitativer Hinsicht Daten als Entgelt qualifizieren, sollte die EStV aufgrund des Erhebungsgrundsatzes der Wettbewerbsneutralität (Art. 1 Abs. 3 lit. a MWSTG) die Mehrwertsteuer auf solchen digitalen Leistungen erheben.
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1. Einleitung
Im Rahmen der fortlaufenden Digitalisierung unserer Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren verschiedene neue Geschäftsmodelle mit digitalen Produkten etabliert wie bspw. Versandhandelsplattformen (u.a. Amazon, Alibaba), Suchmaschinen (Google), Social Media (u.a. Facebook, LinkedIn, Tinder), Spiele oder Smartphone-Apps. Eine Gemeinsamkeit dieser Geschäftsmodelle und Produkte ist die Tatsache, dass der (in der Regel private) Nutzer die Leistungen auf den ersten Blick meist kostenlos erhält und kein Entgelt zahlen muss. Während man vor zehn Jahren bspw. für das Auto ein teures Navigationsgerät mit jährlichen Updates der Strassenkarten erwerben musste, nutzt man heute für die Navigation auf seinem Smartphone kostenlose Apps von grossen, meist amerikanischen Internetkonzernen. Betrachtet man allerdings diese Geschäftsmodelle und Produkte genauer, stellt der Nutzer dafür umfassende Daten von sich und seinem Nutzungsverhalten zur Verfügung. Die Daten erlauben den eigentlichen Betrieb der digitalen Produkte (bspw. Navigationsfunktion, verbessertes Produkteangebot auf Versandhandelsplattformen, bessere Suchergebnisse). Sie werden zudem auch für personalisierte Werbung genutzt.
Aus Sicht der schweizerischen Mehrwertsteuer (Inland- und Bezugsteuer) stellt sich die Frage, ob solche digitale Produkte gegen Daten von Nutzern als mehrwertsteuerlich relevante Leistung qualifizieren (Art. 3 lit. c i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Mehrwertsteuergesetz, MWSTG, für die Inlandsteuer; Art. 45 MWSTG, für die Bezugsteuer) und Daten als für die Bemessungsgrundlage relevantes Entgelt gelten (Art. 24 Abs. 1 MWSTG, für Inlandsteuer; Art. 46 MWSTG, für Bezugsteuer). Diese Fragestellung ist sowohl für in- als auch ausländische Unternehmen relevant. Bei inländischen, in der Regel zum Zwecke der Inlandsteuer bereits registrierten Unternehmen stellt sich die Frage, ob sie steuerbare Umsätze erzielen. Bei ausländischen Unternehmen ist zu klären, ob durch die Erbringung von elektronischen Dienstleistungen (Art. 10 Mehrwertsteuerverordnung, MWSTV) an private, nicht registrierte Nutzer, nicht eine obligatorische Inlandsteuerpflicht begründet wird (Art. 10 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 MWSTG).
Diese Frage ist namentlich unter Berücksichtigung des mehrwertsteuerlichen Erhebungsgrundsatzes der Wettbewerbsneutralität (Art. 1 Abs. 3 lit. a MWSTG) zu prüfen. Dieser Grundsatz verbietet, dass die «Wettbewerbsbeziehungen durch die Mehrwertsteuer verfälscht werden».01 Bezugnehmend auf das einleitende Beispiel der Navigationsgeräte bedeutet dies, dass die Produzentin traditioneller Navigationsgeräte aus dem Verkauf gegen Entgelt einen steuerbaren Umsatz erzielt, während die Anbieterin von «kostenlosen» Navigations-Apps auf dem Smartphone unter Umständen keine mehrwertsteuerliche Leistung erbringt bzw. kein für die Bemessungsgrundlage relevantes Entgelt vorhanden ist. Dies würde die traditionellen Anbieterin diskriminieren, da es entweder die Leistungen für den Endkunden verteuert (bei Überwälzung auf Kunden) bzw. ihre Marge geringer wird (keine Überwälzung).
2. Stand der Diskussion
Die Thematik, ob vermeintlich kostenlose digitale Produkte gegen Daten mehrwertsteuerlich als Leistung zu qualifizieren sind, wurde in Deutschland02, in Österreich03 und in der Schweiz04 bereits vor einigen Jahren diskutiert. Im Jahr 2013 prüfte das Landgericht Berlin05 die Nutzungsbedingungen von Google für zivilrechtliche Zwecke und erkannte dabei ein Gegenseitigkeitsverhältnis. Ausgehend von diesem Entscheid wurde kontrovers diskutiert, ob ein mehrwertsteuerliches Tauschverhältnis nach Art. 24 Abs. 3 MWSTG (bzw. analoger Artikel im deutschen bzw. österreichischen Umsatzsteuerrecht) vorliege. Namentlich Vertreter der deutschen und österreichischen Steuerbehörden vertraten die Ansicht, dass in der Zustimmung zur Bearbeitung persönlicher Nutzerdaten eine Gegenleistung der Nutzer im Rahmen eines tauschähnlichen Umsatzes zu sehen sei und auch ohne tatsächliche Zahlung des Nutzers steuerbar Umsätze der Anbieterin vorlägen.06 Tobias Rohner et al. lehnten diese Ansicht in ihrem Aufsatz in Bezug auf das schweizerische Mehrwertsteuerrecht mit der Begründung ab, dass in der Duldung der Datenbearbeitung «keine vermögenswerte, verkehrsfähige Rechtsposition und den Nutzern […] keine mehrwertsteuerlich relevanter Leistungswille unterstellt werden» kann.07 Die Zustimmung zur Datenverarbeitung sei leidglich ein «gesetzliches Zustimmungserfordernis», welches sich aus dem Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) ergäbe.
