<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Die Geschichte der Blockchain beginnt mit dem Grundlagenpapier <a href="https://bitcoin.org/bitcoin.pdf" target="_blank" rel="noopener">«Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System»</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn1" name="_ftnref1"><u>01</u></a></sup>. Dieses wurde im November 2008 von Satoshi Nakamoto veröffentlicht, wobei bis heute niemand weiss, wer hinter diesem Pseudonym steht. Dem Aufsatz, der die Funktionsweise von Bitcoin beschreibt, folgte schon Anfang 2009 dessen konkrete Umsetzung. Der Name Bitcoin steht dabei sowohl für die Blockchain bzw. das Transaktionssystem als auch für die Währung in diesem System und deren Werteinheit. «Be your own Bank» bringt die Vision der Blockchain-Pioniere auf den Punkt. Der Slogan verweist auf die Möglichkeiten der ersten Anwendung einer Blockchain, nämlich als Währung und Zahlungssystem ohne Intermediäre und «Single Points of Failure». Auf dem Höhepunkt der damaligen Finanzkrise galt der Slogan auch als Aufforderung, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen und sich aus der Abhängigkeit von traditionellen Institutionen im Finanzsystem, die als wenig stabil oder vertrauenswürdig wahrgenommen werden, zu befreien.</p>
<p>Auch heute ist die Stabilität des Finanzsystems und dessen Akteure wieder ein Thema. Die Rettung der Credit Suisse zeigt zum Beispiel, dass auch Konten bei regulierten Grossbanken nicht per se sicher sind und dass Alternativen nachgefragt werden. Die Blockchain-Technologie hat jedoch nicht nur das Potenzial, das Währungs- und Zahlungssystem zu verändern, sondern kann auch in vielen anderen Bereichen eingesetzt werden, wie bei der Aufbewahrung und Transaktion von Vermögenswerten, bei der Sicherung und beim Nachvollzug von Daten sowie bei der Identifikation von Personen und Institutionen. </p>
<p>In Anbetracht der steuerlichen Relevanz dieser Themen wird in vorliegendem Artikel ein kurzer Überblick über die Blockchain-Technologie und deren Anwendungen skizziert. Hierfür werden zunächst im ersten Abschnitt die Funktionsweisen verschiedener Blockchains erläutert. Im zweiten Abschnitt folgt ein Überblick über die grundlegenden Anwendungsstufen der Blockchain. Der dritte zeigt die Einordnung von Krypto-Vermögenswerten durch Finanzmarktbehörden. Abschliessend werden im vierten Abschnitt die Grenzen der Blockchain aufgezeigt. </p>
<h2>2. Wie funktioniert Blockchain?</h2>
<p>Neben der Ur-Blockchain von Bitcoin existieren heute tausende verschiedene Blockchain-Varianten. Sie lassen sich grundsätzlich anhand ihres sog. Konsens-Mechanismus klassifizieren. Im traditionellen Finanzsystem resultiert der Konsens über den Umfang gegenseitiger Verbindlichkeiten (d.h. bei Banken insbesondere die Kontostände ihrer Kunden) über bilaterale Verträge, die bei Bedarf gerichtlich durchgesetzt werden können. In hierarchiefreien, pseudonymen Systemen wie Bitcoin funktioniert das nicht. Dort nimmt die Blockchain die Funktion einer Institution ein, welche den Stand darüber festhält, wer unter welchen Bedingungen zu welchen Ausgaben oder zu sonstigen Änderungen an diesem Stand berechtigt ist. Insofern kann die Blockchain mit einem Handelsbuch verglichen werden, in welchem in chronologischer Reihenfolge Betrag, Zeitpunkt sowie Absender und Empfänger jeder Transaktion ersichtlich sind. Im Gegensatz zum Handelsbuch sind Einträge bei einer Blockchain jedoch öffentlich einsehbar. Die Blockchain wird über das Internet verteilt und jedermann kann eine Kopie davon speichern. Ein dezentraler Konsens-Mechanismus stellt sicher, dass alle Systemteilnehmer die gleiche Version dieser Blockchain verwenden.</p>
<p>Im Folgenden wird auf die Konsens-Mechanismen der bekanntesten und – gemessen an ihrer Bewertung – grössten beiden Blockchains eingegangen: Bitcoin und Ethereum. </p>
<p>Die Sicherheit von Bitcoin wird mittels «Proof of Work» garantiert. Dort gibt es zwei Arten von Systemteilnehmern: «Nodes» und «Miner». Die Software eines Bitcoin-Nodes erlaubt es, Transaktionen zu erzeugen und weiterzuleiten sowie die Gültigkeit von Transaktionen anderer Nodes zu überprüfen. Bei einer Transaktion wird dem Netzwerk mitgeteilt, dass der Absender dem Empfänger das Recht zur Verwendung an einer gewissen Anzahl Bitcoins übertragen möchte. Die Gültigkeit einer Transaktion setzt voraus, dass der Absender dieses Recht selbst besitzt (durch die Signatur der Transaktion mit einem oder mehreren kryptografischen Schlüsseln) und die entsprechenden Bitcoins ursprünglich korrekt in Umlauf gebracht wurden. Wenn die Transaktion von anderen Nodes als gültig angesehen wird, wird sie von diesen weitergeleitet. Ein Miner kann sie dann mit anderen zusammen in einem «Block» ablegen und diesen an die bestehende Blockchain anhängen. Eine so abgelegte Transaktion kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. </p>