Bisher unerörtert blieb allerdings die Frage, ob Daten nicht ein mehrwertsteuerlich relevantes Entgelt nach Art. 3 lit. f MWSTG sowie Art. 24 Abs. 1 MWSTG sein könnten. Alle bisherigen Aufsätze im deutschsprachigen Raum fokussierten sich ausschliesslich auf die Frage, ob solche digitalen Produkte gegen Daten als Tauschgeschäft qualifizieren, d.h. einerseits die digitale Dienstleistung als eine relevante Leistung und andererseits die Einwilligung zur Duldung der Datenverarbeitung als zweite Leistung, die in einem ursächlichen und engen Zusammenhang steht.
Dieser Aufsatz versteht sich als Diskussionsbeitrag, wie solche digitalen Produkte steuersystematisch im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht auch anders beurteilt werden könnten.
3. Begriff Daten
Vorab musst geklärt werden, was unter dem aktuell allgegenwärtigen Begriff «Daten» zu verstehen ist. Während im schweizerischen Steuerrecht generell und im Mehrwertsteuerrecht im Besonderen keine Legaldefinition des Begriffs vorhanden ist, liefert das Datenschutzgesetz gewisse Hinweise. Art. 3 lit. a DSG definiert den Begriff «(Personen-)Daten» als «alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen». Art. 3 lit. c DSG nennt zudem gewisse Daten, die als besonders schützenswert geltend (u.a. religiöse Ansichten, Gesundheit, strafrechtliche Sanktionen). Im schweizerischen Rechtssystem wird der Begriff «Daten» ferner noch in Art. 143 Strafgesetzbuch (StGB) verwendet, welcher die unrechtmässige Datenbeschaffung unter Strafe stellt. Der Artikel enthält jedoch keine Legaldefinition.
Der Duden definiert Daten einerseits als durch Beobachtung, Messung, statischen Erhebungen u.a. gewonnene (Zahlen-)Wert, Angaben und formulierbare Befunde und andererseits als elektronisch gespeicherte Zeichen, Angaben und Informationen.08 Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Daten oft auch Gegebenheiten, Tatsachen oder Ereignisse.
In der Informatik wird zwischen Daten, Informationen und Wissen unterschieden. Daten sind verschiedene Symbole und Zeichen, deren Bedeutung nur in einem Kontext ersichtlich sind. Daten werden in Verknüpfung mit zusätzlichem Kontext zu einer Information und stellen Kenntnisse über Sachverhalte und Personen dar. Die gesammelten Informationen über Sachverhalte und Personen werden schliesslich zu Wissen.09
Es kann festgehalten werden, dass es weder eine Legal- noch eine allgemein gültige Definition des Begriffes «Daten» gibt. Im Rahmen dieses Aufsatzes verwendet der Autor eine informationstechnische Definition, wonach es sich bei Daten um sämtliche Informationen handelt, die in einer formalisierten Art zur Kommunikation, Interpretation oder Verarbeitung durch Mensch oder Maschine geeignet sind.10
4. Begriff Entgelt
4.1 Übersicht
Seit der Revision des Mehrwertsteuerrechts im Jahre 2010 hat das Entgelt eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist es eine Tatbestandsvoraussetzung des Leistungsverhältnisses (Art. 3 lit. c i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG) und andererseits die relevante Bemessungsrundlage (Art. 24 Abs. 1 MWSTG).
4.2 Qualitative Dimension
Steuerobjekt der Inlands- und Bezugsteuer ist ein Leistungsverhältnis. Art. 3 lit. c MWSTG definiert dieses als «die Einräumung eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Wertes an eine Drittperson in Erwartung eines Entgelts». Art. 3 lit. f MWSTG definiert Entgelt als «Vermögenswert, den der Empfänger […] für den Erhalt einer Leistung aufwendet». Die Botschaft zum MWSTG spricht auch von der «qualitativen Seite» des Begriffs Entgelt.11
In der Lehre wird der Begriff «Vermögenswert» offen definiert und umfasst verschiedenen Formen wie bspw. Geld, Geldsurrogat oder gar eine mehrwertsteuerliche Leistung (Tauschgeschäft nach Art. 24 Abs. 3 MWSTG).12 Die Parteien können auch vereinbaren, dass das Entgelt befreiend an einen Dritten gezahlt werden soll. Wenn ein vereinbartes Entgelt wegen Zahlungsunfähigkeit oder Konkurs der Schuldnerin oder bei Auflösung des Vertrags (Nichtigkeit, Willensmängel) nicht aufgewendet oder zurückbezahlt wird, liegt mangels Entgelt kein Leistungsverhältnis vor.13 Art. 3 lit. c MWSTG, welcher das Leistungsverhältnis definiert, verlangt ein finales, zielgerichtetes Handeln des Leistungserbringers im Hinblick auf den Erhalt eines Entgelts (Prinzip der Finalität).14 Der Entgeltsbegriff an sich ist jedoch aus Sicht des Leistungsempfängers zu beurteilen, da dieser den Willen haben muss, den Vermögenswert für den Empfang einer konkreten und individuellen (Gegen-)Leistung aufzuwenden15 (Prinzip der Kausalität16). In anderen Worten muss aus Sicht des Empfängers eine «innere wirtschaftliche Verknüpfung» zwischen Entgelt und (Gegen-)Leistung bestehen.17 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Kausalität allerdings nicht leichthin anzunehmen und die Verknüpfung zwischen Leistung und Entgelt muss auf einem Synallagma (Austauschverhältnis) beruhen.18 Hingegen wird nicht vorausgesetzt, dass die Aufwendung des Vermögenswertes aufgrund eines Rechtsanspruchs (Vertrag, Gesetz) erbracht wird; sie kann auch freiwillig erfolgen.19
Gerade in Bezug auf die Frage, ob überhaupt ein relevantes Leistungsverhältnis vorliegt, muss der qualitative Entgeltsbegriff vom Begriff des «Nicht-Entgelts» nach Art. 18 Abs. 2 MWSTG abgegrenzt werden. Darunter fallen bspw. Subventionen, Spenden, Einlagen in Unternehmen, Dividenden oder Zahlungen für Schadenersatz. Die Abgrenzung zwischen Entgelt und Nicht-Entgelt erfolgt primär anhand des Kriteriums der Verknüpfung der Zahlung mit einer erwarteten Leistung.20 Bei Subventionen, Spenden oder Dividenden wird zwar streng betrachtet ein Vermögenswert aufgewendet, jedoch wird keine Gegenleistung erwartet.
Das Gesetz, die Verordnung und Verwaltungspraxis21 äussern sich nicht zur Frage, ob der aufgewendete Vermögenswert qualitativ für das Vorliegen einer mehrwertsteuerlich relevanten Leistung nach Art. 3 lit. c MWSTG auch einen wirtschaftlich bestimmbaren, monetären Wert haben muss.
4.3 Quantitative Dimension
Art. 24 Abs. 1 Satz 1 MWSTG verlangt beim Vorliegen einer mehrwertsteuerlich relevanten Leistung, dass die Inlandsteuer auf dem «tatsächlich empfangenden Entgelt» berechnet wird. Art. 46 MWSTG regelt mit Verweis auf Art. 24 MWSTG die Bemessungsgrundlage für die Bezugssteuer analog. In der Botschaft wird von der «quantitativen Seiten» des Entgelts gesprochen.22 Die EStV konkretisiert den Begriff Entgelt als «Geldzahlung in Form von in- oder ausländischen Zahlungsmitteln, aber auch geldwerte Leistungen».
Unter «geldwerten Leistungen» versteht die EStV namentlich (d.h. nicht abschliessend) Schecks, Schuldübernahmen und Zahlungsversprechen Dritter, Tausch, Gutscheine oder die Verrechnung mit einer Gegenforderung. Daten werden allerdings nicht erwähnt. Bossart/Clavadetscher halten richtigerweise fest, dass die EStV den Begriff «geldwerte Leistung» unglücklich gewählt hat: Einerseits liegt eben gerade nicht eine (mehrwertsteuerliche) Leistung vor und andererseits ist der Begriff im schweizerischen Steuerrecht bereits besetzt (Direkte Steuern, Verrechnungssteuer).23
Der Autor vertritt die Ansicht, dass der entscheidende Faktor beim quantitativen Entgeltsbegriff die vorhandene Möglichkeit sein muss, dem aufgewendeten, qualitativen Entgelt einen monetären Wert in Schweizer Franken zuzumessen. Das Mehrwertsteuergesetz enthält nur für den Tausch (Art. 24 Abs. 3 MWSTG) und die Leistung an Zahlungs statt (Abs. 5) Regeln zur Bewertung, nicht aber für die anderen Entgeltsformen.24 Gemäss Praxis der EStV gilt allerdings für die meisten der vorerwähnten Formen des Entgelts der «Betrag, der dadurch ausgeglichen wird» als Bemessungsgrundlage.25 In anderen Worten wird gemäss Meinung des Autors ein subjektiver, zwischen den Parteien vereinbarter Wert und nicht ein objektiver verwendet. Wird die Leistung allerdings zwischen eng verbundenen Personen erbracht, wird von dieser subjektiven Betrachtungsweise ausnahmsweise abgewichen und ein objektiver Wert («wie unter unabhängigen Dritten») herangezogen (Art. 24 Abs. 2 MWSTG).
4.4 Zwischenfazit
Es kann festgehalten werden, dass unter dem mehrwertsteuerlichen Begriff Entgelt qualitativ ganz generell ein Vermögenswert verstanden wird, welcher vom Leistungsempfänger in Erwartung einer Leistung aufgewendet wird. Entgelt und erwartete (Gegen-)Leistung müssen auf einem Synallagma beruhen. Quantitativ muss dem Vermögenswert ein monetärer Wert in Schweizer Franken zugemessen werden, wobei dieser Wert subjektiv aus Sicht der Parteien zu beurteilen ist.
5. Daten als Entgelt?
5.1 Qualitative Dimension
Im ersten Schritt muss die Frage geklärt werden, ob Daten (i) ein Vermögenswert sind, welcher (ii) die Leistungsempfängerin in Erwartung einer konkreten, individuellen Leistung (Synallagma) aufwendet.