<p>Miner können für ihre Leistung Transaktionsgebühren erheben. Zusätzlich werden sie für die Erstellung eines Blocks auch mit neuen Bitcoins entschädigt. Aus dieser Entschädigung ist der Begriff Miner abgeleitet: Analog zu Gold, «schürfen» die Miner neue Bitcoins. Im vergangenen Jahr wuchs die Bitcoin-Geldmenge ungefähr <a href="https://messari.io/asset/bitcoin/metrics/supply" target="_blank" rel="noopener">2 Prozent</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup>. Sie nähert sich asymptotisch dem Wert von 21 Mio. Bitcoins an, wobei jeder einzelne Bitcoin fast beliebig teilbar ist. </p>
<p>Der Betrieb eines Bitcoin-Nodes nimmt wenig Ressourcen in Anspruch und ist auf jedem Heimcomputer möglich. Das Mining hingegen ist mit erheblichem Aufwand verbunden. Damit nicht beliebig viele neue Bitcoins geschaffen werden können, müssen die Miner beweisen, dass sie (ansonsten sinnlose) Rechenleistung und damit Ressourcen einsetzen («Proof of Work»). Die erforderliche Rechenleistung wird periodisch so an die insgesamt eingesetzte Rechenleistung angepasst, dass im Durchschnitt alle 10 Minuten ein neuer gültiger Block abgelegt werden kann. Wenn zwei Miner gleichzeitig einen Block finden und diese an die bestehende Kette anhängen, teilt sich die Kette vorübergehend. Der Strang mit der grösseren Rechenleistung setzt sich schliesslich durch. Somit bestimmt die Mehrheit der Miner, bzw. deren Rechenleistung, über die gültige Blockchain. Die Rechenleistung und die dafür eingesetzte Energie wird nicht – wie oft kritisiert – verschwendet, sondern sie ist der Preis für den Konsens, indem sie es für jeden Teilnehmer kostspielig macht, das System zu beherrschen. Insofern garantiert sie somit den dezentralen Charakter und die Integrität des Systems.</p>
<p>Seit 2022 nutzt Ethereum «Proof of Stake» als Konsens-Mechanismus. Der grundlegende Ablauf in diesem System ähnelt demjenigen von Proof of Work. Statt den Miner sind es sog. «Validators», die neue Blöcke erstellen. Sie sichern die Integrität der Blockchain nicht durch Bereitstellung von Rechenleistung, sondern durch den Einsatz von eigenem Vermögen in Form von Ether, der Währung im Ethereum-System. Dieser Vorgang wird als «Staking» bezeichnet.</p>
<p>Um am Staking-Prozess teilzunehmen, müssen Validators 32 Ether (aktuell ca. CHF 60’000) hinterlegen. Bei erfolgreicher Aufgabenerfüllung erhalten sie neue Ether und einen Teil der Transaktionsgebühren als Vergütung. Insgesamt beläuft sich die derzeitige Gesamtvergütung auf ca. <a href="https://www.stakingrewards.com/earn/ethereum-2-0/" target="_blank" rel="noopener">5 Prozent pro Jahr</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn3" name="_ftnref3"><u>03</u></a></sup>. Allerdings kann Ethereum einem Validator bei fehlerhaftem Verhalten das hinterlegte Vermögen entziehen. Um auch Personen ohne grosses technisches Vorwissen oder mit geringem Investitionsvolumen den Zugang zum Staking zu ermöglichen, bieten mittlerweile verschiedene Anbieter indirektes Staking an. Diese Methodik wird von der Mehrheit der Staker genutzt, wobei der grösste Anbieter (Lido) hierbei zurzeit einen Marktanteil von <a href="https://dune.com/hildobby/eth2-staking" target="_blank" rel="noopener">30 Prozent</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn4" name="_ftnref4"><u>04</u></a></sup> aller Stakes hat.</p>
<p>Der grosse Unterschied zwischen Bitcoin und Ethereum ist also die Art der Sicherheit im Konsens-Mechanismus: Bitcoin setzt auf Rechenleistung, während Ethereum auf Vermögen setzt. Entsprechend benötigt Ethereum im Vergleich auch deutlich weniger Energie. Im Gegensatz dazu gilt Ethereum als etwas weniger dezentral, da es Aggregatoren mit hohen Marktanteilen gibt. Insgesamt haben bisher beide Systeme ihre Integrität bewiesen.</p>
<h2>3. Drei Anwendungsstufen</h2>
<h3>3.1 Kryptowährungen als erste Anwendungsstufe</h3>
<p>Wie oben erläutert, bildet die Bitcoin-Blockchain die Eigentümerkette von Bitcoins als Kryptowährung in einer öffentlich zugänglichen Datenstruktur ab. Das Recht einen Bitcoin-Betrag auszugeben, wird in kryptografischen Schlüsseln abgelegt, sodass Bitcoins auf jedem Computer, Smartphone oder sogar auf einem Blatt Papier gespeichert werden können. Auch Zahlungen sind mit Bitcoin direkt von Person zu Person («Peer-to-Peer») schnell und günstig sowie ohne Intermediär möglich. Insofern kommt das System ohne Geschäftsbanken aus. Deren traditionelle Rollen als sicherer Ort zur Aufbewahrung von Vermögen und als Zahlungsverkehrsinstitut sind damit obsolet.</p>
<p>Neben den Geschäftsbanken spielen im bestehenden Finanzsystem auch die Zentralbanken eine wichtige Rolle: Sie sollen insbesondere die Preisstabilität gewährleisten. Dabei haben sie einigen Spielraum. Dieser erfordert ein Vertrauen der Wirtschaft in die Kompetenz und Integrität der Entscheidungsträger der Geldpolitik, ihre Währung nicht durch übertrieben grosszügige Geldschöpfung abzuwerten. Bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen wird die Geldmenge mit einem Algorithmus gesteuert, der fester Bestandteil des Gesamtsystems ist. Damit ist die Geldpolitik regelgebunden und Vertrauen ist nur in die Regeln der Mathematik und die Programmierung des Systems notwendig. Letztere ist im Fall von Bitcoin durch den offenen Quelltext vollkommen transparent. </p>