5.1.1 Vermögenswert
Bei der Verwendung von digitalen Produkten wie Versandhandelsplattformen, Suchmaschinen, Social Media oder Smartphone-Apps willigt die Nutzerin bei der erstmaligen Anmeldung oder dem Download typischerweise ein, dass dem Anbieter verschiedene Daten zur Verfügung gestellt werden und dieser diese für verschiedene Zwecke verwenden darf. Nebst persönlichen Nutzerdaten wie Geschlecht, Geburtsdatum oder Wohnort handelt es sich häufig um Nutzungsdaten wie Standorte oder Einkaufsverhalten sowie bei Social Media um Content (Inhalt) wie Fotos, Videos, Kommentare und Likes.
Nicht jede Nutzerin mag ihre persönlichen Daten als ein Vermögenswert wie Bargeld, Edelmetalle oder ein Kunstwerk empfinden. Gesellschaftliche und rechtliche Entwicklungen in den letzten Jahren insbesondere in Europa zeigen, dass persönliche Daten verstärkt als ein schützenswertes Gut betrachtet werden. Viele Nutzerinnen von solchen digitalen Angeboten sind nicht (mehr) bereit, umfassend persönliche Daten zur Verfügung zu stellen und die Politik plant durch immer schärfere Datenschutzgesetze, diese vor missbräuchlicher Verwendung zu schützen. Der Skandal um die Weitergabe von Nutzerdaten durch Facebook an die britische Beratungsfirma Cambridge Analytica im Vorfeld der letzten US-Präsidentenwahl im Jahre 2016 oder die Diskussionen in der Schweiz um die Entwicklung einer COVID-19-Tracking-App durch den Bund26 illustrieren diese Entwicklung.
In ihrem Aufsatz aus dem Jahre 2018 vertraten Tobias Rohner et al. die Ansicht, dass Daten (bzw. die Duldung zur Verarbeitung der persönlichen Daten) keinen objektiven Werte haben; dies mit der Begründung, dass (mit Verweis auf nicht zitierte Studien) nur ein sehr geringer Anteil der Nutzerinnen die Nutzungs- und Datenschutzbedingungen durchlesen, in sozialen Netzwerken viele persönliche Inhalte veröffentlichen und keine wirtschaftliche Abwägung zwischen kostenpflichtigen und kostenlosen Angeboten gegen Daten stattfinde. Diese Ansicht ist aufgrund der gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen der letzten Jahre abzulehnen. Der Verzicht auf das Lesen der Nutzungs- und Datenschutzbedingungen und das freiwillige Veröffentlichen persönlicher Inhalte lässt nicht darauf schliessen, dass die Nutzerin ihre Daten nicht als Vermögenswert betrachtet. Ein Autoliebhaber wird auch nicht den ganzen Kaufvertrag inkl. Allgemeine Geschäftsbedingungen für seinen Porsche durchlesen. Er wird diesen aber anschliessend gerne öffentlich zur Schau stellen.
Gerade wie das später in diesem Aufsatz verwendete Beispiel von Übersetzungsdiensten im Internet zeigt (siehe Abschnitt 6.2), nimmt die digital bewanderte Nutzerin sehr wohl eine Abwägung zwischen kostenpflichtigen und kostenlosen Angeboten gegen Daten vor.
Daten haben allerdings als Vermögenswert zwei besondere Eigenschaften, welche traditionelle Vermögenswerte wie Bargeld oder Edelmetalle nicht aufweisen.
Einerseits haben Daten die Besonderheit, dass ein spezifischer Datensatz nicht für jede Person objektiv ein Vermögenswert ist wie bspw. ein Kilo Gold. Gesundheitsdaten wie Gewicht, Ruhepuls und Grösse sind für den Betreiber einer Fitness-App sehr wertvoll, haben jedoch für den Betreiber von Navigations-Apps oder Handelsplattformen keinen Wert. Auch sind Daten wie der Ruhepuls oder das Gewicht an sich wertlos, werden jedoch in Verbindung mit einer Person zu einem Vermögenswert. Es kommt somit auf den spezifischen Kontext von Daten an.
Andererseits haben Daten die Eigenschaft, dass sie unbeschränkt weitergegeben werden können und dabei nicht an Substanz verlieren. Traditionelle Vermögenswerte wie Geld oder Edelmetalle können verbraucht werden, d.h. die Eigentümerin kann diese Vermögenswerte in Erwartung einer Leistung hergeben und ist anschliessend nicht mehr im Besitz derselben. Wenn eine Person bspw. einen Liter Milch für CHF 2 kauft, ist sie anschliessend nicht mehr im Besitz des Bargeldes. Wenn man allerdings seine Daten wie bspw. Geburtsdatum, Nutzungsverhalten oder Standorte einem Anbieter von digitalen Produkten zur Verfügung stellt (d.h. zur Bearbeitung und Auswertung), hat man diesen Vermögenswert weiterhin. In anderen Worten: Daten können als Vermögenswerte an eine oder mehrere Personen weitergegeben werden und man ist dennoch weiterhin (zivilrechtlich unpräzise ausgedrückt27) «Eigentümer» seiner Daten. Auf diese zweite Besonderheit wird später im Aufsatz nochmals zurückgekommen (siehe Abschnitt 7.1).
Trotz dieser zwei besonderen Eigenschaften vertritt der Autor die Auffassung, dass Daten gemäss Definition in Abschnitt 3 dieses Aufsatzes als Vermögenswert qualifizieren, jedoch nur im spezifischen Kontext und konkreten Einzelfall.
5.1.2 Synallagma
Der Nutzer von digitalen Angeboten mag vielleicht nicht immer bewusst der Zurverfügungstellung seiner Daten zustimmen und gewisse Apps haben in der Vergangenheit auch ohne Wissen des Nutzers Daten gesammelt (bspw. durch Verbindung von IP-Adressen und IMEI-Nummern von Mobiltelefonen28). Dennoch ist sich der durchschnittliche Nutzer digitaler Angebote wie Versandhandelsplattformen, Suchmaschinen, Social Media oder Smartphone-Apps durch die breite mediale und politische Diskussion bewusst, dass er solche «kostenlosen» Leistungen nur gegen Nutzer- und Nutzungsdaten sowie Content (Inhalt) erhält. Er erlaubt die Nutzung seiner Daten in Erwartung einer Leistung. Indem der Nutzer bei der erstmaligen Anwendung oder beim Download aktiv der Nutzung seiner Daten zustimmt, liegt gemäss Ansicht des Autors eine direkte wirtschaftliche Verknüpfung zwischen den Daten als Entgelt und der erwarteten digitalen Leistung vor. Kann im konkreten Einzelfall die kostenlose digitale Leistung allerdings auch ohne Nutzer- und Nutzungsdaten beansprucht werden (bspw. durch Anklicken des Buttons «keine Daten übermitteln»), liegt eher kein Entgelt vor.29 Ferner ist gemäss Ansicht des Autors ein Synallagma auch zu verneinen, wenn die Applikation die Daten ohne Wissen bzw. aktive Zustimmung des Nutzer illegal sammelt und auswertet.
Diese digitalen Geschäftsmodelle qualifizieren daher zusammenfassend nach Ansicht des Autors im konkreten Einzelfall als mehrwertsteuerliche Leistung nach Art. 3 lit. c i.V.m Art. 18 Abs. 1 MWSTG. Eine generelle Qualifikation aller Leistungen gegen Daten als mehrwertsteuerliche Leistung ist jedoch abzulehnen.
5.2 Quantitative Dimension
Im zweiten Schritt stellt sich die Frage, ob diese Daten auch einen konkreten monetären Wert haben und damit die Bemessung der Mehrwertsteuer möglich ist. Monetär heisst einen in Schweizer Franken ausgedrückten Wert.
Vorab muss festgehalten werden, dass Nutzer- und Nutzungsdaten und Inhalt (Content) keinen offiziellen Marktwert haben wie bspw. Wertschriften oder Rohstoffe. Es gibt keine (legale) Börse oder Markt, auf welchem Daten zwischen unabhängigen Dritten gehandelt werden und damit kein beobachtbarer Marktpreis. Unter Umständen gibt es für gestohlene Nutzer- und Nutzungsdaten einen illegalen Schwarzmarkt, jedoch wäre es gemäss Ansicht des Autors störend, solche Werte zum Zwecke der Mehrwertsteuer heranzuziehen. Auch ist es für die Steuerpflichtigen und die Steuerbehörden sehr schwierig, an solche Marktwerte auf dem Schwarzmarkt heranzukommen.
Bezugnehmend auf die in Abschnitt 3 dieses Aufsatzes erläuterten Informatik-Begriffe Daten, Informationen und Wissen, haben ferner blosse Symbole und Zeichen keinen Wert. Sie bekommen jedoch einen Wert, wenn sie mit zusätzlichen Kontext zu Informationen über Sachverhalte und Personen verknüpft werden. So haben bspw. Geburtstage oder Standorte losgelöst keinen monetären Wert, wohl aber in Verbindung mit dem Namen und der Adresse einer Person.
Dass Daten in einem spezifischen Kontext einen monetär messbaren Wert haben, ist offenkundig und unbestritten. Grosse US-amerikanische Konzerne wie Facebook und Alphabet (Google) erzielen materielle Gewinne und publizieren bspw. quartalsweise die Kennzahl (Marketing-)Umsätze pro User, d.h. der Wert der durch personalisierte Werbung monetisierte Daten. Da die Mehrwertsteuer allerdings eine transaktionsbezogene Steuer ist, müsste man diesen Wert auf den konkreten Einzelnutzer herunterbrechen können. Es wird bspw. nicht möglich sein, den Wert der Daten einer Person zu ermitteln, die regelmässig eine Suchmaschine verwendet. Im US-amerikanischen Senat wird aktuell jedoch ein Gesetzesentwurf diskutiert. Dieser trägt den sperrigen Titel «Designing Accounting Safeguards to Help Broaden Oversight And Regulations on Data (DASHBOARD) Act» und will datengetriebene Konzerne zu Transparenz verpflichten. Es soll ermittelt werden können, inwiefern die gesammelten Daten zum Gewinn beigetragen haben.30
Aigner/Bräumann/Kopfler/Tumple vertreten in ihrem Aufsatz die Ansicht, dass individuelle Nutzerdaten an sich durchaus einen gewissen Wert haben, dieser allerdings in der Regel extrem gering sei. Das wertschöpfende Potenzial ergäbe sich erst aus deren Sammlung, Aufbereitung und zielgerichteter Aufwertung durch die Anbieterin («Data Mining»).31
In der Praxis gibt es verschiedene Methoden, wie der Wert von Daten im Einzelfall betriebswirtschaftlich ermittelt werden kann. Denkbar sind kostenbasierte oder nutzenorientierte Bewertungsverfahren. Bei kostenbasierten Verfahren wird der Wert aufgrund der Kosten für Herstellung, Speicherung und Pflege ermittelt. Bei einem nutzungsorientierten Verfahren wird der Wert aufgrund des zukünftigen Cashflows ermittelt.32 Es handelt sich dabei aber immer um einseitige Methoden, bei welchen der Wert bei der Leistungserbringerin (Empfängerin der Daten) ermittelt wird. Wie bereits erläutert verlangt das schweizerische Mehrwertsteuerrecht allerdings, dass der Wert des Entgelts subjektiv zwischen den Parteien der Leistung bestimmt wird.