<p>Jeder und jede kann mit seinem Computer am Bitcoin-System teilnehmen, ohne sich zu identifizieren oder jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Die Bitcoin-Blockchain ist also ein dezentrales System, das jedem zur Aufbewahrung und zum Austausch von Werten offensteht. Sie kann sowohl traditionelle Geschäftsbanken als auch Zentralbanken ersetzen. Damit stellt sie diese als Institutionen infrage, die wesentlich auf dem Vertrauen basieren, das ihnen entgegengebracht wird (und für deren Funktionieren gebraucht werden muss). Indem eine Blockchain deren traditionelle Funktionen und Eigenschaften substituiert, kann sie selbst als neue Art von Institution angesehen werden. Diese ist besonders wertvoll in Ländern, wo die traditionellen Institutionen des Finanzsystems versagen. Stabile Währungen und der Zugang zu vertrauenswürdigen Banken sind weltweit eher eine Ausnahme als die Regel. Ein grosser Teil der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu einem formalen Finanzinstitut und zu einer Kreditkarte. Damit ist auch der Zugang zu einem grossen Teil der Weltwirtschaft verschlossen. Kryptowährungen, die ohne formale Institutionen auskommen, können hier Abhilfe schaffen und einen Beitrag zur «Financial Inclusion» leisten.</p>
<p>Ein dezentral geführtes Handelsbuch und eine Plattform für die Aufbewahrung und den Austausch von Kryptowährungen sind allerdings nur die erste Anwendungsstufe der Blockchain (vgl. Abbildung, unten). </p>
<h3>3.2 Smart Property als zweite Anwendungsstufe</h3>
<p>Der Wert von Bitcoin und anderen Kryptowährungen ist sehr volatil: Seit 2020 bewegte er sich zwischen ca. <a href="https://coinmarketcap.com/currencies/bitcoin/" target="_blank" rel="noopener">5'000 und 60'000 Franken</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn5" name="_ftnref5"><u>05</u></a></sup>. Je nach Anwendung sind sie deshalb als eigenständige Zahlungsmittel noch wenig geeignet. Die zweite Anwendungsstufe der Blockchain besteht deshalb darin, die einzelnen Werteinheiten (bzw. Bruchteile davon) als Repräsentanten anderer Güter oder Vermögenswerte zu interpretieren (sog. «Smart Property»). Ein solches Token kann etwa eine Aktie repräsentieren. Der Eigentümer dieses Tokens gilt auch als Eigentümer der entsprechenden Aktie und das Eigentum kann durch eine Transaktion auf dem Ethereum-Netzwerk übertragen werden. Der Prozess, der Smart Property ermöglicht, wird deshalb auch als Tokenisierung bezeichnet. Die Blockchain-Technologie erlaubt es so auch kleinen und mittelständischen Unternehmen, ihre Aktien handelbar zu machen. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen <a href="https://www.aktionariat.com/" target="_blank" rel="noopener">Aktionariat</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn6" name="_ftnref6"><u>06</u></a></sup>. Firmen können auf dieser Plattform ihre Aktien tokenisieren und privaten Investoren zum Kauf anbieten. Auch Daura bietet die Tokenisieren von Aktien an und arbeitet dabei mit der Berner Kantonalbank zusammen, um den Handel zu ermöglichen (<a href="https://www.sme-x.ch/" target="_blank" rel="noopener">SME-X</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn7" name="_ftnref7"><u>07</u></a></sup>). Schliesslich bietet auch die SIX eine Handelsplattform für tokenisierte Werte an (<a href="https://www.sdx.com/" target="_blank" rel="noopener">SDX</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup>).</p>
<h4>3.2.1 Konventionelle Währungen</h4>
<p>Auch grosse Finanzinstitute haben die Technologie für sich entdeckt und arbeiten an Lösungen, mit ihr das Interbanken-Clearing zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die dazu verwendeten Blockchains sind nicht öffentlich, sodass der Zugang dazu kontrolliert und gesteuert werden kann. Solche Systeme verzichten auf die vollständige Dezentralisierung und damit auch die Resilienz und Zensurfreiheit offener Blockchains. Verglichen mit anderen Datenstrukturen oder -banken erlauben sie einen raschen Geschäftsverkehr mit tiefen Transaktionskosten: Der Verzicht auf Intermediäre erlaubt es Finanzmarktteilnehmern, Kosten zu senken sowie Clearing- und Settlement-Prozesse zu beschleunigen. Damit können sie ihre operationellen Risiken senken. Gleichzeitig ist mit der zentralen Verwaltung und der Zugangskontrolle die Einhaltung regulatorischer Vorgaben einfacher, da Transaktionen massgeschneidert abgewickelt, vor den Konkurrenten verborgen und gleichzeitig gegenüber Aufsichtsbehörden dokumentiert werden können.</p>
<p>Wenn ein Wertpapierverkauf auf einer Blockchain abgewickelt und in Schweizerfranken bezahlt werden soll, muss die Käuferin den Kaufpreis begleichen, indem sie Guthaben von ihrer Hausbank an die Bank des Verkäufers überweist. Die Übertragung des Frankenbetrags erfolgt anschliessend zwischen den beiden Banken über die bestehenden Kanäle des Zahlungsverkehrs. Das ist langsam und teuer. Verschiedene Anbieter haben deshalb begonnen, Krypto-Schweizerfranken herauszugeben (sog. «Stablecoins»). Die Käuferin eines Wertpapiers kann dann solche Krypto-Schweizerfranken mittels Blockchain an den Verkäufer übertragen. Die Übertragung des Wertpapiers und des Geldbetrags kann dann simultan abgewickelt werden. Die Banken managen in diesem Fall nur noch die Sicherheiten für den Krypto-Schweizerfranken, sind aber nicht mehr für die Abwicklung der Transaktionen notwendig. Die Popularität von Krypto-Schweizerfranken ist aufgrund einer geringen Anzahl von tokenisierten Schweizer Vermögenswerten und regulatorischen Hürden noch sehr bescheiden. Im Vergleich dazu sind Stablecoins, die auf den US-Dollar abgestimmt sind, erfolgreicher. Allerdings hat sich die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) positiv dazu geäussert, einen gemeinsamen Krypto-Schweizerfranken für alle Schweizer Banken zu erschaffen, um den Bankenstandort Schweiz zu stärken (<a href="https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/1/5/7/f/157f655cec38f6e67e25dc346034786a35e81190/SBVg_Der_Buchgeld_Token_DE_2023.pdf" target="_blank" rel="noopener">Whitepaper zum «Buchgeld-Token»</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup>).</p>
<p>Wie beim heutigen Buchgeld hängt die Stabilität eines Krypto-Schweizerfrankens von den zugrundeliegenden Sicherheiten ab. Deshalb kann ein solcher auch das Problem eines Bank-Runs, wie es bei der Credit Suisse auftrat, nicht lösen. Alternativ könnte die Nationalbank direkt in die Blockchain eingebunden werden und Notenbankgeld schaffen, das direkt auf der Blockchain überwiesen wird. Diese Art Tokens wird unter dem Namen «Central Bank Digital Currencies» (CBDCs) diskutiert. Hierbei wird zwischen einer sog. «Retail» und «Wholesale» Variante unterschieden. Letztere dient vorwiegend dem Interbanken-Clearing zwischen den Banken (vgl. auch Erläuterungen zum Interbanken-Clearing, oben). Erstere sind für die Bevölkerung zugänglich und erlauben unter anderem die simultane Übertragung des Wertpapiers und des Geldbetrags ganz ohne Bezug zu einer Geschäftsbank. </p>
<p>Die Schweizerische Nationalbank experimentiert zurzeit mit <a href="https://www.snb.ch/de/iabout/internat/multilateral/id/internat_multilateral_bisih" target="_blank" rel="noopener">Wholesesale CBDCs</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn10" name="_ftnref10">10</a></sup>, scheint aber aufgrund der abgelehnten Vollgeldinitiative auf einen Retail CBDC verzichten zu wollen (vgl. Whitepaper zum Buchgeld-Token). Diesbezüglich gehen andere Staaten einen Schritt weiter. China hat zum Beispiel die flächendeckende Einführung eines Retail CBDC, den sog. «Digital Renminbi», angekündigt und testet ihn zurzeit grossflächig. Die EU bzw. die Europäische Zentralbank ist ebenfalls bereits weit fortgeschritten in der Planung und wird voraussichtlich ab Oktober 2023 einen Retail CBDC versuchsweise einführen. Beim <a href="https://www.ecb.europa.eu/paym/digital_euro/html/index.en.html" target="_blank" rel="noopener">«Digitalen Euro»</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn11" name="_ftnref11"><u>11</u></a></sup> wird jedoch die Höhe pro Individuum beschränkt sein, da er nur zur Zahlung nicht aber zur Wertaufbewahrung dienen soll. Diese Einschränkung zeigt, dass die Nutzung eines CBDC – je nach dessen Ausgestaltung – durch die Zentralbank stark kontrolliert werden kann.<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn12" name="_ftnref12">12</a></sup> Auch etliche weitere Länder testen zurzeit Retail CBDCs. Zu diesen gehören gemäss einer <a href="https://www.snb.ch/n/mmr/reference/sem_2022_11_14_gambacorta/source/sem_2022_11_14_gambacorta.n.pdf" target="_blank" rel="noopener">Präsentation der SNB</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn13" name="_ftnref13"><u>13</u></a></sup> unter anderem Australien, Indien, Russland, Schweden und die Ukraine.</p>
<h4>3.2.2 Illiquide Vermögenswerte</h4>
<p>Ein Token kann nicht nur klassische Vermögenswerte, sondern auch illiquide Vermögenswerte wie Immobilien, Kunstwerke oder geistiges Eigentum repräsentieren. Durch Tokenisierung wird der Handel mit diesen Vermögenswerten erleichtert, da der Token anstelle des Vermögenswerts relativ einfach gehandelt werden kann. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Technologie ermöglicht, das Eigentum an diesen Vermögenswerten auf mehrere Tokens aufzuteilen. So können auch Kleinanleger in Märkte einsteigen, bei denen sonst erhebliche Eintrittshürden bestehen. Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Krypto-Bank Sygnum, die zusammen mit Artemundi das Picasso-Gemälde «Fillette au Béret» tokenisiert hat. Damit konnte für etwa <a href="https://www.insights.sygnum.com/post/sale-of-picasso-painting-tokenised-by-sygnum-brings-significant-returns-for-tokenholders" target="_blank" rel="noopener">1'000 Franken</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn14" name="_ftnref14"><u>14</u></a></sup> ein Teil eines Picasso-Bildes erworben werden.</p>
<h4>3.2.3 Eigentums- und Wertschöpfungsketten</h4>