Bei digitalen Angeboten ist es zugegebenermassen schwer, den Wert der Daten zwischen den Parteien zu ermitteln. Bei solchen Angeboten findet keine eigentlichen Vertragsverhandlungen statt, bei welchen der Wert bzw. der Umfang der Daten als Entgelt verhandelt wird. Der Vertragsabschluss geschieht zum Teil sogar stillschweigend oder konkludent. Wird auf dem Smartphone ein Navigations-App heruntergeladen und genutzt, findet bspw. keine Vertragsverhandlung über den Wert der Daten statt.
Gemäss Ansicht des Autors lässt sich der monetäre Wert der Daten meist nur durch vergleichbare Transaktionen bzw. Angebote des Leistungserbringers ermitteln. Diese werden traditionell gegen Geld oder Geldsurrogate erbracht. Nachfolgende Beispiele illustrieren dieses Konzept.
6. Illustrative Beispiele
6.1 Beispiel 1 – Paywalls bei Zeitungen
Bei vielen schweizerischen (Tages-)Zeitung hat heutzutage der Zugriff auf Artikel über ihre Homepage eine wichtige Bedeutung. Um dem drohenden Umsatzrückgang durch den kostenlosen Zugriff auf Artikel entgegenzuwirken, haben einige Tageszeitschriften in letzter Zeit sog. «Paywalls» eingeführt. Das heisst, die Artikel sind nur noch gegen eine Gebühr (pro Artikel oder für monatliches Abo) zugänglich. Wenn man sich registriert und dabei gewisse Daten angibt, kann man pro Monat «kostenlos» eine gewisse Anzahl von an sich zahlungspflichtiger Artikel lesen. In der Datenschutzerklärung weist bspw. eine bekannte schweizerische Zeitung darauf hin, dass die Daten u.a. für «Marketingmassnahmen und zielgruppenspezifische Werbung» verwendet werden. Indem der Leser durch eine Registration mit entsprechender Offenlegung gewisse Daten einen an sich zahlungspflichtiger Artikel liest, kann der Wert dieser Daten indirekt ermittelt werden. Wenn er bspw. durch seine Daten jeden Monat fünf kostenpflichtige Artikel lesen kann und die normale Gebühr pro Artikel CHF 1 beträgt, erzielt die Zeitung monatlich einen steuerbaren Umsatz von CHF 5. Unerheblich ist, ob der Nutzer die Artikel auch effektiv liest. Bei einem traditionellen Zeitungsabonnement unterliegt das Entgelt ebenfalls der Mehrwertsteuer, auch wenn die Zeitung ungelesen im Altpapier landet.
Dieses Beispiel lässt sich auch übertragen auf gewisse ausländische, nicht gebührenfinanzierte Fernsehsender, bei welchen man nach einer Registration kostenlos gewisse Sendungen im Replay auf einem Tablet-App anschauen kann anstatt pro Sendung eine kleine Gebühr zu zahlen.
6.2 Beispiel 2 – Online-Übersetzungsdienste
Im Internet gibt es verschiedene Anbieterinnen, die kostenlose Übersetzungen von kurzen Texten und Dokumenten erlauben. Diese Dienste basieren auf Algorithmen, die fortlaufend weiterentwickelt und trainiert werden, häufig auf Basis jeder einzelnen Übersetzungsanfrage. Die Anbieterinnen verwenden verschiedene Preismodelle. In der kostenlosen Grundvariante kann pro Monat eine beschränkte Anzahl oder nur zeichenmässig limitierte Texte übersetzt werden, wobei die Texte gemäss explizitem Hinweis gespeichert und für den Algorithmus werden. Bei einer bekannten Anbieterin aus Deutschland heisst es bspw. in den Datenschutzrichtlinien, dass die Texte und Übersetzungen für einen begrenzten Zeitraum gespeichert werden, «um unseren Übersetzungsalgorithmus zu trainieren und zu verbessern». Bei der kostenpflichtigen Variante kann pro Monat eine unbeschränkte Anzahl übersetzt werden und die Texte werden weder gespeichert noch für das Training des Algorithmus verwendet. Indem der Nutzer die kostenlose der kostenpflichtigen Variante bevorzugt, dafür aber seine Daten (d.h. Texte) zum Training zur Verfügung stellt, kann diesen Daten einen Wert zugemessen werden. Damit liegt ein steuerbarer Umsatz vor. Die ausländische Anbieterin des Übersetzungsdienstes könnte daher in der Schweiz eine Inlandsteuerpflicht nach Art. 10 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 MWSTG begründen, wenn der indirekt ermittelte Wert der Daten (Texte) pro Jahr die Grenze von CHF 100'000 übersteigt.