<p>Tokens sind aber nicht nur für den Handel von Wertschriften, sondern auch für den transparenten Nachvollzug von Eigentums- und Wertschöpfungsketten hilfreich. Bekannte Beispiele sind Luxusgüter, bei denen die Echtheit mittels Nachvollzug der Eigentümerkette sichergestellt werden soll (vgl. z.B. <a href="https://auraluxuryblockchain.com/members" target="_blank" rel="noopener">das Joint-Venture von LVMH, Mercedes-Benz, OTB, Prada Group und Richemont</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup>). Auch Handelsgüter können mithilfe von Tokens überwacht werden, um die Herkunft und den korrekten Transport zu überwachen. Ebenso können CO2- und ähnliche Zertifikate auf einer Blockchain registriert werden, um die Herkunft transparent nachzuvollziehen und Doppelverwendungen zu vermeiden.</p>
<p>All diesen Anwendungen ist gemein, dass sie zusätzlich zur Blockchain, wo die Eigentumsrechte abgelegt sind, eine Institution benötigen, welche die virtuelle Werteinheit mit dem physischen Gut oder der traditionellen Währung verknüpft. Die Institution muss sicherstellen und dafür einstehen, dass letztere tatsächlich existieren und dem Eigentümer der virtuellen Geldeinheit gehören. Die Blockchain übernimmt in den meisten Fällen eine ergänzende Funktion. Sie übernimmt einzelne Aufgaben bestehender Institutionen, z.B. des Aktienregisters, des Grundbuchs oder des Einwohnerregisters, kann diese aber nicht vollumfänglich ersetzen.</p>
<h4>3.2.4 Neue digitale Inhalte</h4>
<p>Tokens können auch neue digitale Inhalte repräsentieren, die nicht mit einem physischen Gut oder einem traditionellen Vermögenswert verknüpft sind und deshalb keine Verknüpfung durch eine Institution benötigen. Dazu zählen unter anderem Beteiligungen an dezentralen Organisationen (DAOs, siehe auch nächster Abschnitt) aber auch Eigentums- und Zugangsrechte an digitalen Kunstwerken oder Dienstleistungen, die sich bereits auf der Blockchain befinden. Solche Tokens erlangten insbesondere durch die digitale Affen-Sammlung des Bored Ape Yacht Clubs oder durch Grundstücke in digitalen Welten (sog. «Metaversen») unter dem Namen NFT Popularität. </p>
<p>Die Abkürzung NFT steht für «Non-Fungible Token». Dabei handelt es sich um eine Art von Token, die einzigartig und nicht austauschbar ist. Im Gegensatz dazu repräsentieren «Fungible Tokens» jeweils etwas Gemeinsames und können untereinander ausgetauscht werden. Ein Vergleich hierzu ist der Unterschied zwischen Namens- und Inhaberaktien. Ein NFT beschreibt die technische Ausprägung eines Tokens und muss nicht zwangsläufig mit Kunst in Verbindung gebracht werden. Tatsächlich beinhalten viele sogenannte Kunst-NFTs lediglich einen Weblink zu einem Bild, und nicht das eigentliche Bild selbst. NFTs gehen weit über Affenbilder und Metaverse-Grundstücke hinaus. So handelt es sich zum Beispiel auch bei den oben beschrieben Tokens für den transparenten Nachvollzug von Eigentümer- und Wertschöpfungsketten technisch um NFTs.</p>
<h4>3.2.5 Transparenz und Identifikation von Personen</h4>
<p>Die britische Regierung ist in einem Bericht zum Schluss gekommen, dass die Blockchain für den Staat die Grundlage schaffe, Betrug, Korruption, Fehler und die Kosten papierbasierter Prozesse zu reduzieren. Sie habe das Potenzial, die Beziehung des Staats und seiner Bürger bezüglich Datenaustausch, Transparenz und Vertrauen neu zu definieren. Die erhöhte Transparenz von Transaktionen auf einer Blockchain ermöglicht es dem Staat, detailliert Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen und bemächtigt seine Bürger, diese auch einzufordern.</p>
<p>Schliesslich können nicht nur Güter, sondern auch Personen auf der Blockchain registriert werden. So können Identitäten und Zugangsrechte zu Diensten verwaltet werden. Estland basiert etwa seine Infrastruktur für digitale Identitäten auf einer Blockchain. So können seine Bürger ihre digitale ID für Schulzeugnisse, Abstimmungen, Steuererklärungen, und ihr Testament sowie weitere Anwendungen nutzen. </p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/6LF9OkGZFqM3QELT0jm7KH/c3a42749b5d2782b548bbcdf31d7bb04/A6_RZ28_Grafik.png" alt="Die drei Anwendungsstufen der Blockchain: 1. Kryptowährungen, 2. Smart Property, 3. Smart Contract. Eine Grafik der Autoren des zsis-Artikels Matthias Hafner und Christian Jaag" width="900" height="329" /><img src="https://app.contentful.com/spaces/bgpaxzxi3eyz/assets/6D5td4s9jDi3r8nvCzhQyZ" alt="" /></p>
<h3>3.3 Smart Contracts als dritte Anwendungsstufe</h3>
<p>Die dritte Anwendungsstufe der Blockchain ist ihre Nutzung als Plattform zur dezentralen Ausführung von Applikationen und Verträgen (sog. «Smart Contracts»). Hierfür eignet sich unter anderen die Ethereum-Blockchain. Sie erlaubt es, Verträge zu programmieren, die sich beim Eintreffen gewisser Ereignisse selbständig ausführen. </p>
<p>Die Idee von Smart Contracts (und deren Grenzen) lässt sich eindrücklich am Beispiel von «Dezentralen Autonomen Organisationen» (DAO) illustrieren. Eine DAO ist eine virtuelle Organisation, welche ausschliesslich als Code existiert und durch diesen gelenkt und geführt wird. Es besteht aus einem Zusammenspiel, sich selbständig durchsetzender Verträge. Eine der ersten DAO (selbstbewusst «The DAO» genannt) wurde als Investmentgesellschaft konzipiert, welche sich an Projekten finanziell beteiligen kann, die ihr von Dritten vorgeschlagen werden. Die dieser DAO zugrundeliegenden Smart Contracts wurden auf der Ethereum-Blockchain abgelegt. Mit der ausschliesslichen Verwendung von Computercode und Smart Contracts, d.h. ohne weitere Statuten oder Organe, erhoffte man sich, späteren Streit über die geltenden Regeln der Organisation und deren Auslegung vermeiden zu können. </p>
<p>Das Unternehmen wurde von pseudonymen Eignern getragen, welche sich durch den Kauf von Anteilen gegen Ether (der Kryptowährung auf der Ethereum-Blockchain) daran beteiligen konnten. In den ersten vier Wochen nach der Gründung der DAO im Frühling 2016 wurden Anteile im Gegenwert von über 150 Mio. Franken gezeichnet.</p>
<p>Bevor das erste Projekt regulär finanziert werden konnte, nahm die Erfolgsgeschichte der DAO im Juni 2016 ein jähes Ende. Einem Anteilseigner des «The DAO» gelang es, rund ein Drittel des DAO-Vermögens auf eigene Konten abzuzweigen. Nur mit einer Regeländerung in der Ethereum-Blockchain gelang es, die abhanden gekommenen Ether deren ursprünglichen Eigentümern zurückzugeben. Damit wurde die Irreversibilität von Transaktionen – der Lösung des DAO-Hacks geopfert. Gleichzeitig wurde damit ein Systemteilnehmer (die DAO) von der Gemeinschaft als «Too big to fail» eingestuft – ein Problem des traditionellen Finanzsektors, das man mit der Blockchain als entschärft geglaubt hatte. Zudem kann sowohl die Aktion des «Angreifers» als auch deren Rückabwicklung als Diebstahl betrachtet werden. Somit ist unklar, ob nun der Hack oder dessen Lösung unzulässig war. </p>
<p>Der Start der Smart Contracts und der Ethereum-Blockchain war also holprig. Die beschriebene Rückabwicklung blieb jedoch ein einmaliges Ereignis und seitdem hat sich ein sehr vielfältiges Ökosystem aus DAOs und weiteren sog. dezentralen Anwendungen (DApps) entwickelt, also Anwendungen, die auf Smart Contracts basieren. Am erfolgreichsten haben sich hierbei diejenigen Anwendungen erwiesen, die keine oder nur sehr standardisierte Daten von ausserhalb der Blockchain benötigen. Dies trifft insbesondere auf die Bereiche Finanzen, Games, Soziale Medien sowie auf die Medien- und Werbebranche zu. </p>
<p>Im Finanzbereich haben sich insbesondere dezentrale Handelsbörsen und Kreditplattformen entwickelt, über die Nutzer Kryptowährungen und tokenisierte Vermögenswerte handeln und ausleihen können. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Handelsbörse Uniswap, die seinen Nutzern jederzeit den Handel zu aktuellen Marktpreisen ermöglicht. Bei dieser Börse, die auch über eine <a href="https://apps.apple.com/us/app/uniswap-wallet/id6443944476" target="_blank" rel="noopener">iPhone-App</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn16" name="_ftnref16"><u>16</u></a></sup> zugänglich ist, werden die Transaktionen mittels Smart Contracts abgewickelt, wobei die Preise automatisch durch diese ermittelt werden. Da der Smart Contract bei einer Transaktion direkt als Gegenpartei auftritt, benötigt er entsprechende Reserven, um den Handel zu ermöglichen. Diese Reserve kann von jedem bereitgestellt werden und wird mit den erhobenen Handelsgebühren vergütet. In ähnlicher Weise ermöglichen Kreditplattformen sowohl die dezentrale Kreditvergabe als auch (vollständig besicherte) Kreditnahme. Die Produkte im Finanzbereich bieten somit nicht nur Bankkunden neue Angebote, sondern speziell auch Kleinanleger Zugang zu neuen Ertragsmöglichkeiten. Mit der möglichen Einführung von Retail CDBC bzw. flächendeckenden Stablecoins und der fortschreitenden Tokenisierung von Vermögenswerten werden diese Plattformen voraussichtlich noch weiter an Bedeutung gewinnen.</p>
<p>Im Bereich Games haben sich insbesondere im Zusammenhang mit NFTs neue Möglichkeiten eröffnet. Smart Property ermöglicht es, die Eigenschaften und die Entwicklung des Spielcharakters in einem NFT festzuhalten. Mittels Smart Contract kann basierend auf den Entscheidungen der Spieler und dem NFT der Spielausgang berechnet werden. Oft werden als Belohnung dann anstatt Punkte automatisiert Tokens vergeben, die wiederum für die Verbesserung des Spielcharakters eingesetzt werden können. Diese NFTs und Tokens lassen sich einfach mit anderen Spielern tauschen. </p>
<p>Im Bereich der Sozialen Medien sind insbesondere Metaversen populär. Ein Smart Contract kann hier etwa automatische Mietzahlung für Grundstücke sicherstellen. Ein weiterer Anwendungsbereich ist verbesserte Kundenbeziehung. Ein Beispiel hierfür ist die Plattform <a href="https://about.nike.com/en/newsroom/releases/nike-launches-swoosh-a-new-digital-community-and-experience" target="_blank" rel="noopener">Swoosh</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn17" name="_ftnref17">17</a></sup> von Nike, über die Kunden an der Entwicklung von Produkten mitwirken können. Smart Contracts können hier beispielsweise eingesetzt werden, um umgesetzte Vorschläge von Nutzern zu belohnen bzw. diese direkt an Verkaufszahlen zu knüpfen. Auch Schweizer Unternehmen wie <a href="https://www.decommerce.com/" target="_blank" rel="noopener">Decommerce</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup> haben begonnen, in diesem Bereich Dienstleistungen anzubieten.</p>