7. Weitere steuersystematische Überlegungen
7.1 Diskrepanz mit Charakter als Verbrauchsteuer?
Die schweizerische Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Verbrauchsteuer, welche eine qualitative Einschränkung des Steuergutes auf den Verbrauch bewirkt. Nicht verbrauchsfähige Güter wie Boden oder Kapital führen daher nicht zur einer Besteuerung.33 Die Mehrwertsteuer verfolgt das Ziel, die (private) Einkommens- und Vermögensverwertung für Konsumzwecke zu besteuern.34
Wie bereits früher in diesem Aufsatz ausgeführt (siehe Abschnitt 5.1.1), haben Daten die Besonderheit, dass der «Eigentümer» sie an eine oder mehrere Personen weitergeben kann und trotzdem weiterhin darüber verfügen kann. In anderen Worten: Daten verlieren durch die Weitergabe nicht an Substanz. In der Literatur wird daher teilweise die steuersystematische Ansicht vertreten, dass bei digitalen Produkten gegen Daten überhaupt kein mehrwertsteuerlich relevanter Verbrauch vorliege35, da Daten nicht «verbraucht» werden können.
Der Autor lehnt diese Ansicht ab. Im vorliegenden Aufsatz geht es um die Fragestellung, ob Daten als mehrwertsteuerliches Entgelt qualifizieren. Traditionell versteht man unter Entgelt offizielle Zahlungsmittel (Schweizer Franken, fremde Währung) oder andere übliche Zahlungsmittel wie Wechsel oder Checks.36 Geld und Kapital gelten im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht seit Anbeginn als nicht verbrauchsfähiger Wert. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass bei (digitalen) Produkten gegen Geld eine mehrwertsteuerliche Leistung vorliegen soll, nicht jedoch bei solchen gegen Daten.
7.2 Doppelte mehrwertsteuerliche Erfassung?
In der Literatur wird ferner teilweise die Meinung37 vertreten, dass bei solchen Geschäftsmodellen dieselben Daten zu einem späteren Zeitpunkt in der Wertschöpfungskette indirekt mit der Mehrwertsteuer bereits erfasst werden und lehnen daher die Qualifikation von Daten als Entgelt ab. Viele Anbieterinnen nutzen die gesammelten Nutzer- und Nutzungsdaten für personalisierte Werbung von Dritten, d.h. sie erlauben auf den Nutzer zugeschnittene Werbung. Das Aufschalten von Werbung qualifiziert unbestrittenermassen als steuerbare Dienstleistung und da personalisierte Werbung durch den geringeren Streuverlust in der Regel teurer ist als allgemeine, wird der durch die Daten gewonnene Mehrwert beim Betreiber bereits steuerlich erfasst.
Dieser Überlegung kann der Autor nicht folgen, wie folgender Vergleich mit einem traditionellen Unternehmen zeigt: Verkauft ein steuerpflichtiges Unternehmen Waren nicht gegen Daten, sondern Geld, so unterliegt dieser Lieferung als mehrwertsteuerliche Leistung unbestrittenermassen der Mehrwertsteuer. Wird nun das Geld beim Unternehmen in die Entwicklung neuer innovativer Produkte investiert und kann das Unternehmen diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder veräussern, wird auch dieser Verkauf als steuerbare Leistung erfasst. In diesem Beispiel würde man steuersystematisch nicht vertreten können, die erste Lieferung (Verkauf von Waren gegen Geld) steuerlich nicht zu erfassen, da der mit dem Geld der ersten Lieferung indirekt geschaffene Mehrwert (über Forschung und Entwicklung) später besteuert würde.
Ferner sind Daten keine Besonderheit der digitalen Wirtschaft. Auch in der analogen Welt der realen Güter kann bspw. eine Einzelhändlerin die Informationen über ihre Kunden und deren Kaufgewohnheiten oder deren Namen und Lieferadressen dazu nutzen, ihre Lagerhaltung, Logistik und Werbung daran auszurichten und dadurch zusätzliche Geschäftschancen zu generieren (oder aber auch die Daten weiterzuverkaufen).38 Zu denken ist bspw. an die Bonusprogramme von bekannten Schweizer Detaillisten, welche schon um die Jahrtausendwende eingeführt wurden.
8. Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Daten gemäss Ansicht des Autors in qualitativer Hinsicht durchaus ein Vermögenswert sind. Damit liegt ein mehrwertsteuerlich relevantes Leistungsverhältnis nach Art. 3 lit. c MWSTG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 MWSTG vor. Die Beurteilung hängt allerdings vom konkreten Einzelfall und Kontext ab und kann nicht generell bejaht werden. Namentlich bei illegal gesammelten Daten ist dies abzulehnen. In quantitativer Hinsicht ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, dass der Wert von Daten für die Bemessung der Mehrwertsteuer nur schwer ermittelt werden kann. Eine Bewertung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 MWSTG ist nicht direkt möglich, da es keine beobachtbaren Marktwerte gibt und gängige betriebswirtschaftliche Bewertungsverfahren immer die Sicht des Leistungserbringers (Empfänger der Daten) einnehmen. Auch haben die gleichen Daten nicht für jede Anbieterin einen monetären Wert. Der Wert kann im Einzelfall indirekt über vergleichbare, traditionelle Transaktionen mit Geld oder Geldsurrogat ermittelt werden. Falls der Wert ermittelt werden kann, sollte die EStV nach dem Erhebungsgrundsatz der Wettbewerbsneutralität (Art. 1 Abs. 3 lit. a MWSTG) die Mehrwertsteuer auf solchen digitalen Leistungen erheben.