<p>Schliesslich finden sich auch in der Medien- und Werbebranche zahlreiche Beispiele, bei denen Smart Contracts eingesetzt werden. Der <a href="https://brave.com/de/" target="_blank" rel="noopener">Brave-Browser</a><sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn19" name="_ftnref19"><u>19</u></a></sup> ermöglicht es Nutzern beispielsweise, selbst zu entscheiden, ob sie Werbung sehen möchten, und belohnt die Nutzer mittels Smart Contracts für das Ansehen von personalisierten Anzeigen. Auch auf Video- und Musik-Plattformen können mit Smart Contracts Produzenten direkt von den Konsumenten entschädigt werden, wodurch Intermediäre wie Google, Facebook und Apple umgangen werden können.</p>
<p>Die genannten Beispiele verdeutlichen, welche vielfältigen Möglichkeiten Smart Contracts in verschiedenen Bereichen bieten. Sie können Prozesse automatisieren und sind besonders in Fällen von Verträgen mit Zahlungsströmen, die bisher von Intermediären abgewickelt wurden, von Bedeutung.</p>
<h2>4. Rechtliche Klassifikation von Krypto-Vermögenswerten</h2>
<p>Wie bereits angedeutet, bieten Krypto-Vermögenswerte nahezu unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten. Sie können beispielsweise als Zahlungsmittel, Zugang zu Produkten oder Dienstleistungen, Mitgliedschaften oder als Repräsentation von Vermögenswerten ausgestaltet sein. Aus ökonomischer Sicht ist primär der Nutzen für seine Zielgruppen entscheidend, da dieser den Preis des Krypto-Vermögenswerts beeinflusst. Je höher der Nutzen, desto grösser die Nachfrage und desto höher der Preis. Startups, die ein Krypto-Vermögenswert u.a. zur Anschubfinanzierung ihres Projekts herausgeben, versuchen deshalb oft, dem Krypto-Vermögenswert möglichst viel Bedeutung zu geben. Je nach Ausgestaltung können dabei jedoch beträchtliche Regulierungskosten entstehen. Für Projekte stellt sich deshalb rasch die Frage, welche Eigenschaften, welche Regulierung nach sich ziehen. </p>
<p>In der Schweiz ist die FINMA für diese Fragestellung zuständig. Analog den meisten anderen Finanzmarktregulierungsbehörden unterscheidet die FINMA gemäss Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Initial Coin Offerings (<a href="https://www.finma.ch/de/~/media/finma/dokumente/dokumentencenter/myfinma/1bewilligung/fintech/wegleitung-ico.pdf?sc_lang=de&hash=95F3DDE91518C2D0D736C6C885DB8F64" target="_blank" rel="noopener">Wegleitung ICO</a>)<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup> zwischen drei verschiedenen Arten von Krypto-Vermögenswerten:</p>
<p>Die erste Art sind «Zahlungs-Token». Diese dienen primär als digitales Zahlungsmittel und werden von Nutzern für den Kauf von Waren und Dienstleistungen verwendet. Der bekannteste Vertreter dieser Kategorie ist Bitcoin, aber auch andere Kryptowährungen wie Litecoin erfüllen diese Funktion. Dieser Klassifizierung entspricht der ersten der oben beschriebenen Anwendungsstufen. Gemäss Wegleitung ICO werden diese Tokens nicht als herkömmliche Wertpapiere reguliert. </p>
<p>Die zweite Art sind «Nutzungs-Token», die den Nutzern Zugang zu Dienstleistungen auf der Blockchain ermöglichen. Das Nutzungs-Token ist der vielfältigste Krypto-Vermögenswert und fällt in die zweite Anwendungsform Smart Property. Es wird jedoch auch oft mit der dritten Anwendungsform in Verbindung gebracht, da es oft zusammen mit einem Smart Contract genutzt wird. Ein Beispiel stellt ein Krypto-Vermögenswert dar, das Zugang zu einem Video gibt. Gemäss Wegleitung ICO werden diese Tokens ebenfalls nicht als herkömmliche Wertpapiere reguliert. </p>
<p>Die dritte Art sind «Anlage-Tokens», die Vermögenswerte wie Anteile an Unternehmen oder Immobilien repräsentieren. Diese Tokens ermöglichen Nutzern, in Vermögenswerte zu investieren und daran teilzuhaben, ohne dass sie physischen Besitz davon haben müssen. Das Anlage-Token fällt ebenfalls in die zweite Anwendungsform Smart Property. Das Anlage-Token wird von der FINMA hinsichtlich dessen wirtschaftlicher Funktion wie eine Aktie, Obligation oder ein derivatives Finanzinstrument bewertet. In der Regel unterliegt dieses deshalb den gleichen regulatorischen Anforderungen wie herkömmliche Wertpapiere.</p>
<p>Obwohl die Klassifizierung der FINMA einleuchtend ist, ist sie nicht trivial. Die Abgrenzung der verschiedenen Token-Arten ist aus ökonomischer und juristischer Sicht nicht eindeutig und kann in vielen Fällen fliessend sein.<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup> Die FINMA führt deshalb gemäss Wegleitung ICO jeweils eine Einzelfallbetrachtung mit Fokus auf die wirtschaftliche Funktion und den Zweck der Tokens durch.</p>