«Inzwischen ist das Bergen von Datenschätzen lohnender als das von Bodenschätzen» Helmut Glassl
01 Clavadetscher Diego, in: Zweifel Martin/Beusch Michael/Glauser Pierre-Marie/Robinson Philip (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Art. 1 MWSTG, N 157 (zit. AutorIn in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG).
02 Ablehnend: Looks Nicole/Bergau Benjamin, Tauschähnlicher Umsatz mit Nutzerdaten - Kein Stück vom Kuchen, in: Mehrwertsteuerrecht - Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2016, S. 864 ff.; bejahend: Melan Nevada/Wecke Bertram: Umsatzsteuerpflicht bei kostenlosen Internetdiensten und Smartphone-Apps, in: Deutsches Steuerrecht 2015, S. 2267 ff. und S. 2811 ff.
03 Aigner Dietmar/Bräumann Peter/Kopfler Georg/Tumpel Michael, Digitale Leistungen ohne Geldzahlung im Internet, in: Steuer- und WirtschaftsKartei SWK 2017, S. 349 ff. (zit. Aigner/Bräumann,/Kopfler/Tumpel).
04 Rohner Tobias/Looks Nicole/Bergau, Benjamin, Userdaten als mehrwertsteuerrelevante Gegenleistung für Internetdienste?, in ExpertFocus 2018, S. 491 ff. (zit. Rohner/Looks/Bergau).
05 Urteil des Landgericht Berlin 15 O 402/12 vom 19. November 2013.
06 Rohner/Looks/Bergau, S. 500.
07 Rohner/Looks/Bergau, S. 496.
08 Duden, online abgerufen am 08. Juli 2020 unter: duden.de/rechtschreibung/Daten.
09 Richter Alexander, IT-geschütztes Wissensmanagement - Theorie, Anwendung und Barrieren, Berlin, 2008.
10 Schwarz Angelica M., Bilanzierung von Daten, 2020, Wiesbaden, S. 3.
11 Botschaft zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer vom 25. Juni 2008, BBI 2008 6941.
12 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 18 N 81.
13 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 18 N 82.
14 Rohner Tobias: Die Erbringung von Lieferungen und Dienstleistungen ohne Erwartung eines Entgelts. Ein Fall für die MWST?, in: ASA 86, S. 513 ff., S. 520 (zit. Rohner).
15 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 18 N 84.
16 Rohner, S. 521.
17 Geiger Felix, in: Geiger/Schluckebier (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2. Auflage, Art. 3 N 41.
18 Rohner, S. 522.
19 Urteil des Bundesgerichts 2A.43/2002 vom 08. Januar 2003 E. 3.2.
20 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 18 N 99.
21 Insb. MWST-Info 04 Steuerobjekt.
22 BBI 2008 6942.
23 Bossart/Clavadetscher,, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson (Hrsg.), Komm. MWSTG, Art. 24 N 16.
24 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 24 N 17.
25 MWST-Info 07 Steuerbemessung und Steuersätze, Ziff. 1.1.1.
26 Statt vieler: NZZ "Umfrage: Mehrheit der Schweizer Bevölkerung will Corona-App nicht installieren", online abgerufen am 10. Juli 2020 unter: nzz.ch/panorama/umumfrage-mehrheit-der-schweizer-lehnt-corona-warn-app-abrage-mehrheit-der-schweizer-bevoelkerung-will-corona-warn-app-nicht-installieren-ld.1565465?reduced=true.
27 Zivilrechtliches Eigentum an Daten wird von der herrschenden Lehre verneint, siehe u.a.: Fröhlich-Bleuler Gianni, Eigentum an Daten?, in: Jusletter 06. März 2017.
28 Aigner/Bräumann/Kopfler/Tumpel, S. 349.
29 Tappen Falko, Unsere Daten, kein Entgelt?, in: Legal Revolutionary - Rechtsmagazin der digitalen Wirtschaft, 2018, S. 28 f.
30 Statt vieler: The Wall Street Journal "Bill Would Let Consumers Move Data Among Social Media" online abgerufen am 10. Juli 2020 unter: wsj.com/articles/bill-would-let-consumers-move-data-among-social-media-11571756143.
31 Aigner/Bräumann/Kopfler/Tumpel, S. 353.
32 Krotova Alevtina/Rusche Christian/Spiekermann Markus, Die ökonomische Bewertung von Daten - Verfahren, Beispiele und Anwendung, Köln, 2019.
33 Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 1 N 157.
34 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG, Art. 24 N 62.
35 Rohner/Looks/Bergau, S. 498.
36 Bossart/Clavadetscher, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson, Komm. MWSTG,Art. 24 N 63.
37 Rohner/Looks/Bergau, S. 500.
38 Aigner/Bräumann/Kopfler/Tumpel, S. 353.