<p>Ausländische Regulierungsbehörden greifen im Wesentlichen auf vergleichbare Konzepte zurück, die jedoch teils mit strengerer Auslegung angewandt werden.<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Als ein bekanntes Beispiel hierfür gilt der strikte «Howey-Test», der von der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC angewendet wird. Gemäss diesem Test gilt ein Krypto-Vermögenswert als Anlage (bzw. als «Security»), wenn es sich um eine Investition handelt, bei der eine Gewinnerwartung aufgrund der Bemühungen Dritter besteht.<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup> Aus ökonomischer Sicht ist auch diese Definition nicht eindeutig, da praktisch jedes Projekt Wachstumsziele hat und Krypto-Vermögenswerte bei steigendem Projektwachstum in der Regel an Wert gewinnen. Es stellt sich die Frage, wie ein Projekt verhindern möchte, dass Spekulanten Erwartungen an die zukünftige Nachfrage des Projekts bilden. Aktuell wird in den USA etwa diskutiert, ob Ether aufgrund der Umstellung auf Proof of Stake als Anlage klassifiziert werden sollte. Befürworter argumentieren primär damit, dass mit Proof of Stake, ähnlich wie beim Kreditgeschäft, eine Rendite erwirtschaftet werden kann und somit Gewinnerwartungen gebildet werden.<sup><a title="" href="applewebdata://1DA93FBD-EC18-4CCF-B76B-6064D164F8A2#_ftn24" name="_ftnref24">24</a></sup> Wie oben dargelegt, ist Staking bei Proof of Stake ein integraler Teil der Blockchain und bezweckt nicht die Erwirtschaftung von Gewinnen. Aus ökonomischer Sicht ist zumindest nicht klar, weshalb zwischen Proof of Work und Proof of Stake unterschieden werden soll.</p>
<p>Die Diskussionen verdeutlichen, wie schwierig es ist, Krypto-Vermögenswerte als Anlage- oder Nicht-Anlagevermögenswerte einzuordnen. Die Klassifizierung hat jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Möglichkeit der Technologie, sich zu entfalten.</p>
<h2>5. Grenzen der Blockchain</h2>
<p>Bereits bei der ersten Anwendungsstufe der Blockchain, nämlich den Kryptowährungen, werden die Einschränkungen von freien, offenen und dezentralen Blockchains sichtbar. «Be your own Bank» heisst auch, für das eigene Geld selbst verantwortlich zu sein. Weil sich manche nicht zutrauen, ihre Bitcoins auf dem eigenen Computer sicher aufzubewahren, hat sich in den vergangenen Jahren ein weites Ökosystem an Dienstleistern entwickelt, welche die Nutzer in ihrem Umgang mit Kryptowährungen unterstützen. So sind verschiedene Bank-ähnliche Institute entstanden, welche Kryptowährungen als Einlagen entgegennehmen und aufbewahren oder deren Tausch in traditionelle Währungen anbieten. Während das Bitcoin-System aufgrund seiner Dezentralität resilient ist und bisher sämtlichen Angriffen getrotzt hat, sind es insbesondere solche Intermediäre, deren Verletzlichkeit in der Vergangenheit wiederholt für negative Schlagzeilen gesorgt haben. </p>
<p>Die Plattform mybitcoin.com ist im Sommer 2011 mitsamt den Einlagen seiner Nutzer plötzlich verschwunden – noch ohne ausserhalb der kleinen Bitcoin-Community grosses Aufsehen zu erregen. Der Kollaps von mtgox.com im Winter 2014, der damals grössten Plattform, auf der Bitcoins gegen andere Währungen getauscht werden konnten, war ein weiterer herber Schlag für das Bitcoin-System. Danach hat es sich aber wieder erholt. 2022 geriet FTX in Schwierigkeiten und musste Konkurs anmelden, nachdem es Kundengelder an eine Investmentfirma ausgeliehen hatte, die zu hohe Risiken einging. Darauffolgend sind weitere Banken in Schwierigkeiten geraten und konnten womöglich nur durch Interventionen durch die FED gerettet werden. </p>
<p>Aber nicht nur zentrale Intermediäre waren in der Vergangenheit verwundbar. Es gab nebst «The DAO» auch bei anderen Smart Contract Anwendungen schwerwiegende Fehler. 2022 ist der Stablecoin von Terra kollabiert. Der sogenannte algorithmische Stablecoin, war mit einer eigenen Kryptowährung besichert. Ein Bank-Run führte dazu, dass die Sicherheiten an Wert verloren und der Stablecoin zusammenbrach. Auch dezentrale Anwendungen sind somit nicht per se fehlerfrei, im Unterschied zu den Intermediären sind diese jedoch transparent und somit jederzeit überprüfbar. </p>
<p>Dieser Artikel zeigt, dass die Blockchain interessante Anwendungen und grosses Potenzial hat. Traditionelle staatliche und private Institutionen haben zwar auch in der Blockchain-Welt noch eine Existenzberechtigung. Deren wirtschaftliche und soziale Rolle wird sich aber fundamental verändern, indem die Blockchain zumindest ihre Prozesse transparenter und auditierbar macht. Die reduzierten Transaktionskosten erlauben zudem eine verstärkte Desintegration verschiedener Funktionen in Organisationen. Nach vielen Rückschlägen zeichnet sich ab, dass die Blockchain doch noch zu dem werden könnte, wofür sie ursprünglich erfunden wurde: eine transparente und dezentral aufgebaute Plattform für den Austausch von Werten und Identitäten – ähnlich zu dem was das Internet für die Übermittlung von Informationen ist. Bei Erfolg trägt sie damit auch zu einer Machtverschiebung bei: Weg von den grossen Institutionen und hin zu den Individuen.</p></article>
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